RE: Nordufer des Spiegelsees und Oberlauf des Loney
in Dreitan - das Spiel 15.06.2015 18:42von Ro Raven •

Anfang Januar 308
Pave und Meyra aus Ravi
Die Reise über den Teller war beschwerlich gewesen, denn die Gruppe von Flüchtlingen bestand zu einem grossen Teil aus Alten, Frauen und Kindern, manche davon krank und unterernährt, die meisten schlecht gekleidet. Einige von ihnen waren zurückgeblieben in der Eiseskälte der winterlichen Wüste, tot auf dem von weissem Reif überzogenen Stein und manche, die einen ihrer Angehörigen auf diese Weise verloren hatten, bereuten den Entschluss, Ravi verlassen zu haben, und verfluchen sich dafür. Auch für Meyra war die Reise beschwerlich mit dem kugelrunden Bauch und dem Kind in ihr, das an ihren Kräften zehrte, trotzdem bestand sie die meiste Zeit darauf, den Esel den anderen zu überlassen, für die Kinder und die Schwachen. Pave trug ihrer bieder Gepäck und über weite teile des Weges eine alte, zahnlose Frau, der in der ersten Wüstennacht die meisten ihrer Zehen abgefrohren waren.
Als sie endlich die Wüste hinter sich gelassen hatten, und hinunter kamen in Richtung Fluss, sahen sie schon von weitem den Rauch, der von den Häusern an seinem Ufern aufstieg. Als sie jedoch näher kamen erkannte Meyra das kleine Dorf dort, letzter Vorposten der Seelandelfen, kaum wieder. Vor weniger als einem Jahr waren sie hier durchgekommen, auf ihrer Reise in die entgegengesetzte Richtung, und es war eine hübsche Siedlung gewesen, ein belebter kleiner Handelsposten, auch wenn er nur aus kaum zwei Dutzend Häusern bestand. Nun wirkte alles verlassen. Keine Spuren führten durch den flachen, vom Wind verwehten Schnee, kein Rauch stieg aus den Kaminen. Irgendwo klapperte ein Fensterladen.
Es dauerte nicht lange, bis jemand die Quelle für den Rauch fand, den sie aus der Ferne gesehen hatten: nicht weit entfernt vom Dorf, am Flussufer, stand ein kleines Lager von Nomaden. Sie zeigten sich zurückhaltend gegenüber den Flüchtlingen, erzählten ihnen aber, was geschehen war: die Elfen hatten den Posten aufgegeben und waren zurückgekehrt in die Sicherheit ihrer Wälder, aus Angst vor den Leuten aus dem Osten. Frühere Flüchtlingsgruppen hatten die leerstehenden Häuser bereits aufgebrochen, um darin Unterschlupf zu finden. Sie würden es ihnen leicht gleichtun können.
"Werden die Elfen zurückkommen?", fragte ein Mann.
Die Nomaden zuckten mit den Schultern. "Das weiss der Wind. Aber an eurer Stelle würde ich nicht hier siedeln. Die Gegend ist zu abgelegen und ihr habt keine Vorwarnung, falls der Angriff kommt. Entlang des Flusses sind weitere verlassene Weiler, in denen ihr euer Glück günstiger versuchen könnt."
Die Flüchtlinge baten um Essen und Feuerholz, aber die Nomaden lehnten ab, und sie machten unmissverständlich klar, dass sie sich zu wehren wussten, falls jemand versuchte es sich mit Gewalt zu nehmen. Einige der Männer beschimpften sie daraufhin, aber die Nomaden blieben gelassen. Pave nahm Meyra beiseite und suchte mit ihr eine Unterkunft, bevor alles belegt war. Das innere der Häuser war fast ganz leergeräumt und geplündert, aber es war angenehm ein Dach über dem Kopf zu haben, und obwohl das allermeiste Mobiliar bereits weg war, fanden sich noch ein paar Balken, die man verfeuern konnte.
If you're going through hell, keep going.

RE: Nordufer des Spiegelsees und Oberlauf des Loney
in Dreitan - das Spiel 23.06.2015 00:42von Ro Raven •

