#1421

RE: Tanue (Ruinenstadt am Tsar)

in Dreitan - das Spiel 21.01.2016 05:55
von Ro Raven | 10.532 Beiträge

fast ein Monat später, Ende Februar
-> Veray, Lesir, Dreqi und Orwl aus den Wilden Landen S. 163

Sie erreichten Tanue im Morgengrauen, nachdem sie fast einen Tag und eine Nacht durchgeritten waren, denn um Lesir nicht völlig durchzuschütteln, waren sie nie schneller als Schrittempo vorangekommen. Orwl war irgendwann erwacht und hatte sie mit Flüchen eingedeckt, aber sie hatten ihn ignoriert und hängen lassen, wie er hing, er würde es überleben, und sie konnten keinen erneuten Fluchtversuch riskieren.
Die weite Senke des Flusses lag in schimmerndem Licht vor ihnen, das Wasser schillernd wie eine Strasse aus silber, der Wald tiefdunkel und die marmornen Überreste der Ruinen darin wie verbleichte Knochen, Erinnerungen an etwas Lebendiges aus einer längst vergessenen Zeit. Ein Lächeln spielte um Verays Mundwinkel. Dort unten wartete etwas auf ihn, das noch älter war, als diese Mauern, aber zugleich wesentlich lebendiger. Ran. Es war als würde der Wind ihren Namen flüstern, und er fachte ein Feuer und eine Sehnsucht in ihm an, die die Sorge um Lesir noch überwog. Wenn auch mit einem kleinen Stich von Schuld. Er hatte nicht vergessen, was er ihr noch beichten musste. Und er hatte Angst vor ihrer Reaktion, wie auch immer sie ausfiel.
Veray schloss die Arme fester um Lesir. Er hing nur noch in seinem Griff, selbst wenn er bei Bewusstsein war, hatte nicht die Kraft, sich selbst zu halten, er, den die Barbaren Naurgay nannten, den Windreiter, weil er im Sattel eines Pferdes so sicher stand wie andere nicht auf dem Boden. Sie hatten ihm die Rüstung angezogen, um ihn etwas zu stabilisieren, auch wenn sie ein ziemliches Loch aufwies, und Veray versuchte jede abrupte Erschütterung durch seinen Griff zu dämpfen, trotzdem spürte er, wie Lesirs Blut über seine Hände lief und die Satteldecke tränkte, und es tat so weh, als wäre es sein eigenes. Was es am Ende ja auch war. Sie waren Brüder vom selben Vater und der selben Mutter, und auch wenn mehr als dreissig Jahre zwischen ihnen lagen, teilten sie ein unfreiwilliges Schicksal. "Wir sind fast da", flüsterte er Lesir leise zu. Dann machten sie sich an den Abstieg.

