#821

RE: Drez (Stadt der Schattendämonen)

in Dreitan - das Spiel 13.07.2013 11:33
von Úrakantôr | 2.898 Beiträge

Neshatar...das heißt, Livaleth, grinste. Mühe mit Magiern, das war recht verbreitet heutzutage.
"In Ordnung", entgegnete er, "ich hoffe, du bekommst keinen Ärger wegen dem kleinen Einbruch dort unten. Nachdem ich wieder einen Körper habe, führt mich mein Weg sowieso wieder nach Drez, Shagan sollte dann auch dort sein. Vielleicht sehen wir uns wirklich bald wieder."
Mit diesen Worten drehte er sich um und Livaleth lief weiter den Pfad ins Gebirge hinein.


And he wondered...how can I protect something so perfect without evil?

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#822

RE: Drez (Stadt der Schattendämonen)

in Dreitan - das Spiel 14.07.2013 14:39
von Ro Raven | 10.532 Beiträge

Ro blickte ihnen einen Augenblick nach, dann drehte sie sich um und machte sich querfeldein auf den Weg zur Festung. Sie nahm nicht an, dass sie wegen der Sache Ärger bekommen würde. Erstens hatte sie, soweit sie mitbekommen hatte, niemand gesehen, und zweitens hatte sie mittlerweile begriffen, dass es einem durchaus gewisse Vorteile brachte, zur Schwarzen Festung zu gehören. Die Leute überlegten es sich zweimal, ob sie sich mit diesem Clan anlegen wollten. Und das nicht zuletzt auch wegen ihr und was sie mit Zernah Sardak getan hatte.
Als sie die Festung erreichte war es schon nach dem Mittag. Sie musste mit Vakra sprechen, aber zuerst war noch etwas anderes zu tun. Und dafür brauchte sie Veray, denn er war der einzige in der Festung, dem sie halbwegs vertraute. Es wäre ihr lieber gewesen, sie hätte niemandem etwas davon sagen müssen, aber das ging nunmal nicht. Nachdem sie etwas zu Mittag gegessen hatte, holte sie also ihren Seesack aus dem Schrank und klopfte an die Tür von Verays Arbeitszimmer. "Was ist?", rief er von drinnen.
Sie trat ein. Er blickte von seinem Buch auf. "Ah, da bist du."
Sie holte Luft. "Veray. Gibt es in der Festung einen Ort, wo man etwas verwahren kann, der wirklich sicher ist? So dass niemand jemals daran gelangt?"
Veray hob den Kopf und musterte sie eingehend. "Ja. Warum?"
Sie öffnete ihren Seesack, holte das Samtetui hervor und legte es vor ihn auf den Tisch.
Er musterte es, sah das Wappen darauf und griff neugierig danach. "Was ist das?"
Sie hielt die Hand darüber, bevor seine Finger es erreichten. "Es ist eine Schriftrolle. Sie ist gefährlich", sagte sie ernst. "Für uns alle. Sie darf niemals jemandem in die Hände fallen. Niemand darf es lesen. Auch nicht Vakra."
Veray sah sie an, dann stand er auf. "Komm mit."
Er führte sie durch die Verbindungstüre in die Bibliothek. Nachdem er sich vergewissert hatte, dass ausser ihnen niemand hier war, schloss er die Türe neben dem Kamin auf und winkte sie hindurch. Dahinter war ein Arbeitszimmer, das grösser war als die übrigen der Festung. An den Wänden standen kleine Schreibtische und Sekretäre, in der Mitte aber war ein grosser, fast quadratischer Tisch und an einer Wand hing eine riesige Karte, die fast ganz Dreitan zeigte. Daneben standen zusammengerollt weitere Karten, Zeigestöcke und an der Wand hingen alte Banner.
Ro erkannte den Zweck dieses Zimmers sofort. "Das ist... ein Strategenraum", sagte sie mit weit aufgerissenen Augen. "Und ein verdammt gut ausgerüsteter dazu."
Veray lächelte, als er ihre Bewunderung sah. "Wir waren früher einmal viel mehr, als wir heute sind", sagte er und sie bemerkte überrascht, wie wehmütig er dabei klang.
Er schob die Karte an der Schiene, an der sie von der Decke hing, zur Seite, dann öffnete er eine Klappe, die für Ro wie blosse Wand ausgesehen hatte. Dahinter kam eine kleine Metallplatte zum Vorschein. Ohne etwas zu sagen, zog Veray einen Dolch und schnitt sich in den Finger, bevor er die Hand gegen das Metall drückte. Es rumpelte leise, dann glitt ein Stück Wand zur Seite.
Abermals stand Ro mit offenem Mund da. Diesmal lachte Veray beinahe. "Was schaust du so entgeistert?"
"Ich hätte nicht... erwartet...", stammelte sie.
"Was dachtest du denn?", meinte Veray. "Diese Festung wurde für Kriege gebaut, wie es sie heute nicht einmal mehr gibt! Ich weiss, sie sieht nicht nach viel aus, aber sie könnte einer Armee standhalten! Und einer ganzen Menge mehr dazu. Los, komm!"
Sie folgte ihm durch die Tür und einige Stufen hinunter und stand in einer weiteren Bilbiothek, viel kleiner als die obere, nur zwei Regale zogen sich den Wänden entlang. Viele der Bücher hier trugen auf ihrem Rücken das Wappen der Schwarzen Festung, aber es gab auch Regalbretter, die andere Wappen trugen. Ro erinnerte sich daran, dass Vakra gesagt hatte, die Schwarze Festung würde Dinge für andere Clans verwahren, weil sie hier viel sicher seien. Veray deutete auf ein unbeschriebenes Regalbrett, indem nur zwei Bücher und eine dicke Schriftrolle lagen. "Leg es dort hin. Hier kommt niemand rein, der nicht unser Blut in sich trägt."
"Und Vakra?", fragte sie.
"Er wird sie nicht lesen", versicherte er. "Er wird denken, dass es von einem Verbündeten stammt, und wenn Vakra eines ist, dann loyal."
Ro legte die Schriftrolle hin, so dass man das Wappen nicht sah, dann sah sie sich um. "Was ist das für einen Raum?"
"Die geheime Bibliothek", antwortete Veray. "Sag Vakra nicht, dass du hier warst."
Er musterte Ro, dann die Schriftrolle, biss sich auf die Lippen und schien mit sich zu ringen. Dann holte er Luft und fragte: "Erlaubst du mir, sie zu lesen?"
Ro sah ihn an und und dachte lange nach. Schliesslich sagte sie: "Ich verbiete es dir nicht, Veray. Aber es wäre besser, wenn so wenig Leute wie möglich ihren Inhalt kennen. Allerdings..." Sie schluckte und sah Veray nicht an, als sie weitersprach. "Wenn ich sterben sollte, wenn der Säbel dann wieder hierherkommt. Derjenige, der ihn trägt, muss sie bekommen, wenn er alt genug ist. Versprich mir, dass du dafür sorgst."
Veray sah sie an und nickte langsam. "Ich verspreche es."


