#1

RE: Drachenberge

in Dreitan - das Spiel 03.08.2012 15:26
von Ro Raven | 10.532 Beiträge

Westlich des langen Sees liegt ein Bergmassiv. Manche sagen, es sei nur ein Ausläufer der grossen Berge im Osten, abgetrennt durch das grosse Tal. Andere sagen, die zackigen Berggrate und Gipfel seien die Überreste von gewaltigen Drachen aus mythischer Zeit. Was die Fakten betrifft, so ist dieses Gebirge wesentlich niedriger und dadurch wärmer als die Ostberge, und es ist zerfurcht von tiefen, steilen Schluchten mit natürlichen Höhlen, aber auch breiteren Tälern mit flachen Böden.
Der zweite Fakt ist, dass hier die Stammburg der Drachen ist, Drakhard, die unneinnehmbare Festung, wo sich die Drachen versammeln, um zu entscheiden und ihre Jungen aufzuziehen. Die meisten von ihnen leben und jagen in den Tälern dieser Berge, und nach ihnen sind sie benannt: die Drachenberge.
Es ist eine unwirtliche und steinige Gegend, in der nicht viel wächst und so sind die einzigen, die ausser den Drachen noch hier leben die Schattendämonen. Ein Teil von ihnen lebt in Drez, das man als ihre Hauptstadt bezeichnen könnte, auch wenn die Schatten nicht bekannt sind für irgendeine Art von Gemeinschaftsgefühl. Daneben gibt es einige kleinere Siedlungen in den breiteren Tälern, und die Schluchten, die Felsen und Pässe werden durchstreift von Einzelgängern, die die Einsamkeit jeder Gesellschaft vorziehen.

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Winter des Jahres 306

Ro riss mit ihren Zähnen einen Bissen von dem Stück Trockenfleisch ab, das sie in den Händen hielt. Es war das letzte, ihr letzter Proviant. Eigentlich war es ein Wunder, dass er überhaupt so lange hingehalten hatte. Sie ass den letzten Bissen, kaute lange und seufzte. Sie würde sehen müssen, wie sie zu etwas essbaren kam.
Fröstelnd zog sie die Füsse unter den Körper und wickelte sich enger in ihren Umhang. Vor dem Eingang der kleinen Höhle, in der sie Unterschlupf gefunden hatte, fiel dicht der Schnee. Es schneite nun seit drei Tagen. Genau so lange sass sie schon hier und sah den fallenden Flocken zu. Die Zeit hatte begonnen, ihre bedeutung zu verlieren, und das einzige, was sie noch daran erinnerte, dass sie überhaupt verging, war dass das Licht von Dämmer zu Dunkel wechselte, wenn es Nacht wurde, ihre Müdigkeit und ihr Hunger.
Im Moment war sie beides, müde und hungrig, aber Essen war keines mehr da und bei dem dichten Schneefall machte es keinen Sinn, nach draussen zu gehen und zu suchen, sie würde nur riskieren, dass sie die Höhle nicht mehr fand. Stattdessen kroch sie weiter nach hinten in die Höhle, wo es etwas wärmer war von dem kleinen Feuer, dass sie früher am Tag angezündet hatte, mit dem wenigen Holz, dass ihr noch übriggeblieben war von den letzten Tagen, rollte sich in Umhang und Dekce gewickelt zusammen und schlief ein.
Sie war an einem dunklen Ort. Aus der Dunkelheit kam eine Stimme: "Hast du dich entschieden, kleiner Rabe?" Mit der Frage zerbrach die Dunkelheit, und machte dem Bild eines Gartens Platz. Es war der Garten mit den Säulen, um die sich Blumen rankten, aber er sah nun anders aus. Die Blumen schienen ihre Farbe verloren zu haben, die Säulen waren alt und verwittert, die Bäume knorrig und dunkel. Am Himmel hingen dunkle Gewitterwolken.
"Ich hasse Magie", sagte Ro.
Der Mann drehte sich zu ihr um. Sein weisses Gewand war im Zwielicht grau, und seine zuvor so - ja was eigentlich?, blauen?, goldenen? - Augen waren tiefschwarz. "Und dennoch hast du dich dafür entschieden."
Ro trat zu ihm hin, und nun sah sie, dass der Garten auf einem Hügel lag. Das Ebene, die sich darunter ausbreitete, war schwarz und verbrannt. "Nein", sagte sie. "Ich habe mich dagegen entschieden."
Er hob die Augenbrauen.
"Magie ist etwas, das nicht existieren dürfte", fuhr sie fort. "Denn sie macht einige Leute zu stark. Sie werden überheblich und beginnen, die übrigen als minderwertig zu betrachten, als wären sie nur Tiere. Sie beginnen, sie so zu behandeln."
Sie sah dem Alten in die Augen. "Ich werde gegen sie kämpfen. Gegen die, die glauben, sie könnten mit der Welt tun, was sie wollen. Aber dazu werde ich eine stärkere Waffe brauchen, als blankes Metall."
"Ich verstehe", sagte der Mann.
Ro blickte über die Ebene. "Sag mir, was in der Rolle steht."
"Das kann ich nicht", meinte der Mann mit einem entschuldigenden Lächeln.
"Ich weiss, dass du es kannst", antwortete Ro.
Er schüttelte den Kopf. "Nein", sagte er. "Ich bin nur eine Projektion. Ein Bild deines Geistes. Also weiss ich nichts, was dein Geist nicht weiss."
Sie runzelte die Stirn, aber konnte nichts erwidern, denn sie wusste, dass es stimmte. "Aber in der Höhle, da warst du nicht nur eine Projektion."
"Das stimmt", sagte er.
"Dann muss ich in die Höhle zurückkehren, damit du es mir sagen kannst?"
"Nein", antwortete er. "Es gibt jemand anderen, der das Wissen um den Inhalt der Rolle in sich trägt. Oder sollte ich eher sagen, etwas?"
Sie begriff, und im selben Moment löste sich der Garten auf, wurde zu Dunkelheit, und dann zu den Wänden der kleinen Höhle. Sie setzte sich auf und blies das Feuer wieder an.