Ende Januar
Der Wind zerrte an Paves Mantel und peitschte die Schneeflocken wie Klingen durch sein Gesicht. Er zog sich die Kapuze tiefer in die Stirn und warf einen Blick zu Meyra zurück, die dick eingemummelt auf dem Rücken des Esels sass. Sie waren nur noch zu zweit. Der Rest war zurückgeblieben, in den verlassenen Dörfern entlang des Flusses. Aber Pave wusste, es war nur eine Frage der Zeit, bis der Krieg sie dort einholen würde, und vermutlich keine von sehr viel Zeit. Auch Meyra hatte gedrängt weiter zu gehen. Sie wollte nicht irgendwo Unterschlupf finden, zwischen verängstigten Flüchtlingen, die nur darauf warteten, weiter vertrieben zu werden. Sie wollte ein Zuhause. Auch wenn es bedeutete, dass sie bis zurück nach Loney reisten, oder noch viel weiter.
Pave blickte wieder nach vorne, packte den Zügel des Esels fester und brachte das Tier dazu, weiter zu gehen, durch den Schneesturm. Er versuchte es sich nicht anmerken zu lassen, aber er machte sich furchtbare Sorgen um Meyra. Er wusste nicht genau, wie lange so etwas dauerte, aber so rund wie sie war, konnte es nicht mehr lange gehen, bis das Kind kam. Und sie waren nun seit beinahe zwei Wochen dem See entlang marschiert, durch den immer tiefer werdenden Schnee und immer kälteres Wetter, beinahe ohne auf eine Menschenseele zu treffen. Allmählich wurden ihre Vorräte knapp und der Esel machte es wohl kaum mehr lange. Genau genommen hätte es Pave überrascht, wenn das Tier noch den nächsten Morgen erlebte, so klapprig und müde wie es durch den Schnee stakste.
Er behielt recht. Wenige Stunden später brach der Graue zusammen und stand nicht mehr auf. Pave hob Meyra hoch und setzte sie in den Windschatten einer Schneeverwehung, bevor er sich die steif gefrohrenen Handschuhe von den Fingern zog und sein Messer aus dem Gürtel. Er bereitete dem Tier ein Ende und schlitzte es auf, um zu nehmen, was noch zu holen war. Das noch heisse Blut liess die fallenden Schneeflocken schmelzen und hielt seine Hände warm, so dass er schnell und präzise vorgehen konnte. Konzentriert arbeitete er sich voran und trennte das magere Fleisch von den Knochen, als plötzlich durch das Heulen des Sturms ein Wimmern an seine Ohren drang.
Sein Kopf fuhr hoch und er sah, dass Meyra sich im Schnee zusammengekrümmt hatte. Binnen eines Herschlages war er bei ihr und zog sie in seine Arme. "Meyra? Meyra, was ist?"
Sie starrte ihn an. Ihr Atem ging keuchend. "Es... es..." Sie krümmte sich erneut zusammen, die Arme auf ihren Bauch gepresst.
Er schloss einen Augenblick lang die Augen. "Oh nein", wisperte er. Dann schob er einen Arm unter ihren Beinen durch, einen unter ihren Achseln und hob sie hoch. Ohne sich weiter um den Esel zu kümmern, stolperte er den Weg entlang in die Richtung, in der er glaubte, vorhin durch das Schneetreiben ein paar Bäume erspäht zu haben.
If you're going through hell, keep going.

RE: Nordufer des Spiegelsees und Oberlauf des Loney
in Dreitan - das Spiel 23.06.2015 20:56von Ro Raven •

Es waren nur einige kahle Stämme, die aus der Schneedecke ragten und keinen Schutz boten gegen den heulenden Wind. Er drückte Meyra enger an sich, als sie sich erneut zusammenkrampfte und lief weiter, versuchte seine Angst nieder zu ringen. Sie brauchten Schutz vor dem Wind und der Kälte. An alles andere wollte er lieber nicht denken, denn er fürchtete, dass seine Knie sonst nachgaben. Meyra wimmerte und wand sich in seinen Armen vor Schmerz, der immer stärker zu werden schien. Er wollte etwas sagen, aber er wusste nicht was. Du hättest sie nie schwängern dürfen, sagte eine Stimme in ihrem Kopf. Sie ist viel zu klein. Sie schlang die Arme um seinen Nacken und vergrub keuchend das Gesicht an seinem Hals. "Keine Angst", flüsterte er. "Es wird alles gut." Sie gab keine Antwort, sondern schrie und ihre Finger gruben sich tief in seine Haut.
Er wusste nicht, wie lange er durch den Sturm stolperte. Immer heftiger krampfte sich Meyra's Körper zusammen und in den Pausen dazwischen schluchzte sie, unfähig, etwas zu sagen. Sie schlug mit den Fäusten gegen seine Brust und krallte die Fingernägel in seinen Nacken und mehr als einmal hatte er Mühe, sie festzuhalten, aber irgendwann begann er zu spüren, wie sie schwächer wurde. Es schnürte ihm die Kehle zu, wie ihr Schreien zu einem Wimmern wurde. Er fühlte sich hilflos. Nichts anderes tun zu können, als sie festzuhalten und weiter durch den Schnee zu laufen. Wenn nur irgendetwas daraus aufgetaucht wäre. Meyra brauchte Hilfe, und er konnte ihr nicht helfen. Er hätte eine Armee für sie geschlagen, aber er konnte ihr nicht helfen.
"Ich habe Angst." Beinahe hätte er ihre Stimme überhört, so heiser wie sie war. "Es tut so weh", wisperte sie an seinem Hals.
Er zog sie näher an sich. "Alles wird gut, Kleines."
"Es tut so weh..."
Er schloss die Augen, damit sie seine Tränen nicht sah, und wäre beinahe gestolpert. Als er sie wieder öffnete, sah er im Schneegestöber etwas vor sich, das sich von der flachen, welligen Landschaft abhob. Er stolperte darauf zu und erkannte, dass es ein Unterstand war, wie man ihn im Sommer für die Tiere baute, um sie vor Sonne und Regen zu schützen. Erleichterung durchbrandete ihn und er brachte die letzten Meter hinter sich und fegte mit einem Stiefel die oberste Schneeschicht beiseite, um Meyra hinzulegen. Im Schatten des Unterstandes war es stockfinster. Er breitete seinen Mantel aus, legte Meyra darauf und hängte die kleine Laterne vom Rucksack los. Es dauerte eine Weile, bis er Feuerstein und Zunder hervorgekramt hatte, und seine Hände zitterten als er das Licht in seinem eigenen Windschatten entzündete.
Hinter ihm krampfte sich Meyra zusammen. "Es tut so weh", wimmerte sie. "Es tut so weh."
Er gab keine Antwort, sondern starrte auf den Arm mit dem er sie getragen hatte. Er war rot von Blut.
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RE: Nordufer des Spiegelsees und Oberlauf des Loney
in Dreitan - das Spiel 23.06.2015 22:09von Ro Raven •

