#831

RE: Drez (Stadt der Schattendämonen)

in Dreitan - das Spiel 03.08.2013 02:46
von Ro Raven | 10.532 Beiträge

Trotz ihrer Bemühungen wach zu bleiben, musste sie irgendwann eingenickt sein, denn als sie die Augen wieder öffnete war es so hell, dass die Sonne schon lange aufgegangen sein musste, auch wenn sie das Tal noch nicht erreicht hatte. Sie sah sich um und brauchte einen Augenblick um zu begreifen wo sie war. Vor ihr lag ein Platz, auf zwei Seiten von einer Felswand umgeben, an die dritte grenzte eine Art steinerne Rampe, die bis zu einem Felsgrat hinaufreichte. Der Platz war kreisrund, umgeben von einem Kranz hoher, schwarzer, scharfkantiger Felszacken. Die Schattenspitzen.
Sie stand auf und ein Moment lang wurde ihr schwindlig vor Hunger, aber das Gefühl legte sich und sie trat zwischen die Zacken. Am Rand des Platzes blieb sie stehen. Dieser Ort verströmte etwas. Es war wie ein Geruch. Und er war Ro vertraut, so vertraut, als hätte sie ihn ihr Leben lang gespürt. Sie begriff: dieser Ort war so tief mit der Vergangenheit der Dämonen, mit der Vergangenheit ihrer Familie verknüpft, dass die Schattenspitzen selbst sie umgaben wie ein wachender Kreis von Vorfahren. Sie blickte auf die drei Konzentrischen Kreise, Metall getränkt von Blut, über Jahrtausende hinweg. Im Zentrum war eine kleine Vertiefung. Darin lag das Amulett.
Ein plötzliches Gefühl veranlasste sie, den Blick zu heben. Sie sahen sich genau gleichzeitig, Lesir zwischen den Zacken, wo der Pfad auf den Platz mündete, sie auf der gegenüberliegenden Seite. Sie waren exakt gleich weit vom Zentrum entfernt. Ihre Blicke trafen sich und Ro wusste, dass der wirklich harte Teil des Drevn da Jachar nicht die Überquerung der Berge gewesen war. Sie rannten beide los.
Ro erkannte noch bevor sie den zweiten Ring übertrat, dass sie die Mitte genau gleichzeitig erreichen würden. Sie machte zwei weitere Schritte, dann sprang sie in die Höhe, um Lesir gegen den Kopf zu treten. Er tat das selbe und sie prallten in der Luft aufeinander wie zwei kämpfende Hunde. Ro prallte zurück und krachte hart auf den Stein, rollte sich ab und kam wieder auf die Füsse. Sie standen sich wieder gegenüber und starrten sich an, keiner wandte den Blick auch nur einen Moment vom anderen, obwohl das Amulett keine zwei Schritte von ihnen entfernt lag, denn beide wussten: wenn der eine sich auf das Amulett stürzte, stürzte sich der andere auf ihn und er würde durch die Ablenkung verlieren. Sie mussten sich zuerst besiegen.
Ro ballte die Fäuste und griff an. Das Feuer in ihr brauchte keine Sekunde um aufzulodern und sie wurde zu einem Wirbel aus Schlägen und Tritten. Lesir antwortete auf die selbe Weise und schon nach wenigen Atemzügen lief beiden das Blut aus der Nase. Es rann über Mund und Kinn, die roten Tropfen zerplatzten auf dem steinernen Boden. Für jemand aussenstehenden, für jemanden, der ein Gespür für Magie besass, hätte jeder Tropfen geklungen wie ein Donnerschlag. Der Boden schien das Blut förmlich aufzusaugen und die Schattenspitzen erzitterten unter der erwachenden Energie.
Weder Ro noch Lesir hatten die Zeit, darauf zu achten, und dennoch blieb es nicht ohne Auswirkung. Ro spürte, wie ihr Puls, der ihr mit jeden Herzschlag Feuer durch die Adern jagte, langsamer wurde, langsamer und tiefer. Er war wie ein Rhythmus, der zuerst ihre Wahrnehmung ergriff, dann ihr Denken, schliesslich ihren Körper. Er erfüllte sie mit Wut und brennendem Hass, und mit der Kraft, die einen unmögliches tun liess. Sie wirbelte so schnell herum, dass Welt zu farbigen Schlieren wurde und trat Lesir in die Eingeweide.
Er flog rückwärts gegen eine der steinernen Säulen und der scharfkantige Fels riss ihm die Haut auf. Ro war über ihm, bevor sie daran dachte zu springen, aber er drehte sich weg, bekam sie zu fassen und schleuderte sie seinerseits gegen die Spitze. Die Kanten waren wie Messerklingen, schnitten in ihre Arme und Beine und ihre Stirn, wo sie keine Rüstung trug. Ohne den Schmerz zu spüren, stützte sie sich mit den Händen an dem Stein ab, stiess sich explosionsartig davon weg und nutzte den Schwung zu einem Tritt in Lesirs Gesicht.
Er taumelte zurück. Blut lief aus ihrer beider Wunden und färbte den Boden rot. Ro ballte ihre zerschnittenen Hände und schlug zu, wieder und wieder, im Takt ihres Herzschlags, im Rhythmus, den ihr die Schattenspitzen vorgaben, im Verlangen nach mehr Blut. Sie spürte keinen Schmerz, wenn Lesir sie traf, nicht einmal Wut. Nur den grausamen Wunsch zu zerstören.
Schliesslich ging Lesir zu Boden. Ro schlug ihm noch zweimal ins Gesicht, bis er nicht mehr aufstand, dann sackte sie neben ihm in die Knie, keuchend und zitternd vor Anstrengung. Langsam kam sie zu sich und im ersten Moment musste sie die Zähne zusammen beissen, um nicht vor Schmerz zu wimmern. Sie richtete sich auf und drehte Lesirs Kopf zur Seite. Sein Gesicht sah übel zerschlagen aus, aber nicht so, dass es lebensbedrohlich gewesen wäre, das gleiche galt für die Schnittwunden. Sie zog ihm den Umhang aus und riss ihn in Streifen, mit denen sie ihm Hände und Füsse fesselte, dann zog sie ihn zu eine der Felszacken und lehnte ihn dagegen.
Als sie aufstand, wurde ihr schwarz vor Augen und sie wäre beinahe gestürzt. Zuerst glaubte sie, es sei der Blutverlust, aber so viel war es nicht gewesen. Dann knurrte ihr Magen und erinnerte sie schmerzhaft daran, dass sie seit über zwei Tagen nichts gegessen hatte. Ein Tropfen Blut fiel von ihrer Hand und zerplatzte am Boden. Plötzlich wurde der Blutgeruch, der schon die ganze Zeit auf ihren Lippen lag, so intensiv, dass er alles andere ausblendete. Ohne zu verstehen was sie tat, bückte sie sich, wischte den Tropfen von dem glatten Stein und leckte das Blut von ihrem Finger. Es schmeckte besser als alles, was sie sich erinnern konnte jemals geschmeckt zu haben. Sie begann das Blut von ihren Händen und Armen zu saugen, wo es schon eingetrocknet war, dann bückte sie sich nach den Spuren am Boden.
Plötzlich wurde ihr klar, was sie da tat. Und wohin es führen würde, wenn sie sich nicht sofort zusammenriss. Im selben Moment begriff sie, was sie im Grunde von Anfang gespürt hatte: die Schattenspitzen waren nicht einfach Felsen. Sie waren viel mehr. In ihnen lag Magie, dunkle Magie. Magie, die lebte von Feuer und Blut. Die Schattenspitzen trugen den uralten Geist in sich, den Wahnsinn, der auch in ihr selbst lauerte. Die Ausstrahlung dieses Ortes hatte den Blutdurst in ihr geweckt. Wahnsinn war ein Durst, den man nicht stillen konnte, das wusste sie. Sie hätte ihr eigenes Blut getrunken und das am Boden. Und dann hätten sich ihre Gedanken unweigerlich darauf gerichtet, mehr Blut zu bekommen. Auf Lesir.
Sie wich unwillkürlich zurück und riss ihren Blick von den dunklen Flecken am Boden los. Dann schnappte sie das Amulett in der Mitte des Kreises und lief in die Schlucht, die nach Drez hinunter führte.