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#823

RE: Drez (Stadt der Schattendämonen)

in Dreitan - das Spiel 14.07.2013 20:55
von Ro Raven | 10.532 Beiträge

Ro hob die Hand, um anzuklopfen, zögerte und liess sie wieder sinken. Das hier durfte sie jetzt nicht versauen. Sie durfte nicht wütend werden, ihn nicht beleidigen, ihm nicht drohen. Sonst würde sie wieder im Kerker landen, und das durfte sie nicht riskieren. Wenn er nein sagte, musste sie es akzeptieren, als wäre es nichts. Nur so behielt sie sich die Chance, notfalls gegen seinen Willen zu handeln.
Sie atmete zweimal tief ein und aus, dann hob sie wieder die Hand und klopfte an.
"Ja?", rief Vakra von der anderen Seite.
Sie trat ein und blieb vor seinem Tisch stehen, bis er von dem Brief aufblickte und die Schreibfeder zur Seite legte.
"Was ist?", fragte er. "Es ist noch nicht Abend."
Sie schüttelte den Kopf und suchte nach Worten, fand aber blöderweise gerade überhaupt keine. "Ich..."
"Wenn du gekommen bist, um dich wegen gestern Abend zu entschuldigen, lass es bleiben", unterbrach sie Vakra, während er den Brief zusammenfaltete und weglegte. Dann sah er sie an und ein Lächeln zuckte um seinen Mundwinkel. "Gut gemacht."
Sie starrte ihn verständnislos an. "Was?"
"Du hast ihm gegeben, was er verdiente", sagte Vakra. "In wenigstens diesem Punkt muss ich Veray recht geben. Lesir ist ein Idiot." Ein bitterer Zug tauchte auf seinem Gesicht auf und Ro begriff plötzlich, wie verbittert Vakra sein musste. Er war sein Leben lang nur zweite Wahl gewesen, dem Bruder hintenangestellt, in den Augen seines Vaters und vor allem in seinen eigenen ein Versager. Und nun musste er mitansehen, wie keiner seiner Söhne auch nur ihm ebenbürtig wurde. Veray gab sich nicht einmal Mühe, ein guter Kämpfer zu sein. Und Lesir würde niemals ein Politiker werden, dazu war er zu unüberlegt.
Und sie begriff noch etwas. Warum hatte war ihr das nicht längst klargeworden? Sie hatte gedacht, Vakra müsste sie hassen, weil sie das war, was er nicht sein konnte. Aber er hasste sie nicht. Er setzte all seine Hoffnung auf sie. Er war auf eine Art stolz auf sie. Er war zwar nicht ihr Vater, aber er wollte sie zu dem bringen, was er bei seinen eigenen Söhnen nicht konnte. Perfektion. So gesehen würde sie ihm wohl gleich den Todesstoss versetzen. Sie holte Luft. "Ich bin gekommen, um dich um etwas zu bitten, Vakra."
"Worum?", fragte er und sah sie an.
Sie setzte sich. "Ich bitte darum, die Severjakza um ein Jahr vorzuziehen."
So, jetzt war es gesagt. Sie liess Vakra nicht aus den Augen, um jede seiner Reaktionen zu sehen.
Eine Weile lang starrte er sie nur an, als versuchte er, in ihren Kopf zu sehen, dann lehnte er sich zurück und seufzte. "Ist dir bewusst, in was für eine Lage du damit mich und den ganzen Clan bringst?"
Sie antwortete nicht und sah ihn unsicher an.
Er zog einen Brief aus einer Schublade und schob ihn zu ihr hinüber. "Lies."
Sie gehorchte. Es war eine Drohung vom Clan Sardak. Dass sie Rache suchen würden für den Tod von Zernah. Sie gab den Brief zurück.
"Und?", fragte er und hob eine Augenbraue. "Willst du uns wirklich so stehen lassen? Was, wenn sie kämpfen wollen?"
In der Frage lag ein Hauch von Drohung, aber sie war nicht bereit, sich so schnell einschüchtern zu lassen. "Lesir kann kämpfen", sagte sie kalt. "Er mag ein Idiot sein, aber kämpfen kann er."
Vakra schien nachzudenken. Dann kniff er die Augen zusammen. "Wieso willst du gehen?"
"Spielt es für dich eine Rolle, ob ich jetzt gehe, oder erst in einem Jahr?", fragte Ro.
"Ich habe dich etwas gefragt", sagte Vakra scharf.
Sie überlegte, was sie ihm sagen sollte. Einfach keine Drohung. Nichts, was irgendwie so klang. Aber auch nicht die Wahrheit, sonst liess er sie niemals gehen. Ihr kam eine Idee. "Erinnerst du dich an den Magier, wegen dem ich hergekommen bin? Du hast gesagt, ich kann entscheiden, was mit ihm geschieht."
Vakra nickte.
"Ich habe beschlossen, ihn freizulassen", sagte Ro. "Aber ich will ihn begleiten, um zu kontrollieren, dass er sich nicht wieder gegen uns wendet."
Vakra musterte sie. Er glaubte ihr nicht. Es war auch nicht die Wahrheit, zumindest nicht vollständig. Nicht einmal die Halbe. "Warum tötest du ihn nicht?", fragte er.
"Muss ich dir meine Entscheidung erklären?", fragte Ro und kniff die Augen zusammen.
Eine Weile lang starrten sie sich nur an, keiner bereit, den Blick abzuwenden. "Nein", sagte Vakra schliesslich, und seine Stimme war so kalt wie Eis. "Geh. Ich werde über deine Bitte nachdenken."
Ro ging aus dem Zimmer mit dem Gefühl, dass nun eine ganz andere Art von Krieg zwischen ihnen ausgebrochen war. Es ging nicht mehr um Abstammung und Ausbildung. Es ging um Macht. Wie viel Freiraum war Vakra bereit, ihr zu geben? Wie viel konnte er ihr zugestehen, ohne seine eigene Macht zu verlieren?


