Der Klabauter schüttelte den Kopf als Antwort auf den Rum und wartete, bis alle Gefangenen gefesselt waren. Die Segel hatte er einholen lassen und die Schiffe dümpelten mitten im Ozean vor sich hin.
Meleth taumelte unter Deck auf der Suche nach einem Handtuch. Nach einer Weile kam sie mit etwasem, das danach aussah, zurück, und der Captain wischte sich damit das Blut aus dem Gesicht. Dann sah er, was von seiner Mannschaft übrig war. Es waren nicht mehr viele, würde aber reichen, um die Sturmsänger zu segeln. Er liess die anderen beiden Schiffe, die sie angegriffen hatten, ebenfalls versenken, und den Rest dann wieder Fahrt aufnehmen.
Dann befahl er den ersten der Gefangenen losbinden, schnürte ihm die Hände und Füsse zusammen, band ein Seil daran und liess ihn unter dem Rumpf durchziehen. Meleth hatte nie zuvor gesehen, wie jemand kielgeholt wurde, und als der Mann wieder aus dem Wasser gezogen wurde und sie den zerfleischten Rücken sah, musste sie erneut würgen. Aber der Klabauter liess ihn nochmal durchziehen, diesmal mit dem Gesicht nach oben, dann hängte er den Meuterer, der zu seinem Pech noch immer lebte, an den Händen in die Rahen.
Dann war der zweite dran.

"Reina, kümmer dich um die Verletzten", wies der Klabauter sie an. "Und um dich selbst, ich kann es nicht gebrauchen, wenn du verblutest."
Meleth plünderte zusammen im Alek und Marres die Toten und warf sie über Bord. Allmählich fand sie in ihrem Gürtel keinen Platz für neue Messer mehr.

Der Captain verband seine Wunden selbst. Er wirkte ruhig, aber sein Blick sprühte Funken, und wer von der Mannschaft geblieben war, hütete sich, ihm in die Quere zu kommen. Auch Ismir war verletzt, aber es war nichts, was er nicht überleben würde. Mirko, der praktisch im letzten Moment noch für die richtige Seite Partei ergriffen hatte, hatte sich einen Stich in den Oberschenkel eingefangen, Alek ein paar Schnitte.
Als schliesslich alle Verwundeten versorgt waren und die Toten zu den Fischen gegangen, fiel Meleth auf, dass Josh noch immer fehlte. Sie stieg hinunter in den Laderaum und suchte ihn erneut, konnte ihn aber nicht finden. Was war bloss mit ihm passiert? War er über Bord gegangen? Hatte ihn jemand umgebracht? Von oben her hörte sie Stimmen, aber hier unten war alles Still, bis auf das Knarren des Schiffes.
Sie wollte den Laderaum eben wieder verlassen, als sie etwas Rascheln hörte, was eindeutig zu gross war für eine Ratte. Blitzartig fuhr sie herum und zog ein Messer. Dann sah sie Josh. Er stand neben einem Stapel Kisten und zitterte am ganzen Leib. "Ist es vorbei? Bitte, ist es vorbei?"
Sie bemerkte, dass seine Wangen nass waren. Dann realisierte sie etwas. "Du hast es gewusst."
"Ich habe sie gehört", schluchzte er erstickt. "Wie sie es geplant haben. Ich hatte so Angst, dass sie mich finden, und..."
Meleth liess das Messer fallen. Ohne nachzudenken trat sie auf ihn zu, legte die Arme um ihn und zog ihn an sich. "Es ist alles gut", flüsterte sie, während sie ihm über den zitternden Rücken strich. "Der Captain hat gewonnen. Kopo und die anderen Arschlöcher sind alle tot oder hängen am Mast."
Josh gab keine Antwort, sondern schluchzte weiter, den Kopf an ihrer Brust vergraben. Meleth hielt ihn fest und versuchte nicht selbst anzufangen zu heulen. Sie wären gerade alle fast draufgegangen. Sie erinnerte sich daran, wie sie den Armbrustschützen niedergeschlagen hatte, und fragte sich, warum sie das getan hatte. Hätten die Meuterer gesiegt, wäre es ihr Todesurteil gewesen. Sie hatte nicht gewusst, dass der Klabauter gewinnen würde. Es war nur Glück gewesen. Das war verdammt beängstigend.
Schliesslich beruhigte sich Josh und löste sich von ihr. Etwas betreten blickte er zu Boden. "Sag das bloss keinem."
"Dass du dich versteckt hast?"
"Und dass ich geheult hab", schniefte er und fuhr sich über die Nase.
"Ich versprechs", antwortete Meleth.
"Danke", meinte er halb lächelnd. "Und ich versprech, dass ich keinem sag, dass du ein Mädchen bist."
Meleth schluckte leer. "Das wäre gut."

Der Klabauter sagte nichts, sondern kramte seine Pfeife hervor und zündete sie an. Als er sie fertig geraucht hatte, stand er auf und liess Reina die Mannschaft zusammen rufen.

Der Klabauter stellte sich vor der Mannschaft auf und sah sie alle an. "Ihr habt jetzt alle gesehen, was mit denen passiert, die versuchen gegen mich zu Meutern", sagte er laut. "Und glaubt mir, ich war noch nett zu ihnen."
Einen Moment lang zuckte ein Ausdruck über sein Gesicht, der Meleth das nackte Grauen über den Rücken jagte, aber er verschwand gleich wieder, und der Captain erhob erneut das Wort. "Nichtsdestotrotz schätze ich, dass ich euch ein paar Antworten schulde. Zuerst einmal: wohin fahren wir? Nach Irian Shada, einem Kontinent weit im Südwesten. Genauer gesagt nach Vanalur, der grössten Piratenstadt der grünen See. Wie lange wird es noch dauern, bis dorthin? Vermutlich drei Wochen. Geschätzt, dass wir die schlimmsten Lahmärsche der Flotte soeben losgeworden sind, vielleicht auch ein paar Tage weniger, hängt vom Wind ab. Ich weiss, dass der Rum knapp wird. Ich weiss, dass ihr alle seit Wochen keinen wirklich freien Tag mehr hattet und gefühlt ewig keinen Spass mehr zwischen den Beinen einer Hure. Aber - und glaubt mir, ich verspreche euch nicht zu viel, ich weiss wovon ich rede - Vanalur macht das ein Dutzend mal wett. Und ihr habt mein Wort: wir werden eine volle Woche dort vor Anker liegen und solange müsst ihr keinen Fuss auf die Planken dieses Schiffes setzen, wenn ihr nicht wollt. Klingt das nach einem fairen Angebot?"