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#832

RE: Drez (Stadt der Schattendämonen)

in Dreitan - das Spiel 05.08.2013 18:38
von Ro Raven | 10.532 Beiträge

Der Weg durch die Schlucht war lang und sie rannte nur dort, wo es leicht ging, denn alles an ihr tat weh und sie war müde. Lesir würde sie nicht einholen können, sie bezweifelte, dass er die Fesseln aufbringen würde und selbst wenn würde er dafür so lange haben, dass sie die Festung lange vor ihm erreichte. Sie fragte sich, wo eigentlich Veray war. Vakra hatte die Startpunkte wahrscheinlich so gewählt, dass sie alle etwa gleichzeitig bei den Schattenspitzen eintreffen sollten, theoretisch hätte sie Veray also begegnen müssen, ausser Lesir hatte ihn schon vorher ausser Gefecht gesetzt. Oder aber Veray hatte sich von Anfang an gar nicht die Mühe gemacht, hierher zu kommen. Ihm musste klar sein, dass er in einem Kampf weder gegen Ro noch gegen Lesir eine Chance hatte. Und er war von Anfang an gegen den Drevn da Jachar gewesen.
Der Weg bog von dem Bachbett, dem er eine Weile gefolgt war, und das sich hier tiefer in den Stein frass, ab und wurde sehr schmal, zwischen einigen Metern hohen Felswänden. Ro bog um eine Ecke und stand plötzlich vor einer Wand von Steintrümmern und Schutt, die die Passage blockierte. Irritiert blickte sie nach oben und fragte sich, woher das Zeug gekommen war. An den Felswänden war keine Abbruchstelle, aber es konnte natürlich von weiter oben hinuntergerutscht sein. Sie versuchte auf den Schutthaufen zu klettern und fluchte, denn das Geröll war so lose, dass sie keinen Meter hinauf kam, es riss ihr nur die Hände auf.
Sie trat einen Schritt zurück und sah den Haufen an. Merkwürdig, als Lesir hier hindurchgekommen war, konnte er noch nicht hiergewesen sein. Also musste er in der Zwischenzeit hinunter gefallen sein. Was für ein Pech! Dann schalt sie sich einen Idioten. Natürlich konnte das Geröll schon hier gewesen sein. Lesir hatte einfach einen Weg darum herum gefunden. Und das war auch nicht allzu schwierig, denn die Felswände hier waren alles andere als glatt.
Sie begann zu klettern und als sie auf der Höhe des Haufens war, suchte sie einen Weg an der Wand quer hinüber, doch sie fand keine Stelle, der Stein war dort zu glatt. Also blieb ihr nichts anderes übrig, als bis ans obere Ende der Felswand zu klettern. Es war nicht sehr hoch, nur etwa vier Meter, trotzdem liess die Anstrengung ihre Muskeln zittern. Schliesslich schlossen sich die Finger ihrer linken Hand um die obere Kante. Im nächsten Moment durchfuhr sie ein heftiger Schmerz.
Sie blickte nach oben und sah, dass ein Stiefel auf ihre Hand getreten war. Darüber zeichnete sich Verays Gesicht dunkel gegen den hellen Himmel ab. Er trug einen angespitzten Stock in den Händen. "Sorry", sagte er und schlug mit dem stumpfen Ende zu.

