
Der Geruch von Tod schlug ihnen entgegen, sobald die Tür geöffnet wurde. Ran stockte der Atem, aber im Gegensatz zu Veray musste sie nicht würgen. Sie hatte genug Tote, Sterbende, Verstümmelte und Verletzte in ihrem Leben gesehen, dass ein solcher Anblick ihr nicht den Magen umkehrte. "Wie heisst sie?", fragte sie den Jäger und trat langsam an das Kind heran. Sie hockte sich neben das Bett und betrachtete die scheusslichen Wunden der Kleinen. Das Mädchen tat ihr Leid. Veray hatte recht, etwas stimmte nicht... War der Wolf vielleicht doch ein bösartiger Waldgeist gewesen? Doch was hatte ihn verärgert? Der Jäger sagte den Namen des Mädchens und Ran sprach sie an, erklärte, dass sie ihr den Schmerz nehmen würde und bat den Jäger und Veray, den Raum zu verlassen. Sie versprach dem Mann das Mädchen nicht zu töten, ihr lediglich den Schmerz zu nehmen, wobei sie sich wiederholte, als er ihr einen skeptischen Blick zuwarf.
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Als sich die beiden Männer an eine der Wände gelehnt hatten, atmete Ran einmal tief durch. „Bereit, Liebes?“, fragte sie sanft das Mädchen, welches nur wimmerte. Sie war sich nicht einmal sicher, ob die Kleine sie hörte. Ran kniete sich neben das Kind und beschaute sich die Wunden, bevor sie ihre Hand ausstreckte und über dem Gesicht des Mädchens schweben liess. Die Heilerin schloss ihre Augen, und ihr Geist verliess ihre Handfläche, kroch wie sanfter, warmer Nebel über die Wunden des Kindes, welches kurz zuckte. Jeden Millimeter des kleinen Körpers tastete die Seele ab, fühlte jede zerrissene Faser, jeden Hautfetzen und jeden Knochensplitter.
Randreyah begann leise ein Lied zu singen, welches ihr Vater (Growndrill) ihr einst vorgesungen, als sie selbst krank und ans Bett gebunden war. Es war ein Lied, welches die Göttin Nauma um ihren Beistand und Segen bot; welches Heilung den Verletzten und Ruhe den Toten bringen sollte.
Als sie jede einzelne Wunde kannte begann sie die Bisswunden zu heilen, liess ihren Geist, wie tausende kleiner Hände nach den Wunden greifen, das Fleisch zurechtziehen und es zusammenwachsen doch etwas stimmte nicht. Egal wie viel Mühe und Energie Randreyah in die Heilung investierte, die Wunden schlossen sich und brachen gleich wieder auf, so als hätte sie nichts getan, als wäre der zu heilende Körper tot. Schnell liess sie ihre Hand wieder über das Gesicht des Kindes schweben, welches eigentlich nur noch eine beängstigende Fratze war. Sie tastete nach dem Geist der Kleinen und fühlte schwach ein Bewusstsein. Dann liess sie die Hand über die kleine Brust schweben und merkte, dass das Herz immer noch leise schlug und pumpte.
Wieder widmete sich Randreyah den Bisswunden, versuchte die Nerven nahe der Wunden zu zerstören, damit sie keinen Schmerz mehr fühlte. Es gelang ihr. Doch je mehr Wunden der kleine Körper nicht mehr fühlen konnte, desto grösser wurde das Bewusstsein in ihm. Ran hielt inne und tastete erneut prüfend nach dem Geist des Mädchens und erschauerte. Etwas stimmte hier nicht. Ganz und gar nicht. Es war kein menschlicher Geist, der in diesem Körper hauste, noch war es der Geist eines Tieres.
Ruckartig stand Ran auf. Und in dem Moment spürte sie wie etwas Nasses, Warmes über ihre Lippe kroch. Sie tastete danach und als sie die Finger senkte, klebte an ihnen dunkles Blut. Erschrocken entfernte sie sich einige Schritte. Sie spürte jetzt das Bewusstsein, wie eine dunkle Wolke im Raum zerfliessen und der Geruch nach Tod verstärkte sich. „Etwas stimmt mit ihr nicht…“, murmelte sie schockiert, doch in dem Moment, in dem sie sagen wollte, dass das Kind besessen war, klappte sie in sich zusammen und Schwärze stürzte über sie herein.
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Sie warteten regungslos und hörten Ran leise singen. Dann begannen sich die Wunden des Mädchens zu schliessen, als wäre ihre Haut weicher Lehm, den unsichbare Hände verstrichen. Der Jäger wollte einen Schritt auf Ran zu machen, aber Veray hielt ihn zurück.