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#2

RE: Drachenberge

in Dreitan - das Spiel 03.08.2012 21:53
von Ro Raven | 10.532 Beiträge

Im flackernden Schein der Flammen holte sie die Schriftrolle hervor, wickelte sie vorsichtig aus und breitete sie auf dem steinernen Boden der Höhle aus. Dann zog sie ihren Säbel, legte ihn über die Knie und setzte sich im Schneidersitz vor das Pergament. Die tiefroten Buchstaben auf dem Pergament schienen zu tanzen im Licht des Feuers, und genauso tanzten die Runen auf ihrem Säbel. Sag es mir, dachte sie. Sag mir, was es heisst. Ihr Säbel hatte ihr das Wort gegeben, um die Tür mit den Schädeln zu Öffnen. Er konnte ihr auch die Worte geben, diesen Text zu verstehen. Aber er schwieg.
Zorn kochte in ihr auf. Zorn auf ihren Säbel, Zorn auf sich selbst, Zorn auf alles. Ihr Blick fiel in die Flammen des Feuers und sie spürte den Hass in ihren Adern brennen, den Hass, der alles vernichten wollte, alles und jeden, den Hass, der die Welt in Asche legen wollte, nur damit sie brannte, und nur weil sie existierte. Sie war schon immer aufbrausend gewesen, und seit sie gelernt hatte zu kämpfen, hatte sie den Zorn und das Feuer gekannt, aber dieser Hass, er war etwas anderes. Er war in ihr seit dem Tag, als Darez gestorben war. Seit sie gehört hatte, wie sein letzter Herzschlag verklang. Sie erinnerte sich an das Blut. Das Blut in ihrem Gesicht und das Blut an ihrem Säbel, der damals noch Darez Säbel gewesen war. Blut, Feuer und Hass. Sie wusste nicht, wie viele Soldaten sie an jenem Tag getötet hatte. Sehr viele. Zu viele vielleicht.
Sie starrte die schimmernde Klinge an, in der sich die Flammen spiegelten, dann auf das Pergament. Lange betrachtete sie nur den Schwung der roten Buchstaben. Blutrot. Sie begriff, dass es tatsächlich Blut war, und keine Tinte. Dann begann sie zu sprechen. Sie las den Text vor, zunächst langsam und stockend, denn im flackernden Licht waren die fremden Worte schwer zu entziffern, zumal sie niemals wirklich geübt gewesen war im Lesen, aber mit der Zeit wurde sie immer flüssiger. Sie las auch die drei neueren Beiträge vor. Als sie zum Ende gelangt war, begann sie von vorne. Dann nocheinmal. Und nocheinmal. Und immer wieder.
Ihre Stimme verflocht sich mit den roten Buchstaben, mit den Runen auf dem Säbel, wurde eins mit dem Feuer, während die Worte immer schneller über ihre Lippen kamen, die kleine Höhle erfüllten, zum beben brachten. Irgendwann begann eine Ahnung in ihr aufzusteigen. Aus der Ahnung wurde Gewissheit. Und aus der Gewissheit kam Verstehen. Blut, Hass und Feuer. Sie lernte, was sie wirklich bedeuteten. Sie lernte, was ihr Säbel war. Was sie selbst war. Irgendwann verstand sie jedes Wort, und nicht nur das Wort, sondern den Klang der Silben, den Schwung der Buchstaben, das Blut, mit dem sie geschrieben waren.
Sie blickte auf und es war, als würde sie aus einem tiefen Traum aufwachen. Ihr wurde bewusst, wie still es plötzlich war. Das Feuer war erloschen. Vom Eingang her fiel das sanfte Licht eines frühen Morgens in die Höhle. Sie rollte das Pergament sorgfältig zusammen, wickelte es in die Samthülle und in ihre Ersatzkleidung und legte es in ihren Seesack. Dann schob sei ihren Säbel zurück in die Scheide, kroch zum Eingang der Höhle, stand auf und blickte über das Tal, das sich vor ihr ausbreitete.
Es hatte aufgehört zu schneien und die Wolken waren fort. Stattdessen breitete sich ein zarter rosafarbener Schimmer von Osten her über den strahlend blauen Himmel aus.
Sie dachte sich, dass sie vielleicht hätte Angst haben müssen vor ihrem Säbel, nun da sie wusste, was er war. Aber da war keine Angst. Da war nur Verstehen. Sie verstand, warum Darez diese Schriftrolle irgendwo sicher aufbewahrt hatte haben wollen. Sie verstand, warum er Magie immer gehasst hatte. Sie verstand, warum die Mitglieder ihrer Familie kaum nebeneinander leben konnten, ohne sich gegenseitig den Kopf abzureissen, warum Darez sein Leben lang gekämpft hatte, und warum sie zum selben Schicksal bestimmt war. Sie verstand, wie alt und schwarz die Magie sein musste, die sie nun kannte. Sie verstand, dass all die kleineren Abschnitte nur Versuche waren, die Wahrheit des ersten Abschnittes zu verharmlosen, indem sie praktische Nebeneffekte seiner Bestimmung aufzeigten. Sie verstand, dass er genau die Waffe war, die sie gesucht hatte.
Sie schlug die Kapuze hoch und machte sich auf den Weg.