Mit der Laterne in der Hand drehte er sich zu ihr um. Ihr Rock und ihr Mantel waren blutdurchtränkt unterhalb des Gürtels. Er beugte sich über ihr und strich ihr die Kapuze aus dem Gesicht. Sie war viel zu bleich und trotz der Kälte klebte ihr das Haar an der Stirn vor Schweiss. Wimmernd kniff sie die Augen zusammen. "Lass es aufhören. Bitte lass es aufhören. Es tut so weh."
Er legte einen Arm um sie und tastete mit dem anderen nach ihrem Bauch. Sie schrie, ein Zittern lief durch ihren Körper und ein neuer Schwall von Blut färbte seinen Mantel unter ihr rot. Es war zu viel. Er wusste nicht, ob eine Frau bei der Geburt blutete und wie viel, aber er wusste, wie viel Blut ein Mann verlieren konnte, bevor er starb. "Bitte...", wimmerte sie und zerrte an ihrem Rock. Er half ihr ihn hochzuziehen und als sie seine Hand nach unten führte, tastete er vorsichtig nach, ob er etwas von dem Kind spüren konnte, aber da war nichts, ausser einer Menge Blut. Sie sah ihn fragend an und er schüttelte den Kopf. Schluchzend fiel sie zurück auf den Mantel und wimmerte.
Er sah sie an, ihr bleiches Gesicht, ihre zitternden Lippen, die Angst in ihrem Blick. Sie wusste, dass es nicht lief, wie es sollte. Sie wusste, dass er es wusste. Keuchend schluckte sie und streckte die Hand nach seiner Wange aus. Er hielt sie fest. Meyra, dachte er verzweifelt. Was habe ich nur getan. Was habe ich nur getan?! Er erwiderte ihren Blick. Sie war so klein und hatte so viel schreckliches gesehen. Er hatte ihr geschworen, sie zu schützen. Und brachte sie um. Er schloss die Augen und drückte ihre Hand gegen seine Stirn. Es tut mir so leid. Und ich kann dir nicht helfen, weil ich weiss nicht wie!
Dann realisierte er etwas. Sie sassen in einem Weideschuppen. Das bedeutete, sie mussten in der Nähe von irgendeinem bewohnten Ort sein, und wenn es nur ein einzelnes Gehöft war. Sein erster Gedanke war, sie wieder hochzuheben und weiter zu marschieren, aber dann kam er nur langsam voran. Er wollte sie nicht alleine lassen, jede Faser seines Wesens sträubte sich dagegen. Aber er konnte ihr nicht helfen. Wenn er blieb konnte er nur zusehen, wie sie starb. Er traf die schwerste Entscheidung seines Lebens.
"Ich hole Hilfe", flüsterte er und küsste sie auf die Stirn. "Ich komme zurück."
Sie versuchte die Arme um seinen Hals zu schlingen und ihn festzuhalten. "Nicht..."
Er befreite sich von ihr und stellte die Laterne neben sie. "Ich komme zurück. Halt durch."
Er stand auf und ging zwei Schritte. Als er sich umdrehte, hatte sie die blutige Hand nach ihm ausgestreckt und sah ihn flehend an. "Bitte..."
"Ich komme zurück."
Er drehte sich um und lief los hinaus in das Schneetreiben. Tränen rannen über seine Wangen und in seinen Bart.
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RE: Nordufer des Spiegelsees und Oberlauf des Loney
in Dreitan - das Spiel 24.06.2015 01:29von Ro Raven •

