(Keine Ahnung, wir sind einfach eine Weile unterwegs.)
Und so brachen sie auf. Nachdem sie wieder ans Ufer des Spiegelsees gelangt waren, war der Weg nicht schwierig zu finden: einfach immer dem See entlang weiter nach Osten, dann dem oberen Lauf des Loney entlang, der sich ein breites, steinernes Bett durch den Waldboden gegraben hatte. Dann erreichten sie den Humpen, ein fast runder See, dessen Ufer so steil und tief abfielen, dass sie wohl irgendjemanden einmal an einen Bierkrug erinnert hatten. Zum ersten Mal seit Tagen verliessen sie den Wald, und schlugen ihr Lager auf einer Klippe über dem See auf.
Ro stellte sich auf die Felskante und blickte über den See und die kargen Felswände an seinen Rändern, den Wald, der sich weiter oben über die Hänge ausbreitete und die schroffen Berggipfel, die den Horizont vor ihr säumten. Diese Landschaft gefiel ihr.

Ro hörte, wie die anderen hinter ihr das Lager aufschlugen. Doch sie mochte sich nicht zu ihnen gehen, um zu helfen. Still blieb sie stehen, auf dem äussersten Punkt der Klippe und sah in die Landschaft vor ihr.
Ihrem Vater hätte es hier auch gefallen. Einmal, nicht lange vor seinem Tod, hatte er sie mitgenommen, war mit ihr auf einen der schroffen Hügel in der Umgebung geklettert und hatte sie zum oberen Ende einer hohen Felswand geführt. Dann hatte er sich ganz vorne an die Kante gestellt und die Arme ausgebreitet. "Sieh her, Ro", hatte er gesagte und auf das Tal gedeutet, die Wälder und Wiesenhänge, die Felsen, das Heerlager, das so klein schien von hier, das Meer, das weit in der Ferne glitzerte, den weiten Himmel, auf dem Wolken dahinzogen. "Denn das ist Freiheit." Er hatte sich zu ihr umgedreht, seine dunklen Augen blitzten. "Vergiss niemals, was es heisst, frei zu sein. Ich habe damals meine Familie aus diesem Grund verlassen: weil sie mich nicht frei sein liessen. Sie haben es mir niemals verziehen. Aber die Freiheit ist wichtiger als jede Blutsbande, als jede Loyalität, die Freiheit, dorthin zu gehen, wo man will, und das zu tun, was einen glücklich macht." Er wandte sich wieder dem Land zu, dass sich unter ihm ausbreitete. "Und wenn du jemals nicht mehr sicher bist, ob du noch weisst, was Freiheit ist, dann steh auf eine Klippe. Sieh dir das Land an, sieh den Himmel, spür den Wind, der dir ums Gesicht streicht, hör ihn flüstern, denn das ist Freiheit."
Sie stand ganz still da und lauschte dem Wind. Er sang und spielte mit ihren Haaren, wie er es damals getan hatte. "Ich bin frei, Vater", flüsterte sie. Sie wusste, sie hätte gerne auf einen Teil dieser Freiheit verzichtet, wenn sie dafür eine Antwort erhalten hätte. Doch da war nur der Wind. Der Mann, von dem sie eine Antwort wollte, war seit vier Jahren tot. Sie umfasste den Knauf ihres Säbels - seines Säbels - mit der linken Hand und kehrte zu den anderen zurück.

Ro schlenderte zu ihnen, warf ihren Seesack ins Gras und setzte sich daneben. Dann legte sie sich auf den Rücken, die Hände unter dem Kopf verschränkt, undhörte den anderen zu.