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#3

RE: Drachenberge

in Dreitan - das Spiel 03.08.2012 23:14
von Ro Raven | 10.532 Beiträge

Sie stolperte und fiel auf die Knie. Die Kälte des Schnees drang durch den Stoff und stach ihr in die Knochen. Mühsam rappelte sie sich auf und blickte auf den Pfad, der sich kaum sichtbar vor ihr den Hang hinauf wand. Er kam ihr ewig lange vor. Und sie ahnte, dass hinter der Kuppe nur eine weiteres Tal und ein weiterer Pass kommen würden. Als sie länger hinsah, verschwamm der Horizont. Sie fuhr sich über die Augen und zog ihren Stiefel aus dem tiefen Schnee, um weiter zu gehen.
Vier Tage ohne Essen begannen ihren Tribut zu fordern. Ihre Kraft schwand mit jedem Schritt. Sie hatte Essen gesucht, aber nichts gefunden. Der Schnee bedeckte alles, und wo sie ihn aufgegraben hatte, war nur nackter Fels zum Vorschein gekommen. Einige Mal hatte sie in der Ferne Tiere gesehen, aber sie hatte keinen Bogen und mit einem Säbel konnte man nicht jagen. Sie wusste, dass vier Tage eigentlich nicht viel waren. Ein Mensch konnte unter guten Bedingungen fast einen Monat ohne Essen überleben. Aber vermutlich nicht, wenn er den ganzen Tag durch über knietiefen Schnee watete. Was ihr am meisten Mühe machte, war die Kälte. Sie frass sich in sie hinein und schien es sich zum Ziel gemacht zu haben, sie von innen erfrieren zu lassen. Und sie hatte nicht mehr die Energie, sich zu wehren.
Wieder stolperte sie und diesmal fiel sie der Länge nach in den Schnee. Kraftlos blieb sie liegen, bis sie sich dazu durchringen konnte, wenigstens den Kopf zu heben, um nicht im Schnee zu ersticken. Keuchend blickte sie über die weisse Fläche hinweg. Blinzelnd versuchte sie, ein klareres Bild zu bekommen, aber es verschwamm nur immer mehr. Sie war so müde.
Sie wusste, dass sie hätte Energie von ihrem Säbel holen können, aber sie fürchtete sich davor. Sie befürchtete, dass sie noch nicht so weit war, die Energie kontrollieren zu können. Denn die Energie, die sich dort angesammelt hatte musste gewaltig sein, so viel wie sie damit getötet hatte, und wie noch viel mehr Darez vor ihr. Und sie wusste nicht, was geschehen würde, wenn sie sie nicht kontrollieren konnte.
Dennoch, vermutlich blieb ihr nichts anderes, als es zu versuchen, denn ihr fehlte die Kraft, nur schon aufzustehen. Sie wollte nach ihrem Säbel greifen und ihn ziehen, aber ihr Arm gehorchte ihr nicht. Er blieb einfach liegen, schwer und kalt. Sie seufzte und liess den Kopf sinken. Und mit ihm versank auch die Welt um sie herum.