Als sie wieder zu sich kam, lag sie auf dem Rücken. Vor ihrem verschwommenen Blick sah sie zwei Felswände und einen schmalen Streifen blauen Himmel dazwischen. Ächzend richtete sie sich auf. Es fühlte sich an, als wäre ihr ganzer Körper ein einziger blauer Fleck, und jeder Muskel protestierte gegen die Bewegung, schmerzhafte Stiche fuhren ihr durch den Kopf. Das Amulett war weg. Natürlich. Wie hatte sie so blöd sein können? Der Schutthaufen war eine Falle gewesen und sie war blindlings hineingerannt. Bestimmt war Veray längst über alle Berge.
Immerhin hatte er sie nicht gefesselt. Und immerhin hatte sie sich bei dem Sturz nicht alle Knochen gebrochen. Trotzdem ärgerte es sie zutiefst. War wirklich die ganze Mühe, hierher zu kommen, umsonst gewesen? Sie fasste sich an den schmerzenden Hinterkopf und spürte Blut. Das erklärte die Kopfschmerzen. Und es erklärte noch etwas. Das Blut war noch nicht eingetrocknet, also konnte sie nicht lange bewusstlos gewesen sein. Das bedeutete, Veray war noch nicht weit weg. Sie sprang auf und rannte ihm nach.