Er rannte durch den knietiefen Schnee, die Welt vor und hinter ihm verschwindend im weiss, der Wind heulte ihm um die Ohren. Jeder Herzschlag, der verstrich, schien ihm einer zu viel. Er konnte sie doch nicht alleine lassen. Was wenn sie starb, und er war nichtmal bei ihr, um sie festzuhalten? Was hoffte er zu finden, hier draussen in der Kälte? War er nicht am Ende nur ein Feigling und wollte es nicht mit ansehen? Der Gedanke, dass sie starb... es war so gemein. Sie hatte es nicht verdient. Sie hatte nichts von alledem verdient, was man ihr angetan hatte. Was für ein Schicksal tat einem Mädchen so etwas an? Dasselbe, das dich dazu gebracht hat, es anderen anzutun, flüsterte es in seinem Kopf, und er hätte fast gewürgt vor Abscheu vor sich selbst. War das seine Strafe? Aber warum sollte sie für etwas büssen, was er getan hatte?!
Dann, plötzlich, sah er ein Licht. Es flackerte durch das Schneetreiben, irgendwo rechts vor ihm, verschwand immer wieder, aber war da, unverkennbar. Er lief darauf zu und nach und nach schälten sich Umrisse aus der Dunkelheit, Schuppen und Zäune, dahinter Häuser, aneinander gedrängt entlang einer schneeverwehten Strasse. Aus einem der näheren Drang ein schmaler Streifen Licht, in dem die Flocken tanzten. Er stolperte darauf zu.
Er hieb mehrmals gegen die Türe und es dauerte, bis man ihm öffnete. Der Mann zuckte zurück, als er ihn sah, und hinter ihm erkannte Pave mehrere Leute, aber er sah nur den Mann an. "Bitte", keuchte er völlig ausser Atem und schluckte. "Ich brauche eine Frau!"
Er registrierte, wie der Blick des Mannes vor ihm an seiner Axt kleben blieb. Dann blitzte etwas auf, als einer derer im Hintergrund eine Sense von der Wand nahm. "Mach, dass du fortkommst, Bastard! Wie kannst du es wagen?!"
Er ging in die Knie. "Bitte", flehte er. "Meine Frau liegt da draussen. Sie bekommt ein Kind. Ich weiss nicht... ich weiss nicht, was ich..."
"Verschwinde!", fauchte der Mann, aber bevor er auf Pave losging, legte sich eine Hand auf seine Schulter.
"Bitte", flehte Pave und faltete die Hände. "Bitte helft nicht mir, aber helft ihr!"
"Hör auf zu Lügen und...!"
"Warte!", die Stimme gehörte der Frau, die den Mann zurückgehalten hatte. Sie sah Pave an. "Wo ist deine Frau?"
Pave schluckte. "In einem Unterstand, in der Richtung. Bitte... sie... sie verblutet..."
"Sie liegt in den Wehen?"
Er nickte.
"Wie lange schon?"
Er zuckte hilflos mit den Schultern. "Einige Stunden. Bitte. Ich weiss nicht, was... Bitte helft ihr!"
"Wie könnt ihr mit einer Hochschwangeren bei diesem Wetter unterwegs sein?!"
"Hör nicht auf ihn, Martha!", zischte einer der Männer. "Das ist nur eine Falle!"
"Ich schwöre, es ist nicht!", rief Pave verzweifelt. Er zog seine Axt aus dem Gürtel und warf sie dem Mann vor die Füsse. "Wir sind aus Ravi geflohen. Ich wollte sie in Sicherheit bringen. Bitte, ich flehe euch an...!"
Die Frau namens Martha seufzte, dann legte sie sich einen Mantel um.
"Bist du verrückt?!", fragte der jüngere Mann und versuchte, sie zurückzuhalten.
Sie schüttelte seine Hand ab. "Wenn du glaubst, dass es eine Falle ist, dann solltest du mich wohl besser begleiten, als hier herumzufuchteln."
Die beiden Männer waren widerwillig mitgekommen. Sie irrten durch den Schnee, und einige Augenblicke lang fürchtete Pave, er würde den Unterstand nicht wieder finden, aber dann sah er das Licht der Laterne schimmern, und lief darauf zu. Sein Herz setzte beinahe aus, als er Meyra sah. Sie lag auf der Seite, zusammengerollt, regungslos, der Mantel und der Schnee unter ihr rot von Blut. Erst, als er zu ihr stürzte, sah er, wie sie zitterte. "Meyra! Meyra!", wisperte er und zog sie hoch, drehte ihr Gesicht zu sich. "Ich bin wieder da. Hörst du mich? Meyra, hörst du mich?"
Sie öffnete die Augen und ein schwaches Lächeln huschte über ihr Gesicht, bevor es erneut von Schmerz verzerrt wurde. Ihre Hände waren eiskalt. Er hörte, wie die Frau scharf die Luft einsog. "Wir müssen sie in die Wärme bringen. Los, helft ihm!"
Pave brauchte keine Hilfe. Er hob Meyra hoch wie ein Kind und trug sie mit sich, flüsterte auf sie ein, auf dem ganzen Weg zurück. Sie brachten sie in ein Hinterzimmer und Martha scheuchte die Männer hinaus, auch Pave, den sie mit beiden Händen stossen musste, damit er zurückwich. "Bitte... bitte", flehte er. "Was kann ich tun?"
Martha sah ihn an. "Beten."
Er hätte beinahe gelacht. "Zu wem? Ich habe keine Götter."
"Dann bete zu Akkaya, der grossen Göttin. Wenn jemand deine Frau retten kann, dann sie."
Also stolperte er hinaus in den Schnee und betete. Flehte den Himmel an und die Sterne und Akkaya, was für eine Göttin sie auch immer sein mochte. Nehmt mir nicht meine Meyra, flehte er, die Stirn gegen den schneebedeckten Boden gedrückt. Lasst sie nicht sterben. Sie hat es nicht verdient. Ich flehe euch an, lasst sie nicht sterben.
If you're going through hell, keep going.

RE: Nordufer des Spiegelsees und Oberlauf des Loney
in Dreitan - das Spiel 01.07.2015 23:09von Ro Raven •