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#4

RE: Drachenberge

in Dreitan - das Spiel 05.08.2012 14:20
von Ro Raven | 10.532 Beiträge

"Schlucken." Sie spürte etwas auf ihrer Zunge und gehorchte. Eine warme Flüssigkeit rann ihr die Kehle hinunter. Sie versank wieder in Dunkelheit.
"Schlucken." Sie gehorchte wieder. Sie war so müde, so unendlich müde. Aber die Stimme liess sie nicht in Ruhe. "Jetzt schluck schon, los." Wieder und wieder. Schliesslich sagte die Stimme: "Gut, du kannst weiterschlafen." Ihr Kopf sank zurück in die Dunkelheit.
Noch zweimal kam die Stimme und zwang sie zu trinken, bevor sie sie wieder gehen liess. Sie versank in wirre Träume, die sie hin und her warfen, erschreckend real waren und so keinen Sinn ergaben, dass sie fast verzweifelte, beim Versuch zu verstehen, was los war.
Dann erwachte sie. Es war so plötzlich wie ein Schlag. Sie riss die Augen auf und starrte an eine niedrige, von flackernden Mustern überzogene Decke. Irgendwie spürte sie, dass alles zuvor nur ein Traum gewesen war und das hier die Realität. Sie fühlte sich scheisse. Aber immerhin war es nicht kalt. Sie war mit Decken und Fellen zugedeckt und zu ihrer Erleichterung trug sie ihre Kleider, selbst die Rüstung, und der Säbel hing an ihrer Seite.
Vorsichtig drehte sei den Kopf und sah, dass sie in einer geräumigen Höhle lag, in deren Mitte ein Feuer brannte. Auf der anderen Seite sass ein Dämon mit halblangen, schwarzen Haaren in brauner Leder- und Fellkleidung. Er hielt einen Becher in der Hand und starrte sie unverwandt an. Sie richtete sich langsam auf. "Wer bist du?"
Er stellte den Becher hin. "Ich bin ein Vrenasz, ein einsamer Wolf. Nenn mich Nersa."
Sie blickte sich in der Höhle um. Der Boden war aus Stein, nur wo sie lag waren Laub und Felle zu einer Art Bett aufgehäuft, an den Wänden hingen Kräuter, ein Bogen und Pfeile, über dem Feuer ein verbeulter Topf, in einer Ecke stand eine Truhe. "Wie hast du mich gefunden?", fragte sie.
"Ich bin dir bereits über einen Tag gefolgt, bis du zusammengeklappt bist."
"Und warum bist du mir gefolgt?", fragte sie misstrauisch. Nach der Geschichte mit Ran fragte sie lieber genauer nach.
Der Mann zuckte mit den Schultern. Sie erkannte nun, dass er schon älter sein musste. Er sah aus, als wäre er um die vierzig, was bedeutete, dass er vermutlich über 100 Jahre alt war. "Ich wollte wissen, wo du hin willst. Kaum jemand läuft im Winter durch diese Berge."
Er stand auf, kam zu ihr hinüber und reichte ihr einen Becher mit einem warmen Getränk. "Da, trink, das bringt dich wieder auf die Beine."
Sie nickte zum Dank und trank einen Schluck. Er kehrte zurück zu seinem Platz und setzte sich wieder hin. Sie sah ihn an. "Warum hast du mich gerettet?"
"Ich sehe nicht gerne zu, wie jemand vor meinen Füssen stirbt", sagte Nersa trocken, während er mit einem Stock die Glut im Feuer zusammenschob. "Auch wenn es ein Fremder ist. Ausserdem bist du Darez Tochter."
Sie verschluckte sich beinahe an ihrem Tee.