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#824

RE: Drez (Stadt der Schattendämonen)

in Dreitan - das Spiel 15.07.2013 17:48
von Ro Raven | 10.532 Beiträge

Drei Tage später sass Ro im Roten Drachen. Von den Asnet'Shar waren noch nicht sehr viele da, nur Demra, zwei, deren Namen sie sich nicht merken konnte, und Lesir auf der anderen Seite des Tisches. Lesir und sie ignorierten sich, was hervorragend funktionierte, abgesehen von gelegentlichen Blicken aus zusammengekniffenen Augen. Nicht ganz ohne Schadenfreude bemerkte Ro, dass seine von ihrem Tritt aufgeplatzten Lippen noch nicht verheilt waren. Vielleicht würden sie sogar eine Narbe hinterlassen. Als Andenken daran, dass er gegen die kleine Cousine verloren hatte.
Die Türe hinter ihr ging auf und Ro drehte sich flüchtig um, ohne jedoch wirklich hinzusehen, bevor sie sich wieder ihrem Krug Bier zuwandte und eine Antwort auf Demra's letzte Frage suchte. Sie begann zu sprechen, verstummte aber plötzlich, als sie den Blick auf dem Gesicht der Frau ihr gegenüber sah. "Was ist?"
"Ich glaube du solltest dich mal umdrehn, Ro", meinte die Frau, die Augen starr auf einen Punkt hinter Ro gerichtet. "Und zwar verdammt schnell!"
Ro sprang auf und schnellte herum. Hinter ihr stand Nahetsar Sardak, der Ältere Bruder von Daka, der Sohn von Zernah Sardak, gefolgt von weiteren Mitgliedern seines Clans. Er roch nach Alkohol. Und er schlug mit dem Säbel nach ihr.
Ro hechtete rücklings auf den Tisch, rollte über die Platte und fiel dahinter zu Boden. Ihre Hand fand das Bein eines Stuhles und sie schleuderte ihn Nahetsar entgegen. Er taumelte einen Schritt zurück, als er getroffen wurde, bekam das Wurfgeschoss zu fassen und schleuderte es gegen die Wand, wo es in Einzelteile zerbarst. Dann zeigte er mit dem Säbel auf Ro und schrie: "Du hast meinen Vater umgebracht!!"
Ro sah sich schnell um. Die Asnet'Shar waren längst aufgesprungen. Sie sah Demra an der Wand stehen, im Versuch, aus dem Weg zu gehen. Sie wusste, dass sie von ihm keine Hilfe zu erwarten hatte, sein Clan war Sardak eher zugewandt als der Schwarzen Festung. Auch die anderen Asnet'Shar hielten sich zurück. Im Gegensatz zu Lesir, der sofort seinen Säbel zog und die Zähne bleckte.
Ro rappelte sich auf und zog ihren Säbel. "Und jetzt?", zischte sie. "Soll ich dich auch umbringen?"
Nahetsar erwiderte nichts, sondern starrte sie nur hasserfüllt an. Hinter ihm standen drei weitere Männer und eine Frau. Einer der Männer war ein Bruder von Zernah, bei der Frau nahm Ro an, dass es sich um Nahetsar's Schwester handeln musste. Ro ging langsam auf Nahetsar zu. "Wolltest du mich von hinten abstechen, wie ein Meuchelmörder?", fragte sie zornig und liess ihn und die anderen dabei keinen Moment aus den Augen. "Hast du nicht den Mumm, mir ins Gesicht zu sehen? Feigling!"
Das letzte Wort spieh sie voller Verachtung. Es tat seine Wirkung. Nahetsar griff an und ihre Säbel klirrten aufeinander.


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#825

RE: Drez (Stadt der Schattendämonen)

in Dreitan - das Spiel 17.07.2013 16:09
von Ro Raven | 10.532 Beiträge

Ro parierte Nahetsars Angriffe und schlug zurück, während Lesir sich neben ihr in den Kampf gegen Nahetsars Onkel stürzte. Unter Dämonen galt normalerweise die ungeschriebene Regel, dass wenn zwei kämpften, sich die übrigen raushielten, und man konnte sich eigentlich darauf verlassen, denn das war eine Frage der Ehre. Aber als Ro sich in der Minderzahl sah, drückte bei ihr eine andere Art zu kämpfen durch, die sie ihr halbes Leben lang gelernt hatte, hatte lernen müssen um zu überleben: Sie war wieder auf dem Schlachtfeld.
Sie schlug Nahetsars Klinge zur Seite, wirbelte an ihm vorbei und zielte auf seine Hüfte. Er wich aus, sie drehte weiter und schlug auf den einen seiner Gefolgsmänner ein. Dieser hatte überhaupt nicht mit einem Angriff gerechnet und parierte nur sehr knapp, wodurch Ro ihm nahe genug kam, um ihm in die Eier zu treten, was sie ohne zu zögern tat. Sie führte einen Schlenker mit dem Säbel aus und nur dadurch dass er nach hinten kippte, wurde er nicht getötet, sondern die Klingenspitze schrammte über seinen Brustpanzer und schlitzte ihm die Schulter auf.
Ro roch das Blut und schloss einen Moment die Augen, im Ringen mit sich selbst. Dann gab sie auf. Wozu sich gegen etwas wehren, was sie wollte? Wozu etwas verweigern, was sie war? Es hatte keinen Sinn. Die ganze, verdammte Kontrolle hatte in manchen Situationen einfach keinen Sinn. Die Welt versank im Feuer. Sie spürte jede Faser ihrer Muskeln, sie riss die Augen auf, ihre Wahrnehmung zerfiel und setzte sich neu zusammen.
Sie schnellte nach vorn, die Klinge lenkte einen Stich des zweiten Gefolgsmannes ab und riss ihm mit einem Gegenschlag den Unterarm auf. Bevor sie dazu kam nachzusetzen, schmeckte sie Metall in ihrem Rücken, wirbelte herum und fing Nahetsars Klinge ab. Sie drosch auf ihn ein und stiess ihn mit aller Kraft zurück, er stolperte, fing sich und stürmte wieder gegen sie an. Sie im Augenwinkel das Blitzen einer Waffe, die von der Seite auf sie zuschnellte. Es reichte nicht zum Ausweichen, also hob sie den Säbel, aber da war bereits eine Klinge, die die Fremde abfing. Lesir sah sie mit einem schmalen Lächeln an und hob eine Augenbraue. Sie erwiderte nichts, sondern drehte sich an ihm vorbei und lenkte den Stich der Frau, der auf seinen Hals zielte, ab.
Mit getauschten Plätzen stand sie nun der Frau und Nahetsars Onkel gegenüber. Die beiden trieben sie rückwärts, bis sie unvermittelt über eine Bank stolperte und hinfiel. Blitzschnell drehte sie sich unter einer herabsausenden Klingenspitze weg, die stattdessen in die Holzdielen eindrang, sprang auf und landete geduckt auf einem Tisch. Die Frau nutzte einen Stuhl als Zwischentritt und sprang Ro an. Ro wich zurück, ihre Gegnerin landete ebenfalls auf der Tischplatte und von der Wucht begann dieser zu kippen. Mit der freien Linken erwischte Ro einen Deckenbalken, hielt sich daran fest, als ihr der Untergrund entglitt, und hämmerte der fallenden Gegnerin mit voller Wucht die Stiefelferse ins Gesicht.
Sie liess sich fallen, landete auf beiden Beinen und schlug tief nach Nahetsars Onkel. Er parierte und stach nach ihrem Gesicht, sie wich aus, stützte sich mit einer Hand auf einer Stuhlfläche ab und trat ihm unter seiner Klinge hindurch die Beine weg. Er fiel und stürzte sich auf ihn, wurde aber dadurch, dass er die Klinge hochriss und auf ihren Bauch zielte, gezwungen, ihren Vorwärtsschub in eine Hechtrolle darüber hinweg zu verwandeln. Sie landete in einem Stuhl, der zerbrach und rappelte sich ächzend auf.
Lesir hatte mittlerweile den einen Gefolgsmann endgültig zu Boden gebracht, ob tot oder nicht konnte Ro auf den schnellen Blick nicht sagen, und hämmerte gerade den Kopf des zweiten gegen die Wand, während Nahetsar selbst auf Ro zustürmte. Er schlug zu, sie wehrte ab und trat nach seinem Kopf, aber er blockte mit seinem Arm und versuchte in ihr Bein zu schneiden. Der grösste Teil der Klinge glitt an ihrem Stiefel ab, aber der Rest reichte um ihre Hose aufzuschlitzen und ihre Haut mehr als nur anzukratzen. Sie bleckte die Zähne vor Zorn, wirbelte herum und zog ihren Dolch. Zwischen den beiden Klingen klemmte sie Nahetsars Säbel ein, dann trat sie mit aller Kraft von schräg unten gegen seinen Ellbogen.
Es knackte hässlich, als der Knochen brach. Nahetsar taumelte vor Schmerz schreiend zurück, der Säbel entglitt seiner Hand. Am Rand ihres Bewusstseins hörte Ro Lesir eine Warnung rufen. Ohne nachzudenken liess sie sich auf ein Knie fallen, drehte den Säbel nach hinten und hielt ihn mit beiden Händen fest. Die Wucht des Aufpralls liess sie fast stürzten, aber es gelang ihr, aufrecht zu bleiben, während Nahetsar's Onkel sich auf ihre Klinge aufspiesste.
Schnell sprang sie auf und riss ihren Säbel aus der Lunge des anderen, bereit, einen neuen Angriff abzuwehren, aber da kam keiner mehr. Die beiden Gefolgsmänner und der Onkel lagen in einer Blutlache, die Frau war bewusstlos, Nahetsar lehnte an der Wand und hielt mit schmerzverzerrtem Gesicht seinen Arm, der einen merkwürdigen Knick aufwies. Ro hob den Säbel an und ging auf ihn zu. Er hob den Blick und sah sie an. Sie holte aus. In seinen Augen lag Angst. Todesangst. Sie roch sie, schmeckte sie auf der Zunge. Ein böses Lächeln legte sich auf ihre Lippen. Sie schlug zu.
Hätte sie den Schlag eine halbe Handbreit weiter geführt, wäre er tot gewesen. So aber zischte die Klinge durch die Luft vor seinem Gesicht und hinterliess einen Schnitt in seiner linken Wange. Flach genug, um sie nicht zu zerfetzen, tief genug, um eine Narbe zu hinterlassen, die für immer bleiben würde. Sie starrte ihn an und trat zurück. Dann meinte sie mit einem Blick in die Runde der Leute, die sich irgendwo an den Rand gedrängt hatten, um sich ja aus der Sache rauszuhalten, zu Lesir: "Ich denke, wir sollten gehen."
Lesir trat neben sie und wischte den Säbel an seiner Hose ab. "Ich gebe es ungern zu", meinte er mit einem spöttischen Unterton. "Aber ich schätze, da hast du nicht ganz unrecht."