Die ersten Sonnenlanzen durchbrachen das Geäst der Bäume, als das rissige Pflaster uralter Strassen unter den Hufen der Pferde klapperte. Der Wald stand still und verwunschen zwischen den Ruinen nur dann und wann bewegten sich ein paar Zweige im Wind. Er war wärmer geworden, im Vergleich zu den letzten Tagen, Veray hatte es bereits in der Nacht bemerkt, vermutlich würde bald der Frühling über die Steppe hereinbrechen.
Sie tauchten auf aus dem Nichts. Er hätte schwören können, noch eine Sekunde zuvor auf den Platz zwischen den Ruinen geblickt zu haben, auf den sie zuritten, und nichts darauf gesehen zu haben, und nach einem Blinzeln waren sie da. Allerdings war er müde, und seine Schulter schmerzte. Vielleicht spielten ihm seine Sinne nur einen Streich. Es mochte ein halbes Dutzend von ihnen sein, die Bögen in der Hand, mit aufgelegtem Pfeil, die braunweissen Uniformen verschwimmend zwischen Ästen und Marmor.
Dreqi und er zügelten die Pferd. "Veray von der schwarzen Festung?", fragte eine Stimme aus dem Schatten einer Kapuze.
"Ja", antwortete er müde. "Und sein verletzter Bruder. Ausserdem Dreqi Verdezia und Orwl, die Eule der Natzahaema."
Sie liessen die Bögen sinken und ein Teil steckte die Pfeile weg. "Ihr könnt die Pferde uns überlassen, wir werden sie versorgen. Ihr werdet erwartet."
Dreqi schwang sich widerspruchslos aus dem Sattel und übergab die Zügel einem der Falken, während er aus den Satteltaschen nahm, was er brauchte. "Hey! Lesir!" Er schlug ihn leicht gegen die Brust, um ihn zu wecken. "Kannst du dich kurz festhalten?"
"Mhm", murmelte Lesir und krallte die Finger um den Sattelknauf. So gleitend wie möglich stieg Veray ab, übergab jemandem die Zügel, packte Lesir vorsichtig unterhalb des Gürtels um die Hüften und zog ihn mit einem Ächzen und einmal Zähne zusammenbeissen aus dem Sattel, um ihn neben sich zu stellen, während sie die Pferde wegbrachten. Zu seiner Überraschung stand er tatsächlich selber, auch wenn er sich schwer auf ihn stützte und Totenbleich war.
Veray sah, dass ein paar andere sich daran machten Orwl loszubinden. "Vorsicht! Der ist gefährlich!"
"Wissen wir", bekam er als Antwort, und zu seiner Bestätigung zogen zwei der Falken ihre Bögen und richteten sie von verschiedenen Seiten her direkt auf den Gefangenen, sobald man ihn losgeschnitten hatte. "Wir bringen ihn in eine Zelle."
Sie machten sich nicht die Mühe, seine Fussfesseln zu lösen, sondern packten ihn schlicht und schleiften ihn hinter sich her, ohne ihn aus dem Ziel der Pfeile zu nehmen. Veray sah ihnen einen Augenblick lang nach. Im nächsten war er damit beschäftigt Lesir festzuhalten der von einem Moment auf den anderen in sich zusammengeklappt war. "Scheisse!"
"Ist er schwer verwundet?", fragte der Falke scharf, plötzlich nicht mehr so gelassen und auf alles Vorbereitet wie vorher, während er Veray half, Lesir hinzulegen.
"Ja", antwortete Veray knapp. "Seitenwunde. Von einer Sichel."
"Soyan, hol Verstärkung und eine Trage!", wies der Falken den anderen verbleibenden an, der sofort loslief, und beugte sich kurz über Lesir, bevor er abrupt zu Veray aufsah. "Ihr wurdet aber nicht verfolgt, oder?"
Veray schüttelte den Kopf. "Die Wunde ist über eine Woche alt. Aber sie ist auf dem Ritt hierher wieder aufgegangen. Er hat eine Menge Blut verloren."
Der Falke nickte routinemässig. Wenig später kamen drei weitere mit einer Trage angelaufen. Binnen weniger Atemzüge hatten sie Lesir darauf verfrachtet und festgeschnallt und marschierten nun im Stechschritt auf ein Gebäude zu, ohne dabei irgendetwas zu sagen. Man bedeutete Veray und Dreqi zu folgen und sie taten es. Sie betraten eine Ruine und stiegen eine lange Treppe hinunter, gefolgt von einer weiteren. An einer Schleuse trafen sie auf zwei Wachen. "Informiert Akkaya, dass sie eingetroffen sind", wies ihr Anführer sie an. "Wir werden sie zu ihr bringen."
Wieder nicken und loslaufen, dann weitere Korridore und Treppen, bis Veray nicht mehr wusste, wo sie waren. Zum ersten Mal seit Wochen, wenn nicht Monaten, fühlte er sich komplett verloren und orientierungslos, und das lag nicht nur an den Gängen. Er hatte innerhalb weniger Minuten sämtliche Verantwortung abgegeben, für Orwl, für Lesir, selbst für die Pferde, und dadurch auch völlig die Kontrolle darüber verloren. Monatelang hatte er auf sie alle aufgepasst, sie zusammengehalten, die Richtung angegeben, und plötzlich war er wieder nur noch jemand, der anderen hinterherlief, und nicht verstand, was geschah. Er hasste das Gefühl jetzt schon. Das Gefühl, alles aus den Händen zu geben und keinen weiteren Einfluss mehr auf die Geschehnisse zu haben, darauf, ob Lesir überleben würde, nur zusehen zu können.
Sie durchschritten einige Durchgänge und ihm fiel auf, dass die Uniformen der Falken, die er dahinter sah, etwas anders gefärbt waren als die derjenigen, die sie begleiteten. Kapuzengestalten wechselten schnelle Worte und man lotste sie in einen hellen Raum, wo man Lesir von der Bahre auf eines der Betten verfrachtete. Daraufhin zog die Truppe samt Bahre wieder ab, nur der Anführer blieb, während gleichzeitig andere Leute in den Raum strömten. Sie waren so ruhig, diszipliniert und geschäftig, so anders als die lauten, egozentrischen Barbaren, mit denen er sich hatte herumschlagen müssen, dass er einige Augenblicke lang einfach nur dastand und zusah, wie sie sich um Lesirs Bett drängten und an ihm zu schaffen machten. Dann holte ihn sein übernächtigter Verstand wieder ein und er sprang fast vorwärts. Zwei Falken und eine Hand mit einem Messer beiseiteschiebend löste er mit schnellen Fingern die Riemen von Lesirs Rüstung und nahm den Brustteil ab, bevor er die Tunika, die sie an den Seiten aufgeschnitten hatten, um ihn hinein zu bekommen, hochschob.
Den Verband überliess er den Heilern, blieb aber daneben stehen und erklärte: "Er wurde in der Schlacht verwundet, von einem Sichelmesser, das von vorne nach hinten durchgerissen wurde. Die Verletzung ist eine Woche her. In den ersten Tagen hat er viel Blut verloren, aber wir konnten..."
Er hörte sich selber weiterreden und merkte, dass ihm die Falken zuhörten, während sie Lesirs verband schlicht auftrennten und die Wunde freilegten. Sie sah so übel aus wie eh und je. "Entzündet, aber erstaunlich sauber", bemerkte eine sachliche Stimme, die zu einer Frau gehören musste - er konnte sie fast nicht auseinanderhalten in den Uniformen - während jemand sich Notizen machte. "Kein fauliger Eindruck, aber schlicht zu grossflächig für eine spontane Heilung. Verletzungen der Organe nicht auf den ersten Blick einstufbar. Ich brauche hier Wasser und mehr Licht. Und ein Betäubungsmittel!"
Sofort liefen zwei los. Veray liess sich gegen die Wand sinken. Er registrierte, dass in den anderen Betten zum Teil auch Personen lagen, aber er hatte nicht die Nerven, sich eingehender mit ihnen zu beschäftigen.
"Warum warten wir nicht einfach auf Akkaya?", fragte ein junger Mann. "Er gehört zu ihrer Gruppe, sie wird ihn heilen."
"Weil wir so schon Gefahr laufen, uns viel zu sehr auf Akkaya zu verlassen", antwortete die Frau streng. "Natürlich erleichtert sie uns die Arbeit ungemein, aber sie wird gehen und wir werden ohne sie zurecht kommen müssen. Eine Verletzung wie diese ist nichts Unmögliches. Wir haben schlimmere wieder zusammengeflickt, und dort waren die Wunden Kriecherverseucht. Er ist ein kräftiger junger Mann, sein Körper kann so etwas heilen. Das einzige was mir wirklich Sorgen macht ist der Blutverlust."
"Gebt ihm etwas zu essen."
Beide drehten sich zu Veray um.
Er sah sie an. "Ihr wisst, was wir sind, oder? Dämonen?" Er bemerkte Dreqis alarmierten Blick und ignorierte ihn. "Unser Körper kann Blutverluste besser ausgleichen als eurer. Gebt ihm etwas zu essen, und wenn er noch einen Hauch von Leben in sich hat, wird er das Blut ersetzen."
Die Falken tauschten einen Blick. "Was empfehlt ihr?"
"Fleischbrühe", antwortete er. "Möglichst dick."
Die Frau gab ihrem Begleiter einen Wink und er eilte davon. In der Türe lief er beinahe in denjenigen, der sie hierher geführt hatte. Er hatte überhaupt nicht bemerkt, dass er weg gewesen war. "Kommt mit, Akkaya erwartet euch."
Veray drehte sich zur Ärztin um. "Ihr kümmert euch um ihn?"
Sie nickte.
"Er wird durchkommen?"
Sie zögerte kurz und nickte dann abermals. "Ich gehe davon aus."
Die Erleichterung fühlte sich an, als würde er fallen. "Danke", wisperte er.
Er drehte sich um, um Dreqi und dem Mann zu folgen, als ihm plötzlich etwas einfiel. "Falls er aufwacht, sagt ihm bei allen Runen nicht, wie tief wir hier unter der Erde sind. Höchstens ein Stockwerk. Sonst dreht er durch."


