Niv reichte es langsam. Sie setze ein so trauriges Gesicht auf, dass jeder mit ihr Mitleid bekommen hätte und zupfte Gwaischach am Ärmel. "Vielleicht sollten wir wirklich weiter... Ich will keinen Ärger machen", meinte sie in einer süssen, zerbrechlichen Stimme.

Gwaishach sah Niv verständnislos an. Sie brauchten doch Proviant.
"Aber dann kommen wir nicht weit, ohne zu verhungern", warf er ein.
Der Mann ihnen gegenüber schien mit sich zu ringen und schließlich sagte er: "Einverstanden. Ihr gebt mir das Gold, ich besorge euch alles und dann verschwindet ihr hier. Ich tu das nur, damt ihr abhaut, klar? Und viel haben wir auch nicht anzubieten. Was braucht ihr denn?"
Die anderen Männer spielten trotzdem noch mit ihren Messern herum.

Niv sah den Mann dankbar und fast mit Tränen in den Augen an. Es wirkte doch jedesmal. Dann sah sie Gwaischach auffordernd an ihnen zu sagen, was sie alles brauchten.

Niv blickte ihn vielsagend an. "Nun gut, wir brauchen Pökelfleisch, Brot, Dörrobst, Zwieback, Käse und noch einen leeren Wasserschlauch. Genug für mindestens eine Woche, aber natürlich nicht so viel, dass wir es nichtmehr tragen könnten." Da fiel ihm noch etwas ein. "Und wenn ihr noch einen Rucksack hättet, wären wir sehr dankbar." Niv konnte schließlich auch ein Wenig tragen, wenn sie sich wieder erholt hatte. "Welche Kleidung wir benötigen, kann ich euch glaube ich nicht so gut sagen."
Jetzt warf er Niv einen Blick zu. Sie sollte ihre Wünsche selbst äußern, er kannte sich da nicht so aus.
Er hoffte inständig, dass die Vorräte des Dorfes ausreichen würden, um sie zu versorgen. Zusammen genommen konnten sie bestimmt zehn bis fünfzehn Kilogramm mehr Gepäck mit sich führen, das würde für eine Woche bis zehn Tage ausreichend sein, zumal sie sich in der Wildnis noch ein bisschen versorgen konnten.

"Hemd, Hose und Wollmantel reichen", meinte Niv mit einem freundlichen Lächeln an eine der Frauen gerichtet. "Oh eine Zeltplane währe noch nützlich."
Die Dorfbewohner schienen nicht besonders mit den Wünschen einverstanden zu sein, aber sie brachten schliesslich das Verlangte. Das Essen würde für knapp eine Woche reichen und die Zeltplane hatten sie auch vorbereitet zu Nivs Erstaunen sogar einige Seile. Es waren gute Seile. Sie könnte sie für Fallen gebrauchen. Es lief alles wie am Schnürchen. Sie wartete bis Gwaischach ihr weitere Anweisungen gab. Niv unterdrückte ein Grinsen und versuchte in der Rolle eines schüchternen Mädchens zu bleiben. Natürlich war sie ihr Leben lang nutzlos gewesen, doch sie hatte gelernt für sich selber zu sorgen. Man musste nur wissen, mit dem gut umzugehen, was man hatte.
Ihre Rolle des verletzlichen, kleinen Dinges war perfekt. Nicht einmal Gwaischach hatte etwas gemerkt, vorhin, als sie ihn gebeten hatte weiter zu gehen, auch wenn er es eigentlich hätte merken müssen...
Wenn die Dinge weiterhin so gut verliefen, wer weiss, vielleicht würde sie nach Kasz zurückkehren können und Rache an ihrer ignoranten Familie nehmen können. Sie strebten alle so sehr nach Macht, dass sie die mächtigste Waffe verpönten und in den Dreck warfen. Verstand. Kein muskelbepackter Vollidiot könnte gegen Technik und Verstand etwas anrichten. Pure Stärke war nicht alles, man musste wissen, wie man sie einsetzte, wie man das volle Potenzial aus dem kleinsten Staubkorn herausholte und wie man das Glück anzog.
Ja, Niv hatte Glück gehabt. In letzter Zeit vor allem. Immerhin wurde sie nicht an einen ekelhaften, fetten Kotzbrocken verkauft, sondern von einem Krieger 'gerettet'.
Sie schielte zu Gwaischach hinüber. Er war stark, das sah sie ihm an und der Splitter um ihren Hals vibrierte, pulsierte und sang ein nur für sie hörbares Lied. Ihr Retter war nicht nur ein äusserst fähiger Krieger, sondern auch Magier.
Doch all das waren nur ihre und die Vermutungen des Splitters. Sie würde den Dunkelschatten testen müssen. Zuerst seinen Willen und dann seine Fertigkeiten.
Wenn sie ehrlich war hatte sie nicht wirklich Pläne für die Zukunft. Rache an ihrer Familie würde sie nur nehmen, wenn sich die perfekte Gelegenheit bieten würde. Ein wirkliches Verlangen danach hatte sie nicht.
Niv fragte sich, wie es mit ihr weitergehen sollte. Sie würde sich wahrscheinlich jemanden suchen, der ihrem Geschmack entsprach und der genug Macht besass, dass sie sich sicher fühlte. Bis dahin würde sie Gwaischach begleiten und ihn, als Gegenleistung für seine Hilfe und seinen Schutz, so gut es ging unterstützen.