Sie lief so schnell sie konnte. Es war ein Tempo, dass sie nicht lange würde durchhalten können, aber sie hatte nur eine Chance, ihn einzuholen. Bald endete die Schlucht und der Pfad führte einer abhaldigen, schneebedeckten Wiese entlang, die in der Talsohle in ein Bachbett mündete und unter der hochaufragenden Felswand darüber Falten schlug wie ein Vorhang, sodass der Weg immer wieder in den Einbuchtungen verschwand.
Ro sah Veray an einem der äusseren Bögen gehen, weit entfernt. Sie lief den Hang hinauf, bis sie eine flachere Stelle knapp unter den Felsen erreichte und rannte dort weiter, denn so sparte sie die Kurven. Und sie konnte Veray überholen, ohne dass er es merkte, wenn sie darauf achtete, keine Steine los zu treten und er nicht nach oben blickte. Schmerz und Müdigkeit zerrten an ihr wie schwere Gewichte, doch ihre Sinne bereiteten sich bereits auf den Kampf vor, der unweigerlich folgen musste, wenn sie ihn abpasste.
Schliesslich hatte sie genügend vorsprung und gelangte zu einigen Felsbrocken neben dem Weg. Sie kletterte hinauf und legte sich auf die Lauer. Es dauerte nicht lange, bis Veray auftauchte. Er joggte und trug noch immer den Stock in der Hand. Ro konnte sich die Bewunderung nicht ganz verkneifen. Er war immerhin der einzige von ihnen gewesen, der auf die Idee gekommen war, sich eine Waffe zu machen, wenn man ihm die üblichen wegnahm. Sie spannte die Muskeln an und sprang.
Veray bemerkte die Bewegung und hob den Stock rechtzeitig, um sie abzublocken. Er fluchte laut über ihre Unverwüstlichkeit, zögerte aber keinen Moment lang, zuzuschlagen. Ro fing den Schlag mit den Unterarm ab, Veray wirbelte das Holz sofort herum und stiess mit dem anderen Ende nach ihrem Bauch. Er war schnell, schneller als sie ihm zugetraut hätte, aber das Training mit Vron zahlte sich aus, Ro blockte mit dem Stiefel und trat nach Verays Händen. Er entging dem Angriff, täuschte einen Schlag gegen den Kopf vor und traf dann unvermittelt ihre linke Seite.
Der Schmerz liess sie einen Augenblick lang taumeln. Sie begriff, dass sie zu langsam war. Der Marsch über die Berge und der Kampf gegen Lesir, Hunger und Blutverlust forderten ihren Tribut. Schnell hatte sie sich wieder im Griff, aber der Augenblick des Schwankens reichte Veray, um das stumpfe Ende des Stockes mit Wucht auf ihre Nase zu schlagen. Schmerz flutete durch ihren Kopf und löschte jeden Gedanken aus. Sie spürte, wie ihr das Blut aus der Nase und über das Gesicht lief. Eine Erinnerung kam in ihr hoch, heiss und vernichtend wie Feuer. Sie drehte komplett durch.
Bevor Veray zurückspringen konnte, trat sie mit ihrem ganzen Gewicht gegen seinen rechten Unterarm, es knackte und er schrie auf. Mit einem zweiten Tritt riss Ro ihm den Stock aus den Händen, er flog durch die Luft und landete einige Schritte entfernt auf dem Weg. Einen Augenblick lang sah Veray aus, als würde er gleich ohnmächtig werden vor Schmerz und Ro schlug mit der Faust zu. Zu spät begriff sie, dass er ihr eine Falle stellte, schon wieder. Er wich dem Schlag aus und rammte ihr den linken Ellbogen ins Gesicht. Sie taumelte rückwärts, stolperte über einen Stein und fiel hin. Das Feuer in ihr rang gegen die Dunkelheit der Bewusstlosigkeit und einige Augenblicke lang lag sie da, ohne sich bewegen zu können.
Veray trat auf sie zu. In der Hand hielt er einen Stein. "Sorry", sagte er abermals und holte aus.
Das Feuer gewann. Es reagierte blitzschnell und instinktiv. Ro's Hand schloss sie um den Stock neben ihr, hob ihn hoch und richtete ihn gegen Veray. Veray sah es, aber es konnte seinen Schwung nicht mehr bremsen. Ein merkwürdiges, dumpfes Geräusch entrang sich seinen Lippen, als die Spitze das Leder des Panzers durchdrang und sich in seine Eingeweide bohrte. Der Stein entglitt seiner Hand und rollte über den Pfad, Veray kippte zur Seite wie ein gefällter Baum und blieb liegen.
Als Ro begriff, was sie getan hatte, wurde ihr schlecht. Sie stemmte sich hoch und beugte sich über Veray. Er war bei Bewusstsein und starrte mit grossen Augen in den Himmel. Der Schmerz schien noch nicht bei ihm angekommen zu sein. Ro packte ihn an den Schultern und schüttelte ihn. "Veray, hörst du mich?"
Er murmelte etwas Unverständliches und hustete mit schmerzverzerrtem Gesicht. Dann hob er die Linke, unverletzte Hand zu seinem Hals, zog sich das Amulett über den Kopf und hielt es Ro hin. Seine Stimme war kaum mehr als ein Flüstern. "Richte Vakra aus... ich hab ihn gewarnt."
Ro stand einen Augenblick nur da mit dem Amulett in der Hand und wusste nicht, was sie tun sollte. Der Sieg hatte seine Bedeutung irgendwie verloren. Sie wollte nicht, dass Veray starb. Nicht... nicht durch ihre Hand. Aber sie wusste, dass sie es nicht schaffen würde, ihn bis zur Festung zu tragen. Also gab es nur einen Weg. Sie musste schnell sein, schneller als eigentlich möglich.
Sie packte Veray vorsichtig unter den Achseln und zog ihn zwischen die Felsen, damit er vom Wind geschützt war. "Zieh den Stock nicht heraus!", schärfte sie ihm ein. "Und bleib wach, verdammt! Ich komme wieder! Halt durch!"
Sie sprang auf und lief davon.

Sie rannte, so schnell ihre Beine noch hergaben, aber im Grunde war sie am Ende. Sie hatte eine Abkürzung genommen, aber der Weg war trotzdem weit und sie hatte das Gefühl, viel zu langsam zu sein. Aber sie konnte nicht schneller laufen, sie konnte einfach nicht. Ihre Füsse fühlten sich an, als steckten sie in bleiernen Stiefeln, das Geräusch ihres Atems und das Pochen ihres Blutes in den Ohren übertönten alles andere und sie sah kaum noch den Weg vor sich.
Unter ihren Füssen glitten einige Steine weg und ihre verwirrten Sinne brauchten eine Weile, um zu verstehen, dass sie fiel. In stiebendem Schnee rollte sie einen Hang hinunter, die nasse Kälte drang ihr in Mund und Nase, sie wusste nicht mehr, wo oben und unten war. Schliesslich nahm das Kreiseln ein Ende, sie rappelte sich mühsam auf und sah vor sich ein weisses, fast flaches Feld. Auf der anderen Seite davon standen die schwarzen Mauern der Festung.
Sie wankte die letzten Meter und schlug gegen die Tür. Jemand öffnete und lies sie wortlos eintreten, sie schleppte sich die Stufen hinauf und betrat die Halle. Vakra stand dort, am Kopfende, und wartete auf sie, als hätte er während der vergangenen drei Tage so dort gestanden. Sie versuchte, sich zu einer geraden Haltung aufzurichten, trat ihm entgegen und streckte ihm mit zitternder Hand das Amulett hin.
Vakra nahm es entgegen. "Du hast gewonnen", stellte er fest und für Ro's Ohren klang seine Stimme irgendwie verzerrt. "Gut gemacht."
"Holt Veray", sagte sie, so laut sie konnte. "Er verblutet. Ich habe... ihn aufgespiesst."
Sie beschrieb Verays Ort und sofort liefen einige Leute aus dem Raum. "Und Lesir ist gefesselt bei den Schattenzinnen", schloss sie.
Sie sah Vakra an und er erwiderte ihren Blick. Dann kippte die Welt und der Boden kam rasant näher.


