"Und du solltest schlafen", meinte er und küsste sie auf die Stirn. "Willst du ein eigenes Bett?"

Er lachte leise. "Keine Sorge, das macht mir nichts aus."
Sie gingen hinauf zu seinem Zimmer. Jemand hatte bereits ein Feuer gemacht und der Fensterladen war geschlossen, trotzdem war es noch recht kühl im Raum. Veray legte Holz nach, stellte seine Rüstung und die Stiefel zum Trocknen neben das Feuer und schälte sich aus seinen nassen Kleidern, während Ran unter die wollene Bettdecke kroch. Er öffnete den Schrank und fand darin ein Hemd und eine Hose, die zwar kalt, aber ganz und trocken waren. Dann kuschelte er sich zu Ran, denn zu zweit war es wärmer. Lächelnd strich er ihr über den Kopf. "Hier bist du sicher. Ich versprechs dir."

Veray saugte gedankenverloren an seiner Schreibfeder. Erst als er das Klopfen hörte, wurde ihm bewusst, dass er jetzt vermutlich schwarzblaue Lippen hatte davon.
"Ja?", fragte er, während er gleichzeitig das Buch zuschlug, in dem er geblättert hatte.

Achrat stand auf dem Kampfplatz in Drez ohne Anstalten zu machen, sich zu irgendeiner Gruppe zu gesellen. Im Gegenteil schien es, als versuche er zu allen Gruppen den grösstmöglichen Abstand zu wahren.
Nach einer Weile trat einer der Lehrer auf den schlacksigen Jungen zu. Weil er ihn noch nie gesehen hatte, nahm er an, dass er aus einem der Weiler in den Tälern kam. Dort übernahmen oft die Eltern die Grundausbildung und erst später schickte man die Kinder nach Drez. "Woher kommst du?", fragte der Lehrer.
Anstatt einer Antwort zog Achrat einen Brief aus einer Tasche seiner Kleidung und reichte ihn dem Lehrer, der ihn öffnete. Achrat wusste natürlich, was darin stand. Driss hatte ihn geschrieben, und sich dabei sehr kurz gefasst.
Dies ist mein Sohn Achrat. Er ist stumm, aber nicht taub. Bislang genoss er keinerlei Kampfausbildung. Driss von der Schwarzen Festung.
Der Lehrer las die Notiz und musterte Achrat. Dann schickte er ihn zu einer der Gruppen.

"Ja", antwortete er und legte wie beiläufig die Hand auf das Blatt, auf dem er herumgekritzelt hatte, während er sie anstrahlte.

Achrat hatte einen Stock in die Hand gedrückt bekommen und stand einem Mädchen gegenüber, das etwa einen Kopf kleiner war als er selbst. Die Übung war einfach. Der eine sollte mit dem Stock zuschlagen und dabei möglichst keine Körpersignale als Vorwarnung aussenden, weder bezüglich Moment noch Richtung des Schlags, der andere sollte den Schlag abwehren.
Achrat nahm die Gedanken der anderen wahr, wie sie sich auf den Schlag vorbereiteten, sah einen Stab auf von oben auf sich zuschnellen, hob die Hände und spürte den Aufprall der beiden Hölzer...
Im nächsten Moment lag er rücklings im Dreck. Sein linker Kieferknochen schmerzte und er begriff im ersten Moment nicht wieso. Dann sah er die Gedanken des Mädchens, das darauf wartete, dass er sich wieder aufrappelte. Sie hielt ihn für einen Vollidioten, weil er erstens den Stock gehoben hatte, bevor sie überhaupt zuschlug, und zweitens in die falsche Richtung. Er wurde nicht gerne für einen Idioten gehalten.

"Weil sie uns gestern fast umgebracht hätten?", meinte Veray. "Ich ziehe es vor, so viel wie möglich über meinen Feind zu wissen."

Drei Schläge später realisierte Achrat wirklich, was das Problem war. In dem Moment, in dem er sich darauf einstellte, einen Schlag abzuwehren, nahm er jede Absicht zum Schlag in den Gedanken der Umstehenden wahr, und er reagierte darauf. Nur wehrte er Schläge ab, die gar nicht auf ihn gerichtet waren. Mit dem Resultat, dass er verdroschen wurde.
Das war ungewohnt. Er kannte das Gefühl von Schmerz, natürlich, die Schwarze Festung war ein Ort, an dem gelegentlich jemandem etwas wehtat. Aber es fühlte sich irgendwie anders an, wenn das Signal von seinem eigenen Körper kam.