Nesh stand auf einem Felsen etwas oberhalb und von Ästen verborgen. Er wusste nicht, was er tun sollte. Er wusste nicht, was Ro getan hätte. Da unten standten diese beiden Leute aus den verfluchten Wäldern und riefen nach Ro. Er mochte sie nicht. Sie waren ihm unheimlich. Und er hatte gesehen, dass Ro, als sie ihr auf der Strasse begegnet waren, beinahe ausgerastet wäre. Warum sie später so kameradschaftlich gewesen war, konnte er sich nicht erklären. Ein weiterer Punkt, warum er sie nicht mochte, war, dass sie offenbar ein Druckmittel gegen Ro hatten, denn Ro war nicht jemand, der sich freiwillig in seinem Handeln einschränken liess. Der wohl bedeutendste Grund war jedoch wohl, dass seit diese Leute dagewesen waren, Ro traurig war und Angst hatte. Dafür hasste er sie.
Also schrie alles in ihm danach, die beiden zu ignorieren und wachsam im Auge zu behalten, bis sie dieses Stück des Waldes verlassen hatten. Was dagegen sprach war, dass er es vielleicht nicht riskieren konnte, dass sie wütend wurden. Oh, verdammt, warum hatte Ro sich ausgerechnet jetzt besaufen müssen? Er spielt mit dem Gedanken, jemanden zum Lager zurück zu schicken, um sie zu holen, aber es tat ihm weh, wenn er daran dachte, dass sie aus dem Schlaf gerissen würde. Sie hatte so friedlich ausgesehen, als er sie im Zelt zurückgelassen hatte. Sofern jemand wie Ro Raven überhaupt friedlich aussehen konnte. Immerhin war sie die Tochter ihres Vaters. Aber sie hatte friedlicher ausgesehen als jemals wenn sie wach war. Ausserdem konnte er sich gut vorstellen, wie dreckig es ihr ging, wenn sie jetzt aufstand und hierher kam.
Schliesslich seufzte er und trat vor die Bäume. "Was wollt ihr?", fragte er, und versuchte dabei nicht allzu feindselig zu klingen.

Nesh biss die Zähne zusammen. Diese Frau schien ihn genauso wenig zu mögen, wie er sie. Und er war jahrelang Soldat gewesen, er kannte die Haltung, die jemand annahm, wenn er sich auf einen Kampf vorbereitete. Der Mann schien nicht weit davon entfernt zu sein.
Und er wusste nicht, was er tun sollte. Er verfluchte sich für seine Unfähigkeit und drehte sich zu den Männern um, die im Dickicht standen. Schien als bliebe ihm nur das übrig, was er hatte vermeiden wollen. "Danva, hol Ro. Sie ist in ihrem Zelt."
Danva nickte und lief zu den Pferden.
Dann wandte er sich wieder den Fremden zu. "Hauptmann Raven wird bald hier sein." Zumindest hoffte er das.

Ro spürte wie jemand sie an der Schulter packte, schlug reflexartig aus, und rollte sich weg, mit dem Resultat, dass sie auf den Boden krachte. Die welt drehte sich weiter, auch als sie längst mit dem Gesicht auf der Erde dalag. "Entschuldigung", hörte sie eine Stimme sagen. "Du hast nicht reagiert, als ich gerufen habe."
Sie hob mühsam den Kopf und sah verschwommen einen Mann da stehen. Erst auf den zweiten oder dritten Blick erkannte sie Danva, und dass er sich die Nase hielt. Ein Teil von ihr war überrascht, dass sie ihn tatsächlich getroffen hatte, aber der grösste Teil fühlte sich einfach nur miserabel. Jeder Muskel tat ihr weh, der Geschmack in ihrem Mund war hässlicher als der unreifer Beeren, ihr Kopf fühlte sich an als wäre er irgendwo anders als er sein sollte und die Welt war noch weniger am richtigen Platz. Am liebsten hätte sie den Kopf einfach wieder auf den Boden gelegt und versucht, wieder wegzudämmern. Aber dass Danva hier war, musste einen Grund haben. "Was is los?", fragte sie undeutlich, während sie sich am Feldbett hochzog.
"Nesh braucht dich", sagte Danva etwas verwirrt. "Die Leute aus den Verfluchten Wäldern sind wieder da."
Ro fluchte. Das hatte ihr gerade noch gefehlt. Sie richtete sich ganz auf und stolperte rückwärts gegen eine Truhe. Danva schien zu dämmern, was ihr Problem war, denn er hielt sie am Schulterschutz fest und zog sie wieder in die Senkrechte. Zweifelnd sah er sie an. "Kannst du überhaupt reiten?"
"Ich muss", antwortete Ro zwischen zusammengebissenen Zähnen.
Mit Danvas Hilfe schaffte sie es zum Pferd. Sie schwang sich irgendwie in den Sattel, fiel auf der anderen Seite beinahe wieder hinunter und fand die Zügel nicht. Danva stieg auf ein anderes Pferd und ritt voraus, sie lehnte sich nach vorne und klammerte sich einfach nur in der Mähne des Tieres fest. Auf halbem Weg hielt sie an und übergab sich zur Seite, aber besser ging es ihr danach auch nicht.
Als sie schliesslich bei der Strasse angelangt waren, stieg sie recht unsanft vom Pferd, rappelte sich auf und stolperte zu Nesh hinüber. Er drehte sich zu ihr um, und hob beide Augenbrauen. Sie ahnte, dass sie vermutlich sogar für Dämonenverhältnisse käseweiss im Gesicht war. Sie holte tief Luft, richtete sich auf, und trat zwischen den Bäumen hindurch. Ran und Earon standen in einem merkwürdigen Aufzug unten auf der Strasse. "Ihr wolltet mich sehen?"