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#1422

RE: Tanue (Ruinenstadt am Tsar)

in Dreitan - das Spiel 28.01.2016 06:36
von Ro Raven | 10.532 Beiträge

Die Falken wirkten irritiert, aber sie nickten nur. Erneut führte man sie durch Korridore, sie passierten eine Schleuse und dann öffnete der Mann, der ihnen voranging, eine Türe. "Sie sind hier, Akkaya."
Sie stand auf von dem Tisch, an dem sie gesessen hatte und Veray blieb einen Augenblick lang stehen. Sie trug dunkle Kleider, angelehnt an die Uniform der Falken, aber figurbetonter und keine Kapuze verdeckte ihr glänzend schwarzes Haar. Sie war so schön, dass er vergass zu atmen. Bevor irgendjemand irgendetwas sagen konnte, war er um den Tisch herum und hatte sie beinahe hochgehoben. Er drückte sie an sich und vergrub das Gesicht in ihren Haaren, und als sie den Druck erwiderte, hätte er beinahe losgeschluchzt. Er benahm sich wie ein sentimentaler Vollidiot, aber das war ihm gerade so etwas von egal. "Ran", wisperte er, und ihr Geruch nahm ihm die Sinne, während er mit den Fingern durch ihre Haare fuhr. "Ran..."
"Ich habe dich so vermisst", hörte er sie leise flüstern und spürte ihren Atem an seiner Haut.
Dann jedoch machte sie sich vorsichtig von ihm los, und er liess sie widerstrebend gehen, als sie sich zu den anderen umdrehte. "Hallo Dreqi."
Der Verdezia begrüsste sie respektvoll.
"Ihr seht müde aus", meinte Ran. "Wo habt ihr Lesir gelassen?"
"Er ist bei den Heilern", antwortete Veray. Er wusste, dass er müde klang. "Er wurde in einem Kampf verletzt, vor etwa einer Woche. Aber sie meinten, sie können ihn wieder zusammenflicken und auf die Beine kriegen."
"Ich werde nachher nach ihm sehen", sagte sie sofort. "Ihr habt Orwl hergebracht?"
"Er steht in einer Zelle unter Bewachung", antwortete der Falke anstelle der Dämonen.
Sie nickte. "Bitte zeigt Veray und Dreqi, wo sie sich ausruhen können." Sie begegnete Verays Blick und schien es sich anders zu überlegen. "Oder nein, ich bringe sie selbst hin."
Der Falke nickte und sie verliessen den Raum. Während sie einem weiteren Korridor folgten, kämpfte Veray gegen den Drang, nach Ran's Hand zu greifen. Er wollte sie spüren, wissen, dass sie da war, nicht nur eine Illusion, die vor ihm her lief, nicht nur ein Traum, aus dem er wieder erwachen würde, allein, in einem kalten Bett. Er wollte sie in seine Arme ziehen und festhalten, wollte ihren Atem spüren, ihren Herzschlag hören, und neben ihr einschlafen. Aber da gab es noch etwas, was er vorher tun musste. Er musste es ihr sagen.
"Dreqi, du kannst hier schlafen." Ran deutete auf eine Türe. "Wenn du etwas brauchst, frag einen der Falken. Ich bin im Raum nebenan."
Der besagte Raum war nicht allzu gross. Er enthielt ein Bett, einen kleinen Tisch mit zwei Stühlen und ein Regal, in dem säuberlich zusammengefaltet Rans Kleider und Waffen lagen. Sie drehte sich um zu Veray und nahm sein Gesicht in die Hände. "Leg dich schlafen", meinte sie. "Ich kümmer mich um Lesir und Orwl."
Er fasste ihre Handgelenke. "Ran..."
Sie zog ihn zu sich herunter und küsste ihn. Er schloss die Augen und erwiderte den Kuss, wollte sich fallen lassen und sie mit sich reissen, aber er riss sich zusammen. Sie löste sich von ihm und strich mit dem Daumen über die Narbe an seiner Wange. "Ruh dich aus."
Sie wandte sich zur Türe, aber er fasste sie am Ärmel und hielt sie zurück. "Ran, ich muss dir etwas sagen."
"Ich komme wieder her, sobald ich nach Lesir und Orwl gesehen habe", antwortete sie.
Er schluckte. Sein Herz schlug bis zum Hals. "Ich will es dir jetzt sagen. Sonst erfährst du es aus Orwls Erinnerung." Und ich will nicht, dass du denkst, ich würde mein Versprechen brechen.
Sie sah ihn fragend an und ihm wurde klar, wie er dastand, vernarbt, in einer zerschlissenen Rüstung, ohne Tunika und mit geflickten Hosen, was er an Kleidern noch hatte blutgetränkt, verfilzende Zöpfe in den Haaren, übermüdet und verletzt. Er musste beschissen aussehen. Gescheitert. Und genauso fühlte er sich. Er war zurück. Er hatte Orwl gebracht. Aber zu welchem Preis? Er liess sich auf das Bett sinken, dass die Seile leise knarrten. "Ich hab dich betrogen." Er legte die Hände zusammen und sah sie flehend an. "Aber ich hab es nicht freiwillig getan."
"Wie nicht freiwillig?", fragte sie tonlos.
Er holte Luft. "Kennst du den Brauch der Blutstränen?"
"Ja", antwortete sie, und sah ihn unverwandt an.
Sie zeigte weder Wut noch Enttäuschung, aber auch kein Verständnis. Sie zeigte einfach gar nichts und irgendwie machte ihn das mehr fertig, als wenn sie ihn angeschrien hätte. "Ihr Mann hat versucht gegen Trigar zu putschen. Ich habe ihn umgebracht, und sie hat das Recht eingefordert. Es tut mir leid, ich... " Er war kurz davor, vor ihr auf die Knie zu fallen. "...ich wollte nicht... du weisst ich würde niemals freiwillig..." Er hörte auf zu reden, bevor er es noch schlimmer machte.
Sie sah ihn an. Dann beugte sie sich zu ihm hinunter und küsste ihn auf die Stirn. "Schlaf gut."
Damit ging sie. Er liess sich hintenüber auf das Bett kippen und war sich absolut sicher, dass er keinen Schlaf finden würde.