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#826

RE: Drez (Stadt der Schattendämonen)

in Dreitan - das Spiel 19.07.2013 01:14
von Ro Raven | 10.532 Beiträge

Ro hatte die Sache eigentlich lieber nicht berichten wollen, aber Lesir bestand darauf und so standen sie beide etwa um Mitternacht vor Vakras Schreibtisch. Der musterte sie von Kopf bis Fuss, sah Ro's aufgeschlitzes und blutiges Hosenbein und Lesirs Arm, der ähnlich aussah. Aus der Tatsache, dass sie beide vor ihm standen, und dass wesentlich mehr Blut an ihnen klebte, als von den eigenen Wunden stammen konnte, schloss Vakra, dass sie sich nicht gegenseitig so zugerichtet hatten. Er hob eine Augenbraue. "Wer?"
"Sardak", antwortete Lesir. "Nahetsar, Seshrey, Moran und zwei Gefolgsmänner. Sie haben uns ohne Vorankündigung angegriffen."
"Und mich beinahe von hinten abgestochen", ergänzte Ro.
Vakra stand auf. "Habt ihr sie am Leben gelassen?"
"Moran ist tot", antwortete Ro. "Nahetsar und Seshrey werden es überleben." Zumindest nahm sie an, dass ihr der Tritt nicht gleich das Genick gebrochen hatte, aber nachgesehen hatte sie nicht. "Was mit den andern beiden ist, weiss ich nicht." Sie sah Lesir fragend an.
Der schüttelte den Kopf. "Die sind hinüber."
Vakra seufzte und trat ans Fenster.
"Hätten wir sie nicht töten sollen?", fragte Lesir stirnrunzelnd.
"Doch", meinte Vakra. "Aber es wäre mitunter besser gewesen, ihr hättet die beiden anderen gleich mit in die Hölle geschickt." Er drehte sich zu ihnen um und ein Grinsen zuckte um seinen Mundwinkel. "So oder so. Ich schätze, sie werden es sich das nächste Mal zweimal überlegen, bevor sie euch angreifen."
Sein Gesicht wurde schlagartig wieder streng. "Aber was hattet ihr eigentlich in dem Wirtshaus zu suchen? Macht, dass ihr ins Bett kommt!"
Lesir und Ro sahen ihn einen Augenblick lang entgeistert an, dann gingen sie.
Draussen auf dem Flur musterte Ro Lesir kurz, dann zischte sie: "Das bedeutet jetzt aber nicht, dass wir Kollegen sind, klar?"
"Natürlich", erwiderte er kein bisschen freundlicher. "Schliesslich will ich Revanche."
"Wann immer du willst", sagte Ro mit einem Grinsen. "Wenn du glaubst eine Chance zu haben."
Dann drehte sie sich um und ging grinsend in ihr Zimmer.


