Er trat hinter sie und legte eine Hand auf ihre Schulter. "Wir sind in einer Stunde in Port Asari", sagte er.

"Geh dir etwas zu Essen holen", meinte er und faltete die Karte zusammen.

Meleth sass im Schneidersitz auf Deck und futterte ihren Eintopf zwischen den anderen Piraten. Das Wetter war gut, aber wegen dem ständigen Wind vom Meer war es kühler als im Binnenland. Was auch nicht unangenehm war. Und ihre Kleider waren endlich einmal wieder ganz trocken.

Als Reina aus der Kajüte des Klabauters trat, folgte Meleth ihr mit den Augen. Nein, sie waren nicht lange genug beide da drin gewesen, um zu...
Sie wandte den Blick ab und stellte fest, dass sich vermutlich gerade die Hälfte der Männer um sie herum das selbe gefragt hatte.

Die Mannschaft brach in schallendes Gelächter aus und Meleth kippte beinahe hinten über vor kichern. Hätte sie den Eintopf nicht bereits ausgegessen, hätte sie ihn sich prompt angeleert.
Eine Stunde später erreichten sie Port Asari. Die Stadt war dem Ufer entlang über mehrere kleine Buchten mit Strand und Anlegestellen und die dazwischenliegenden felsigen Landzungen verstreut, mit Bootshäusern auf Stelzen, hölzernen Tavernen und Werkstätten, Hütten, die an den Felsen geklebt schienen und prunkvolleren, zweistöckigen Steinbauten dazwischen. In der mittleren Bucht war ein grosser Hafen und sie legten an einem der Pontons neben anderen kleinen Segelschiffen an.

Der Klabauter befahl einigen Männern das Schiff zu bewachen, dem Rest gab er einige Stunden frei. Die meisten standen etwas ratlos herum, denn hier waren sie noch nie gewesen und wussten nicht, welches eine gute Schenke war und welches nicht... Mangels einer besseren Idee schlossen sie sich einfach dem Klabauter an, als der zielstrebig den Kai entlang stiefelte.
Ismir folgte ihm. Er kannte den Captain lange genug, um an seinem Verhalten genau zu sehen, wann er nervös war und wann gereizt, denn mitunter rettete einem das den Kragen. Und im Moment war er richtig fahrig. Ismir wusste, dass er Angst hatte. Angst, dass dieses Arsch von Birkman ihr vielleicht tatsächlich etwas angetan hatte.
Sie betraten die Schenke. Drinnen sah alles noch genau gleich aus wie vor sieben Jahren. Die gleichen Tische, die gleichen Bänke, die gleiche versiffte Theke. Ismir glaubte sogar einige Flecken am Boden widerzuerkennen. Birkman hinter der Theke hatte sich auch nicht allzu sehr verändert, er war höchstens noch etwas breiter geworden. Als er sich jedoch umdrehte und den Mann erkannte, der auf ihn zukam, veränderte er sich drastisch: er wurde ziemlich bleich. Schlechtes Zeichen.
"Hallo Birkman", sagte der Klabauter und lehnte sich an den Tresen. "Wie gehts denn so?"
"War schon besser, war schon besser", meinte Birkman nervös und stellte den Krug, den er in der Hand gehabt hatte, hin. "Was möchtest du trinken?"
"Ein Rum", antwortete der Captain.
"Lange nicht gesehen", meinte Birkman. Ismir konnte den Schweiss auf seiner Stirn sehen, als er den Rum einschenkte und dabei beinahe daneben leerte.
"In der Tat", sagte der Klabauter. "Du weisst, warum ich hier bin."
"Natürlich, natürlich", sagte Birkman und schob ihm das Glas hin. "Geht aufs Haus. Fürs Wiedersehen."
Der Klabauter fasste das Glas nicht an. "Wo ist sie?"
"Hör mal", begann Birkman. "Das können wir doch später noch besprechen und jetzt erstmal..."
Er kam nicht weiter, denn unversehens hatte er die Hand des Klabauters am Kragen. "Wo ist sie?!"
Birkman lächelte verzerrt. "Weisst du, die letzten Jahre waren nicht sehr gut und..."
Der Klabauter riss ihn halb über die Theke, so dass ihre Gesichter kaum noch eine Handbreit von einander entfernt waren. "Ich habe dir ein halbes Vermögen dafür gegeben, dass du auf sie aufpasst", knurrte er. Der Rum war ausgeleert und plätscherte auf den Boden. "Also was hast du mit ihr gemacht? Ich schwör dir, wenn du sie verkauft hast, dann schlitz ich dir deinen fetten Wanst auf und erwürge dich mit deinen eigenen..."
"Ich hab sie nicht verkauft", japste der Wirt mit quiekender Stimme. "Ich hab sie nur... vermietet. Sie haben sie auch zurück gebracht", fügte er hastig hinzu, als der Klabauter ihn fast von den Füssen hob. "Aber nicht mehr ganz so... ganz so... ganz."
"Wo ist sie?", fragte der Klabauter. Seine Stimme war so leise, dass Ismir sie fast nicht mehr hören konnte.
"Im Trockendock sieben, drüben in der Nordbucht", winselte Birkmann. "Aber sie..."
Der Klabauter öffnete die Hand und liess Birkman einfach fallen. Ohne ein weiteres Wort drehte er sich um und verliess die Schenke im Stechschritt.
Er liess etwa ein dutzend verdutzter Piraten zurück. Und Ismir, der wusste, dass er ihm jetzt besser nicht folgte.

Er brauchte nicht lange, um die Trockendocks zu erreichen. Sein Herz klopfte ihm bis zum Hals, als er um die letzten Häuser und Bretterwände bog und er traute sich kaum hinzusehen...
Birkman hatte nicht gelogen. Sie war da. Seine Sturmsänger. Sein Schiff. Seine Kleine. Aber was hatten sie ihr angetan.
Der mittlere Mast war gebrochen und der vordere fehlte ganz. Was von den Segeln noch übrig war hing in verschimmelten Fetzen. Grosse Teile der Reling fehlten und am Bugspriet war das Deck geborsten. Der Bug hatte so tiefe Kratzer und Schrammen, dass die Planken fast durch waren, und das Steuerrad war gespalten wie von Axthieben.
Es war ein Anblick, der ihm das Herz brach.