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#833

RE: Drez (Stadt der Schattendämonen)

in Dreitan - das Spiel 05.08.2013 18:59
von Randreyah | 11.751 Beiträge

Einen Tag hatte sie gebraucht um Drez zu erreichen. Ran wusste nicht wieso, aber in letzter Zeit wurde sie hin und wieder von Übelkeit und Kopfschmerzen geplagt. Nichts, kein Tee oder sonst ein Beruhigungsmittel hatten dagegen geholfen. Und während ihrer Reise vom Östlichen Gebirge hierher wäre sie mehrmals am liebsten irgendwo gelandet und dort geblieben.
Als sie in Drez angekommen war, war das erste was sie tat, einen Arzt aufsuchen. Sie hatte Glück, dass Pard in der Stadt war, um einige Besorgungen zu erledigen.
Jetzt sah der Dämon sie verständnislos an. „Du bist nicht vergiftet“, wiederholte er. „Was dann?“, fragte sie und sah ihn mürrisch an. Wollte oder konnte Pard nicht verstehen, dass sie wirklich alles ausprobiert hatte, um ihre Schmerzen zu lindern? Pard seufzte und massierte sich die Schläfen. „Ich weiss nicht wie ich es dir erklären soll“, sagte er dann und lehnte sich gegen den Tisch, etwas weiter von dem Bett, auf dem sie sass. Sie waren in Pards Höhle, die er als Praxis für seine Patienten in Drez gebrauchte. Meistens bestand aber seine Klientele aus Dämonen, die wieder zusammengenäht oder eingerenkt werden mussten.
„Du machst Witze, oder?“, fragte sie verwirrt, als er ihr die Diagnose mitteilte, doch der Schatten schüttelte den Kopf. „Nein… Egal was du gerade machst, du solltest es lassen und stattdessen für die nächste Zeit nach Lovit gehen… Oder sonst einen ruhigen Ort“, sagte er und ging zur Tür. Ran begriff nicht. Sie war … Nein, das konnte nicht sein. Die Kopfschmerzen waren verschwunden. Sie konnte nicht klar denken. Benommen wankte sie zur Tür und trat hinaus. Kühle Luft empfing sie. Sie brauchte eine Nacht, um über alles nachzudenken.


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#834

RE: Drez (Stadt der Schattendämonen)

in Dreitan - das Spiel 06.08.2013 02:58
von Ro Raven | 10.532 Beiträge

Am nächsten Tag stand Ro wieder in der Halle. Vakra, Driss, Achrat, Nera und ein Teil des Hausstandes war versammelt. Neben ihr stand Lesir. Wie sie selbst war er in Verbände gewickelt. Man sah sie bei ihm weniger, da seine Hände verschont geblieben waren im Gegensatz zu ihren, die mit dicken Bandagen umwickelt waren, aber sie bemerkte es an seiner steifen Art sich zu bewegen. Sie selbst war erst vor einer Stunde wieder aufgewacht. Man hatte ihr etwas zu essen gegeben, dass sie einigermassen auf die Beine brachte, aber sie fühlte sich miserabel. Und das lag nicht nur an ihrer körperlichen Verfassung.
Veray fehlte. Die Stelle rechts von ihr, wo er hätte sein sollen, war leer. Denn Veray lag in seinem Zimmer auf dem Bett, immer noch bewusstlos von den Betäubungsmitteln, die man ihm gegeben hatte. Er hatte gerade noch so gelebt, als sie ihn hergebracht hatten. Im Moment sah es aus, als würde er es schaffen. Aber das konnte von einer Stunde auf die andere drehen.
Ro liess die folgende Zeremonie über sich ergehen. Vakra liess sie vortreten, ehrte ihre Leistung mit einigen Worten, sagte einige weitere über die glorreiche Vergangenheit und die hoffentlich ebenso glorreiche Zukunft der Familie. Es machte Ro halb verrückt, ihn so reden zu hören. Einer seiner Söhne schwebte in Todesnähe, und er sprach, als hätte er gerade eben einem Sportereignis beigewohnt. Sie verspürte den Drang, ihm dermassen eins in die Fresse zu schlagen, dass er für eine Weile nicht mehr reden konnte, aber sie tat es nicht. Nicht dass sie noch ein Familienmitglied fast umbrachte. Auch wenn es ihr bei Vakra weniger leid getan hätte als bei Veray.
"Es ist Tradition, dass der Sieger des Drevn sich seine Belohnung aussuchen kann", schloss Vakra. "Sofern sie nach Ermessen des Clanführers angemessen ist. Was forderst du an, Ro?"
Ro starrte Vakra an. Sie sah das Blitzen in seinen Augen, das Zucken um seinen Mundwinkel. Sie wusste, was er erwartete. Darum, dass sie bat, die Severjazka vorziehen zu dürfen. Sie sollte noch einmal darum flehen, damit er es ihr dann vielleicht - wenn es gerade seinem Gusto entsprach - bewilligte. Aber das würde sie nicht tun. Es gab ein Mass an Unterwürfigkeit, dass sie niemals überschreiten würde. Und dieses war erreicht.
Sie sank auf ein Knie, wie das Protokoll es verlangte, blieb aber aufrecht und sah Vakra fest in die Augen. "Ich fordere, dass die Strafe von zehn Peitschenhieben, die die Verlierer trifft, von Veray auf mich übertragen wird. Er ist gestraft genug."
Stille herrschte im Saal. Vakra vermochte nicht zu verbergen, dass er mit dieser Forderung nicht gerechnet hatte. Er brauchte einige Momente, um sie voll zu verstehen, und noch ein gutes Stück länger, um eine Entscheidung zu treffen. Ro wusste warum. Sie sagte mit diesen Worten zwei Dingen. Zum einen, dass es ihr Leid tat, was sie Veray angetan hatte, und dass sie es wieder gut machen wollte, wenn es irgend ging. Zum anderen, dass sie nicht aus Angst vor der Strafe um den Sieg gekämpft hatte, sondern allein, um zu gewinnen.
Schliesslich nickte Vakra langsam, allerdings nicht, ohne dass dabei ein Hauch von Misstrauen in seinen Augen aufflammte. "Die Forderung sei dir gewährt. Die Auspeitschung wird heute Abend stattfinden. Das gilt auch für dich Lesir."
Lesir senkte den Kopf im Versuch, weder Angst noch sonst etwas zu zeigen. Ro hatte Angst, ja. Aber im Moment war sie zu wütend auf Vakra, um Gefahr zu laufen, dass sie sichtbar wurde.


