Ro sah den Dämonen seinen Säbel ziehen und drehte sich um. Die Magier standen auf der oberen Kante des Abhangs aufgereiht wie kleine Schädel an der Halskette eines Rattenfängers. Sie überlegte sich einen Moment, ebenfalls ihren Säbel zu ziehen, dann verwarf sie den Gedanken. Auf diese Distanz nützte er nicht. Die Magier konnten sie aber vermutlich sehr wohl angreifen. Sie waren eindeutig in einer schlechten Position.
"Vergiss dein Pferd", zischte sie dem Elfen zu. "Lauft. Ins Unterholz. Damit sie euch nicht mehr sehen." Sie streckte dem Elfen die Hand entgegen, um ihn aufzuziehen. "Kannst du rennen?"

Ro überlegte im Rennen. Wohin sollten sie? Wie schnell konnten diese Magier laufen, oder sich sonstwie fortbewegen, und wie Ausdauernd waren sie dabei? Wie weit reichte ihre Magie? Viel zu viele Unbekannte für einen richtigen Plan. Das einzige, wovon sie sich wirklich etwas versprach, war den Sichtkontakt zu unterbrechen. Ein Ziel, das man nicht sah, konnte man nicht angreifen, egal auf welche Distanz. Auch wenn ihr sofort ein halbes dutzend möglicher Zauber einfielen, mit denen das doch ging. Eine Druckwelle zum Beispiel, oder ein Waldbrand. Aber sie stellte sich vor, dass etwas so mächtiges viel Zeit und Kraft brauchte um bewirkt zu werden. Und ohne sichtbares Ziel war es immer noch ungenau.
Die Bäume garantierten in der Dunkelheit einen gewissen Sichtschutz. Aber wohin dann? Wenn sie weiter abwärts liefen, dann kämen sie zum See. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass es dort eine Möglichkeit gab, entgültig zu entkommen. Aber wohin sonst? Konnte man sich vor Magiern verstecken? Sie hatte keine Ahnung.

Die Dunkelheit war vollkommen. Die Stille auch. Es war, als wäre sie plötzlich blind und taub zugleich. Seltsamerweise machte ihr das zweite wesentlich mehr Angst. Nichts mehr sehen zu können war eins, es zwang einen zwar, langsamer zu gehen, aber die anderen Sinne vermochten es zu ersetzen. Aber nichts mehr zu hören, bedeutete, von der Welt vollkommen abgeschnitten zu sein. Keine Warnung mehr, wenn etwas auf einen zukam, keine Bestätigung, dass noch andere in der Nähe waren, sie hörte nicht einmal, ob Laub unter ihren Füssen raschelte. Als hätte jemand sie in einen schwarzen Sack gestopft.
Sie tastete sich weiter. Ihr war klar, dass nun jeder vollkommen auf sich allein gestellt war. Die anderen hätten einen halben Schritt neben ihr sein können, ohne dass sie etwas davon gemerkt hatte. Das galt natürlich auch für die Magier. Hatten sie das gemacht? Waren diese Gruselgestalten zu so etwas fähig? Ungewollt drängte sich ein Bild in ihre Gedanken: sie taumelte blind und taub im Kreis, ringsumher standen die Magier und lachten sie aus, überlegten, wie sie zuschlagen sollten. Woher konnte sie wissen, dass es nicht so war? Unsicher schlug sie mit den Händen um sich. In ihren Gedanken sprangen die Kapuzengestalten grinsend vor ihren Händen weg. Sie machte einen Ausfallschritt und knallte mit etwas zusammen, das sich als Baumstamm erwies.
Ihr wurde klar, wie dumm sie sich verhielt. Ihre einzige Chance war, irgendwie weg zu kommen, weg, wohin auch immer. Sie tastete sich weiter. Plötzlich ertastete sie mit dem Fuss etwas Merkwürdiges, etwas, das sie nicht zuordnen konnte. Vorsichtig setzte sie den Fuss ab. Der Boden war abschüssig und glatt. Sie machte noch einen Schritt und hielt sich mit einer Hand an einem Ast fest, doch dann rutschte sie aus, der Ast gab ruckartig nach und sie fiel. Eisige Kälte umfing sie. Sie brauchte einige Augenblicke um zu begreifen, dass es Wasser war. Dann wurde ihr noch etwas klar: sie hörte die Luftblasen nach oben steigen.

Nach Luft japsend tauchte sie auf. Bleierne Stille umfing sie, sie hörte nicht mal die Tropfen von ihren Haaren ins Wasser fallen. Sie holte tief Luft und tauchte wieder ab. Das Wasser war eiskalt, Bergwasser, direkt von den Gletschern der Grossen Berge. Sie wusste nicht, wie lange sie die Kälte ertragen würde, bevor sie sich nicht mehr bewegen konnte. Nicht sehr lange vermutlich. Aber eines war ihr klar: unter Wasser hörte sie etwas. Das hiess, was immer die Stille und Dunkelheit verursachte, es reichte nicht bis unter die Wasseroberfläche. Sie starrte mit weit geöffneten Augen um sich, doch sie konnte nichts erkennen. Natürlich, wenn oben kein Licht war, wie sollte es dann ins Wasser gelangen? Dennoch drehte sie sich weiter langsam um die eigene Achse und plötzlich glaubte die etwas zu sehen, eine winzige Spur von Helligkeit. Vielleicht spielten ihr auch nur ihre Augen einen Streich, oder sie bekam Halluzinationen von der Kälte, aber wenn nicht...
Nocheinmal tauchte sie auf und holte tief Luft, dann stiess sie sich vom Boden ab und schwamm auf das schwache Glitzern zu. Die nassen Kleider und Stiefel zogen sie nach unten und ihre Arme und Beine waren halb starr vor Kälte, sie wusste nicht, wie tief sie im Wasser war, ob sie nicht vielleicht immer tiefer hinunter tauchte. Aber sie hatte sich nicht getäuscht. Da war etwas. Sie bemühte sich, schneller zu schwimmen, denn allmächlich ging ihr die Luft aus. Plötzlich durchbrach ihr Kopf die Wasseroberfläche und sie fand sich unter einem klaren Sternenhimmel wieder.