Ro rang einen Moment mit sich selbst. Sie hasste es Hilfe anzunehmen, vorallem von Leuten, die sie kaum kannte und vorallem, wenn sie selbst daran schuld war, dass sie Hilfe brauchte. Aber wenn sie mit Ran über die Magier sprach würde sie einen klaren Kopf brauchen. Und sie erinnerte sie sich, was sie sich geschworen hatte, im Zelt. Dies würde vermutlich noch der leisteste Prüfstein werden.
"Das wäre nicht schlecht", seufzte sie und trat den Weg hinunter zur Strasse an, als sie eine Bewegung hinter sich spürte. Sie drehte sich um, und sah, dass Nesh sie hatte zurückhalten wollen. "Wer sind diese Leute", fragte er so leise, dass nur sie es hören konnte. "Warum vertraust du ihnen?"
"Ich habe keine Wahl", sagte Ro ebenso leise. "Sie wissen mehr über die Magier als ich. Und sie sind vielleicht mächtig genug, sie aufzuhalten."
Nesh kniff die Augen zusammen. "Wenn sie so viel über die Magier wissen, woher bist du dir sicher, dass sie nicht zu ihnen gehören? Und wenn sie so mächtig sind, wie kannst du wissen, dass sie genauso gefährlich sind?"
Ro holte Luft, dann sagte sie. "Sie sind Magier. Aber sie gehören nicht zu denen, die mich jagen werden. Und sie sind gefährlich. Aber wir haben den selben Feind. Und dieser Feind ist im Moment gefährlicher. Wenn du in die Schlacht ziehst bist du froh um den Mann neben dir, auch wenn er dich beim Würfeln betrogen hat."
Nesh seufzte. "Und du kannst nur hoffen, dass er dir nicht in den Rücken fällt, weil er seine Schuld los sein will. Sei vorsichtig."
Sie nickte und wankte hinunter auf die Strasse.

Ro gehorchte Earon's Anweisungen und hätte sich beinahe nochmal übergeben. "Verdammte scheisse, ist das hässlich", keuchte sie.
Dann begann sie die Wirkung zu spüren. Es war, als fege ein Wind durch ihren Kopf und blase allen Schmerz, alle Benommenheit weg. Es war ein kalter Wind, ein Wind, der den Winter ankündigte. Ein Wind von den Bergen, von Schnee und Eis, der über eine karge Klippe blies. Ihre Gedanken wurden kalt und scharf wie Eiskristalle.
Sie sah Earon an. "Das sind... interessante Kräuter." Sie erinnerten sie an etwas. An einen Wind, einen Wind von den Bergen, der über eine karge Klippe blies. An einem anderen Ort. In einer anderen Zeit. Es war verwirrend, aber es beunruhigte sie nicht.
Sie wandte sich Ran zu. "Was hast du für Neuigkeiten? Und vorallem: was für eine Lösung."

Ro zögerte und dachte nach. "Wie funktioniert es? Wie kann es ohne Magie einen Schild um den Träger bilden?"
Sie hatte den Verdacht, dass Ran das mit dem ohne Magie gelogen hatte, um sie zu überzeugen.