Idril blickte sich neugierig um, während sie das Essen in sich reinschaufelte. Sie ernteten mehrere verstohlene Blicke. Vor allem Velryunra wurde beobachtet und alle Augen, die auf ihnen ruhten waren ausnahmslos voller Furcht. "Wie fragt man die Kinder ob sie Lust zum spielen haben?", fragte Idril Growndrill flüsternd in der Gemeinschaftssprache und stieg schon langsam von der Bank.

Idril lief schnurstracks zu einer kleinen Gruppe von Kindern, welche sich gerade um einen hageren Jungen scharten, der einen ziemlich dreckigen Lederball in den Händen hielt. ''Layoun anta-hia?'', fragte Idril und erntete ein Grinsen von einem der anderen Kinder. Der Junge mit dem Ball plapperte drauflos, doch Idril verstand nichts. ''Kalandai.'', sagte sie und deutete auf sich. Nun hatte sie die Aufmerksamkeit der anderen Kinder. Sie redeten drauflos wobei das Wort Kalandai das einzige war, das Idril verstand. Irgendwann formten sich zwei Gruppen und der hagere Junge bedeutete Idril sich einer der Kinderschar anzuschliessen. Anschliessend zeigte er auf auf zwei Pfosten hinter sich und auf zwei Pfosten hinter Idril. Das Mädchen grinste. Jetzt hatte sie verstanden. Auf einmal warf der Junge den Ball in die Luft und die beiden Gruppen von Kindern rannten brüllend los um als erste den Ball zu fangen. Ein breitschultriger Junge mit flachsblondem Haar erwischte den Balls als erstes und rammte einen seiner Gegner zur Seite.
Ziemlich bald war klar, dass es nicht allzu viele Regeln gab. Es durfte nicht geschlagen, getreten, gebissen oder gekratzt werden. Ansonsten durfte man den Ball so zwischen die Pfosten befördern wie man wollte und den Gegner durfte man ebenfalls ohne grosse Hemmungen zu Boden reissen. Der Ball wurde ohne grossen Plan hin und her gepasst und wenn ein Team ein Tor schaffte, dann hatte das mehr mit Glück als mit Geschick zu tun. Idril wurde bald schon mit einigem Respekt angesehen, denn sie scheute sich auch nicht die grösseren Jungen anzugehen, auch wenn sie dafür einige Male hart zu Boden gestossen wurde. Einige Zeit nach Spielbeginn gesellten sich ein paar Hunde zu den Kindern und jagten dem Ball mit genau so grossem Eifer nach. Den Kindern fiel schon auf, dass die Hunde hauptsächlich Idril den Ball brachten, falls sie ihn eroberten, doch es störte sie nicht weiter.
Ihre munteres Treiben wurde von den meisten geduldet auch wenn einige Offiziere die lärmenden Bälger mit finsteren Blicken betrachteten. Offensichtlich wäre es ihnen lieber, wenn die Kinder anderswo ihren Unfug trieben. Sie blieben allerdings sitzen, bis ein unglücklicher Schuss jemandem den Bierkrug aus der Hand prellte und der Ball anschliessend im Gesicht eines weiteren landete. Schlagartig verstummte das Johlen der Kinder und sie betrachteten die beiden Offiziere, die ihren Rüstungen nach zu urteilen ziemlich viel Einfluss hatten. Mit einem Fluch wischte sich der Mann, den der Ball in die Visage getroffen hatte, übers Gesicht und stand auf. Sein Gefährte folgte ihm ohne zu zögern. Der Mann bellte ein paar Wörter derselben unverständlichen Sprache, wie der hagere Junge, doch Idril hörte allein der Stimme an, dass es nicht sonderlich freundlich war, was der Mann von sich gab. Die Hunde verkrochen sich in einer Ecke und winselten und Idril wäre ihnen gerne gefolgt, denn der Mann griff nach einer Reitpeitsche, die neben ihm an den Tisch gelehnt war. Wie aufs Stichwort spritzten die Kinder auseinander. Idril sprang auf eine Bank, von dort aus über den Tisch und rannte davon.
Der Speisesaal war gross und hatte mehrere Ausgänge. Der hagere Junge folgte ihr dicht auf den Fersen. Seinen Ball hatte er irgendwie zurückerobern können, bevor er die Flucht ergriffen hatte. Er grinste Idril frech zu und überholte sie. Sie erwiderte das Grinsen und gemeinsam rannten sie aus nächsten Eingang raus.

