Sie gab keine Antwort, sondern packte ihn nur mit beiden Händen und zog ihn an sich. Er lebte. Er lebte. "Es tut mir leid", flüsterte sie erstickt und klammerte sich an ihn wie eine ertrinkende. "Es tut mir so leid."

Reven lebte noch, denn er war unter den ersten gewesen, die sich zurückgezogen hatten zur zweiten Ebene, aber ein guter Teil der Söldner, zu denen er gehört hatte, waren tot. Auch Kre konnte er nirgends entdecken, und er wusste nicht, ob der Anführer dem Ansturm der Feinde oder dem schwarzen Feuer zum Opfer gefallen war, oder ob er nur von ihnen getrennt worden war. Er merkte, wie ihn die verbliebenen Männer ansahen und begriff, dass sie von ihm erwarteten, die Führung zu übernehmen.

Die Frau fand, was sie suchte. Er stand vor den Mauern, ein Schwert in der Hand. Ein feines Lächeln legte sich auf ihre Lippen. Dann löste sie sich auf wie Rauch im Wind und im selben Moment konnte sich Thjorn wieder bewegen.

Sie stolperte ihm nach und fragte sich, ob man sie überhaupt noch hineinlassen würde. Sie hatte ein Massaker angerichtet, und nicht nur an den Feinden. Sie war wie eine Ladung Zwergenpulver, die mit Feuersteinen spielte.

"Ich weiss nicht", sagte sie erstickt und starrte die Flasche an, ohne wirklich zu begreifen, was sie damit sollte. "Ich... ich bin durchgedreht. Es tut mir so leid."
Sie wusste, dass das keine Entschuldigung war. Dann es keine Entschuldigung dafür gab, was sie getan hatte. "Ich hab sie alle umgebracht", wimmerte sie fast. "Einfach ausgelöscht, wie... wie... wie Ameisen. Ich... wollte das doch nicht..."
Oh, doch, du wolltest es, sagte sie sich selbst. Du wolltest sie alle vernichten. Es war dir scheissegal, wer sie waren.
Ihr war schlecht.

Sie wusste nicht, was sie darauf antworten sollte. Sie wusste überhaupt nichts. Die Bilder von draussen schnürten ihr den Hals so zu, dass sie glaubte zu ersticken. Ohne etwas zu sagen rutschte sie näher zu Alastar, schlang die Arme um ihn und vergrub das Gesicht an seiner Schulter, wobei sie ihn so fest an sich drückte, wie sie nur konnte.

Ro war irgendwann halb schluchzend eingeschlafen, ohne Alastar loszulassen. Als sie aufwachte, lag sie neben ihm, einen Arm noch immer um seine Hüfte geschlungen. Sie drehte sich auf den Rücken und blickte an die Decke. Sie sah die geborstenen Mauern vor ihren Augen, und die weisse Asche, die alles bedeckte.
Alastar rührte sich. Sie drehte den Kopf und blickte auf zu seinem Gesicht und stellte fest, dass er wach war. "Danke", murmelte sie leise.
Schliesslich setzte sie sich auf und sah sich im Raum um. Die Flasche Honigbrand stand noch immer fast voll am Boden. Sie nahm sie in die Hand, trank einen Schluck, und fragte sich, wie sie es jemals fertig bringen sollte, diesen Raum wieder zu verlassen. Den Leuten da draussen in die Augen zu blicken, denen sie so viele ihrer Kameraden genommen hatte, ihnen, die sie an ihrer Seite geglaubt hatten. Sie fragte sich, ob sie sie hinrichten würden. Sie fragte sich, ob sie sich wehren würde, wenn ja. Sie konnte sich keinem Urteil widersetzen, dass sie selbst gefällt hätte.
Nach einer Weile ertönten Schritte auf der Treppe, dann ging die Bodenluke auf und Risk kam herauf. Ohne ein Wort stand Ro auf und umarmte sie kurz, froh, dass sie noch lebte.