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#1423

RE: Tanue (Ruinenstadt am Tsar)

in Dreitan - das Spiel 02.02.2016 23:30
von Ro Raven | 10.532 Beiträge

Dreshar wartete draussen im Gang bereits auf sie, an die Wand gelehnt. Als sie die Türe hinter sich geschlossen hatte, stiess er sich ab und ging mit ihr zusammen in Richtung des Krankentrakts. Einen Moment lang überlegte er sich, etwas zu sagen, liess es aber bleiben. Sie hatten die Dämonen bereits früher zurückrufen wollen, aber als der Befehl die Festung erreicht hatte, waren sie bereits wieder auf dem Weg in Richtung Osten gewesen. Aber gemäss Oriel's Kurzmeldung war der Machtwechsel einigermassen glatt über die Bühne gegangen. Dieser Takr war tot und seine Macht zerschlagen, denn wer immer sich in den Wirren nach ihm den Thron sicherte, würde sich den Respekt der anderen Festungen erst wieder verdienen müssen, und Oriel würde dafür sorgen, dass es ihm nicht gelang.
Sie traten durch eine Schleuse in den Bereich der Heiler und er überliess Akkaya wortlos die Führung, denn im Gegensatz zu ihm brauchte sie nicht zu fragen, wo man ihren Schwager untergebracht hatte. Der Dämon lag in tiefer Bewusstlosigkeit, als sie den Raum betraten, während zwei Ärzte über ihn gebeugt auf Hockern sassen. Als sie Akkaya bemerkten, richteten sie sich schnell auf und rückten ein Stück zurück, um sie ans Bett treten zu lassen, und Dreshar erkannte die eine als Soylani, Tiona's Vertreterin. Dreshar versuchte an ihr vorbei einen Blick auf die Wunde zu erhaschen, bevor Akkaya ihm die Sicht versperrte. Er erkannte verkrustete Wundränder, Blut, Sehnen und dazwischen durchschimmernde Eingeweide. Auf der Vorderseite zog sich eine Naht die Bauchdecke entlang, aber der grösste Teil der Wunde stand klaffend offen. Der junge Mann sah totenbleich und ausgemergelt aus. Moment wie lange war er so herumgelaufen?!
Akkaya streckte beide Hände über die Wunde und schloss die Augen. Einige Momente verharrte sie so, dann trat sie zurück und nickte den Ärzten zu, mit einem Lächeln auf den Lippen. "Bitte fahrt fort."
Dreshar musterte erneut die Wunde und konnte keinen Unterschied erkennen, aber Soylani nickte und die beiden rutschten wieder heran.
Sie verliessen den Raum und machten sich auf den Weg hinunter in die Zelle, in die sie Orwl gesperrt hatten. Nach einer Weile fragte Dreshar: "Hast du eben überhaupt etwas getan?"
"Die Organe überprüft und einige Heilungsprozesse wieder in Gang gebracht und mit Energie versorgt, die bereits ins Stocken geraten waren."
Einige Atemzüge lang gingen sie schweigend. Dann fragte er: "Du hast ihn nur deshalb nicht geheilt, weil du ihnen das Gefühl lnicht nehmen wolltest, es zu können, oder?"
Sie gab keine Antwort, sondern warf ihm einen Blick zu, der weitaus mehr sagte. Er erwiderte nichts darauf. Er wusste, dass er sich verändert hatte. Er wusste und dachte Dinge, die ihm früher fern gelegen hätten. Über Akkaya. Über die Welt. Er war nicht mehr der junge Rebell und Spassvogel. Aion hatte ihn verändert. Ihm Einblicke gegeben in eine ganz andere Sicht auf Leben, Gesellschaft und Sinn. Ihm eine dunklere Färbung gezeigt, ihn begreifen lassen, was Konsequenzen waren. Er wusste, dass es Akkaya beunruhigte, aber er für seinen Teil war sich nicht sicher, ob es wirklich schlecht war. Aion hatte ihn gelernt, eine Denkweise zu verstehen, die ihm sonst ferngelegen hätte. Ohne Aion wäre er Emaï und seinen Anhängern vermutlich blindlings in die Arme gelaufen.
Sie erreichten die Zelle und die Wachen davor nickten Akkaya zu, bevor sie die Türe aufschlossen. Dreshar sah sie an, aber sie schüttelte den Kopf und so blieb er draussen, als sie eintrat und die Türe hinter sich schloss.