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#5

RE: Drachenberge

in Dreitan - das Spiel 05.08.2012 18:13
von Ro Raven | 10.532 Beiträge

"Woher weisst du das?", fragte sie. Im nächsten Moment dachte sie sich, dass sie sich diese Frage abgewöhnen musste, wenn sie mit dem Säbel herumlief.
Tatsächlich meinte Nersa: "Du trägst seinen Säbel. Und du siehst genau so aus wie er, als er jung war", fügte er hinzu.
"Du kanntest ihn?" Sie versuchte, sich von den Decken zu befreien und aufzustehen, aber Nersa bedeutete ihr sitzen zu bleiben. "Du hattest Fieber", sagte er. "Und du musst zuerst etwas richtiges Essen."
Er stand auf rührte im Topf und schöpfte mit einer antik aussehenden Kelle etwas von seinem Inhalt in eine Holzschale, die er ihr brachte, bevor er sich zurück ans Feuer setzte. Während sie sich auf die Fleischbrühe stürzte und sich dabei die Zunge verbrannte, sagte er: "Er war einmal einer von uns, vor langer Zeit."
"Von euch?", fragte Ro mit halbvollem Mund.
"Den Vrenasza. Den Einzelgängern. Denen, die frei in den Bergen leben. Wir haben selten Kontakt zueinander, denn wir sind zwar viele, aber das Gebirge ist gross, aber wir begegnen einander manchmal, und wir merken sofort, wenn jemand neues in die Wildnis zieht. Und Darez war jemand, der auffiel, ganz egal wo er war. Ich nehme an, die Vergangenheitsform ist angebracht?"
Sie nickte stumm.
Er seufzte. "Ich dachte mir, dass er nicht alt wird." Er trank einen Schluck aus seinem Becher, dann fuhr er fort. "Ich war noch jung, als er hierher kam. Das muss vor mehr als siebzig Jahren gewesen sein. Er war ein unruhiger Geselle, und er blieb nicht lange. Kaum zehn Jahre."
Ro starrte ihn an. "Das ist verdammt lange."
Nersa schüttelte den Kopf. "Die meisten, die in die Berge kommen, bleiben ihr Leben lang. Aber er ging wieder fort. Ich glaube, es war ihm zu langweilig."
Ro musste beinahe lachen. "Es erstaunt mich, dass er es so lange ausgehalten hat." Sie bemerkte Nersas irritierten Blick und erklärte: "Wie ich ihn kannte, überstand er kaum eine Woche ohne einen Kampf. Wenn es einmal etwas länger wurde bis zur nächsten Schlacht, dann wurde er immer gereizt und schlug jedem, der ihn aufregte, eine rein." Und zwar wirklich jedem. Ausser dem Kommandanten, den schlug er nicht, sondern fluchte ihn nur zusammen. Und der Kommandant hatte sich nie getraut ihm eine zu scheuern, und entlassen wollte er ihn nicht, weil er zu gut war, und hundertprozentig zum Gegner übergelaufen wäre.
Nersa schüttelte nur den Kopf, meinte aber nichts dazu.


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#6

RE: Drachenberge

in Dreitan - das Spiel 06.08.2012 02:03
von Ro Raven | 10.532 Beiträge

Sie sass auf einem Stein vor der Höhle und liess sich von der Wintersonne wärmen. Seit fünf Tagen war sie nun hier, drei davon in wachem Zustand. Nersa hatte darauf bestanden, dass sie blieb, bis sie völlig wiederhergestellt war. Sonst wäre sie längst weitergezogen. Es war nicht so, dass sie nicht gerne bei Nersa war. Er war zwar recht schweigsam, aber ansonsten sehr freundlich und er war der erste seit langem, der sich nicht nur deshalb mit ihr abgab, weil er etwas von ihr wollte. Nein, es wäre ein guter Ort zum bleiben gewesen, aber sie konnte nicht bleiben. Denn sie war unruhig. Ihre Finger kribbelten und sie konnte kaum stillsitzen, ständig ging sie umher und am liebsten wäre sie gerannt und gehüpft. Sie wusste warum. Diese Umgebung war so friedlich, zu friedlich für sie. Sie fragte sich, wie Darez das nur 10 Jahre ausgehalten hatte.
Sie hörte Schritte und sah Nersa den Pfad heraufgekommen. Eine halbe Gämse hing über seinem Rücken, in der Hand trug er den Bogen, mit dem er sie geschossen hatte. Er legte die Gämse vor der Höhle ab und begann sie zu zerteilen. "Du gehst morgen, oder?", fragte er, ohne sich zu ihr umzublicken.
"Ja", antwortete sie.
"Geh nach Drez", sagte er. "Es ist nur zwei Tage von hier. Du solltest rechtzeitig da sein." Er riss das Fell vom Fleisch des Tieres.
Ro stand auf. "Rechtzeitig wofür?"
"Für die Wintersonnwende", sagte Nersa. Er blickte auf und sah ihren ratlosen Blick. "Du hast nie unter Dämonen gelebt, oder?", fragte er.
"Nein", bestätigte sie.
"Dachte ich mir", meinte Nersa. "Als Darez damals in die Wildnis kam, schwor er, dass er niemals wieder unter Dämonen leben würde. Und er war kein Mann, der seine Worte bricht."
Sie biss sich auf die Lippen und sagte nichts. Nersa zog das Fell ganz vom Tier und legte es beiseite, dann zerteilte er den Rest. Als er fertig war und das Fleisch zum Räuchern in der Höhle aufgehängt hatte, wusch er sich die Hände im Schnee und sagte: "An der Wintersonnwende ist in Drez ein Kampfturnier. Sie setzen einen recht hohen Preis darauf aus. Wenn du Geld brauchst, und wenn du so gut kämpfst wie dein Vater, dann solltest du mitmachen."

