Er setzte sich auf.
"Bitte nicht weinen", sagte er und streckte die Arme nach ihr aus. "Oder doch, aber ich mag dich trösten."

"In Ordnung", sagte er und zog sie an sich. Er zerrte an der Decke herum, bis sie sie beide ungefähr bedeckte und kuschelte sich an Ran. "Du bist wunderschön", murmelte er. "Wirklich."

Er rappelte ich auf. Sein Kopf war immer noch etwas komisch, aber es ging. Noch halb träumend sah er Ran an und wollte sie einfach wieder ins Bett ziehen und den Rest des Tages verschlafen. Aber wenn er ehrlich war, hatte er damit gerechnet, dass Vakra ihn rufen würde. Immerhin hatte er noch eine Nacht herausschlagen können.
Er kroch aus dem Bett und zog sich an. Dann gab er Ran einen Kuss und ging die Treppe hinunter. "Was ist, Lashk?", fragte er den Mann, der unten auf ihn wartete.
"Vakra ruft dich. Du sollst hinauf in die Festung. Sofort", antwortete Lashk.
Veray gähnte. "Hat er auch gesagt, warum?"
"Nein", antwortete Lashk.
"Natürlich nicht", brummte Veray.
Er trat zu Ran und fragte flüsternd: "Kommst du alleine klar?"

"Ja", antwortete er. "Aber... sei vorsichtig."
Er erwiederte den Kuss, löste sich dann von ihr und folgte Lashk.

Als Veray die Festung betrat, war ihm sofort klar, dass etwas anders war. In den sonst so leeren und stillen Gängen herrschte reger Betrieb. Veray fragte sich, welche Hebel Vakra in Bewegung gesetzt hatte, um das zu schaffen.
Kaum war er die Treppe hochgestiegen, kam ihm Vakra entgegen. Ein weiteres Novum. "Hol dir Proviant und warme Sachen, du musst sofort wieder los", befahl er.
"Los wohin?", fragte Veray verwirrt.
"Lesir suchen", antwortete Vakra. "Er ist letzte Nacht in die Berge gelaufen."
Veray schnappte erst einmal nach Luft. Dann sah er Vakra direkt an. "Vater. Zwei Worte."
Vakra hielt einen Moment inne, dann nickte er knapp und trat mit ihm in einen leerstehenden Nebenraum. Veray schloss die Türe hinter sich und wandte sich zu Vakra um. "Ich werde nicht...", sagte er scharf. "...da hinauslaufen in die Berge, als älterer Bruder, der dem Vater den Lieblingssohn zurückbringen soll, dass das klar ist."
Sie wussten beide, worauf er anspielte. Vakra wusste es nur zu gut.
Einige Augenblicke schwiegen sie beide und starrten sich an. Schliesslich wandte Vakra den Blick ab. "Ich schicke dich nicht als das. Ich schicke dich, um ihm das Leben zu retten. Er ist nicht fähig, allein da draussen zu überleben, wie es Darez war. Schon gar nicht ohne Säbel. Das weisst du. Jemand muss ihn überzeugen, zurückzukehren, bevor er sich in seinem Trotz selber umbringt."
"Und da schickst du ausgerechnet mich?" Veray lachte beinahe, aber kein fröhliches Lachen. "Ist dir entgangen, dass wir uns nicht ausstehen können?" Woran du nicht ganz unschuldig bist, nebenbei bemerkt, fügte er in Gedanken hinzu.
"Nein, das ist mir nicht entgangen", sagte Vakra. "Aber er wird auf dich hören."
Veray schnaubte. "Warum sollte er?"
"Weil du so reden kannst, dass man auf dich hört", antwortete Vakra. "Du kannst ihn davon überzeugen, dass es besser ist, wenn er zurückkommt. Driss könnte es nicht."
Veray schluckte einmal leer und drehte Vakra den Rücken zu. "Streichst du mir jetzt schon Honig ums Maul, damit ich tue, was du willst?", fragte er schliesslich bitter.
"Nein", antwortete Vakra. "Ich würde dir nie eine Fähigkeit zugestehen die du nicht besitzt, mach dir da mal keine Sorgen."
Veray drehte sich um und sah noch das spöttische Kräuseln an Vakras Mundwinkel, dass er auch in seiner Stimme gehört hatte. "Dann gestehst du also ein, dass ich doch etwas kann?"
Vakra schien sich zu winden. So lange hatte er Veray als einen Nichtsnutz bezeichnet, als eine Schande, als unfähig und unnütz, dass er nicht mehr zugeben konnte, dass er sich geirrt hatte. "Du bist vielleicht nicht völlig unfähig", nuschelte er schliesslich, ohne Veray dabei anzusehen. "Alles weitere wird sich zeigen."
Veray wusste, dass er von seinem Vater wahrscheinlich nie mehr Lob hören würde als das. Das war bitter, aber es half nichts, sich etwas vorzumachen. Er wandte sich wieder von ihm ab. "Gut, ich gehe."
Hinter seinem Rücken hörte er, wie Vakra nickte und dann den Raum verliess.
Er blieb noch einige Augenblicke lang stehen, dann ging er ebenfalls, holte sich sein Reisegepäck und verliess die Festung in Richtung der Berge.