Er wartete geduldig, bis die Dorfbewohner alles gebracht hatten. Sie wirkten nicht besonders glücklich, aber die Ware schien in Ordnung zu sein.
Dann fragte er den Schnauzbart: "Und wie viel macht das Ganze?"
Der Mann schien kurz zu überlegen, dann sagte er in schroffem Ton: "Drei Goldstücke!"
Gwaishach riss die Augen auf. Selbst mit der Zeltplane und der Kleidung war die Ware niemals drei Goldstücke wert. Höchstens eines.
"Das ist aber sehr teuer", sagte er bestimmt und spielte mit den Münzen in seinem Münzbeutel herum, um zu zeigen, dass er das Geld zwar besaß, aber nicht unbedingt auf das Angebot eingehen würde.
"Dann sieh doch zu, wo du es sonst herkriegst", murrte der Mann.
Shak-Dir! Er schien zu wissen, dass sie auf sie angewiesen waren.
"Zwei Goldmünzen", sagte Gwaishach und hielt sie dem Mann hin.
Dieser überlegte. "Drei!"
"Zwei."
"Tschüss."
"Nein, warte. Hier sind deine drei Goldmünzen!"
Er hatte du Halsabschneider hinzufügen wollen, aber wollte ihn nicht verärgern. Immerhin brauchten sie die Ware tatsächlich.
Gwaishach bezahlte also brav und er und Niv luden das Gepäck auf, wobei Niv den geringeren Teil zu tragen hatte, da er sie so kurz nach ihrer Gefangenschaft nicht unnötig belasten wollte.
Als sie sich schließlich verabschiedet hatten und bereits den Dorfrand erreicht hatten, sah Gwaishach Hühner auf der Straße rumlaufen. Er blieb stehen und fragte Niv: "Meinst du, wenn wir schon drei Goldstücke bezahlen mussten, dass in dem Preis nicht noch ein Huhn inbegriffen ist?"
Er grinste.

Sie schielte zu den Dorfbewohnern. "Ja. Aber sie werden uns dann nachjagen", meinte sie.

"Ich weiß, aber vielleicht sind wir schneller", entgegnete er. "Außer sie haben Pferde, was vermutlich der Fall ist. Hmm."
Er überlegte kurz.
"Es wäre ein ziemliches Risiko, sollen wir es trotzdem wagen?"
Er rang mit sich. Wenn die Dorfbewohner sie verfolgen würden, konnte es sein, dass er dadurch Niv in Gefahr gebracht hätte. Er konnte nur schwer gleichzeitig gegen mehrere kämpfen und auf sie Acht geben. Zudem behagte es ihm nicht, die Leute grundlos zu töten. Mit Stehlen hatte er kein Problem, aber wenn das Resultat ein sinnloses Gemetzel wäre, dann wäre es ihm das nicht wert. Andererseits fand er, war es sein Recht, noch ein Huhn mitgehen zu lassen, bei dem Preis. Die Dorfbewohner wären ja selber Schuld, wenn sie sie dehalb verfolgen oder angreifen würden.

Niv war sich nicht sicher was sie antworten sollte. Sie war dagegen. Doch widersprechen wollte sie nicht. "Ich weiss nicht", meinte sie. "Wenn ihr es für notwendig erachtet, dann nehmt euch ein Huhn"

Irgendwie musste er sich eingestehen, dass sie auf das Huhn nicht angewisen waren, wenngleich es sie einen weiteren Tage hätte ernähren können. Aber es zu klauen, wäre nur eine kindliche Racheaktion gewesen. Zumal das Geld aus Hexathars Goldvorrat kam, den sie in all ihren Jahren zusammengesammelt hatten.
"Hmm, vermutlich bringt es mehr Ärger als Nutzen sagte er" und folgte damit zum einem dem logischen Verstand und zum anderen utilitaristischen Prinzipien, wenngleich er diese nur selten anwendete. Dafür war er in zu kriminellen Kreisen unterwegs.
So verließen sie einfach das Dorf, ohne noch irgendwelchen Ärger zu machen. Wenngleich ihn der hohe Preis immernoch sehr wurmte. Noch vor den Grünbergen würde ihr Proviant aufgebraucht sein und sie würden ihn auffüllen müssen. Denn in den Grünbergen würde es schwierig werden, genug zu finden.