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#1424

RE: Tanue (Ruinenstadt am Tsar)

in Dreitan - das Spiel 08.02.2016 00:09
von Ro Raven | 10.532 Beiträge

Er war doch eingeschlafen, irgendwann, nach einer Stunde oder zwei, die Verletzung, die Sorgen und durchwachten Nächte der vergangenen Tage hatten ihren Tribut gefordert, obwohl seine Gedanken ruhelos über ihm kreisten wie Geier über einem Sterbenden. Er erwachte davon, dass sich jemand auf die Bettkante setzte und spürte Finger, die über sein Gesicht fuhren. Ohne die Augen zu öffnen, griff er vorsichtig danach und verschränkte sie mit seinen. Er kannte diese Hände, diesen Geruch, ohne hinzusehen, spürte, wie sie sich zu ihm hinunter beugte, um ihn zu küssen. "Es tut mir leid", flüsterte er.
Sie antwortete nicht, und er öffnete die Augen, sah ihr Gesicht über sich. Dunkle Haare und Brauen, die Ohren etwas spitzer als die der meisten Dämonen, dunkle, tiefblaue Augen, wie ein See ohne Grund. Er hob die hand und strich ihr eine Haarsträhne hinter die Ohren. Wispernd widerholte er: "Es tut mir leid..." Bitte verzeih mir. Bitte.
Sie küsste ihn abermals. "Ich bin froh, bist du wieder hier, Vevey."
Es fühlte sich an, als würde das Blut zurück in sein Herz fliessen. Er richtete sich auf und erwiderte den Kuss. "Ich auch", erwiderte er, während er die Arme um sie schloss. "Ich auch."
Nach einer Weile löste sie sich von ihm. "Wie geht es dir?"
"Müde", antwortete er ehrlich, während er die Schnallen seiner Rüstung löste. Er fühlte sich völlig steif. "Dir?"
Sie nickte nur.
"Verdash?"
Jetzt lächelte sie leicht. "Es geht ihm gut. Er ist eben eingeschlafen."
Er liess die Rüstung zu Boden gleiten und sah sie müde an, bevor er seine Stiefel aufschnürte. "Ihr habt die Kriecher getötet?"
Sie nickte. Er spürte, wie ihr Blick am Verband an seiner Schulter hängen blieb, und fragte, um sie abzulenken: "Hast du aus Orwl herausgekriegt, was du wissen wolltest?"
"Ja."
"Was machst du jetzt mit ihm?"
"Er ist tot."
Die Aussage traf ihn unerwartet. Er konnte den Bastard nicht ausstehen, aber er hatte in den vergangenen Monaten ständig mit ihm zu tun gehabt, und schlichtweg nicht damit gerechnet, dass Ran ihn so schnell töten würde, kaum hatte sie ihre Informationen.
Er streifte die Stiefel ab und liess sie einfach liegen. "Lesir?"
"Sie kümmern sich um ihn."
Er nickte nur und liess sich hintenüberfallen. "Sorry", meinte er und strich sich über die Stirn und versuchte zu lachen, was mehr wie ein Schnauben klang. "Ich hab ein riesen Chaos angerichtet und tauche hier auf wie das letzte Wrack."
Er spürte ihre Lippen an seiner heilen Schulter. "Du bist kein Wrack."
Sie löschte das Licht und kroch zu ihm ins Bett, schmiegte sich an ihn und er ertrank in ihrem Geruch. "Danke", murmelte er, während er die Arme um sie schlang und sie an sich zog. Einige Atemzüge lang lagen sie still und er lauschte ihrem Atem, dann fanden seine Lippen die ihren und seine Hände den Weg unter ihr Hemd, zuerst zögerlich, aus Angst, sie könnte es nicht wollen. Aber ihre Antwort war klar und bald vergass er den Schmerz.


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#1425

RE: Tanue (Ruinenstadt am Tsar)