Der Morgen war längst fahl von Osten her in den Himmel gekrochen, als die Türe des Hauses aufging. Noch immer fiel Schnee, aber nur noch einzelne Flocken, und der Sturm hatte sich gelegt. "Du heisst Pave, richtig?"
Er rappelte sich auf und klopfte sich den Schnee von den nassen Kleidern, während er sich zu der Frau umdrehte. "Ja. Wie geht...?" Sein Blick blieb an den Blutflecken auf ihrer Schürze hängen.
"Ich bin Martha", sagte sie und verschränkte die Arme. "Und ich muss dir sagen, dass du ein verantwortungsloser Bastard bist, eine schwangere Frau quer durch einen Schneesturm zu schleppen, noch dazu, wenn sie so jung ist."
Pave hörte den Zorn in ihrer Stimme. "Ich weiss", murmelte er verzweifelt, längst darüber hinaus, irgendetwas dagegen zu halten. Er sank in die Knie und schlug die Hände vors Gesicht. "Ich weiss. Ich hätte nie... Oh Götter..." Seine Stimme brach fast und er biss sich auf die Knöchel. "Ist sie... ist sie..."
"Sie lebt", antwortete Martha knapp. "Und ich denke, sie wird es schaffen, auch wenn ich natürlich nichts garantieren kann."
Er faltete die Hände und vor Erleichterung traten Tränen in seine Augen. Danke! Ihr Götter, Akkaya, danke!
Martha holte Luft. "Aber das Kind hat es nicht geschafft."
Er nahm es zur Kenntnis.
Meyra wollte nicht aufwachen. Ihr tat alles weh. Sie wollte einfach weiterschlafen und nie wieder aufwachen, oder erst wieder, wenn alles gut war. Aber etwas liess ihr keine Ruhe, riss sie immer wieder zurück, hinauf aus der sanften Dunkelheit und in den Schmerz. Sie wusste es. Aber sie wollte Gewissheit. Denn solange sie keine Gewissheit hatte, klammerte sie sich an Hoffnung, obwohl sie wusste, dass sie nur betrogen würde.
Schliesslich, nach etwas, das schien wie eine Ewigkeit oder zwei, gelang es ihr die Augen zu öffnen. Sie sah die Frau am Bett sitzen, deren Gesicht über ihr geschwebt war, als sie geglaubt hatte zu sterben. Mühsam schluckte sie und öffnete die gesprungenen Lippen. Ihre Stimme war so heiser, dass sie sich fast nicht hörte. "Es ist tot, oder?"
Martha nickte.
Sie schluckte abermals und drehte den Kopf zurück, den Blick an die Decke gerichtet. "Sag es mir nicht", flüsterte sie. "Ich will nicht wissen, was es war."
Martha nickte abermals, dann hielt sie einen Becher in der Hand. "Trink einen Schluck."
Sie half ihr, sich halb aufzusetzen und hielt ihr den Becher an den Mund. Meyra trank einige Schlucke und verzog das Gesicht dabei vor Schmerz. Unterhalb ihres Magens fühlte sich alles an wie eine offene Wunde und ein Krampf gleichzeitig. "Wie lange?", fragte sie heiser.
"Drei Tage", antwortete Martha.
"Pave...?"
"Hat jede Stunde für dich gebetet."
"Gebetet...?", wiederholte sie verwirrt, aber bevor Martha dazu kam, zu antworten, ging die Türe auf. Ihr Blick flackerte auf. Sie sah Pave im Türrahmen stehen, und bei seinem Anblick krampfte sich alles in ihr zusammen. "Es tut mir leid", flüsterte sie. "Es tut mir leid..."
Bevor sie weitersprechen konnte, kniete er neben dem Bett und hielt sie fest. "Mir tut es leid. Ich hätte nie..."
Sie hörte ihm gar nicht zu. "Ich kann... ich kann... wieder ein... das nächste Mal..."
Er zog sie in seine Arme. "Es ist ok", murmelte er. "Hauptsache du lebst. Alles andere ist egal."
Das Schluchzen brach aus ihr hervor, ohne dass sie es hätte verhindern können. Es war tot. Es war tot und alles war umsonst. All die Monate, all die Freude, die Schmerzen, die Anstrengung, die Hoffnung, alles weg. Die ganze Flucht, die sie auf sich genommen hatten, damit es sicher sein würde. Alles, was sie getan hatten. Die stundenlangen Schmerzen. Alles umsonst. Alles, was sie sich ausgemalt hatte. Alles, wovon sie geträumt hatte. Einfach weg. Tot. Nein, nicht tot, es hatte nie gelebt. Es war... es war... es tat so weh, so furchtbar weh.
Sie schluchzte haltlos und spürte kaum Pave's Arme, obwohl er sie so fest drückte, wie er sich traute.
If you're going through hell, keep going.

RE: Nordufer des Spiegelsees und Oberlauf des Loney
in Dreitan - das Spiel 16.07.2015 19:29von Ro Raven •

Mitte Februar
Es war ein aussergewöhnlich warmer Tag dafür, dass das neue Jahr noch nicht einmal begonnen hatte. Die Sonne schien und schmelzender Schnee tropfte von den Dächern. Meyra sass mit einer Decke um den Schultern vor dem Haus, die Augen geschlossen, das Gesicht gegen das Licht gerichtet. Sie wirkte blass und müde. Einige Schritte von ihr entfernt fütterte Martha die Hühner, von irgendwo über den Feldern erklangen Pave's Rhythmische Schläge, wo er zusammen mit Martha's Älstestem die Pflöcke für einen neuen Zaun in den Boden trieb. Er tat und half, wo er konnte, um sich für die Grosszügigkeit zu revanchieren, mit der man sie hatte bleiben lassen, zumindest bis Meyra "sich erholt habe". Aber sie erholte sich langsam. Vielleicht, weil ein Teil von ihr sich gar nicht erholen wollte. Ein Teil, der einfach nur müde war, der schlafen wollte und nie wieder aufwachen.
Die Sonne wanderte über den Himmel und irgendwann verstummten die Schläge und bald darauf hörte sie Schritte durch den letzten, knirschenden Schnee auf der Wiese in Richtung des Hauses hinaufstapfen. Pave lehnte den Holzhammer an die Wand und setzte sich neben ihr auf die Bank. Er legte einen Arm um sie, zog sie an seine Schulter und küsste sie auf die Stirn. "Na, Kleines, wie gehts dir?"
Sie zuckte mit den Achseln und wusste nicht, was sagen.
Er strich ihr über den Kopf. "Tut es immer noch weh?", fragte er leise.
Sie zuckte abermals mit den Schultern. "Geht schon." Dann, nach einigen Atemzügen des Schweigens fügte sie kaum hörbar hinzu. "Ich... ich fühle mich so nutzlos."
Er nahm sie in den Arm, aber sie schaffte es nicht, seine Umarmung zu erwiedern. "Ich meine, jeder hier tut irgendetwas, und ich... ich sitze nur herum, und mache allen Arbeit und gehe allen auf die Nerven, weil ich nicht fröhlich bin und..."
"Du musst dich erholen", meinte er fürsorglich, und irgendwie war es genau dieser Tonfall, der sie wütend machte.
"Das meine ich nicht! Ich meine... selbst wenn... ich kann nichtmal etwas. Du kannst Holz hacken und Zäune machen und alles mögliche nützliche, aber ich... ich kann einfach nichts. Nichtmal Kinder kriegen", fügte sie bitter hinzu.
"Meyra, du..."
"Sogar dafür bin ich zu blöd."
"Du bist nicht zu blöd!", widersprach er. "Aber du bist noch sehr jung, und..."
Er klang so verständnisvoll, so schonend, und es brachte sie auf die Palme: "Pave, ich bin kein Kind mehr!", fauchte sie, dass er beinahe zurückzuckte.
"Nein, aber..."
"Nichts aber!"
"Du kannst nichts dafür, was..."
"Wer denn sonst?", fragte sie bitter. Ich habe versagt.
"Niemand." Martha hatte sich aufgerichtet und sah sie an. "Aber er hat recht. Es ist nicht deine Schuld, die Umstände waren eine einzige Katastrophe. Niemand bringt ein Kind in einem Schneesturm zur Welt. Und du bist sehr jung. Bei so jungen Müttern treten oft Komplikationen auf, und das hat nichts damit zu tun, dass sie geistig nicht reif genug wären, sondern der Körper ist schlicht noch nicht vollständig entwickelt." Sie lächelte. "Gib dir nochmal ein, zwei Jahre Zeit, und es wird viel besser klappen beim nächsten Mal."
Meyra sagte nichts, aber sie liess zu, dann Pave sie an sich zog, und vergrub das Gesicht an seiner Schulter.
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RE: Nordufer des Spiegelsees und Oberlauf des Loney
in Dreitan - das Spiel 10.08.2015 23:55von Ro Raven •