-> weiter in Drez


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#7

RE: Drachenberge

in Dreitan - das Spiel 13.08.2012 22:32
von Ro Raven | 10.532 Beiträge

südöstlich von Drez, einige Tage nach der Wintersonnwende

Im Winter zu reisen war vermutlich nicht etwas, was viele freiwillig taten. Es war immer kalt, immer nass, und man kam schlecht voran wegen dem Schnee. Es hatte die letzten Tage zwar nicht frisch geschneit, aber dafür war die oberste Schneeschicht angeschmolzen und wieder gefrohren, sodass sie jetzt bei jedem Schritt durch die dünne Eisschicht brach und knietief im Pulverschnee darunter versank.
Sie fragte sich, warum sie sich das eigentlich antat. Warum suchte sie sich nicht eine Arbeit in Drez und blieb dort, zumindest bis es Frühling war? Gut, sie konnte keinen Beruf ausser Kämpfen, aber Hilfsarbeiter brauchte man doch überall. Und selbst wenn nicht: ihr Preisgeld war hoch genug gewesen, dass sie bei sparsamem Gebrauch bis zum Frühling durchgekommen wäre. Aber nein, da war sie wieder auf dem Weg nach irgendwohin, wohin wusste sie nicht einmal.
Sie wusste eigentlich warum. Sie hatte es damals in Ladril richtig gespürt: sie ertrug die Ruhe nicht. Sie brauchte die Veränderung, das Risiko, sonst wurde sie unruhig und gereizt. Im Heerlager waren sie alle paar Tage weitergezogen, und sonst hatte sie zumindest die täglichen Kämpfe mit Darez gehabt. Die Zeit bei dem Dieb war ruhiger gewesen, aber immer auch ein Spiel mit dem Risiko, immer eine Herausforderung.
Sie fand einen Unterschlupf unter einem breiten Felsvorsprung, um den sie Schnee zu einem notdürftigen Windschutz aufhäufte. Mit den Ästen einiger verkrüppelter Büsche schaffte sie es, ein Feuer anzufachen. Dann wickelte sie sich in ihrem Umhang und die Wolldecke und versuchte einzuschlafen. Gehen oder schlafen. Anders ertrug sie zurzeit sich selber nicht. Sie brauchte unbedingt wieder etwas zu tun.