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#827

RE: Drez (Stadt der Schattendämonen)

in Dreitan - das Spiel 20.07.2013 23:20
von Ro Raven | 10.532 Beiträge

Drei weitere Tage später hatte Vakra ihr immer noch keine Antwort gegeben auf ihre Frage. Anstatt weiter darauf zu warten, dass er sie zu sich rief, lief sie hinaus in die Berge, kletterte hinauf, so weit sie konnte, stellte sich auf die höchste und äusserste Felsnase und blickte auf das wilde Land, das sich unter ihr ausbreitete. Es war ihr Land, sie fühlte sich mehr damit verbunden als selbst mit Nurmen. Diese Berge waren ihre Berge, diese Täler ihre Täler, dieser Himmel ihr Himmel. In diesem Land war das Blut ihrer Vorfahren seit Jahrtausenden geflossen, über diese schneebedeckten Felsen waren ihre Stiefel gerannt, für diese Heimat hatten sie gekämpft und waren gestorben. Die Linie ihrer Ahnen reichte weiter zurück, als selbst die Drachen sich erinnerten, ihr Erbe war uralt. Sie spürte dieses Erbe als Last auf ihren Schultern, aber auch als Kraft in sich, als Feuer, das niemals jemand würde zähmen können.
Sie breitete ihre Arme aus. Diesem Erbe war sie etwas schuldig, das wusste sie. Es gab ihr Macht, aber es forderte seinen Preis. Und auch wenn Vakra ihr seinen Beschluss noch nicht mitgeteilt hatte, bereitete sie sich darauf vor, diesen Preis zu zahlen. Sie las alles, was sie über die alten Zeiten finden konnte, die Zeiten der unsterblichen, über Nagareth. Und sie zog Machek auf ihre Seite, Schritt für Schritt. Er würde ihr Schlüssel sein. Kein Weg führte daran vorbei.

Veray stand vor Vakras Schreibtisch. "Ich weiss, was du vor hast", sagte er kalt.
Vakra blickte auf. "Und was wäre das?"
"Du willst sie zu deinem Nachfolger machen." Er starrte seinen Vater an, ohne eine Regung zu zeigen.
Vakra blickte ebenso zurück. "Ja."
"Tu es nicht", sagte Veray. "Es wäre ein Fehler."
"Wer sollte es denn sonst tun?", fragte Vakra bitter. "Etwa Lesir? Nein. Driss? Sie wird auch sterben. Und dann? Soll Achrat es werden?" Er schnaubte. "Diese Familie ist degeneriert", sagte er kalt. "Es ist eine Schande, dass ein Mischling der einzige ist, der unser wahres Erbe weiter trägt. Aber es ist eine Tatsache und es wird unsere einzige Chance sein."
Veray schluckte seinen Zorn darüber, dass Vakra ihn nichteinmal für die Nachfolge in betracht zog, hinunter. Er konnte nicht kämpfen, aber er war sich sicher, das Spiel der Politik hätte er mindestens so gut gespielt wie sein Vater. Aber er hatte schon immer gewusst, dass er in seinen Augen nichts wert war. "Lieber Lesir als sie", sagte er hart.
"Warum?", fragte Vakra. "Lesir ist ein Dummkopf. Sie ist es nicht. Sie ist klug, strategisch, und sie hat die Ausstrahlung, der Leute folgen."
Veray stützte sich mit den Händen auf die Tischplatte. "Sie ist ein Wrack!", zischte er.
"Du nennst jemanden ein Wrack, der dich mit blossen Händen schneller töten kann, als du auf die Knie fallen um zu flehen?", fragte Vakra spöttisch.
"Ich meine nicht körperlich", fuhr Veray ihn an. "Aber hier drin." Er deutete auf seinen Kopf. "Sie ist verrückt. Und es ist nicht nur der normale Wahnsinn unserer Familie. Darez' Tod hat irgendetwas in ihr für alle Zeit zerstört. Wenn du sie zu unserem Anführer machst, wird sie uns alle in den Tod leiten! Willst du das?!"
Vakra sah ihn kalt an. "Du verstehst es nicht", sagte er und die Kälte in seiner Stimme war härter als jede Enttäuschung es gewesen wäre. "Wir haben Jahrhundertelang nur Versucht, unseren Platz in diesem schalen, erkalteten Spiel zu bewahren. Aber dieser Clan war einmal mehr! Dieser Clan hatte einmal die Macht, der ganzen Welt gefährlich zu werden! Wir waren einmal Srok!! Verstehst du überhaupt, was das bedeutet? Oder habe ich es nicht einmal geschafft, dir auch nur einen Hauch von Stolz beizubringen?"
Veray erwiederte nichts.
"Sie", fuhr Vakra fort. "Hat das Zeug dazu, uns wieder dahin zu bringen, wo wir einst waren. Weil sie verrückt ist. Weil sie etwas in sich trägt, dass sie alle Grenzen durchbrechen lässt, selbst ihre eigenen. Sie kann uns gross machen, Veray, begreifst du das?"
"Oder sie wird uns vernichten", sagte Veray.
Vakra lehnte sich zurück. Seine Augen brannten. "Das ist das Risiko, das wir annehmen müssen. Wir sind viel zu lange keine Risiken mehr eingegangen."


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#828

RE: Drez (Stadt der Schattendämonen)