Ende Februar
Meyra zog die Nadel durch den dicken Stoff, zupfte daran und begutachtete den Stich. Ein bisschen schräg geworden, aber wenigstens nicht wieder zu lange. Die Naht war fast fertig, fehlte nur noch ein Saum an der Jacke für Marthas Neffen. Sie steckte die Nadel erneut in den Stoff und musste ziemlich drücken, um sie durch die drei Lagen zu bringen. Prompt stach sie sich in den Finger. "Autsch!"
Martha blickte auf und sah sie fragend an.
"Hab mich nur gestochen", erklärte Meyra, an ihrem schmerzenden Finger lutschend. Es war nicht das erste Mal an diesem Abend.
Martha legte ihre eigenen Arbeit beiseite und kam herüber. "Lass mal sehen", meinte sie und nahm ihr die Näharbeit aus den Fingern. "Sieht aber gut aus!"
Meyra lächelte schüchtern und blickte hinüber zu Pave, der zusammen mit Martha's Mann das Feuer unterhielt, um das Wasser im Topf zum Kochen zu bringen. Sie hatten bereits vor ein, zwei Stunden zu Abend gegessen, und bald würden sich wohl alle schlafen legen. Der Regen, der den ganzen Tag über auf das Dach geprasselt hatte, hatte nachgelassen. Wenn das Wetter die nächsten zwei Tage besserten, würden sie wohl aufbrechen. Martha hatte irgendwann vorgeschlagen, sie könnten doch ganz bleiben, sich hier niederlassen. Der Gedanke war verlockend. Nicht mehr weiter zu fliehen, eine Heimat, zudem hatten sie die Menschen hier lieb gewonnen. Aber sowohl Pave als auch Meyra wussten es, auch wenn keiner von ihnen es aussprach: es war nicht sicher hier. Nicht, wenn die Armee weiter vorrückte. Zumindest bis nach Loney mussten sie. Vielleicht weiter. Wo auch immer es Frieden geben mochte. Das schlechte Wetter der letzten Tage hatte ihre Abreise noch etwas hinausgezögert. Aber sie würden nicht mehr lange bleiben.
Das Wasser kochte und Martha's Mann goss den Tee auf. Er reichte Pave einen Becher, seinem Sohn, dann Martha und Meyra. Meyra legte die Näharbeit beiseite, um zu trinken. Irgendwo draussen bellte ein Hund. "Danke", meinte sie und trank einen Schluck. Der Tee war heiss, ein bisschen bitter, aber auch süss von Honig. Der Hund bellte erneut.
Nach einigen Schlucken stellte sie den Becher beiseite, um weiter zu nähen. Sie wollte die Naht noch fertig machen, bevor sie zu Bett ging. Martha's Sohn stand auf. "Ich geh mal nachsehen, ob da draussen was los ist." Er nahm die Laterne vom Haken, zündete sie an und trat nach draussen. Die Lampen flackerten kurz im Luftzug, dann schloss sich die Türe wieder hinter ihm. Meyra zog die Nadel durch den Stoff, aber als sie den Stich anzog, riss ihr der Faden. Innerlich fluchend trennte sie die letzten Stiche wieder auf, um die beiden Enden wieder zu verknüpfen , bevor sie weiternähte.
"Wo bleibt er denn so lange?", fragte Martha nach einer Weile. Allgemeines Schulterzucken. Der Hund war verstummt. Draussen erklangen Schritte. Dann trat jemand die Türe ein.
If you're going through hell, keep going.

