Ro prustete vor Lachen. Seit wann brauchte Ran denn eine Leibwache?
Immer noch lachend meinte sie. "Die "ehrenwerten Räuber" sind sozusagen alle meine Leibwache. Und ich bin ihre. Und sie können nicht nur saufen, sondern auch singen, oder Jeso?"
"Natürlich", grölte Jeso bereits ziemlich besoffen und stimmte ein Lied an. "In Nurmen an der Hafengasse, gibts ne alte Taverne, da geh ich nicht nur häufig hin, sondern auch sehr gerne. Und in der Schenke, kriegt man nicht nur Bier und Met, Kameraden, nein, meine Lieblingsschenke, die ist auch ein Hurenladen..."
Ihm schien der Text der Strophe nicht einzufallen, aber sofort fiel einer der anderen ein, und spätestens beim dritten Mal grölte die ganze Runde den Refrain mit. Auch Ro konnte nicht anders. Sie kannte das Lied schon seit sie acht war, auch wenn sie nicht von Anfang an ganz alles verstanden hatte. Sie dachte sich, dass sie, wäre sie nicht unter Soldaten aufgewachsen, bei dem Text vermutlich schon allein beim zuhören knallrot angelaufen wäre. Der Gedanke brachte sie zum Lachen.
Sie prostete Jeso zu und trank ihren Becher aus.
Als das Lied fertig war und die Männer ein neues, nicht weniger eindeutiges anstimmten, wandte sie sich Ran zu und fragte so leise, dass keiner der Männer sie verstehen konnte: "Sag mal, nur so... hast du eigentlich eine Ahnung, was aus dem Zwerg und dem Flammenkopf geworden ist?"

"Was meinst du, haben sie ihn umgebracht?"
Das war eigentlich irrelevant, oder nicht? Egal.
Aber die andere Frage, die sie hatte, war wichtiger.
"Denkst du... denkst du, die Magier sind gefährlich? Also ich meine auch für Leute, die sich nicht in ihre Belange einmischen? Denkst du, sie haben irgendetwas vor, was allen schaden könnte?"
In erster Linie wollte sie wissen, ob sie sich mit diesen Leuten vielleicht irgendwann wieder würde herumschlagen müssen.

"Verdammte Scheisse", sagte Ro und liess sich von Nesh nachschenken. Er hob eine Augenbraue und sie nahm an, dass er zumindest diese beiden Worte verstanden hatte. War auch nicht allzu schwierig, immerhin sagte sie sie jeden Tag dutzende Male. Sie würde ihm später einen Teil erklären.
Sie trank einen Schluck, drehte den Krug in den Händen und dachte nach. Die Magier waren eine Gefahr. Es gab zwei Möglichkeiten, dieser Gefahr zu begegnen. Die erste und sehr naheliegende war, sich da einfach rauszuhalten und so tun als gäbe es sie nicht. Der Nachteil dabei war nur, dass man ihnen, wenn sie irgendetwas planten, irgendwann nicht mehr ausweichen konnte. Und sie hatte den Verdacht, dass das bei ihr vielleicht früher sein würde als bei den meisten anderen Leuten, denn die Magier kannten sie und hatten sie schon einmal für sich gebraucht. Sie war nicht ganz schlüssig, ob die Magier wussten, was ihr Säbel wirklich war, neben seiner Funktion als Schlüssel zu alten Tunnels. Irgendwie bezweifelte sie es, denn hätten sie es gewusst, hätten sie sie kaum einfach so gehen lassen. Aber sie konnten es natürlich auch mitlerweile herausgefunden haben. Und wenn sie es wussten, dann stand sie vermutlich ziemlich hoch oben auf der Abschussliste.
Die zweite Möglichkeit war Wahnsinn, nämlich die Magier anzugreifen und zu zerschlagen, bevor sie noch stärker wurden. Sie wusste nicht ob überhaupt jemand in der Lage war, sie zu besiegen, und wenn, dann sicher niemand allein, und sie schon gar nicht. Ausserdem war sie jetzt Hauptmann. Sie hatte Verantwortung für ihre Männer und sie konnte sie genau so wenig einfach im Stich lassen, wie sie in den sicheren Tod führen.
Nachdenklich sah sie Ran an. Ran hatte gute Kontakte zu anderen Magiern, und die Assassinen waren auf ihre Art bestimmt sehr gute Krieger. "Wirst du etwas gegen sie unternehmen?"

Ro fragte sich unwillkürlich ob Ran wirklich etwas gegen die Magier unternehmen wollte, weil sie gefährlich waren, oder nur weil sie Konkurrenz für ihre eigenen Organisationen bedeuteten.
Sie trank einen Schluck Met und rieb sich übers Kinn, dann meinte sie: "Ich habe meine Leute hier, verstehst du? Ich kann nicht einfach tun und lassen was ich will, denn ich bin ihr Anführer und somit auch für sie verantwortlich, nicht nur für mich selbst. Ich kann sie nicht einfach verlassen. Und ich kann sie nicht in einen solchen Kampf mitnehmen. Es sind gute Krieger, auf dem Schlachtfeld, im offenen Kampf. Aber gegen Magie haben sie keine Chance. Sie würden mir vermutlich folgen. Aber ich würde sie damit umbringen.
Ich werde versuchen, mich und meine Leute aus dem ganzen rauszuhalten. Aber ich fürchte zumindest, was mich selbst betrifft, wird es mir nicht sehr lange gelingen." Sie lächelte traurig.
"Wenn du mich brauchst, dann weisst du ja jetzt, wo du mich findest."
Auf diese Worte hin leerte sie den Humpden und liess sich nachschenken, um ihre trübseligen Gedanken zu ersäufen.

Ro grinste. Angetrunkene Dämonen verhielten sich genau gleich wie angetrunkene Menschen. "Wir Mädels haben noch was zu besprechen. Ich finds auch blöd, aber Leute herumkommandieren zu dürfen hat die dumme Nebenwirkung, dass man einiges zu tun hat. Aber wenn du Angst hast, wir hätten zu wenig Spass, dann setz dich doch zu uns."
Sie wandte sich wieder Ran zu. "Auf ziemlichen Irrwegen. Ich bin einem Typen in den Bergen begegnet. Und ich war in Drez am Turnier und hab gegen meinen Cousin gekämpft, der nicht wusste, dass ich seine Cousine bin. Und dann hab ich in Ravi Nesh getroffen, und der hatte die Idee, wir könnten Räuber werden." Ihr wurde irgendwo am Rande bewusst, dass sie das ganze so abgekürzt hatte, dass es kaum noch Sinn ergab, aber sie hatte bereits zu viel Met getrunken, als dass sie sich darüber Sorgen gemacht hätte. "Und du, was hast du so erlebt?"