in Dreitan - das Spiel 15.02.2016 13:49
von Ro Raven | 10.532 Beiträge

Sie blieben einige Tage in Tanue. Lesir war am zweiten Tag wieder zu sich gekommen und hatte in seiner Panik erstmal beinahe sie selbst und die Einrichtung des Zimmers, in das sie ihn gebracht hatten, zerlegt, aber Veray hatte es irgendwie geschafft, ihn zu beruhigen, und nachdem ihm sogar Dreqi versicherte, dass nur wenige Ellen ueber der Zimmerdecke Licht und Luft waren, hatte er es ihnen sogar geglaubt. Seither verhielt er sich ruhig, hatte das merkwürdige Netz, das ihm die Falken über die offene Wunde gespannt und kurzerhand an seiner Haut festgenäht hatten, akzeptiert, und versuchte einigermassen stoisch mit den Schmerzen und der Langeweile zurecht zu kommen - die Falken hatten Veray erklärt, dass sie ihm nicht so viele Schmerzmittel gaben wie sie es bei einem der ihren getan hätten, denn die Substanzen konnten Nebenwirkungen auf den Geist haben, und bei einem Dämonen wollten sie nichts riskieren. Sie wollten vermeiden, ihn erschiessen zu müssen. Veray konnte ihre Sichtweise absolut nachvollziehen.
Auch ihm selbst bereitete die Enge, das spärliche Licht, das Gefühl von Tonnen Stein über dem Kopf, nach einer Weile mehr Mühe, als er anfänglich gedacht hätte. Keine blinde Panik, wie bei Lesir, aber eine schleichende Beklemmung, die ihn angespannt und nervös machte, und das Nichtstun tat sein übriges, und auch wenn Ran einen guten Teil seiner Zeit absorbierte, er konnte nicht ständig an ihr kleben. Hinzu kam, dass die Falken ihn grundsätzlich fast nirgends hingehen lassen wollten und ihn auf Schritt und Tritt beobachteten - er war sich ziemlich sicher, wem er das zu verdanken hatte, auch wenn der betreffende sich überhaupt nichts anmerken liess sondern nur grinste unter seiner goldgesäumten Kapuze - aber nach drei Tagen und einer Menge Überzeugungsarbeit fand er immerhin einen Stapel Bücher auf Ran's Arbeitstisch vor.
Er schnappte sich eines davon, passierte die Kontrollposten und stieg die endlos scheinenden Treppen zur Oberfläche empor. Wie immer blendete ihn die Sonne zuerst und er fühlte sich desorientiert, weil draussen nicht Nacht war, aber nach einigen Augenblicken gewöhnte er sich daran und stapfte auf den zerbrochenen Torbogen der Ruine zu. Der Frühlingseinbruch von vor einigen Tagen war eine Täuschung gewesen, in der vergangenen Nacht hatte es nochmal geschneit und Wald und Marmor glitzerten im Sonnenlicht unter einer feinen Zuckerschicht. Es wirkte wunderschön und friedlich, nichts liess mehr erahnen, dass dieser Flecken Erde noch vor wenigen Monaten einer der gefährlichsten ganz Dreitans gewesen war. Ran hatte ihm erzählt, wie sie die Kriecher vernichtet hatten, vom Kampf der Falken, und obwohl sie Menschen waren, kam er nicht umhin, ihnen Respekt zu zollen. Der Mut und die Aufopferung, mit der sie gekämpft hatten, ihre Selbstlosigkeit und die Bereitschaft, ihr eigenes Leben in die Waagschale zu werfen und herzugeben für die Sicherheit und die Zukunft ihres Ordens, überstieg alles, was er unter den Dämonen an Loyalität zum Clan gesehen hatte, bei weitem.
Frische Spuren hinterlassend, schlenderte er zwischen den Ruinen und Bäumen hindurch, bis er einen Platz in der Sonne fand, den Schnee vom umgekippten Baumstamm wirschte und sich hinaufschwang. Kurze Zeit später war er völlig ins Buch vertieft.

Die Sonne war ein ganzes Stück weiter gewandert, als er erst Schritte, dann ein fröhliches Quietschen hörte, und aufblickte. Ran kam auf ihn zu, Verdash auf dem Arm, der glucksend kicherte und sich dann Veray zuwandte. "Was liest du da?"
Er klappte das Buch auf die erste Seite, um den Titel vorzulesen. "'Eine Abhandlung über Hydrokultur'."
"Du interessierst dich für Landwirtschaft?" Sie hob eine Augenbraue. Verdash grabschte nach der Buchseite und Veray erzog sie ihm schnell, bevor er sie zerreissen oder darauf herumkauen konnte, was der Kleine mit einem protestierenden Laut quittierte.
"Nicht wirklich. Aber ich schätze, wirklich interessante Schriften wollten sie mir keine geben. Glaubst du, sie haben irgendein Lehrbuch für Elfisch?"
"Bestimmt", meinte Ran und wechselte Verdash in den anderen Arm. Veray klappte das Buch zusammen und legte es neben sich auf den Stamm, bevor er sich hinunterstiess und sie in den Arm nahm und küsste. Er legte die Stirn an ihre und sah ihr in die Augen, verharrte reglos und genoss ihre Nähe und den Frieden des Augenblicks, so lange, bis Verdash quengelte, bevor er anfing an den Perlen und Münzen in Verays Zöpfchen zu ziehen. Er lachte, nahm in Ran ab und hob ihn über den Kopf, zuckte aber zusammen als dabei der mittlerweile vertraute Schmerz durch seine Schulter schoss. Der Junge war ein Stück gewachsen, seit er ihn das letzte Mal gesehen hatte und ein Wusch schwarzer Haare bedeckte seinen zuvor fast kahlen Kopf. Mit grossen, blauen Augen, noch dunkler als die von Ran, blickte er um sich, dann schnappte er sich das Ende eines Lederriemens von Verays Rüstung und fing an darauf herumzukauen. Veray sah ihn an und sein inneres glühte vor Stolz. Das da hatte er gemacht - mit Rans Hilfe natürlich.
Sie setzten sich in Bewegung und schlenderten zwischen den Bäumen hindurch. "Wie lange wollt ihr noch hier bleiben?", fragte Ran.
"Ich weiss nicht", antwortete Veray schulterzuckend, dann sah er sie plötzlich alarmiert an. "Du kommst doch mit, oder?"
Sie nickte. "Ja, aber ich habe hier nichts mehr zu tun."
Verdash find an zu zappeln und sich in Richtung Boden zu winden und Veray sah Ran fragend an. Der Boden schien ungefährlich, aber er war Schnee bedeckt, der Kleine würde klatschnass, wenn er ihn jetzt absetzte, und er hatte keine Ahnung, ob das etwas ausmachte. Sie nickte. "Aber pass auf, dass er nichts isst."
Veray setzte den Jungen ab, der einen Moment lang völlig verdutzt schien über die Kälte des Schnees und dann blubbernd anfing herumzurobben und das Weiss beiseite zu schieben. "Lesir ist noch nicht reisefähig, und ich kann ihn nicht hier lassen", antwortete er. "Wo ist eigentlich Dreqi?"
"Jagen, östlich von hier", antwortete sie.
Der Junge packte die Schnürsenkel seiner Stiefel und versuchte sich daran hochzuziehen, fiel aber auf den Hintern, als sie sich lösten. Veray bückte sich, um sie wieder zu binden.
"Wie geht es dir?", fragte Ran und blickte dabei auf seine Schulter. Sie musste sein Zucken bemerkt haben. "Es heilt langsam, schätze ich", meinte er, während er sich wieder aufrichtete.
"Lässt du mich danach sehen?", fragte sie.
Er nickte und sie legte die Hand an seine Schulter. Wärme durchströmte ihn, von ihrer Berührung, und von der Magie, die sie wirkte. Einen Augenblick durchfuhr ihn Schmerz, dann fühlte es sich an, als wäre irgendetwas richtig gerückt, das vorher falsch gewesen war und er atmete erleichtert aus.
"Da war ein Knochensplitter", erklärte Ran, als sie die Hand wieder löste. Instinktiv ergriff er sie und hielt sie fest, drückte ihre Finger an seine Lippen, ihre Handfläche an sein Gesicht. Sein Atem hinterliess ein Wölkchen in der kalten Luft, als er flüsterte: "Ich liebe dich..."
Dann sah er aus dem Augenwinkel dass Verdash schon ein ganzes Stück weggebrobbt war, liess sie los und sprang ihm hinterher. "Hiergeblieben, Dasha!" Er packte den Jungen, hob ihn hoch und kitzelte ihn, dass er quietschte. "Dachtest du du kannst hier einfach so abhauen, hm? Vergiss das mal!" Ohne Vorwarnung drehte er ihn auf den Kopf und wieder zurück, was einen Moment perplexes Schweigen und dann erneutes Quietschen auslöste. Veray hob ihn hoch und drehte sich im Kreis. Prompt rutschte er aus, versuchte vergeblich sein Gleichgewicht wiederzufinden und knallte rücklings in den Schnee, wobei er seinen Sohn reflexartig so sicher nach oben hielt wie möglich, mit dem Resultat dass er sich selber nicht abfangen konnte. "Autsch", kommentierte er. Verdash kicherte zappelnd und auch Ran brach nach einer Schrecksekunde in schallendes Gelächter aus.
Er rappelte sich ächzend auf, reichte ihr den Jungen und streckte seinen in Mitleidenschaft gezogenen Rücken, bevor er versuchte den Schnee aus seinen Haaren und seiner Rüstung zu klopfen, bevor alles schmolz und ihm darunter lief, aber es war bereits zu spät.
Sie gingen zurück in Richtung des liegengelassenen Buchs, und nach einer Weile fragte er leise: "Werden wir zurückgehen nach Drez?"
Ran nickte.
Er war sich nicht sicher, ob ihn das freute oder nicht. In Drez würde er wenig neues finden, aber er konnte mit der Suche genauso gut dort beginnen wie auch anderswo. Und er musste unbedingt elfisch lernen. "Du hast mal etwas gesagt von Loney."
Sie sah ihn an. "Das heisst, du kommst mit?"
Er nickte, beugte sich zu ihr und küsste sie auf die Stirn. "Ich komme überall mit, wohin du gehst, und wo man mich hinein lässt."