in Dreitan - das Spiel 24.07.2013 00:23
von Ro Raven | 10.532 Beiträge

Ro stand in der Halle. Fackeln brannten an den Wänden, an der Stirnseite des Raumes stand Vakra in seiner vollen Rüstung. Er hatte sie rufen lassen, genau wie Lesir und Veray, die neben ihr standen. Drei dunkle Gestalten im Fackellicht. An den Wänden standen einige Wachen. Die Figuren auf den Wandteppichen schienen sich zu bewegen im flackernden Schein.
Vakra trat auf sie zu. "Ihr drei..." Er musterte jeden von ihnen. "...seid die Zukunft unseres Clans. An euch wird es liegen, für unseren Ruhm zu kämpfen, ihr werdet unsere Geschichte weiter schreiben, wenn wir, die ältere Generation, einst tot sind. Noch steht ihr unter meinem Befehl, aber dereinst werdet ihr es sein, die ihr Befehle gebt. Dereinst werdet ihr es sein, die ausmachen, was unsere Familie ist, die verkörpern, was sie war, und die formen, was sie sein wird. Ein Vierter wird dann bei euch sein, Achrat, aber noch ist er zu jung, um euch die Stirn zu bieten. Daher liegt es an euch, zu beweisen, dass ihr dieser Welt und einander gewachsen seid."
"Nein...", flüsterte Veray neben Ro leise, als hätte er etwas begriffen. Sie für ihren Teil verstand noch nicht, worauf Vakra hinaus wollte. Sie hatte damit gerechnet, er würde seine Entscheidung verkünden, aber offenbar hatte er etwas anderes im Sinn.
"Ihr werdet gegeneinander kämpfen", sagte er und seine Stimme klang scharf und klar. "Ohne eure Klingen, nur mit den Waffen, die euch die Natur mit in euer Leben gegeben hat. In einem Kampf von Mut, Schnelligkeit und Intelligenz."
"Nein!", sagte Veray diesmal lauter. Er wollte noch etwas hinzufügen, aber Vakra brachte ihn mit einem Blick zum Schweigen.
"Ihr werdet euch morgen, bei Sonnenaufgang, an verschiedenen Orten im Gebirge wiederfinden. Ihr alle müsst euren Weg finden zu den Schattenspitzen. Dort wird dies hier auf euch warten." Er zog eine Kette hervor, dan der ein Amulett aus blutrotem Stein hing, schwarz darin eingelassen das Wappen der schwarzen Festung: ein Säbel und eine Feder, die sich kreuzten. "Wer von euch mir dieses Zeichen hier in die Halle bringt, hat gewonnen. Aber nur der Stärkste wird siegen beim Drevn da Jachar! "
"Ich mache nicht mit!", verkündete Veray scharf und verschränkte die Arme vor der Brust.
Vakra ignorierte ihn, und starrte stattdessen Ro an. Ein Zucken umspielte seine Mundwinkel und Ro begriff. Das war eine Herausforderung, eine Prüfung. Sie wusste, was die Drevna da Jachar waren. Sie wusste, wo die Schattenspitzen lagen. Es gab nur einen Weg dorthin und zurück, und er war schmal. Sie würden sich zwangsläufig begegnen. Von allen Zielen, die Vakra hätte wählen können, garantierte dieses mit grösster Sicherheit ein blutiges Ende. Es würde ein grausamer Lauf werden. Vielleicht würden sie nicht alle überleben. Sie hatte nichts gegen Grausamkeit, aber ein guter Teil von ihr sträubte sich dagegen, sich von Vakra dazu zu zwingen lassen. Aber genau darin bestand die Prüfung. Vakra wollte sehen, dass sie gehorchte. Wenn sie es tat, würde er ihr die Freiheit geben, die sie wollte. Wenn sie rebellierte, würde er sie einsperren.
Sie erwiderte seinen Blick ausdruckslos und kalt. Langsam liess sie sich auf ein Knie sinken. "Ich werde mein Bestes geben", schwor sie.
Vakra nickte kaum merklich und wieder umspielte dieses Lächeln seine Mundwinkel.
Aus dem Augenwinkel sah Ro, wie Lesir zögerte. Er wollte es nicht, er hatte Angst, aber schlussendlich blieb ihm nichts anderes übrig, als nachzuziehen. Sein Stolz hätte es nicht zugelassen, dass er vor etwas kniff, dem Ro furchtlos entgegentrat. "Ich ebenfalls", sagte er und kniete nieder.
Veray hingegen blieb stehen, die Arme vor der Brust verschränkt. "Nein", sagte er heftig, als Vakra ihn auffordernd ansah. "Nein! Die Drevna da Jachar sind für Kinder. Ich bin verdammte sechzig. Ich werde bei diesem Unsinn nicht mitmachen!"
Vakra nickte und bewegte kaum merklich die Finger seiner rechten Hand. Im nächsten Moment traten zwei Wachen Veray in die Kniekehlen und stiessen ihn zu Boden, bevor er sich wehren konnten. Sie packten ihn an den Schultern und der eine setzte ihm eine Säbelspitze an die Kehle. Vakra trat vor ihn. "Du wirst."
Veray zitterte vor Anstrengung von der verkrümmten Haltung, Ro sah Schweisstropfen auf seiner Oberlippe und sie schmeckte seine Angst wie sonst nur die ihrer Gegner. Dennoch blieb er standhaft. "Nein. Ich werde nicht."
Vakra trat auf ihn zu und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Veray wurde aschfahl. "N... nein. Das... das kannst du nicht..."
Vakra zog seinen Säbel und setzte ihn an Verays Hals, als wolle er Mass nehmen. Seine Stimme war eiskalt. "Wirst du dein Bestes geben?"
"Ich... werde", stammelte Veray und schluckte hart.
Vakra steckte seinen Säbel weg und auf seinen Wink hin liessen die beiden Wachen Veray los. Er trat zurück und sah wieder alle drei an und hob die Kette mit dem Amulett. "Es wird nur einen Sieger geben", sagte er. "Ich werde hier auf ihn warten. Er wird Ruhm und Ehre ernten, die anderen beiden die Strafe für ihr Versagen: zehn Peitschenhiebe für jeden!"
Ro starrte in Vakras Augen. Wusste er es? Er starrte zurück. Natürlich wusste er es. Die Heilerin wusste es, und was irgendjemand in dieser Festung wusste, wusste früher oder später auch Vakra. Er hatte diese Strafe nur wegen ihr gewählt, nur für sie. Sie unterdrückte den Drang, die Zähne zu fletschen und ihm an die Kehle zu gehen. Es war Teil der Prüfung. Und sie war gewillt, sie zu bestehen. Ohne sich irgendein Zögern anmerken zu lassen, nickte sie. Lesir folgte ihr. Veray gab kein Zeichen, aber er widersprach auch nicht. Er starrte nur stumm zu Boden, die Lippen zusammengekniffen und die Hände zu Fäusten geballt in ohnmächtiger Wut.
Vakra reichte jedem von ihnen eine kleine Flasche. Lesir öffnete sie und kippte den Inhalt hinunter ohne zu zögern. Kaum drei Atemzüge später kippte er rückwärts auf den Boden wie ein Brett. Ro roch an dem Inhalt, holte dann Luft und schluckte. Zuerst bemerkte sie nichts. Nach dem zweiten Atemzug begannen die Ränder ihres Gesichtsfeldes zu zerfasern und sie spürte ihre Beine nicht mehr. Dann wurde alles Schwarz.


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#829

RE: Drez (Stadt der Schattendämonen)

