Sie zuckte mit den Achseln. "Sowas kann schon eine Weile dauern, wenn man vorsichtig vorgeht. Ist auch bisschen eine Stilfrage. Es gibt Einbrecher, die Scheiben einschlagen, schnell alles leerräumen und davonrennen und es gibt die, die leise einsteigen und sich durchs Haus bewegen, unauffällig, manchmal sogar, während in anderen Räumen noch Leute arbeiten. Der Dieb, von dem ich gelernt habe, war zweiteres. Und er war verdammt gut darin. Manche seiner Einbrüche wurden wochenlang nichtmal bemerkt."

Am nächsten Abend gingen sie zum zweiten Teil dessen über, was zu den Fähigkeiten eines Diebes gehörte: das gestohlene Zeug gewinnbringend zu verkaufen. Ro schleifte Alastar mit quer durch die Hafentavernen und von dort hin tiefer in die Stadt hinein, den dunklen, dreckigen Gassen entlang, auf der Suche nach dem richtigen Milieu. Die Löffel und Ringe wäre sie vermutlich auch so irgendwo losgeworden früher oder später, aber wenn sie vor hatte, länger hier zu bleiben, brauchte sie einen Hehler, oder besser zwei oder drei, sonst würde es sich nicht wirklich lohnen. Am Quai war sie wieder dem alten Bettler über den Weg gelaufen, und vermutlich hätte er ihr die richtigen Adressen nennen können, aber sie traute ihm nicht wirklich über den Weg, und so suchte sie auf eigene Faust.
Sie hatte Alastar nicht direkt gesagt, was das Ziel dieser Kneipentour war und hinderte ihn auch nicht im geringsten daran, sich zu betrinken, gab nur darauf acht, dass er in einem Zustand blieb, in dem er sich selber auf den Füssen halten konnte und keinen Ärger einhandelte, wobei es da nicht viel zu tun gab. Seit wann hast du ein Problem mit Ärger?, fragte ein ironischer Teil von ihr. Sie erinnerte sich daran, was ihre Mannschaft in Loney und anderswo angerichtet hatte, und es hatte sie kaum gekümmert. Und damals in Nurmen... sie hatte sich genügend Feinde gemacht und genügend halsbrecherische Fluchten vor den Wachen hingelegt. Seit wann bist du so verdammt vorsichtig? Sie kannte die Antwort. Seit ich etwas zu verlieren habe. Zwar hatte sie das auch damals gehabt. Aber sie hatte es erst zu spät begriffen.
Irgendwann weit nach Mitternacht stolperten sie eine schmale, schotterübersähte Rampe hinunter, die sie nur dank ein, zwei Tips gefunden hatte. Sie endete im Matsch entlang der Grundmauer eines Lagerhauses und einen Moment dachte sie, man hätte sie verarscht, aber dann hörte sie die leisen Stimmen. In der Dunkelheit der Wand entlang tastend rückte sie weiter vor und ignorierte das Platschen hinter sich, als Alastar ausrutschte und in den Dreck fiel. Sie fand die Bresche in der Mauer, als er sich wieder aufgerappelt hatte, schlüpfte durch den Spalt und schob die dahinterhängenden Lumpenvorhänge zur Seite. Dahinter ging der Weg noch etwa einen Meter abwärts und mündete in einem niedrigen, balkengestützten Raum mit festgetretenem Boden, der erfüllt war von Fackelrauch und Pfeifendunst und möbliert mit einigen aus alten Kisten zusammengeschreinerten Tischen und Sitzgelegenheiten.
Einige Blicke richteten sich auf sie und Alastar, als sie aus dem Eingang traten, aber sie wanderten bald wieder weg, zumindest solange ihre Besitzer das Gefühl hatten, beobachtet zu werden. Ro liess ihren Blick schweifen, und er begegnete dem eines beleibten, rotgesichtigen Mannes, der an einem Fass an der Wand lehnte. Sie hob die Hand mit zwei Fingern und er spuckte auf den Boden, bevor er zwei Krüge vom Tisch unter dem Fass griff, hineinblickte und sie dann füllte. Ro setzte sich an einen Tisch und holte einen der Ringe aus ihrer Tasche, um ihn wie beiläufig vor sich auf dem Tisch zu drehen. Es war nicht gerade das subtilste Zeichen, dass sie etwas zu verkaufen hatte, aber sie wusste nicht, ob die anderen, die sie aus Nurmen kannte, hier auch galten.

"Nein", meinte Ro mit einem schmalen Grinsen. "Aber ich würde gerne heute noch einen Käufer für das hübsche Ding hier finden. Von meiner Tante geerbt, aber ich steh nicht so auf Ringe. Kommen einem immer in den Weg beim Arbeiten. Eine Idee, wer mir einen guten Preis machen könnte?"

"Es ist immer schön ein paar Namen mehr zu kennen, als unbedingt nötig", meinte Ro grinsend. "So als Inspiration für wenn ich mal Bälger hab. Und das mir der Gilde klingt interessant, kannst du mir davon mehr erzählen?"

"Haben sie bestimmte Öffnungszeiten?"

Ro blieb einen Moment lang sitzen, dann stand sie auf, bedeutete Alastar mitzukommen und schnippte dem Wirt im Vorbeigehen ein Trinkgeld zu, bevor sie die Diebeshöhle verliessen. Draussen regnete es mittlerweile in Strömen, sie schlug die Kapuze hoch und zog Alastar seine über den Kopf. Gilde. Sie wusste Jock hatte ihr etwas verschwiegen. Sie mochte keine Gilden. "Bist du müde?"