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#1426

RE: Tanue (Ruinenstadt am Tsar)

in Dreitan - das Spiel 23.04.2016 02:48
von Ro Raven | 10.532 Beiträge

Das neue Jahr war zwei Wochen alt, als sie aufbrachen. Lesir war noch längst nicht wieder geheilt, aber laut den Ärzten der Falken war die Wunde weit genug verschlossen, dass er sitzen konnte, ohne dass sie durch den Innendruck wieder drohte aufzugehen, und dass sie ohne grosse Wahrscheinlichkeit von Komplikationen verheilen sollte, solange man sie sauber hielt. Das Netz hatten sie auf seiner Haut gelassen, Veray ein Schreiben gegeben für den Arzt, der Lesir später behandeln würde, wie es zu entfernen sei, und an seinen Sattel ein Gestell montiert, das ihn aufrecht hielt, ohne dass er die verletzten Muskeln dafür brauchte. Veray sah wie sehr es Lesir widerstrebte, sich im Sattel festbinden zu lassen, aber er beschwerte sich nicht. Überhaupt war er stiller geworden in den letzten Wochen, stiller und dünner, denn die Verletzung hatte an seinen Kräften gezehrt. Veray fragte sich, ob er die Veränderung begrüssen oder beunruhigend finden sollte.
Der Frühling war endgültig da, an dem Morgen, als sie ritten, der letzte Schnee geschmolzen, die ersten Blumen reckten ihre Spitzen aus dem Waldboden und hervor zwischen den Pflastersteinen. Veray hielt Verdash auf dem Arm, während Ran auf ihr Pferd stieg, und reichte ihr dann den Jungen, bevor er sich selbst in den Sattel schwang. Dann blickte er hinab auf den Falken in der grünbraunen Uniform. Er konnte seine Augen nicht sehen, blickte aber da hin, wo sie sein mussten, verborgen unter dem feinen Goldrand der Kapuze, und sagte fest: "Danke."
Der Mund unter dem Schatten formte sich zu einem ehrlichen Lächeln. "Bitte."
Keiner von ihnen sagte, worum es ging. Vielleicht meinten sie auch gar nicht dasselbe. Aber irgendwie verstanden sie sich doch.
Veray nahm seine Zügel und wandte sein Pferd zu dem Pfad aus durchbrochenen Pflastersteinen, der sie nach Osten führen würde.