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#835

RE: Drez (Stadt der Schattendämonen)

in Dreitan - das Spiel 06.08.2013 03:05
von Randreyah | 11.751 Beiträge

Schwer schlug der Klopfer gegen das Holz der Tür. Ran brauchte nicht lange zu warten, bevor ihr jemand öffnete, nicht Nera, sondern eine andere, viel ältere Frau. „Guten Tag“, grüsste Randreyah unsicher. Die Frau nickte nur missmutig und sah sie ausdruckslos an, was sie nur noch mehr verunsicherte, was sie wiederum etwas ärgerte. Wer war die Alte? Ran hatte sie noch nie hier gesehen. „Ich bin… Ist Veray da?“, fragte sie. Die Frau sah sie zuerst misstrauisch an, dann nickte sie langsam. „Ich müsste ihn kurz sprechen. Es ist wichtig“, Rans Stimme wurde drängender, doch die Frau machte noch keine Anstalten sie reinzulassen. „Darf ich reinkommen?“, erst jetzt, nach einem weiteren misstrauischen Blick, nickte die Frau erneut, winkte ihr ihr zu folgen und führte sie zu Vakras Arbeitszimmer, an dessen Tür sie klopfte. Ran wunderte sich, wieso sie zu Vakra gebracht wurde und nicht Veray. Vakra würde ihr wahrscheinlich nicht so bereitwillig Information über Srok geben. Jemand öffnete die Tür einen Spalt weit, doch Ran konnte nicht erkennen wer und dann hörte sie, wie die Frau einige Worte mit der Person wechselte. Dieser jemand schloss dann die Tür und die Alte drehte sich um und ging. Im Vorbeigehen beäugte sie nochmals Ran misstrauisch und deutete ihr da zu warten. Ran schluckte trocken. Was war los? Nichts Gutes anscheinend.


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#836

RE: Drez (Stadt der Schattendämonen)

in Dreitan - das Spiel 06.08.2013 03:37
von Ro Raven | 10.532 Beiträge

Ro zog die Rüstung aus, die Tunika und das Hemd. Ihre Arme und Hände waren bandagiert, ihr Rücken nicht, aber was sie davon sah, war er schon jetzt ein Meer von blauen Flecken. Dort, wo die Haut nicht von der Tätowierung bedeckt war. Oder von dem Geflecht dicker, langer Narben, die für immer bleiben würden, als Erinnerung daran, wie sie geglaubt hatte zu sterben, und trotzdem überlebt hatte. Sie atmete tief ein und aus und Griff nach dem Kleidungsstück dass man ihr bereit gelegt hatte.
Es war eine Art Hemd, aber es schien nur eine Vorderseite zu haben. Gehalten wurde es von einem schmalen Band um ihren Nacken, und man konnte es mit Klammern an der Hose befestigen. Der ganze Rücken blieb frei. Es sah absurd aus. Ro konnte sich für dieses Ding keinen anderen Zweck ausdenken als den, eine Frau auspeitschen zu können und ihr dabei die Schande zu ersparen, nackt zu sein. Eine ehrenvolle Auspeitschung. Auf so eine perverse Idee konnten wohl nur Dämonen kommen.
Sie kleidete sich an und ein Schauder lief ihr über den Rücken. Sie schluckte und versuchte, dass Zittern ihrer Hände zu unterdrücken. Es ist nichts, sagte sie sich. Nur zehn Schläge. Zehn Schläge sind nichts. Du hast fünfzig ausgehalten... Erinnerungen schossen ihr durch den Kopf. Am liebsten hätte sie vor Angst geheult.

