Idril liess Achrat den Vortritt, damit er ihr den Weg raus aus der Schwarzen Festung zeigen konnte. Wenige Minuten später standen sie dann vor dem Eingang. Ab da übernahm Idril wieder die Führung. Ohne zu Zögern marschierte sie in den Wald und vertraute auf ihr Gefühl. Sie glaubte zu wissen, wo sich die Amarok aufhielten. Nach etwa zwanzig Minuten hörte sie dann ein leises Rascheln und das Trappeln von Pfoten auf fester Erde.
"Da sind sie!", sagte sie unnötigerweise, denn einen pferdegrossen Wolf, übersah man kaum, wenn er auf einen zutrabte. Der silberhaarige Leitwolf hielt vor Idril an, beschnupperte sie von Kopf bis Fuss und fuhr ihr dann und wann mit der Zunge übers Gesicht. Dann wandte er seinen Blick zu Achrat und Ran. Seine Haltung verriet Ruhe und eine Unbekümmertheit, die davon zeugte, dass diesem Tier kaum natürliche Gefahren drohten. "Das sind Achrat und Ran. Ran kennst du ja schon. Ran, Achrat, das ist Ailgaur, der Leitwolf.", stellte sie sie vor. Ailgaur trat vor und beschnupperte Achrat kurz. Zu Idrils grosser Überraschung fuhr er dem Jungen ebenfalls kurz mit der Zunge übers Gesicht. Ran beschnupperte er nur kurz und stupste ihre Schulter an, bevor er zurück zu Idril ging. Das Mädchen fuhr unterdessen mit ihrer Erklärung fort, "Die Zwillinge und Draugmôr jagen in einem anderen Tal. Deshalb sind sie nicht hier und Baran kümmert sich um den Welpen."

Ran seufzte auf Achrats Antwort hin und sah dem grossen Leitwolf entgegen. Sie mochte Wölfe, auch wenn sie anders waren als Drachen oder Schlangen oder Kitsune. Sie vermisste das kleine Fuchshörnchen.
Ala sie genug in ihren Erinnerungen geschwelgt hatte schüttelte sie nur den Kopf und konzentrierte sich auf das Mädchen vor sich und den Amarok.
Achrat schien kein Interesse an ihren Gedanken zu haben, was sie etwas aufatmen liess. So musste sie keinen grossen Schild um ihre Gedanken errichten.

Idril schlang die Arme um den Hals des Leitwolfs und er legte sich neben sie nieder. Dieses Mal überkam sie die Trauer nicht mehr wie eine Woge sondern, eher wie eine sachte ansteigende Flut, die sich langsam ihre Bahn brach. Sie kniete neben dem Amarok auf die Erde und vergrub das Gesicht in seinem Fell. Zum ersten Mal konnte sie in Ruhe um ihren Freund trauern. Ailgaur war erstaunlich geduldig und liess es willig zu, dass sie sich an ihn kuschelte. Er schleckte ihr den Nacken ab und seine raue Zunge brachte sie unwillkürlich zum Lachen.
Als sie nach einer Weile wieder den Kopf hob, fuhr er ihr mit der Zunge übers Gesicht. Sein Atem roch wie immer nach altem Fleisch und Blut, doch der ruhige Blick und seine Art spendeten ihr Trost. Sie wischte sich mit dem Ärmel übers Gesicht um den meisten Speichel wegzuwischen und kraulte Ailgaur, dann ein letztes Mal hinter den Ohren. Plötzlich senkte er den Kopf und kniff ihr in den Oberschenkel.
"He!", protestierte Idril wütend und rutschte ein wenig weg. "Lass dass!" Ailgaur schnaubte und stupste sie mit der Schnauze leicht an. Sie spürte, dass er sich über ihre Reaktion amüsierte und sie musste selbst grinsen. Es war wieder wie vor ein paar Monaten, als sie noch mit den Amarok rumgezogen war und Biredh ihr am Abend immer was vorgespielt hatte. Sie wollte sich gerade umdrehen, um die anderen zu fragen, ob sie Ailgaur streicheln wollten, als Baran mit dem neuen Welpen zwischen den Bäumen auf sie zutrat. Mit einem kleinen Jubelschrei fiel Idril der braunen Wölfin um den Hals und wurde selbst von Kopf bis Fuss beschnuppert. "Wenn ihr wollt, könnt ihr sie mal streicheln. Baran ist viel geduldiger als Ailgaur.", sagte sie zu ihren Begleitern.