RE: Nordufer des Spiegelsees und Oberlauf des Loney
in Dreitan - das Spiel 31.08.2015 19:26von Ro Raven •

Martha's Mann sprang auf und wollte etwas Rufen, aber ein Speerschaft in seiner Kehle beendete den Satz, bevor er ihn begonnen hatte. Meyra sah wie seine Finger sich krümmten im Versuch das Holz zu packen und herauszuziehen, aber es verfehlten. Sie sah den Mann in Rüstung, der ihn zu Boden trat und in den Raum stürmte. Sie hörte Männer und Frauen schreien draussen. Sie realisierte, dass sie selber schrie.
Pave besass die Geistesgegenwart nicht auf den Angreifer zu, sondern zu seiner Axt zu hechten, und seine schiere Grösse liess den Angreifer erstmal zurückzucken, aber dann kam ein zweiter in den Raum und sie gingen zum Angriff über. "Nach hinten", brüllte er Meyra zu und stellte sich vor sie, zerschlug den Speer des einen mit seiner Axt und wich einem Angriff des zweiten aus, packte dessen Schildrand, riss ihn daran zu sich und schlug ihm den Schädel ein. Mehr Söldner kamen herein und Pave schlug um sich. Blut lief von seiner Hand, nachdem er einem das Schwert aus der Hand gerissen hatte und er brüllte im Zorn, als er ihm den Schild spaltete, aber der Mann war rechtzeitig zurückgesprungen. Martha wehrte sich mit dem heissen Kochtopf und der Geruch von verbranntem Fleisch stieg auf, als sie traf, aber dann wurde ihr der Topf aus der Hand gerissen und ein gepanzerter Schlag ins Gesicht liess sie rückwärts gegen ein Regalbrett krachen und mit verdrehtem Hals zu Boden sacken, als wären ihre Knochen geschmolzen. Pave hackte einen Axthieb zur Seite und trat in einen Bauch, aber sie waren zu viele, stürzten sich auf ihn wie zu Hunde auf den Bären. Eine Axt riss seine Tunika auf, ein Speer streifte seine Schulter. Einer der Söldner versuchte um ihn herumzukommen und sprang auf Meyra zu und sie schrie auf. Pave drehte sich um und hackte seine Axt in die Schulter des Mannes. Dann traf ein Kriegshammer seinen Hinterkopf und er fiel.
Meyra sah ihn fallen. Sie sah das Blut, das an der Waffe klebte, als der Mann sich über den gefällten Riesen beugte und ihn anspuckte. Sie sah das Blut, das Pave's blonde Haare rot und dunkel färbte und in einer Lache auf den Boden rann. Er regte sich nicht. Lag nur verdreht da, mit dem Gesicht am Boden. Sein Rücken lag still, viel zu still. Das Blut rauschte ihr in den Ohren. Feuerschein spiegelte sich in seinem, als es in den lehmigen Boden sickerte...
Die Realität holte sie erst wieder ein, als einer der Söldner sie packte. Sie wand sich, schrie und biss, fasste nach seinem Gesicht, um ihm die Augen mit den Fingernägeln auszustechen, aber er schlug ihre Hände zur Seite und zerrte am Ausschnitt ihres Kleides, bis der Stoff mit einem Ratschen zerriss. Sie achtete nicht darauf, sondern schlug und trat, aber ein zweiter kam um sie festzuhalten und sie drückten sie zu Boden. Der erste grinste fast zahnlos und packte ihre blosse Brust mit blutigen Händen, aber sie wand sich zur Seite.
"Halt still!", knurrte er. "Halt still du Hure!"
Sie rissen ihr den Rock hoch und die Beine auseinander, doch sie wehrte sich mit aller Kraft und der Verzweiflung von jemandem, dem alles egal ist. Als er sich mit geöffneter Hose über sie beugte, entkam sie dem Griff und rammte ihm die Stirn ins Gesicht. Er streckte sie nieder mit einem Schlag, der sie Sterne sehen liess. Dann packte er ihren Kopf und drehte ihn zur Seite. "War dir der da was wert?", fragte er hämisch.
Sie schmeckte Blut im Mund. Pave lag noch immer genauso da wie zuvor. Nur die Lache war grösser geworden. Er war... Pave... nein... Tränen von Zorn und Schmerz füllten ihre Augen, sie brüllte und versuchte hochzukommen um die Bastarde zu erwürgen, erstechen, auszuweiden, aber sie drückten sie wieder runter. "Gib es auf", lachte der Söldner, der immer noch ihren Kopf festhielt und sie zang hinzusehen. "Der ist so tot wie eine im Bier ersoffene Flussratte. Keinen Kupfer mehr wert." Er spuckte aus. "Also mach brav die Beine breit, dann weisst du mal was ein richtiger Mann ist!"
Sie starrte auf Paves blutigen Hinterkopf und die Tränen nahmen ihr die Sicht, doch plötzlich sah sie, wie sich seine Hand bewegte.
"War aber auch ein Bastard", meinte der andere und spuckte ebenfalls. "Hat Borg und Weland einfach zerhackt. Hast du das gesehen? Der ist mit seiner scheiss Axt durch den Helm durch!"
"Was solls", meinte ein dritter. "Weland war eh ein beschissener Falschspieler der sich ständig in die Hosen pisst."
Er lebte. Seine Faust ballte sich, erschlaffte dann aber wieder, nur die Finger zitterten leicht. In einem Sekundenbruchteil gab Meyra jeden Widerstand auf.
"Na bitte!", knurrte der Söldner und drückte ihre Beine auseinander.
Sie wehrte sich nicht. Auch nicht, als er sich nahm, was er wollte. Und als der andere nach ihm kam. Sie drehte den Kopf zurück und starrte an die Decke. Einfach am Leben bleiben. Sie hörte draussen Schreie von Frauen und Kindern, aber ihre Lippen waren verschlossen. Sie durften nicht bemerkten, dass er lebte. Sonst töteten sie ihn. Sie musste am Leben bleiben. Er war verletzt. Er brauchte Hilfe. Es tat weh. Nach dem fünften oder sechsten wusste sie, dass sie kaum mehr würde gehen können nachher. Die vor und zurückruckelnden Holzbalken der Decke verschwammen vor ihren Augen. Sie dachte an das Haus in den Gerstenfeldern, das Pave gebaut hatte, für sie beide. Für ihre Kinder. Sie fasste das Bild und liess es nicht los. Wir bauen ein neues. An einem anderen Ort. Im Frieden. Es wird Frieden geben. Sie würden Hühner haben. Und eine Ziege.... Tränen liefen über ihre Wangen. Es wird alles gut. Alles wird gut. Bleib nur am Leben...
If you're going through hell, keep going.