Vakra legte seine Rüstung fertig an und hängte die Peitsche neben den Säbel an seinen Gürtel, dann öffnete er die Tür und trat zu der Besucherin auf den Gang. "Randreyah", begrüsste er sie freundlich und gleichzeitig höflich distanziert. "Willkommen zurück in Drez. Was führt dich hierher?"


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#837

RE: Drez (Stadt der Schattendämonen)

in Dreitan - das Spiel 06.08.2013 03:49
von Randreyah | 11.751 Beiträge

Ran lächelte halb erleichtert, dass endlich jemand heraus kam und sie nicht lange warten musste und halb froh darüber Vakra so fröhlich zu sehen. Sie begrüsste ihn, wie es die Vorschriften wollten. "Danke für deine Gastfreundschaft. Einige kleinere Geschäfte. Ich habe eigentlich gedacht mit Veray sprechen zu können, aber wie es scheint komme ich ungelegen. Eine Zeremonie?", sie deutete auf seine Rüstung.
Etwas enttäuscht war sie schon, doch sie blieb freundlich und geduldig. Aber neben der Enttäuschung schlich sich eine schlechte Vorahnung heran, als sie einen dunklen Schatten über Vakras Gesicht huschen sah. Hatte sie etwas falsches gesagt?


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#838

RE: Drez (Stadt der Schattendämonen)

in Dreitan - das Spiel 06.08.2013 04:12
von Ro Raven | 10.532 Beiträge

Wie war sie nur auf diese beschissene Idee gekommen? Natürlich, es war richtig gewesen, die Strafe für Veray auf sich zu nehmen, es war das mindeste, was sie tun konnte, aber... aber... aber...
Sie stützte die Unterarme auf den Tisch und liess den Kopf darauf sinken. Sie hatte das Gefühl, dass sie schon zusammenbrechen würde, bevor der erste Schlag traf. Aus Angst. Und aus der Gewissheit, was kommen würde. Reiss dich zusammen!, befahl sie sich. Es sind nur zehn, nicht mehr! Vielleicht gibt es nicht einmal wirkliche Wunden.
Mehrere Male sog sie die Luft ein, so tief sie konnte, und stiess sie langsam wieder aus, bis sie das Gefühl hatte, ruhig genug zu sein. Sie richtete sich auf, warf sich einen Mantel um die Schultern und trat auf den Flur, um in die Halle zu gehen.

"Gewissermassen ja", antwortete Vakra. "Eine offizielle Familienangelegenheit. Deshalb muss ich mich nun leider entschuldigen. Wenn du mich sprechen möchtest, bitte ich dich, in der Bibliothek zu warten. Du weisst ja, wo sie ist. Was Veray betrifft..." Er suchte einige Augenblicke lang nach den richtigen Worten. "Ich fürchte, er wird für eine Weile nicht ansprechbar sein."


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#839

RE: Drez (Stadt der Schattendämonen)

in Dreitan - das Spiel 06.08.2013 04:18
von Randreyah | 11.751 Beiträge

"Ich werde in der Bibliothek warten", antwortete sie und sah ihm hinterher, als er sich nach einem Nicken entfernte. Sie verstand nicht ganz. Was war geschehen oder was sollte geschehen, dass Veray nicht ansprechbar war? Vakra hatte nicht gesagt, sie dürfe ihn nicht sehen oder er wäre nicht da. Wieso nicht ansprechbar? War er wütend auf sie? Natürlich sie war ja auch einfach verschwunden...
In der Bibliothek setzte sie sich in einen Sessel und wartete. Der Raum wirkte wie ausgestorben. Es war recht still und einsam und ihre Gedanken stürzten auf sie ein, wie ein Tsunami. Und mit dem Tsunami kam auch das schlechte Gewissen. Ran versuchte sich abzulenken, indem sie über andere Dinge nachdachte. Dann kamen ihr irgendwann die Bewohner der Schwarzen Festung in den Sinn. Wie es wohl Nera ging, nachdem sie Rombra gewissermassen verloren und wiedergefunden hatte, um ihn wieder zu verlieren? Was Achrat so trieb hier, allein mit seiner Fähigkeit, wo Ro wohl steckte? Was mit Veray geschehen war? Sie schüttelte den Kopf, stand auf und lief die Regale ab, auf der Suche nach einem Buch, welches sie auf andere Gedanken bringen würde. Hoffentlich würde sie nicht lange warten müssen.