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#8

RE: Drachenberge

in Dreitan - das Spiel 13.08.2012 23:29
von Ro Raven | 10.532 Beiträge

Der Morgen war strahlend hell, der Himmel ein Farbenspiel von blau und rosa, der Schnee leuchtete weiss wie - nun, wie Schnee eben.
Sie sass auf einer Felsplatte über dem Vorsprung, unter dem sie geschlafen hatte und ass. Das Tal vor ihr leuchtete und glitzerte wie ein Traum. Sie war sich nicht sicher, ob es wirklich Realität war. An diesem Morgen wirkte alles so irreal, die Berge, die Schlucht mit dem Fluss tief unten, die Schneedecke, die vereinzelten Büsche, die ihre Äste daraus hervorstreckten, die knorrigen Föhren hinter ihr.
Sie packte ihre Sachen und stand auf. Als sie sich streckte, traf ein helles Glänzen ihre Augen. Es war das Licht, dass sich auf dem Knauf ihres Säbles reflektierte. Unwillkürlich seufzte sie. Sie wusste, dass sie es tun musste, wenn sie jemals die Magie benutzen können wollte. Sie musste auf die Energie ihres Säbels zugreifen können. Aber sie hatte Angst davor. Angst davor, wie viel Energie es wirklich sein würde.
Langsam zog sie den Säbel. Die blanke Schneide glitzerte im Morgenlicht. Sie schloss die Augen und konzentrierte sich auf alles, was sie in der Schriftrolle gelesen hatte. Sie würde versuchen, Energie vom Säbel zu sich zu ziehen. Langsam öffnete sie die Augen und blickte die Klinge entlang, fuhr mit dem Blick den Runen nach, die Runen, die sie nun verstand. Sie begann eine Zeile davon leise zu sprechen. Es war kein Zauber, sondern eher ein Rufen des Säbels mit etwas, das er kannte.
Die Welt um sie herum begann, in Dunkelheit zu versinken, bevor sie neu wieder auftauchte, irgendwie schattenhafter und flüchtiger als zuvor. War so die Welt aus den Augen eines Magiers? Dann begann sie den Säbel zu spüren. Es war nicht die überschwemmende Welle von Energie, die sie befürchtet hatte, denn die Energie war eingesperrt und sie nahm sie nur war wie man das Feuer einer Laterne durch das Glas wahrnimmt.
Sie murmelte ein Wort und durch den Griff in ihre Hand begann ein feines Rinnsal Energie zu fliessen. Zumindest nahm sie an, dass es Energie war, denn es fühlte sich an wie ein schwacher Strom von Feuer, der ihr in die Adern strömte und sich sofort in ihrem Körper verteilte. Sie brach ihn ab und grinste schief. Das war nicht wirklich etwas, was sie brauchte. Feuer hatte sie selbst genug.
Sie probierte noch einige der anderen Tricks in den kleinen Abschnitten der Rolle aus, soweit diese nicht gegen magische Angriffe gerichtet waren, dann holte sie tief Luft und beschloss sich an den Inhalt des Hauptteiles zu wagen. Er war sehr vage, was Anleitung betraf, aber sie hatte verstanden, was ihr Säbel war.
Den ersten Teil, eigentlich seine Haupteigenschaft, konnte sie nicht ausprobieren, mangels eines Opfers. Also machte sie sich an den zweiten Teil. Sie begann den Säbel zu schwingen als wäre sie im Kampf, ihre Vorstellungskraft lieferte die Gegner. Sie beschwor das Kampffeuer in sich herauf und ihre Sicht auf die Welt wurde wieder normal und dann schärfer als normal. Dann, als sie das Feuer in ihren Adern brennen spürte, stiess sie den Säbel in den Schnee zu ihren Füssen und schrie ein Wort.
Einen Augenblick lang wurde die Welt zu Feuer. Dann zu Dunkelheit. Dann kehrten ihre Sinne zurück und sie keuchte auf. Im Umkreis von mehreren Schritten war aller Schnee weg und die Erde verbrannt. Von den Büschen war nichts geblieben als schwarze Stümpfe und die Äste der Föhren waren zerborsten wie dünne Zweige. Sie versuchte sich vorzustellen, was geschehen wäre, hätte ein Trupp feindlicher Soldaten um sie herum gestanden und die Vorstellung verursachte sogar ihr leichte Übelkeit.
Sie fühlte wieder nach dem Säbel, doch sie konnte keinen Unterschied in seiner Energie feststellen. Mit einem mehr als mulmigen Gefühl steckte sie ihn zurück in die Scheide. Sie hatte niemals Mühe damit gehabt zu töten, von dem Tag an, an dem sie damit begonnen hatte. Und sie hatte viele getötet. Aber sie wagte nicht, sich die Frage zu stellen, wie viele hatten sterben müssen, um diese Energie anzusammeln.
Sie blickte auf die Zerstörung, die sie angerichtet hatte, diesen Riss im Bild des Morgens. Der Traum war zerbrochen. Sie war wieder in der Realität.