Ran trat wortlos auf den grossen Silberwolf zu, dessen Augen sie nur ruhig verfolgten. Sie spürte die Anspannung des Amarok, die jedes Tier zeigte, wenn es Fremden begegnete. Sie streckte ihm die gesenkte Faust und ihren Geist entgegen und wartete darauf, dass der Wolf ihr die Erlaubnis gab ihn anzufassen. Als sie die hatte, fuhr sie ihm durch das raue Fell den Hals entlang, strich ihm mit den Fingerrücken über den Kiefer und beobachtete wie sich das Licht in seinem Fell brach und es zum schimmern und leuchten brachte.
"Du erinnerst mich an meinen Vater, weisst du", murmelte die Frau und zeigte dem Wolf das Gefühl, das der Aussage entsprach. Der Wolf schien amüsiert, denn er stupste sie nur mit dem Kopf an und liess sich weiterstreicheln.
Mit Tieren zu reden war nicht schwer. Sie kommunizierten teils so, wie die Drachen. Meist brauchten sie aber nichteinmal den Geist eines anderen Wesens zu berühren, um zu sprechen, solange ihr Gegenüber nur zuhörte.

"Willst du nicht wissen, wie sich das Fell des Amarok anfühlt?", fragte Ran Achrat und strich dem Wolf über die Stirn. "Für dich meine ich. Ein Gefühl aus erster Hand. Du nimmst sowieso die Gefühle und Gedanken des Tieres wahr, also macht eine Berührung nicht viel Unterschied, ausser, dass sie durch deine eigene Empfindung verstärkt wird... So als würdest du die Gedanken lauter hören und dir selber über die Haut streichen, aber doch anders... Und der Wolf beisst nicht", fügte sie mit einem breiten Grinsen hinzu.
Sie wusste, das Veray hinter ihnen stand. Solange sie ihren Geist die Wölfe umgeben liess, fühlte sie alles Leben in einem gewissen Umkreis. Etwas, das sie schon eine Weile nicht gemacht hatte. Es war ein schönes Gefühl, als wäre sie die Luft selbst, geborgen und warm. Ran wandte sich lächelnd Veray zu, wobei sie darauf achtete nicht in seine Gedanken vorzudringen.
"Du musst also sofort aufbrechen?", fragte sie ihn und kam auf ihn zu, warf einen kurzen Blick auf Idril, doch dem Mädchen ging es bei den Wölfen gut.

Sie sah kurz zu Achrat. "Es ist schade, wenn man die Eindrücke aller kennt, jedoch keine eigenen hat... Es wäre schön, wenn du später mit mir einen Tee trinkst. Nur wenn du Lust hast, natürlich... Aber entschuldige kurz. Ich will mich noch schnell verabschieden."

Sie wandte sich wieder Veray zu. "Komm mit, Schlafmütze", meinte sie grinsend, nahm ihn beim Vorbeigehen am Arm und führte ihn hinter einige Bäume. Mara musste ja nicht unbedingt alles mitbekommen. Vorallem nicht wie Veray sich aufregte - falls er es tun würde, man konnte ja nie wissen.
"Ich habe Vakra gefragt ob er die Tafel unterzeichnet, den Vertrag zwischen euch und Verdezia... Die Tafeln, die uns Karim gezeigt hat... Und ich habe ihm vorgeschlagen ein Fest abzuhalten, um das Miteinander unserer Clans und unserer Verbündeten zu ... verbessern", erklärte sie. "Und Vakra hat mich gefragt, wann wir heiraten werden." Die Art, wie sie den letzten Satz sagte, liess erahnen, dass sie eine Antwort auf Vakras Frage im Sinn hatte.