Ran wirkte sehr konzentriert, aber plötzlich schien sie zu stutzen und kurz darauf sah Veray auch weshalb: die Wunden gingen wieder auf. Er verstand zwar nicht viel von Heilmagie, aber er wusste, dass das nicht normal war. Was hatte das zu bedeuten?
Dann sprang Ran auf und wich zurück, murmelte etwas und brach zusammen. Veray war mit einem Sprung bei ihr und nahm sie in die Arme."Ran!", rief er. Er sah das Blut auf ihren Lippen und eine kalte Angst breitete sich in seinem Inneren aus und drohte ihm den Atem zu nehmen. Er tastete nach ihrem Hals und spürte ihren Puls. Sie lebte! "Ran!", sagte er. "Ran, wach auf! Was ist los?!"
Dann spürte er etwas, das ihm die Nackenhaare aufstellte. Er konnte es nicht benennen, aber ein Teil von ihm wusste es instinktiv. Etwas war hier in diesem Raum. Etwas böses.
Er drehte sich um und sah, wie der Jäger einige Schritte auf das verletzte Mädchen zu machte. "Komm ihr nicht zu nahe!", rief er warnend, aber der Mann brauchte keine Warnung mehr. Entsetzt wich er zurück und flüsterte: "Ein Dämon..."
If you're going through hell, keep going.

Die Schwärze griff nach ihrem Geist, doch konnte sie nicht fangen. Immer wieder wich sie ihr aus, doch dann hielt die Schwärze still und umschloss Ran vollends. Sie spürte, wie sie jetzt auf ihr ungeborenes Kind abzielte. Der Geist versuchte es zu besitzen. Schnell bildete sie einen Wall um ihre und die Seele des Kindes, beinahe zuspät. Angst erfüllte sie, doch die Schwärze verschwand, sie schien ein neues Opfer gefunden zu haben.
Ran schlug die Augen auf und blickte in Verays Gesicht. Er war kreidebleich vor Angst. Sie drehte den Kopf und sah den Jäger in der Nähe des Kindes stehen. Die Schwärze tastete nach seinem Geist. Wie eine flirrende Wolke konnte sie sie im Raum sehen. "Jäger!", rief sie. "Wir müssen hier raus! Der Waldgeist ist mächtig, er will von uns Besitz ergreifen!"
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Veray hob Ran auf die Füsse und bedeutete dem Jäger zu rennen, was er nach einem Augenblick des Zögerns auch tat. Veray war die Lage bewusst, in der er sich befand. Sie hielten ihn für einen Dämonenjäger. Sie erwarteten von ihm, dass er mit diesem Wesen fertig würde. Er wusste nicht einmal, was dieses Wesen eigentlich war. Nur eines wusste er: wenn es hier rauskam, würde es sich irgendeine schwache Seele schnappten. Und dann würde es erst richtig grausam.
Mit einem Sprung war er bei der Tür und schlug sie hinter dem Jäger zu. Gerade noch rechtzeitig. Das schwarze Flirren, dass seinen Weg versperrt sah, hielt einen Augenblick lang inne. Dann stürzte es sich auf Veray.
Veray hatte keine Ahnung, was er tun sollte. Er hatte niemals gegen etwas gekämpft, das keinen Körper hatte. Er hatte nur immer so getan als ob. Viele Male. Alles was er konnte waren Hokuspokus und Pseudobannsprüche. Aus reiner Verzweiflung kamen ihm die Worte auf die Lippen: "Bei den Schritten Naumas, ich banne dich, böser Geist!"
Es war verrückt, dass er sich in den Weg dieses Wesens gestellt hatte. Es war verrückt, dass er Hoffnung in Worte setzte, die niemals mehr gewesen waren als Schein. Aber das verrückteste war: es funktionierte.
Die schwarze Wolke erstarrte mitten im Sprung, zog sich zusammen und stiess ein Geräusch aus, das Veray nur als gequält beschreiben konnte, auch wenn es vollkommen unmenschlich klang.
If you're going through hell, keep going.

Ran war verwirrt, der Waldgeist krümmte sich. Doch sie wusste nicht wieso. "Nauma", wiederholte sie. Nichts geschah. Hatte Veray doch Fähigkeiten, die sie nicht kannte? Schnell tastete sie mit ihrem Geist nach dem Wesen, es bemerkte dies nicht. Sie griff den Geist mit den ihren an, liess ihre Seele ihre Klauen und Fänge den Waldgeist spalten, doch viel brachte es nicht, ausser dass er kleiner wurde. "Irgendetwas schützt ihn", sagte sie und zog sich zurück. Ihre Nase blutete und sie wischte das Blut mit dem Ärmel weg. Hatte sie es übertrieben und ihr Limit erreicht? Sie sah Veray an und merkte, wie ihre Sicht wieder verschwamm. "Denkst du die Weise des Dorfes kann etwas gegen das Ding hier anrichten?", fragte sie.
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