Veray ignorierte die Bemerkung, als hätte er sie bereits nicht mehr gehört. Aber er hatte sie gehört. Und Veray gehörte nicht zu jenen Leuten, die einen Gedanken einfach beiseite schoben, wenn sie ihn nicht mochten. Er dachte alles zu Ende. Wie bitter dieses Ende auch sein mochte.

Mitte Juli

Zwei Wochen lang war Veray durch die Berge gelaufen, zum Teil zu Pferd, zum Teil zu Fuss, wo die Wege selbst für die trittsicheren Hufe des Dämonenpferdes zu steil waren. Er hatte Familien besucht, die noch nie von Vakra gehört hatten, geschweige denn von ihm selbst, die nur wussten, dass sie einem Clan angehörten, dessen Wappen rot-schwarz war wie trocknendes Blut, ein Säbel und eine Feder gekreuzt. Veray erzählte ihnen von Vorsza und meist war einer oder zwei darunter, die zumindest mit dem Namen etwas anfangen konnten. Er erzählte ihnen von Vakra, Vorsza's Sohn, und vom Clan der Verdezia und dem uralten Bündnis. Einige wussten davon, weil sie selbst mit entfernten Angehörigen jenes Clans zu tun hatten, aber in den abgelegenen Gebirgssiedlungen musste er zum Teil sehr weit ausholen. Allen verkündete er die Einladung zum Fest, eine Einladung, die auch bedeutete, dass sie für die Zeit der Festivitäten in der Schwarzen Festung oder in Drez untergebracht und verköstigt würden. Viele sagten zu, andere meinten, sie wären sich noch nicht sicher, da zu der Zeit Ernten eingebracht werden müssten, oder weil die Tochter schwanger war, oder der Weg schlicht zu weit. Von der Hochzeit sagte Veray nichts direkt, auch wenn er es gelegentlich andeutete. Er sprach mit den Leuten, liess sich von ihnen und erzählen und ergänzte die Aufzeichnungen der Stammbäume um angeheiratete, geborene und gestorbene Familienmitglieder. Bei gewissen Seitenzweigen fehlten zwei oder drei Generationen komplett. Ihm wurde bewusst, das seit der Zeit, als Vorsza noch jung gewesen war, niemand mehr dieses Buch wirklich nachgeführt hatte. Es war ein merkwürdiges Gefühl, so in den Spuren seines Grossvaters zu wandern.
Schliesslich kehrte er nach Drez zurück, müde, hungrig, aber zufrieden, denn es war ihm gelungen, sie alle zu finden, und alle früh genug, dass sie es noch schaffen konnten. Vermutlich waren einige bereits jetzt auf dem Weg. Aber die Gewissheit, seine Aufgabe erfüllt zu haben, war nicht das einzige, was seine Stimmung hob, als er über den Pass ritt, der von Norden her zum Drashn-See führte, und in der Ferne Drez an das Seeufer geschmiegt sah. Er freute sich darauf, Ran endlich wieder in die Arme schliessen zu können, und die Sehnsucht nach ihr liess ihn das Pferd zu einem Trab antreiben.
Bis er Drez erreichte, war es tiefste Nacht und er fragte sich, ob er Ran wirklich um die Zeit aus dem Schlaf holen sollte, oder zuerst zur Festung hinauf reiten, oder im Seewirt übernachten, um sie am Morgen zu besuchen, aber noch während er abwägte, lenkten seine Knie das Pferd in Richtung von Karims Haus. Ein Lächeln zog sich über seine Lippen, als er es merkte. Er vermisste sie viel zu sehr, als dass er überhaupt ein Auge hätte zu tun können mit dem Wissen, dass sie so nahe war.
Also stellte er das Pferd selbst im Stall der Verdezia unter und ging dann zur Haustüre. Das Herz schlug ihm bis zum Hals, als er die Hand hob, um anzuklopfen. Wenn er ehrlich wahr, fürchtete er in dem Moment, wenn er Ran sah, einfach umzukippen vor Freude. Hoffentlich war sie hier.

"Ich denke, die Festgesellschaft in einer Woche wird ziemlich gross sein, und ich würde das als erfreulich bezeichnen", meinte er lächelnd. "Ist Ran hier?"

Er dachte einige Augenblicke lang nach. "Wie weit ist es zu der Burg?", fragte er.

"Nein danke, ich denke, ich werde es finden", antwortete Veray. Er nickte Karim zu und verabschiedete sich von ihm, dann holte er sein Pferd und schwang sich wieder in den Sattel. Das Tier war nicht unbedingst begeistert darüber, dass er ihm nach dem überlangen Tag immer noch keine Ruhe gönnte, und er selber war ebenfalls hundemüde, aber die zwei Stunden würden sie auch noch durchhalten.
Als sie das Ziel schliesslich erreichten, begann es im Osten bereits heller zu werden und er konnte den Schemen der Festung ausmachen. Karim hatte ihm beschrieben, wo die Häuser der Verdezia in der Nähe waren, und er klopfte einfach an die erstbeste Tür. Jemand unbekanntes öffnete ihm nach einer Weile, mit einer Laterne in der Hand. "Ich suche Randreyah Verdezia", sagte Veray müde.