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#840

RE: Drez (Stadt der Schattendämonen)

in Dreitan - das Spiel 06.08.2013 05:09
von Ro Raven | 10.532 Beiträge

Als Vakra den Raum betrat, betrachtete Ro gerade die Eisenkreuze auf Überkopfhöhe, an die man sie fesseln würde. Bisher hatte sie immer gemeint, dass es irgendwelche Fackelhalter waren, und nicht wirklich darauf geachtet. Jetzt begriff sie, dass sie zu einem ganz anderen Zweck geschaffen waren. Sie fragte sich, wie viele Dinge in diesem Raum sonst ncoh auf den ersten Blick nicht nach dem aussahen, was sie waren.
Die Türe fiel zu und sie wandte sich zu Vakra um. Er schritt auf sie zu und musterte sie beide. "Wer zuerst?", fragte er kalt.
Lesir zögerte überlegend. Ro brauchte nicht zu überlegen. "Ich", antwortete sie sofort. Tausendmal lieber hatte sie es hinter sich, als zuerst zusehen zu müssen, wie Lesir ausgepeitscht wurde.
Vakra nickte und befahl ihnen, sich fesseln zu lassen. Lesir zog sein Hemd aus und Ro legte den Umhang beiseite. Sie bemerkte, wie Vakra für einen Augenblick erstarrte, als sie ihm den Rücken zuwandte. Es war zweierlei, von solchen Narben zu hören, oder sie mit eigenen Augen zu sehen.
Ro trat an das Eisenkreuz und einer der Wachmänner band ihr die Hände daran fest und gab ihr einen Streifen Tuch, um darauf zu beissen. Mit Lesir geschah das selbe. Sie drehte halt den Kopf und sah, wie Vakra die Peitsche von seinem Gürtel löste. Sie blickte wieder nach vorne. Vakra sagte nichts. Ein leises zischen war alles, was sie als Vorwarnung bekam, bevor das Leder quer über ihren Rücken schnalzte.
Sie begriff sofort, dass das hier eine andere Peitsche war, als die des Generals von Gevira. Sie war feiner, präziser, schneller. Ihr Schlag fühlte sich mehr an, wie ein dünner Schnitt, der die Haut zerteilte. Es tat nicht weniger weh. Aber anders.
Der zweite Schlag verlief überkreuz mit dem ersten. Wo sich die Schnittspuren kreuzten, war es Ro, als bohrte sich ein glühender Stachel in ihren Rücken. Sie kniff die Augen zusammen und biss die Zähne aufeinander. Der dritte Schlag war waagrecht, und er schnitt genau die selbe Stelle abermals. Diesmal zuckte Ro zusammen, obwohl sie es mit aller Kraft zu verhindern versuchte. Sie fragte sich, ob es Zufall gewesen war, oder ob Vakra wirklich so gut zielen konnte. Der vierte Schlag beantwortete ihr die Frage, er verlief senkrecht und vollendete das doppelte Kreuz. Sie stiess den Atem durch den Stoff zwischen ihren Zähnen aus, eine Träne löste sich von ihren Wimpern. Ein Teil von ihr wollte sich zu Vakra umdrehen und ihn anbrüllen, ob er das eigentlich lustig fand, hier Muster zu malen.
Zwei weitere Schläge folgten schnell aufeinander. Ro hatte das Gefühl, ihr Rücken sei schon jetzt ein geschwollenes Stück Fleisch, aus dem Flüssigkeit lief, wie aus einem Schwamm. Sie fragte sich, ob sie schon blutete. Es waren nur wenige Schläge gewesen, aber diese Peitsche war wie ein Messer. Hatte Vakra etwa Klingen an ihrem Ende befestigt? Sie fragte sich, ob das möglich war, aber der Schmerz vernebelte ihr das Denken.
Beim siebten Schlag, stiess sie beim zusammenzucken mit dem Kopf gegen die Wand, aber noch immer schaffte sie es, keinen Laut von sich zu geben. Aus purem Stolz und der Entschlossenheit, vor Vakra keine Schwäche zu zeigen. Der achte jedoch traf in mehrere offene Wunden und ein Ächzen entrang duchdrang den Stoff in ihrem Mund und entrang sich ihren Lippen. Beim neunten ballte sie die Hände so fest zu Fäusten, dass die angeheilten Wunden unter dem Verband aufplatzten. Beim zehnten entfuhr ihr ein leises Wimmern.
Sie wartete auf den nächsten Schlag, doch dann wurde ihr klar, dass es fertig war. Es waren nur zehn. Es war vorbei. Erleichterung durchströmte sie. Es war tatsächlich nicht so schlimm gewesen. Schmerzhaft ja, aber nicht... nicht vernichtend.
Lesirs Auspeitschung nahm sie mehr oder weniger gleichgültig wahr. Er schlug sich fast so gut wie sie, und dass er den einen oder anderen Laut mehr von sich gab, konnte sie ihm nicht übel nehmen. Bei seinen Barbarenkönigen hatte er vermutlich nicht erlebt, was sie erlebt hatte. Wenn sie etwas an der Sache entsetzte, dann war es Vakra. Wie konnte ein Mann seinen eigenen Sohn auspeitschen und dabei so kühl berechnend zielen? Allerdings war sie nicht wirklich entsetzt. Der Schmerz der Peitsche hatte sie irgendwie in einem merkwürdig benommenem Zustand zurückgelassen, in dem sie gar nichts aufregte oder entsetzte.
Schliesslich band man sie beide los. Ro tastete nach ihrem Rücken und tatsächlich waren die Wunden mehr Schnitte als anderes. Immerhin sauber und klar. Das Blut lief trotzdem. Eine Sechalri reinigte und verband die Wunden und gab ihr ein weiches Hemd zum drüber ziehen. Als sie damit fertig waren, hatte Vakra den Raum längst wieder verlassen und ging zur Bibliothek.


If you're going through hell, keep going.
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