in Dreitan - das Spiel 31.07.2013 02:01
von Ro Raven | 10.532 Beiträge

Das erste, was sie warnahm, war die Kälte. Langsam kratzten sich ihre Sinne und ihr Bewusstsein aus der schwarzen Tiefe zusammen und sie begann zu verstehen, was Kälte eigentlich war. Und wer sie selbst war. Erinnerung um Erinnerung setzte sich in einem flackernden Strom zusammen, bis sich ihre Persönlichkeit mit Wucht in ihrem Körper wiederfand. Sie erinnerte sich an Darez, an den Dieb, an die Reise, an den Krieg, an Nesh, an die schwarze Festung. Und an die Sache mit dem Drevn da Jachar.
Irgendwann fiel ihr ein, dass sie vielleicht die Augen öffnen sollte, um mehr über ihre gegenwärtige Lage zu erfahren. Sie tat es und war erst einmal geblendet. Nach und nach schälten sich einige Felsen aus dem Licht, darum herum lag gleissend weisser Schnee. Sie sass in einem schmalen Tal, am Rand eines steinigen Flussbettes ohne Wasser, mit dem Rücken gegen einen Felsen gelehnt. Und sie war gefesselt.
Sie versuchte zu fluchen, aber ihre Zunge fühlte sich an wie ein Fremdkörper und wollte ihr nicht gehorchen. Als sie den Kopf drehte, um nach der Fessel zu sehen, drehte sie sich alles. Was war das für ein Zeug, das sie ihnen da zu schlucken gegeben hatten? Ihre Gedanken fühlten sich an wie in Watte gepackt und waren unendlich träge. Trotzdem, sie musste irgendwie diese Fesseln loswerden, und wenn es nur war, damit ihr nicht die Hände abfroren.
Sie drehte sich auf die Knie und lehnte sich mit der Stirn gegen den Felsen, um nicht durch den Schwindel umzukippen, denn dann hätte sie ein echtes Problem gehabt. Langsam zog sie ein Bein an und stellte es auf, dann stemmte sie sich vorsichtig hoch. Die Welt schien irgendwie einen Tick zu hell und verdammt weit unten zu sein. Keuchend lehnte sie sich an den Stein und hörte nichts ausser ihren eigenen Atem, der Wolken bildete in der Luft. Sie hatten ihr die Rüstung gelassen, und einen Mantel. Immerhin.
Mit einem leichten Schwung warf sie den Mantel nach vorne, dann schabte sie mit dem Seil zwischen ihren Handgelenken so lange über eine rauhe Kante des Steins, bis es riss. Sie lehnte sich wieder an den Stein und rieb sich die Handgelenke. Langsam kehrte ihre Denkfähigkeit und ihre Kraft zurück, während die Wirkung der Droge nachliess. Ihre Waffen waren weg. Eine kurze Überprüfung ergab, dass sie wirklich alle gefunden hatten, auch die versteckten Messer und die Wurfmesserchen unter dem Schulterschutz.
Nun, das war zu erwarten gewesen. Sie stiess sich von dem Felsen los und ging probehalber einige Schritte. Immer noch wankte die Welt beunruhigend, aber es war auch nicht schlimmer als wenn sie besoffen war, und damit hatte sie schliesslich Erfahrung, also lief sie los. Erst nach etwa einer Minute fiel ihr ein, dass sie keine Ahnung hatte, in welche Richtung sie eigentlich musste. Sie fluchte über das verdammte Betäubungsmittel, das ihr noch immer das Hirn vernebelte und versuchte nachzudenken.
Sie musste zu den Schattenspitzen. Sie wusste, wo die lagen. Aber sie wusste nicht, wo sie selbst war. Also galt es zuerst einmal das herauszufinden. Sie wusste, dass es normalerweise ein guter Weg war, Wasserläufen zu folgen, da die meist in besiedeltes Gebiet führten, aber hier in den Bergen konnte das mitunter Tage dauern und so lange Zeit hatte sie nicht. Sie musste sich einen Überblick verschaffen. Und das ging am besten von oben. Sie sah die Hänge zu beiden Seiten des Tals an und seufzte. Dann begann sie zu klettern.


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#830

RE: Drez (Stadt der Schattendämonen)

