"Randreyah Verdezia", grüsste die Wache sie höflich und hielt ihr die Türe auf. "Vakra wünscht Euch zu sprechen."

Veray war einige Stunden lang in gerader Linie von der schwarzen Festung her das Tal nach hinten gegangen, weiter in die Berge hoch, so wie er an Lesirs Stelle gelaufen wäre, doch schliesslich wurde der Weg zu unklar. Deshalb setzte sich Veray einfach an das Ufer eines Baches und wartete. Es hiess, man brauchte nur lange genug still zu sitzen, dann kämen die wilden Tiere zu einem her. Auch die Wölfe.
Veray sah ihn nicht kommen, aber das hatte er auch nicht erwartet. Am Nachmittag, kurz bevor die Sonne bereits wieder hinter einem der hohen Berggrate verschwand, stand er einfach da, auf der anderen Seite des Baches, eine dunkle Gestalt, die Augen misstrauisch zusammengekniffen mit einem Blick, der sagte: Was willst du hier?
"Ich suche meinen Bruder", sagte Veray. "Hast du ihn gesehen?"
Der Vrenasz gab keine Antwort. Warum sollte er auch?
"Er ist fortgelaufen, seine Entscheidung war unüberlegt. Ich will ihm die Chance geben, sie noch einmal zu überdenken, bevor er verhungert", sagte Veray.
Der Vrenasz schwieg weiter, doch schliesslich deutete er in eine Richtung. Offenbar war er nicht sehr gesprächig. Es gab auch Vrenasz, die über den Jahren in der Einsamkeit ihre Stimme ganz verloren und gar nicht mehr sprechen konnten.
Veray nickte nur, stand auf und ging in die Richtung, in die er gedeutet hatte.

(irgendwie süss; Ran befürchtet von Vakra ein Donnerwetter, wie ein kleines Kind )

"Hier lang bitte", sagte die Wache, führte sie in den oberen Stock und dort in einen jener Räume der Schwarzen Festung, die kaum jemals benutzt wurden. Es war ein Salon mit einigen Schränkchen und Kommoden an den Wänden, einem Feuer im Kamin und einem gemütlichen Teppich am Boden, darauf ein niedriger Tisch und einige Sessel und Hocker darum herum gruppiert. Vakra sass in einem der Sessel. Als Ran eintrat, stand er auf und begrüsste sie, dann setzte er sich wieder und bat sie, ihr gegenüber Platz zu nehmen.

Veray lief eine Weile in diese Richtung, denn hier war der Weg wieder eindeutiger. Es ging immer höher ins Gebirge, die Temperaturen wurden kälter und an den schattigen Stellen lag hier noch Schnee. Nachdem die Sonne untergegangen war, ging Veray noch ein Stück weiter durch die Dunkelheit, bis er schliesslich unterhalb einer Felswand etwas oberhalb des Tals ein schwaches Licht sah. Er kraxelte die Böschung hinauf und gab sich dabei Mühe, Lärm zu machen, damit er nicht unbemerkt blieb und jemanden erschreckte.
Als er den Höhleneingang erreichte, wartete der Bewohner der Höhle bereits auf ihn. Es war eine Frau, was unter den Vrenasz eher selten war, von vielleicht hundertzwanzig oder hundertdreissig Jahren. Sie trug ihre Haare zu einem Zopf geflochten und ein Fell über den Schultern, ansonsten schwarzes Leder. An ihrer Hüfte hingen ein Säbel, ein Messer und ein leerer Köcher.
"Du bist ein Sohn der schwarzen Festung, nicht wahr?", fragte sie, noch bevor er etwas sagen konnte.
Veray nickte. "Ich bin Veray, Sohn Vakras."
"Euch erkennt man alle an der Nase", sagte die Frau. "Was willst du hier, Veray, kommst du zu uns Wölfen? Du wärst nicht der erste aus deiner Familie."
"Nein", antwortete er. "Ich bin auf der Suche nach meinem Bruder. Er ist Hals über Kopf davon gerannt, ohne irgendwelche Ausrüstung."
"Willst du ihm die Ausrüstung bringen, oder ihn zurückbeordern?", fragte die Frau.
"Zweiteres", gab Veray zu. "Ich kann ihn natürlich nicht zwingen. Aber ich werde versuchen, ihn zu überreden, zurück zu kommen. Wo etwas muss man sich besser überlegen."
Dei Frau musterte ihn, schliesslich zuckte sie mit den Schultern. "Komm erst mal rein."

"Ja", antwortete Vakra und kam ohne Umschweife aufs Thema. "Ich denke, wir sollten und über das unterhalten, was gestern Abend geschehen ist. Gelegentliche Beleidigungen und daraus resultierende Duelle sind nichts, was ein Bündnis trüben würde. Und es kann auch mal geschehen, dass bei einem solchen Duell versehentlich eine Waffe zu Bruch geht, auch wenn es sehr selten vorkommt."
Er sah Ran an. "Aber den Säbel eines Gegners absichtlich und mutwillig zu zerstören, das ist etwas ganz anderes. Das weisst du so gut, wie ich."

Das Innere der Höhle war erstaunlich gemütlich. Der Raum war zwar niedrig und durch den Eingang musste man sogar kriechen, aber dadurch war es durch das Feuer recht warm drinnen, es gab eine Bettstadt aus Fellen, einige Simse und ein Topf hing an einem Gestell über den Flammen.
Die Frau bedeutete Veray Platz zu nehmen und kauerte sich selbst ans Feuer. Sie war sehnig und wettergegerbt, nur Haut, Muskeln und Knochen, noch mehr als die Dämonen ohnehin. Sie pikste mit dem Messer ein Stück Fleisch aus dem Topf und ass es. "Ich kann dich zu deinem Bruder bringen. Er kam heute Mittag hier durch. Machte einen eher labilen Eindruck, deshalb liess ich ihn lieber alleine."
"Er ist nicht gefährlich", antwortete Veray. "Ich bin mir nicht einmal sicher, ob er auch nur ein Messer dabei hat."
"Seine Spuren sind einfach zu folgen", meinte die Frau. "Ich führ dich zu ihm. Für eine kleine Gegenleistung."
"Was für eine?", fragte Veray.

"Ich wollte dir nicht Drohen, Randreyah", stellte Vakra klar. "Es war eher eine Warnung. Ich erkenne eine politische Intrige, wenn ich sie sehe."
Er schenkte sich seinen Becher voll und auch ihr nach. "Was planst du für Sanktionen gegen Drowen?"

Vakra dachte nach. "Ich kenne die Situation in Azura nicht bis in die Details", sagte er schliesslich. "Aber es ist nicht immer das beste, Feinde an einen Ort zu schicken, an dem man sie nicht im Auge behalten kann."