RE: Nordufer des Spiegelsees und Oberlauf des Loney
in Dreitan - das Spiel 01.09.2015 04:03von Ro Raven •

Das erste was sie wahrnahm als sie wieder zu sich kam, war der Brandgeruch. Sie richtete sich auf und hustete, wobei ihr Kopf stach und ihr Unterleib sich schmerzhaft zusammenkrampfte. Das Licht von Flammen flackerte durch den Rauch im Raum. Es war still, bis auf das Knistern und Knacken des Feuers im Gebälk. Sie rappelte sich auf und schob sich den Rock über die blutverschmierten Oberschenkel nach unten, dann trat sie ohne die Leichen von Martha und ihrem Mann zu beachten zu Pave und kniete sich neben ihn. "Pave? Pave!"
Er rührte sich nicht, als sie ihn an der Schulter rüttelte. Der Rauch brannte in ihren Augen und liess sie erneut husten. Sie mussten hier raus. Taumelnd stolperte sie zur Türe, um sie aufzustossen, aber es ging nicht. Sie war von aussen verriegelt. Mit aller Kraft und ganzen Gewicht warf sie sich dagegen, doch es nützte nichts. Sie schlug mit den Fäusten dagegen und schrie, aber niemand kam, um zu öffnen. Die Flammen leckten die Deckenbalken hinauf, Stroh und brennende Schindeln fielen herab wie Feuerkugeln. Sie musste hier raus, sie mussten... Panisch sah sie sich um, nach irgendetwas, irgendetwas... dann sah sie die Axt. Sie lag da wo Pave sie fallen gelassen hatte, blutverklebt.
Sie dachte nicht daran, dass sie das Ding kaum heben konnte, sondern tat es und hackte damit auf die Tür ein, dass das Holz flog. Irgendwann gab eines der Bretter nach und splitterte. Sie riss sich die Hände auf, als sie sie durch das schmale Loch steckte, aber spürte es nicht mehr, zerrte an dem Riegel und plötzlich gab die Türe nach und sie stolperte nach draussen. Die Axt fiel zu Boden und sie hustend auf die Knie. Nach Luft ringend rappelte sie sich auf und lief zurück in den Raum und packte Pave am Gürtel. Die Hitze brannte auf ihrer Haut, als sie ihn zog und zerrte, nach draussen, in Sicherheit. Sie hatten die Türe fast erreicht, als der hintere Teil des Dachgebälks einbrach und sie in eine Glutwolke hüllte. Sie ignorierte den Schmerz, der sich in ihre Haut frass und zerrte ihren Mann hinaus auf die Wiese, bevor sie schluchzend zusammenbrach.
Nicht nur Martha's Haus stand in Flammen sondern das ganze Dorf. Gierig verschlang das Feuer Stroh und Holz und die Leichen der Niedergemetzelten. Meyra würgte und schluchzte. Mit zitternden Armen packte sie Pave und drehte ihn auf den Rücken. "Pave! Pave!" Sie nahm sein Gesicht zwischen die Hände und küsste ihn, aber er rührte sich nicht. Hätte sie nicht den Hauch seines Atems auf ihrer Wange gespürt, sie hätte gesagt er wäre tot. Sie vergrub schluchzend das Gesicht an seiner blutigen Brust. "Pave. Pave wach auf. Bitte!"
Er reagierte nicht. Schliesslich richtete sie sich auf und riss die untere Hälfte ihres Rockes in Streifen. Sie hob seinen Kopf an, um ihn zu verbinden, aber als sie nach der Wunde tastete, riss sie die Hand blitzschnell wieder zurück. Es fühlte sich falsch an. Zu... beweglich. Am Schädel sollten keine beweglichen Teile sein, so viel wusste sie. Ihr wurde schlecht. Sie legte den Verband an und kniete dann neben ihm, das Gesicht in den Händen vergraben. Was sollte sie nur tun? Wenn er starb, dann... dann hätte sie genausogut einfach da drinnen bleiben und verbrennen können. "Stirb nicht!", schluchzte sie erstickt. "Du darfst nicht, hörst du? Du darfst einfach nicht!"
Irgendwann wurde ihr klar, dass sie hier weg mussten. Wenn sie blieben würden sie beide erfrieren ohne ein Dach über dem Kopf und warme Kleider. Sie brach mit der Axt zwei Bretter aus einem Schuppen, der noch nicht in Vollbrand stand und band sie zusammen mit Streifen, die sie aus den Ärmeln ihrer Bluse riss, dann band sie Pave darauf fest und fing an ihn zu ziehen, weg von den brennenden Häusern, in irgendeine Richtung. Sie stolperte Stundenlang durch die Nacht. Irgendwann fing es an zu Regnen und die Felder, über die sie lief, vermandelten sich in Matschwiesen. Das eiskalte Wasser durchdrang ihre Kleider und durchnässte sie bis auf die Knochen. Schliesslich brach sie zusammen und blieb liegen.
Als sie das nächste Mal zu sich kam, fiel der Regen noch immer. Aber das Schwarz der Nacht war in ein mattes Morgengrau übergegangen. Sie fand eine Strasse und einzige Zeit später einen Hof, stolperte darauf zu und hämmerte an die Türe. Sie sank in die Knie, als man ihr öffnete. "Bitte", flehte sie. "Bitte..."
-> weiter in Loney S. 155
If you're going through hell, keep going.

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