Idril und die restlichen Kinder entwischten dem Offizier ohne grosse Mühe. Ein paar Strassen weiter fanden sie einen weiteren Platz, der für ihre Zwecke geeignet war und schon bald war ein weiteres Spiel entbrannt. Dieses Mal ging es einiges roher zu, da man nicht so auf die Tische und Essenden aufpassen musste. Idril störte es nicht sonderlich, bis ein Junge sie zu Boden warf und sie sich die Hosen an einem schräg stehenden Pflasterstein aufriss. Fluchend trat sie ihm vors Schienbein als er aufstehen wollte. Er rief etwas auf seiner Sprache aus und drohte ihr mit der Faust. Sie liess sich nicht beeindrucken und zeigte auf den Riss, der von ihrer Hüfte bis hinunter zum Knie ging. Erst da schien dem Jungen sein Missgeschick aufzufallen und er grinste zerknirscht bevor er weiterrannte. Idril schimpfte leise vor sich hin und ging zur Seite des Spielfeldes. Sie würde die blöde Hose nähen müssen! Nun vielleicht würde Growndrill es ja übernehmen, aber sie bezweifelte irgendwie, dass ihr Vater mit Nadel und Faden umgehen konnte. Einfächer wäre es wohl neue Kleidung zu kaufen.
Auf einmal spürte sie die Präsenz von etwas unbekanntem. Es fühlte sich ähnlich an, wie der Nachtmahr, nur nicht vom gleichen Hunger und der gleichen Gier erfüllt. Sie blickte zur Seite und sah wie ein kleines flauschig aussehendes Tier auf einer Tonne sass und zu ihr rüber blickte. Es hatte einen schuppigen Bauch und die Ohren einer Katze. Ein komisches Tier!
Plötzlich rief einer der Jungen was aus und im nächsten Moment traf ein dicker Stein, die Tonne unterhalb des Tieres. Einer der Jungen hatte es entdeckt und hatte scheinbar nichts besseres zu tun, als Steine nach ihm zu werfen.
"Hey! Hör sofort auf damit!", brüllte Idril und marschierte zornentbrannt zu ihm rüber. Er warf ihr einen kurzen verächtlich Blick zu und warf dann den nächsten Stein. Das Wesen blieb seelenruhig sitzen obwohl der Stein haarscharf an seinem Kopf vorbeiflog. Kaum war Idril bei dem Jungen angekommen, holte sie aus und trat ihm kräftig zwischen die Beine. Sie konnte Leute nicht ausstehen, die Tiere aus Spass quälten. Der Junge hatte offensichtlich nicht damit gerechnet. Mit einem japsenden Laut ging er in die Knie und krümmte sich auf dem Strassenpflaster zusammen. Die anderen Kinder sammelten sich um sie und beobachteten den Streit interessiert, doch er schien schon vorüber zu sein. Idril drehte sich auf dem Absatz um und ging rüber zu der Tonne wo das kleine Wesen noch immer auf den Hinterbeinen sass.

Idril hielt erschrocken still. Die Gegenwart des Tierchens fühlte sich komisch an. Sie strich mit einer Hand über das weiche Fell. "Woher kommst du denn?", fragte sie es leise und begann langsam in Richtung Speisesaal zu gehen. Sie sollte Growndrill suchen.

Klatschnass und mit zerissenen Kleidern fand Idril die beiden unter einer Arbeiterplattform. Das Tier blieb dabei die ganze Zeit um ihren Hals gewickelt. Warum sie gerade in diese Rochtung vom Speisesaal aus gegangen war konnte sich das Mädchen nicht erklären, doch das kümmerte sie nicht sonderlich. Schliesslich hatze sie ja ihren Vater wiedergefunden.