Dreshar blieb stehen, und sah ihnen nach. Es war ein stiller Abschied gewesen, denn was es zu besprechen gab, war längst besprochen, und die Abreise Akkayas bereits Wochen zuvor angekündigt gewesen. Keine grossen Zeremonien, kein Fest. Die Falken von Tanue waren ein stilles Volk, so still, dass der Rest der Welt für zweieinhalb Jahrtausende nichts von ihrer Existenz gehört hatte. Das würde sich änder - hatte sich bereits geändert. Er erinnerte sich an den Tag, als Akkaya eingetroffen war. November war es gewesen, und sie alle in Alarmbereitschaft, um die Göttin und ihre Familie hinunter zu schaffen, bevor die Kriecher sich auf sie stürzten, so sinnbildlich für den Krieg, in dem sie immer gelebt hatten. Jetzt, wo sie wieder ging, war alles anders. Zum ersten Mal seit Jahrtausenden kannte der Orden wirklichen Frieden.
Dreshar fragte sich, ob es so bleiben würde. Oder ob mit dem Ende der Kriecher nur eine Atempause begonnen hatte, bevor ein neuer Krieg auf sie zurollte, einer, den sie nicht kannten, der Krieg gegen Menschen. Er wünschte, dass es nicht so war. Aber sie mussten auf die Möglichkeit vorbereitet sein. Deshalb würde er nach Lovit reisen, in einigen Wochen, keinem Monat vermutlich. Um zu verhandeln, den Grundstein zu legen für einen Austausch. Und danach? Vielleicht Loney...
Ihm wurde bewusst, wie sehr er sich selbst verändert hatte. Er war ein Anführer. Und nicht mehr die Art davon, der junge Idioten einfach folgten, weil sie die aberwitzigsten Ideen hatten oder eine Portion Charisma. Er hatte verstanden, was es wirklich bedeutete: Verantwortung. Menschen folgten jemandem, weil sie ihm vertrauten. Weil sie daran glaubten, dass er die besseren Entscheidungen für sie alle treffen würde, als jeder einzelne, weil sie ihn für besser, richtiger, weiser hielten als sich selbst. Das waren verdammt hohe Anforderungen, aber nicht alles zu geben, um ihnen zu entsprechen, wäre ein Verrat gewesen an denen, die an ihn glaubten.
Er erinnerte sich an den Jungspund, der nächtelang Gwâlach paffend auf irgendeinem Hüttendach gelegen hatte und sich um überhaupt nichts gekümmert als sein nächstes Essen, der Leute zu Unsinn angestiftet hatte, ohne die geringsten Schuldgefühle, wenn sie tatsächlich so blöd waren, ihn zu tun. Ein schmales Lächeln zeichnete sich auf seine Lippen. Er sehnte sich immer noch danach. Nach der Freiheit, der Unbeschwertheit und der gewissen Portion Egoismus. Eines Tages würde er wieder auf einem Dach liegen und an nichts anderes denken als den Moment, weil das alles nicht mehr in seiner Hand lag. Aber zuerst gab es Dinge zu erledigen. Er hatte sie auf diesen Weg gebracht, er musste sie ihn entlangführen. Verhandeln, Diskutieren, Entscheidungen treffen. Und dann war da natürlich auch noch das kleine Problem mit ihrem Gast...

-> Ran, Veray, Verdash, Lesir, Dreqi weiter in Nebelsee


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#1427

RE: Tanue (Ruinenstadt am Tsar)

in Dreitan - das Spiel 04.08.2016 16:53
von Ro Raven | 10.532 Beiträge

Anfang April 309

Inshura hielt das Pferd am Zügel, das mit gepackten Satteltaschen auf ihn wartete. Ansir wollte ihn kaum loslassen. "Pass auf dich auf, Wolf, lauf niemandem in die Falle."
Dreshar klopfte ihm auf den Rücken und lachte. "Halt Tanue sicher für mich, Bruder."
Er löste sich von ihm und Ansir hielt ihn an den Schultern fest. "Werd ich. Versprochen."
"Ich weiss", erwiderte Dreshar mit einem ernsten Lächeln, und leiser: "Danke, Ansir."
Er brauchte nicht zu sagen, wofür er ihm dankte, sie wussten es beide. Für sein Leben. Seine Treue. Für alles.
Ansir liess ihn los und Dreshar verabschiedete sich von Elasha und Evereya, die daneben warteten, dann wandte er sich Tjavari zu und schloss sie in die Arme. Sie erwiderte die Umarmung und vergrub das Gesicht an seiner Schulter. "Ich komm zurück", flüsterte er.
Sie nickte nur. Er spürte all die Worte, die sie gerne gesagt hätte, aber für sich behielt, um es ihm nicht schwerer zu machen, als es war, weil seine Mission wichtiger war als ihre Gefühle. Sachte strich er ihr über den Rücken. Er würde sie vermissen. Auch wenn vermutlich nicht so sehr, wie sie ihn. "Sei vorsichtig."
"Du auch." Ihre Stimme war so leise, dass nur er sie hören konnte. "Und... Dresh? Es ist mir egal, wohin du gehst. Nach Lovit, Loney... aber versprich mir, dass du im November zurück bist."
Er lächelte. "Ich hatte nicht vor, so lange... wieso genau November?"
"Ich bin schwanger, Dresh."
Ihm blieb für einen Moment lang den Mund offen stehen. Dann schalt er sich einen Idioten. Das war absehbar gewesen. Trotzdem. Er wusste, was es bedeutete. Es war sein Kind, es würde Aions Blut in sich tragen. Und er mochte Emaï besiegt haben, aber er wusste, dass er damit längst nicht alle Wurzeln der Fanatiker ausgerissen hatte. Er nickte. "Ich verspreche es."
Tjaki löste sich von ihm und küsste ihn, dann trat sie zurück. Er sah sie einen Moment lang an, bevor er sich dem Rat zuwandte, der auf ihn wartete.
"Du kennst die Wichtigkeit deiner Mission."
Er nickte als Antwort auf Alamis' Bemerkung. "Ich werde mein bestes geben."
"Nichts anderes wird erwartet", sagte Arinas.
Dreshar grinste leicht und verabschiedete sich von allen mit dem Gruss der Falken, ausser Agariz, der ihn in eine Umarmung zog. Dann übernahm er die Zügel von Inshura und schwang sich auf das Pferd. Er blickte nocheinmal zu Tjaki hinüber und ein Lächeln legte sich auf seine Lippen. Pass auf dich auf. Der Moment erinnerte ihn an seine letzte Abreise aus Tanue. Über ein Jahr war vergangen seither und alles war anders. Damals war er vor dem Rat geflohen, als Geächteter, Verurteilter. Jetzt wurde er von ihm geschickt. Er war geflohen vor der Vergangenheit. Jetzt zog er aus für die Zukunft. Er trieb das Pferd an und liess die anderen hinter sich.


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