Sie lag lange wach in dieser Nacht und dachte nach. Über alles, was geschehen war, in den letzten Monaten und Jahren, seit Darez' Tod. Denn damit hatte es begonnen, aus dem Ruder zu laufen. Natürlich, das Feuer hatte sie schon vorher in sich getragen, und zum töten war sie geboren, aber das Feuer war nicht das Problem, das war ihr jetzt klar. Es liess sie durchdrehen, aber innerhalb gewisser Grenzen. Und gegen Ende der Zeit beim Heer hatte sie selbst allmählich ziemlich im Gespür gehabt, wann sie eine Abkühlung nötig hatte. Der wahre Wahnsinn lag woanders...
Ihr wurden einige Dinge klar in dieser Nacht. Dass sie beim Angriff auf Kor nicht durchgedreht war aus Hass, sondern aus Angst, Angst um Alastar, Angst vor zu viel Schmerz. Dass sie die Welt einige Wochen zuvor nicht hatte vernichten wollen, weil sie zu schlecht war, um weiterexistieren zu dürfen, sondern weil sie müde war. Müde davon, jeden einzelnen umzubringen, einen nach dem anderen. Denn irgendwann in den letzten Jahren hatte sich die Tatsache, dass es ihr leicht fiel zu töten, in einen Hunger danach verwandelt. Einen Hunger, der nichts mit dem Feuer zu tun hatte. Und irgendwie war ihr klar, dass dieser Hunger im Grunde nur von etwas anderem abzulenken versuchte, auch wenn sie es nicht benennen konnte. Es war nicht Angst, es war nicht Wut, es war nicht Hass auf die Welt...
Sie wusste nicht sicher, was es war. Dafür erinnerte sie sich an etwas anderes: den Zeitpunkt, an dem die Flammen dunkel geworden waren. An dem aus einem tanzenden Spiel der Wunsch zu vernichten geworden war. An dem sie jemanden nicht hatte töten wollen aus aufflammender Wut, oder weil er nunmal ein Gegner war, sondern schlicht weil er lebte. Vron. Nach Nesh's Tod. Es tat immer noch weh, daran zu denken, auch wenn es sich anfühlte, als wäre eine Handbreit Raum zwischen ihr und dem Schmerz, so lange sie sich nicht zwang, tiefer darin einzutauchen. Sie fragte sich, was an Nesh's Tod so viel schlimmer war als an Darez'. Vielleicht war er einfach der eine zu viel gewesen, der eine, der sie in den Wahnsinn getrieben hatte. Es machte sie wütend. Was fiel ihm ein, sich umzubringen, und sie damit einem Schicksal zu überlassen, das schlimmer war als der Tod? Ihr nicht nur jemanden zu nehmen, den sie liebte und dem sie mehr vertraute als sonst irgendwem, sondern auch alle Hoffnung auf ein glückliches Leben? Sie auf ewig dazu zu verdammen, hingerissen zu sein zwischen dem Wunsch, alles zu vernichten und nicht noch mehr Schaden anzurichten?
Sie schlug in die Matratze vor Wut. Dann wurde ihr bewusst, wie absurd das gerade war. Sie find an, leise zu weinen, vermutlich zum ersten Mal seit Kor.
Sie brachen am übernächsten Morgen auf, mit einer nicht allzu genauen Karte und genügend Vorräten für zwei Wochen. Irgendwo unterwegs nach Kradna würden sie wohl noch aufstocken können. Sie hatten Pferde aufgetrieben, und obwohl Ro nach wie vor darauf beharrte, sie sei Infanterie, stieg sie auf und ritt.
-> Ro, Risk und Alastar weiter in Nebelsee und nördliche Ausläufer der Drachenberge S. 126