Dreshar war sich nicht ganz sicher, wie solche Häuser aufgebaut waren, er kannte nur die aus einem einzigen Raum bestehenden Langhäuser der Barbaren - und das Haus in Lovit, in dem sie einige Wochen gewohnt hatten - da hatte Elira ihm gegenüber eindeutig einen Vorteil.
Zumindest musste das Haus mehr als einen Raum haben, denn während das Fenster, durch das Elira eingestiegen war, dunkel war, fiel durch das andere und aus dem Spalt unter Türe Licht in den Garten. Er liess sich leise vom Dach hinunter fallen. Drinnen sprachen Leute, und als er das Ohr an die Türe hielt, konnte er sie auch verstehen.
"So, Irina, für dich ist Bettzeit", sagte eine Frau.
"Ich will aber nicht", meinte das Mädchen quengelnd.
"Papperlapapp", kam die Antwort. "Du gehst jetzt schlafen, sonst bist du morgen unerträglich."
Dann hörte Dreshar eine Türe quietschen. Es musste die zum Nebenraum sein, in dem Elira war. Gespannt wartete er, ob sie sie entdecken würden oder nicht.

Meleth wich taumelnd über das Deck zurück und schützte ihren Kopf mit den Armen, als der Junge zornig auf sie einschlug, aber sie konnte nicht verhindern, dass er sie in den Bauch traf.
"Wehr dich!", hörte sie plötzlich eine Stimme hinter sich und erkannte sie als Mirkos. "Meleth, wer dich, verdammt!"
Sie hob den Kopf einen Moment und wurde fast getroffen. "Los, wehr dich!"
Also wehrte sie sich. Sie holte tief Luft und stürzte sich dann ohne Vorwarnung auf den Jungen, bekam seinen Kragen zu fassen und schüttelte ihn. Seine Faust traf sie ins Gesicht und für einen Moment lang war sie völlig benommen, dann schlug sie mit einem Wutschrei zurück, gegen seine Brust, seinen Bauch, sein Gesicht. Er war etwas kleiner und vor allem leichter als sie und als sie ihn wieder packte, riss sie ihn einfach um, rammte ihm im Fallen das Knie in die Rippen und nagelte seine Arme mit ihrem Griff auf dem Deck fest.

Dreshar wartete eine kurze Zeit, nachdem das Mädchen zu Bett gebracht worden war, und studierte die Fassade des Hauses eingehend, bis er sich einigermassen sicher war über den Aufbau, dann zog er sich wieder an der Dachkante hoch, und kratzte mit seinem Dolch über die Schindeln.
Nach einigen Atemzügen verstummte das Gemurmel unten. Er hielt ebenfalls kurz inne und kratzte dann weiter. Fragendes Gemurmel. Stilles Lauschen. Erneutes Gemurmel. Dann ging die Türe auf. Er duckte sich flach auf das Dach.
"Was meinst du, ist es im Dachboden oder ganz oben?", fragte ein junger Mann.
"Ich weiss nicht", erwiederte eine Frau. "Klang nicht wie die Marder auf dem Estrich."
"Ich geh nachsehen", erklang eine dritte Stimme, die eines älteren Mannes.
Eine Leiter wurde an die Dachkante gestellt und jemand begann darauf hinauf zu steigen. Einen Augenblick bevor der Kopf des Mannes auftauchte, rollte sich Dreshar vom Dach, packte die Rinne und liess sich lautlos - in Tanue lernte man früh, lautlos zu sein - auf den Fensterrahmen fallen. Mit wenigen Handgriffen und einem Messer hatte er das Fenster offen und sprang in den Hauptraum, während er auf dem Dach den Mann sagen hörte: "Da ist nichts."

Er zappelte und als sie mit einer Hand seinen Arm losliess, um auszuholen - sie hätte es auch einfach sein lassen können, aber sie war wütend, denn seine Schläge hatten wehgetan und sie wollte es ihm mit Schmerz heimzahlen - schlug er erneut nach ihr. Es gelang ihm sie von sich wegzustossen und sie rollten über das Deck, er versuchte sich aufzurappeln, aber sie riss ihn zurück und kam oben auf. Wieder rang sie ihn nieder und trat diesmal mit dem Fuss auf seine Hand, bevor sie ausholte und zuschlug, einmal, zweimal, dreimal.
Dann wurde ihr bewusst, dass es vermutlich genug war und ihr die Hand wehtat. Sie liess ihn los, erst vorsichtig und als sie sicher war, dass er zu beschäftigt mit sich selber war, um zurück zu schlagen, ganz und stand auf. Erst da wurde ihr wirklich klar, dass eine ganze Menge Piraten um sie herum standen, zusahen und sie angefeuert hatten.

Er hob eine Augenbraue, zog das Fenster wieder zu und liess sich zu Boden fallen und in den tiefen Schatten unter einer Bank rollen, wo er dank seiner Kleidung praktisch unsichtbar wurde, als durch die offenstehende Tür die Stimme der Frau erklang: "Ich gehe wieder hinein."

Von seinem Versteck unter der Bank her sah Dreshar die Füsse des Mannes in das Haus kommen. "Ich sehe nach", sagte er und hob den Schürhaken neben der Herdstelle auf, dann öffnete er die Zimmertüre.

Die Leute setzten sich wieder an den Tisch und Dreshar musste den Bauch einziehen, damit ihn nicht der eine mit dem Fuss berührte. Sie wechselten noch einige Worte über merkwürdige Geräusche, dann meinte die Frau nach einer kurzen Zeit des Schweigens: "Heute waren zwei Männer hier, die nach Melissa gefragt haben."
"Was für Männer?", fragte der Jüngere.
"Ein Elf und ein Rotschopf", meinte die Mutter.
Der ältere Mann stand so abrupt auf, dass sein Stuhl umfiel, verliess das Haus und liess die Türe hinter sich ins Schloss knallen.
Die Frau seufzte nur, aber der Jüngere brauste auf: "Was soll das?! Was hat sie ihm denn angetan?!"
"Schweig", meinte die Mutter. "Er macht sich Sorgen um sie. Er will es nur nicht zeigen."
Dreshar wurde bewusst, dass die Wahl seines Versteckes vermutlich nicht sehr günstig gewesen war. Wenn er Pech hatte, kam er hier für Stunden nicht weg.