-> weiter in Ravi


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#9

RE: Drachenberge

in Dreitan - das Spiel 13.10.2012 00:02
von Randreyah | 11.751 Beiträge

9285 Jahre vor unserer Zeitrechnung

Ein Mann mit silbernen Augen und silbern glänzendem Haar wanderte durch die Berge der Drachen. Er dachte über die Völker nach. Sie waren vor hundert Jahren auf einem Hoch gewesen. Sie hatten die Spitze ihrer Schaffenskunst erreicht und hatten sich in einem Jahrzehnt vernichtet. So ging es seit Anbeginn der Zeit. Die Welt veränderte ihre Gestalt zwar stets, doch nicht den Rhythmus. Jede Kultur, die die Spitze erreichte viel während eines Jahrzensts wieder. Und jetzt war es genauso. Aus den Ruinen der Städte baute man neue, doch konnte man das Werkzeug nicht rekonstruieren, die Technik nicht nachahmen. Den das Wissen dazu ging verloren. Er seufzte. "Neyla!", rief er mir starker Stimme. "Ich... ich komme Vater!", piepste das dreijährige Mädchen. Er nahm sie hoch, als sie zu ihm stolperte und betrachtete sie. Sein Gesicht zeigte weder Abscheu, noch Liebe. Wieso war er mit ihr? Sicher sie war seine Tochter, aber trotzdem. Sie war schwach, ein Halbblut. Es war ein Fehler gewesen sich dem Verlangen und der Lust hinzugeben. Er setzte sie sich auf die Schultern. Sie kicherte und irgendwo, tief in seinem Herzen regte sich etwas. Es war ihm unangenehm, dieses Gefühl der väterlichen Liebe und doch irgendwie wohltuend. Er ging weiter. In der Gestalt eines Zweibeiners zu sein hatte vor und Nachteile. Er seufzte. Die Kleine spielte mit seinem Haar und kicherte immer wieder. "Akkaya, siehst du den grossen Berg dort?", fragte er und deutete auf Drakhard. Sie piepste bestätigend. "Das ist Daddys Zuhause. Irgendwann wirst du auch dort leben. Zusammen mit all den Drachen, die du kennst", sagte er und ging weiter. "Wird Mama auch dort wohnen?", fragte sie und beugte sich über seinen Kopf. Er nahm sie herunter und setzte sie ab. Sie ergriff seine Hand und sah fragend zu ihm hoch. Er seufzte erneut. Wieso musste sie andauernd solche Fragen stellen. "Nein", brummte er und ging weiter. Sie hielt immer noch seine Hand, also drückte er sanft zurück. Sie sahen sich nicht wirklich ähnlich. Die kleine hatte schwarzes Haar und schwarzgraue Augen. "Wieso nicht?", fragte sie nach einer Weile. "Weil sie nicht kann, sie ist eine Elfe und ein Dämon. Und die können nicht nach Drakhard, weil sie nicht fliegen können", antwortete er und zügelte seine Ungeduld. "Ich kann aber auch nicht fliegen", maulte sie mit gerunzelter Stirn. "Das kommt noch", sagte er kalt. "Wann?" - "Bald." -"Wann ist bald, genau?" Es entstand eine Pause. "In dreihundert Jahren", antwortete er schliesslich und atmete tief ein und aus. "Ist das lange?", fragte sie ernst. Er nickte. Sie stürzte die Lippen und ging weiter.
Dann bemerkte sie seine Handschuhe. Sie waren aus hartem Material und erinnerten sie an verzierte Klauen. Sie sah hoch zu ihrem Vater. Er gähnte und hielt sich die Hand vor den Mund. Sie erkannte aber trotzdem die längeren Fangzähne und die spitzeren Eckzähne. Ihr Vater war komisch. "Bist du wirklich ein Drache?", fragte sie nach einer Weile. "Ja", antwortete er genervt. "Bin ich auch einer?" - "Nein, du bist ein Halbdrache", sagte er. Damit war das Gespräch fertig. Wohin er sie brachte, wusste sie nicht. Sie war aber froh, dass er sich Zeit für sie nahm. "Ich mag dich Ota Growndril", sagte sie und er musste lächeln. "Ich mag dich auch Kleine", sagte er und verstrubbelte ihr Haar. Sie lächelte überglücklich.


some men just want to see the world burn

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#10

RE: Drachenberge

in Dreitan - das Spiel 13.10.2012 11:30
von Randreyah | 11.751 Beiträge

Es dauerte eine Weile bis sie zu den anderen stiessen. Auf einem Feld unter Drakhard warteten Samaela und Vincent mit ihren Kindern. Samaela hielt ihren grünhaarigen Jungen im Arm. Das Kind war, da war sich Growndril sicher, drei Jahre älter, als Akkaya. Samaela übertrieb mal wieder. Vincents Sohn stand neben seinem Vater und beobachtete die Ankömmlinge. "Sind das alle?", fragte Growndril, als er sich zu ihnen stellte und seiner Tochter, ohne zu wissen wieso eigentlich, die Hand auf den Kopf legte. Die gelben Augen Samaelas leuchteten warm auf. "Anscheinend schon", antwortete sie und beugte soch nach unten. "Ich bin Samaela und wie heisst du?", fragte sie das kleiene Mädchen. "Akkaya", antwortete es knapp. Die Drachenfrau lächelte. "Das ist Earon. Sag guten Tag, mein Süsser", sie setzte ihn nicht runter, was sowohl Vincent, als auch Growndril nicht verstehen konnten. Vincents Sohn machte einen Schritt nach vorne und hielt Growndril die Hand hin. "Mein Name ist Narumdrongwer", sagte der Zehnjährige. Growndril schüttelte etwas verwirrt seine Hand. "Ich dachte, du hättest zwei Töchter", sagte Vinzent kalt. Etwas gereizt antwortete der Silberäugige Tod: "Die zweite ist noch nicht auf der Welt." Er unterdrückte ein Knurren, er konnte einfach nicht mit Seinesgleichen umgehen. Wenn er ehrlich war, kam er mit niemandem zurecht. "Wieso besprechen wir nicht das, wofür wir hergekommen sind und gehen dann wieder?", schlug Samaela vor. Die beiden anderen willigten ein. Die Kinder spielten etwas abseits in der Wiese, währendem die Drachen in Zweibeinergestalt über die Zukunft ihrer Sprösslinge disskutierten.


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