"Nicht jede Ehe hat mit Alter oder eigenen Interessen und Vorlieben zu tun", meinte sie mit einem schmalen Lächeln. "Aber das kann besagter Schönling nicht wissen, immerhin scheint er sich nicht gerade mit Politik aus zu kennen... Aber etwas sollte er wissen: Meine Wahl hat nichts mit Politik oder Verzweiflung zu tun, auch wenn man es nicht glauben mag. Und sollte besagter Schönling etwas dagegen haben, so kann man dies nicht ändern. Aber er sollte, seinem eigenen Wohl zu liebe, seine Zunge im Zaum halten."

Ran biss sich auf die Zunge, um nicht auf die Bemerkung einzugehen. Es nützte nichts sich hier in der Kälte mit Lesir ein Wortgefecht zu liefern. Irgendwann. Würde sie Lesir zeigen, dass er sich besser nicht mit ihr anlegen sollte. Irgendwann. Nicht heute, aber irgendwann...
"Dann will ich dich nicht weiter aufhalten, lieber Schwager", meinte sie. "Du scheinst dringlich nach Drez zu müssen."

Ran neigte nur übertrieben den Kopf und eilte ihrerseits zur Schwarzen Festung. Sie überlegte gar nicht ob sie eintreten, oder zuerst klopfen sollte. Doch schlussendlich war es sowieso egal gewesen, da ihr niemand auf den dunklen Gängen begegnete. Sie suchte sich ihren Weg direkt zu Verays Arbeitszimmer und hielt im letzten Moment inne, um anzuklopfen.

"Wie bitte?", fragte Ran. Für einen Moment aus dem Konzept gerissen sah sie ihn gross an. Ihre Gedanken waren anderen Dingen nachgegangen, als sie eintrat.
Sie lehnte sich gegen die Tür, nachdem sie sie schloss. Ihre Augen leuchteten auf, als sie verstand was Veray meinte. "Ah Amien aus Navrila? Bist du dir sicher? Soll ich Growndrill eine Nachricht schicken?" Wenn Amien tatsächlich die Inshandra lenkte und unterstützte, dann musste sie die Information ihrem Vater und Ro weiterleiten, damit diese nicht in irgendeine Falle liefen. Immerhin schienen die beiden nicht gerade zu wissen was sie taten oder was sie erwartete. Sie waren nun mal so geschaffen, überstürzt zu handeln und sich und andere in Gefahr zu bringen.
Aber falls Amien Kopf der Inshandra war, bedeutete es auch, dass er diese Fanatiker in Immen auf sie angesetzt hatte und das ärgerte Ran ein wenig. Sie kannte den Mann flüchtig, hatte ihn ein oder zwei Mal gesehen, als sie ihre Grossmutter besucht hatte. Dieser war stets nett und höflich zu ihr und der alten Elfin gewesen. Aber je höflicher die Nagzwa waren, desto mehr schienen sie zu verbergen.
Ran nahm an, dass Amien nicht wusste, wer den Inshandra-Lur zu ihrem Untergang verholfen hatte. Also fiel Rache als Grund weg. Ausser er wusste es doch. Ihre Recherchen in Navrila und Ladril hatte sie nicht gerade unbemerkt durchgeführt...
Währendem Veray ihr antwortete kam sie langsam auf ihn zu, hörte aufmerksam und genau zu und versuchte das Brennen zu ignorieren, welches ihren Rücken hinauf kroch. Schlussendlich lenkte es sie doch ab, so sehr, dass sie nicht mehr hörte, was Veray ihr sagte oder um sie herum geschah, sondern, an den Fenstersims gelehnt, tief in Gedanken versunken nach draussen starrte.
Die Erinnerungen, die versiegelt gewesen waren fluteten ihre Sinne. Ihre Kindheit als Randreyah, die letzte grosse Schlacht gegen den Schwarzen Fürsten, ihr Leben mit Aion und ihren Töchtern und all die Tage, die sie einst als Akkaya gelebt hatte zogen an ihrem geistigen Auge vorbei. Doch es war anders als sonst. Sie drohte nicht an ihnen zu zerbrechen, oder zu ersticken. Sie nahm sie einfach hin. Immerhin waren sie ihre Vergangenheit. Sie erinnerte sich an wichtige Dinge, die ihr helfen konnten, an Fehler, die sie besser nicht noch einmal begehen sollte und an die Lösung für Najas Problem. Gerade als Ran drohte, die Welt um sich vollkommen zu vergessen, schreckte sie auf und zuckte zusammen.
Veray hatte ihr eine Hand auf die Schulter gelegt und ihren Namen gesagt oder gerufen. Sie sah ihn verwirrt mit ihren silbernen Augen an. Dann riss sie sich zusammen. "Verzeihung", meinte sie und fasste sich an die Schläfen. "Ich war... für einen Moment abgelenkt." In Wirklichkeit aber, hatte sie keine Ahnung, wie lange sie so am Fenster dagestanden hatte - ganz davon zu schweigen wann und wie sie ans Fenster gelangt war - oder was Veray so alles erzählt hatte. Ihr Rücken brannte nicht mehr, aber sie fühlte die Runen, die Zirva gestochen hatte. Ran hoffte, dass man sie nicht sah, auch wenn sie genau wusste, dass ihre Haut an den Stellen versengt war.

"Ehm", sie sah etwas ratlos in sein besorgtes Gesicht und fühlte sich miserabel schuldig. "Ja, ja... Ich war nur etwas...abgelenkt. Könntest du das ab: Fürst Amien wiederholen?", fragte sie und trat vom Fenster weg.