in Dreitan - das Spiel 01.08.2013 05:24
von Ro Raven | 10.532 Beiträge

Es dauerte einige Stunden, bis sie hoch genug war, um sich einen Überblick zu verschaffen, und mittlerweile funktionierte ihr Gehirn wieder normal. Sie stellte sich auf eine Felsnase und blickte über das Tal, in das der schmale Flusslauf, in dem sie aufgewacht war, mündete. Es war ihr fremd, was bedeutete, dass sie mehr als einen Tagesmarsch von der Schwarzen Festung entfernt sein musste. War das überhaupt möglich? Vakra hatte gesagt, sie würden am nächsten Tag bei Sonnenaufgang erwachen. Allerdings musste er das nicht unbedingt wörtlich gemeint haben. Es konnten auch mehrere Tage vergangen sein.
Sie kletterte noch ein Stück höher und schliesslich sah sie in der Ferne einen Berg, dessen markante Form sie erkannte. Anhand von dessen Position und der der Sonne schätzte sie ihre Lage und fluchte. Sie war bestimmt zwei Tagesmärsche von den Schattenspitzen entfernt, und das in Luftlinie. Sie kannte die ungefähren Verläufe von Tälern und Bergkämme in dieser Gegend und sie wusste, dass der Pfad, der zu den Schattenspitzen führte, genau auf der anderen Seite des Massivs, in dem sie lagen, begann. Wenn sie den Tälern folgte, dann musste sie bis fast zum See von Drez um das Massiv zu umrunden. Aber das würde viel zu lange dauern. Ihr blieb keine andere Wahl, als die Berge zu überqueren. Das Problem dabei war, dass zwischen ihr und den Schattenspitzen einige der grössten Berge des Drachengebirges lagen. Sie hatte zwei Möglichkeiten. Eine barg die Gefahr, in den Bergen abzustürzen oder zu erfrieren. Die andere die hohe Wahrscheinlichkeit zu verlieren. Die Wahl war nicht schwer.
Es gab jedoch noch eine zweite Entscheidung zu treffen. Zwei Tage waren eigentlich eine Zeitspanne, in der man früher oder später etwas zu Essen brauchte, aber bis sie hier etwas fand konnte es ewig dauern, und so viel Zeit hatte sie nicht. Sie nahm an, dass sie anderen beiden etwa ähnlich weit entfernt aufgewacht waren. Sie konnte natürlich darauf hoffen, dass die anderen ebenfalls zuerst etwas zu essen suchen würden, aber Hoffnung reichte nicht für den Sieg. Sie kam durchaus zwei Tage ohne Essen aus, auch bei Kälte. Nur würde es kritisch werden, wenn sie markant länger brauchte, um die Berge zu überqueren, und das war möglich.
Nun, die Drevna da Jachar waren darauf ausgelegt, die Läufer an ihre Grenzen zu bringen. Und sie hatte von vornherein gewusst, dass dieser hier härter werden würde als die meisten.
Sie lief los, folgte eine Weile dem Bergkamm, auf den sie gestiegen war, überquerte ihn dann und folgte dem Tal dahiner tiefer in das Gebirge hinein. Gegen Abend erreichte sie sein Ende, ein Talkessel umgeben von Felswänden und steilen Schneehängen. Sie beschloss, dass sie so weit wie möglich kommen wollte, bevor es dunkel war und machte sich an den Aufstieg. Schnell stellte sie fest, dass die Felsen der sicherere Untergrund waren, aber ihre klammen Finger fanden kaum halt und die Dunkelheit holte sie ein, lange bevor sie ebenes Gelände erreichte. Eine Weile noch versuchte sie weiter aufzusteigen, aber schliesslich gab sie es auf, denn sie sah so gut wie nichts. Sie suchte sich eine windgeschützte Stelle unter einem Felsüberhang, um sich in ihren Mantel zu wickeln. An Feuer war nicht zu denken, sie hatte weder Feuersteine noch Zunder.
In der Nacht hörte sie die Wölfe heulen, mal weit entfernt, dann plötzlich nahe. Nun, da sie keine Waffen bei sich hatte, machten sie ihr wesentlich mehr Angst als bei der Hütte. Sie versuchte sich zwar einzureden, dass sie nichts zu verlieren hatte, aber es funktionierte nur mässig. Ja, sie hatte nichts zu verlieren. Ja, sie hatte keine Angst vor dem Tod. Aber sie hatte Angst davor, dass es verdammt schmerzhaft werden würde, wenn die Wölfe sie zerrissen. Eine Klinge bei sich zu haben, garantierte nicht nur Verteidigung. Sie garantierte auch einen schnellen Tod, wenn man ihn brauchte.
Eine Klinge. Ihr Säbel. Allein seine Abwesenheit machte sie völlig unsicher. Bis jetzt hatte sie jeden Gedanken an den Umstand, dass er nicht da war, erfolgreich verdrängt, aber das Wolfsgeheul machte es ihr schrecklich bewusst. Über fünf Jahre lang hatte sie ihn stets bei sich getragen, nicht einmal zum schlafen abgelegt. Am Anfang nur, weil er ihr einziges Andenken an Darez war, aber mehr und mehr war die Klinge ein Teil von ihr geworden, und jetzt fühlte es sich an, als fehle ihr ein Arm oder ein Teil ihrer Seele.
Wieder heulten die Wölfe. Sie tastete umher und fand einen grossen Stein, den sie in der Hand wog, und hoffte, dass die Wölfe nicht hier hinauf kommen würden.
Die wirkliche Gefahr der Nacht waren aber nicht die Wölfe, es war die Kälte. Sie kroch durch den Umhang und die Rüstung in ihre Knochen und machte ihre Muskeln steif. Lange vor dem Morgengrauen erwachte sie aus ihrem unruhigen Schlaf und zitterte so stark, dass sie das Risiko, im Dunkeln abzustürzen für geringer erachtete, als dasjenigen, hier zu erfrieren, falls sie noch einmal einschlief.
Also brach sie wieder auf. Bei Sonnenaufgang erreichte sie ein breites Hochtal zwischen den Gipfeln. Direkt vor ihr ragte eine Wand aus Eis auf, davor türmten sich Berge von Schutt, der den Schnee dreckig färbte. Es war eiskalt.
Nach einer Weile fand sie eine Möglichkeit, die Gletscherzunge über die Wände des Tals zu umgehen, aber einmal oben angekommen, blieb ihr nichts anderes, als auf dem Eis weiter zu marschieren. Der Gletscher stieg kontiniuerlich an und schien kein Ende vor ihr zu nehen, immer wieder musste sie tiefe Risse umgehen. Der Hunger und das blendende Licht, reflektiert von all dem Schnee, machten ihr immer mehr zu schaffen, aber immerhin fror sie nicht, denn es kostete einige Anstrengung, in dem tiefen Schnee vorwärts zu kommen.
Um den Mittag herum bezwang sie eine Gefällestufe, doch als sie oben nur eine weitere endlose Eisfläche sah, begann sie zu bezweifeln, ob sie wirklich die richtige Entscheidung getroffen hatte. Ihre Hände waren mittlerweile eiskalt vom sich auf Eis und Schnee abstützen und sie war nahe daran, die Orientierung zu verlieren, denn alles um sie herum war gleich weiss, abgesehen von den Bergspitzen, die sich wie die Zacken einer Krone um die gleissende Senke erhoben.
Schliesslich wurde es wieder dunkel. Sie wusste, dass sie hier oben nicht anhalten konnte, ohne innert kurzer Zeit zu erfrieren, also ging sie weiter. Eine Weile lang schien der Mond und sie kam gut voran, aber dann ging er unter und kurz darauf setzte heftiger Wind an. Plötzlich glitt ihr rechter Fuss auf einem Flecken Eis aus. Sie versuchte sich abzufangen, aber nun rutschte sie auch mit Links. Sie fiel hin und schlitterte eine rasch steiler werdende Rampe aus Eis hinunter. Verzweifelt versuchte sie sich irgendwo festzuhalten, aber alles, was sie zwischen die Finger bekam war Schnee. Sie wurde herumgedreht und plötzlich krachte sie mit dem Rücken gegen etwas festes. Es presste ihr die Luft aus den Lungen, aber setzte es ihrer Abfahrt ein Ende.
Keuchend richtete sie sich auf und kraxelte über die Schneewehe, die sie aufgehalten hatte, auf die Felsen dahinter. Der Gletscher fiel hier in steilen Stufen ab in eine tiefere Rinne, die auf der einen Seite von einem hohen Berg, auf der anderen seine von einem Felsgrat zwischen zwei Gipfeln begrenzt wurde. Sie hatte keine Ahnung, wo sie war, und wohin sie nun gehen, überhaupt schon wie sie hier wegkommen sollte. Aber bleiben ging auch nicht, denn schon drang die Kälte in ihre Glieder und ihren Kopf.
Später wusste sie nicht mehr, wie sie es über das steile, zerworfene Eisfeld geschafft hatte, zu dem Grat zu gelangen, aber irgendwie kam sie dort an. Alles an ihr fühlte sich kalt an und sie begriff, dass sie noch vor dem Morgen erfrieren würde, egal, wie sehr sie sich bewegte, wenn sie nicht in tiefere Lagen ging. Und am Ende: was nützte ihr ein verdammter Sieg, wenn sie tot war? Nichts. Und erfrieren war nicht unbedingt der Tod, den sie sich gewünscht hatte. Es war irgendwie viel zu... banal.
Also schleppte sie sich über den Felskamm und halb lief, halb rutschte die dahintergelegenen, schneebedeckten Hänge hinunter. Sie kam zu weiteren Felsen, kletterte darüber hinunter und rutschte weiter. Hier lag weniger Schnee und der Untergrund schien glatt zu sein, denn sie wurde immer schneller, aber sie gab sich keine Mühe mehr zu bremsen. Plötzlich sackte der Boden unter ihr weg, sie flog ein kurzes Stück durch die Luft und landete dann hart auf Stein.
Sie schien in einem engen Tal zu sein, aber sie konnte fast nichts erkennen, denn ohne das glitzernde Schneefeld auf allen Seiten war es sehr dunkel. Auf jeden Fall war der Wind, der ihr oben jede Wärme aus dem Körper gesogen hatte, hier weg, und auch sonst schien es etwas wärmer zu sein. Sie kroch dorthin, wo sie eine Felswand vermutete, quetschte sich in eine Nische und zog Füsse und Hände unter ihren Körper, um sie daran zu hindern abzufrieren, bis die Sonne aufging.


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