Sie schmiegte sich an seine weiche, graue Haut und sog seinen Geruch in sich auf, auch wenn er im Vergleich zu sonst im Moment vor allem nach Seife roch. Vorsichtig strich sie mit der Hand über seinen Rücken, der Wirbelsäule folgend. Schmerz war etwas merkwürdiges. Er konnte einem so wehtun, dass es einen fast umbrachte. Aber er liess einen auch sich lebendig fühlen. Er konnte einem jeden Willen nehmen, aber er konnte einem auch zeigen, was wirklich wichtig war, wofür es sich zu leben und wofür es sich zu kämpfen lohnte. Freiheit. Liebe. Sie blickte auf zu Alastar und strich über seine Wange, erst mit den Fingerspitzen, dann mit den Lippen, bevor sie ihn küsste.

Sie zog ihn enger an sich und schloss die Augen, ohne den Kuss zu lösen. Es fühlte sich so gut an, so verdammt gut. Jemanden so nahe zu haben. Jemandem so zu vertrauen. Sie war sich nicht sicher, ob sie so ein Gefühl verdient hatte. Vorsichtig zog sie den Kopf zurück und sah Alastar an, strich mit den Fingerspitzen über seine Wange und Augenbraue. Sie hatte so viel schreckliches getan, in Kor und davor. Andererseits, was geschehen war, war geschehen. Sie konnte es nicht mehr ändern. Sie hatte getötet, vernichtet, schlafende ermordet. Vielleicht würde eines Tages jemand auch sie töten, wenn sie schlief. Oder Alastar - der Gedanke daran tat wesentlich mehr weh als der an ihren eigenen Tod - und wenn es geschah würde sie es nicht ungerecht nennen können, denn sie hatte dasselbe getan. Vermutlich gab es ohnehin keine Gerechtigkeit, oder zumindest hatten sie keinen Platz darin. Schliesslich waren sie Söldner, und Alastar hatte recht, Krieg war niemals gut oder gerecht oder irgendetwas. Er war scheusslich, aber er war ihr Handwerk. Und es war sinnlos, einen anderen Sinn darin zu suchen als den zu töten und nicht getötet zu werden, denn es gab keinen.
Sie schloss die Augen wieder und küsste Alastar erneut, bestimmter, sicherer, und ihre Hände fuhren durch die kurzen Haare in seinem Nacken. Sie spürte die Wärme seines Körpers und seines Atems, und spürte wie ihr Herzschlag schneller wurde.

Sie hielt die Augen geschlossen und vergrub die Finger in seinen Haaren, als sie seine Lippen an ihrem Hals spürte. Ihre Haut kribbelte, wo er sie berührte und ihr wurde warm, sehr warm, trotz der kühlen Luft im Raum. Sie spürte die Bewegung der Muskeln unter seiner Haut, als er sie näher zog und für einige Atemzüge biss sie die Zähne zusammen und kämpfte mit sich selbst. Sie konnte nicht... aber sie wollte... es war... Wenn du noch länger wartest, kannst du es ganz vergessen.
Mit einem Ruck öffnete sie die Augen, legte beide Hände auf seine Brust und stiess ihn ein Stück von sich, bevor sie seine Hände von ihrer Hüfte schob und die Decke eng um sich zog. "Sorry", nuschelte sie, ohne ihn dabei anzusehen, und spürte, dass sie hochrot anlief. "Aber das wär jetzt keine so gute Idee." Ihre Stimme wurde noch leiser. "Tut mir leid."

Sie wickelte die Decke ganz um sich herum, so dass sie ihn nicht mehr berühren konnte, rutschte wieder näher und legte den Kopf auf seine Brust. Mit geschlossenen Augen lauschte sie seinem gleichmässigen, tiefen Herzschlag und fuhr mit den Fingerspitzen sanft über seine Haut. Solange sie nicht die Kontrolle verlor, war alles in Ordnung. Das Problem war, sie hätte die Kontrolle gerade zu gerne verloren. Aber schwanger zu werden konnte sie einfach nicht riskieren. Sie wollte kein Kind in diese verdammte Welt setzen, schon gar nicht, so lange sie nicht fähig war, sich darum zu kümmern, und das war sie definitiv nicht. Vielleicht würde sie es niemals sein. Sie konnte niemanden beschützen, wenn sie ihre Umgebung nicht einmal vor sich selbst schützen konnte.
Sie erinnerte sich an jene Nacht, in der sie Darez den Säbel hatte wegnehmen wollen und er sie beinahe niedergeschlagen hätte. Wie er sie in seine Arme gezogen hatte, das erste Mal, und das letzte, bis zu jenem Tag, an dem er beschloss in den Tod zu ziehen. Und sie verstand die Panik, die es ihn hatte tun lassen. Er hatte sich nicht im Griff gehabt. Er hätte sie töten können, bevor er realisierte, dass sie es war. So wie er sein erstes Kind getötet hatte. Und seine Frau. Sie wusste, dass er es gewesen war. Trotz des Steinkruges mit dem Zeichen der Inshandra, den sie gefunden hatte. Sie wusste, dass er es getan hatte, denn es sprach aus jedem Blick, den er ihr zugeworfen hatte, jeder Bewegung in ihrer Gegenwart.
Sie hob den Kopf und stützte das Kinn auf Alastars Brust, so dass sie ihn ansehen konnte. Er war nicht so leicht umzubringen. Das hiess, sie brachte ihn auch nicht ausversehen leicht um. Das war gut. Sie legte den Kopf leicht schräg und fragte murmelnd: "Hab ich dir mal gesagt, dass es ziemlich gut funktioniert, mich wenn ich durchdrehe auszuschalten, indem man mir einen Schild an den Kopf wirft?"

Sie grinste und piekste ihn mit dem Finger in die Rippen. "Vielleicht wird es besser", meinte sie. Das wäre echt gut. Zumindest wieder so wie früher. Das Feuer war auch damals manchmal mit ihr durchgegangen, aber sie hatte dabei niemals so ein Massacker angerichtet, lediglich ein paar Nasen eingeschlagen oder einen Zwerg geköpft. Immer gerne getötet, aber sich niemals so komplett an etwas verloren, das einfach nur die ganze Welt vernichten wollte.
Sie strich über seine Brust und nach einer Weile dämmerte sie wieder weg in den Schlaf.

Als sie erneut aufwachte, weil Risk in den Raum trat. Reflexartig riss sie die Decke an sich, obwohl sie schon ganz eingepackt war, und fuhr beinahe auf.
"Ich bin gleeeich wieder weg", meinte Risk. "Wollte euch nicht stören."
"Du störst bei nix", sagte Ro hastig. "Ich hab gepennt."
"Na denn", meinte Risk und liess sich auf ihr Bett fallen und verschränkte die Arme hinter dem Kopf. "Wir reisen morgen weiter?"