Er winkte ab und stand ebenfalls auf. Er griff nach der Tafel auf dem Tisch und versuchte etwas aufzuschreiben, doch wieder entglitt ihm der Griffel. Verflucht! Er war einfach zu betrunken um richtig schreiben zu können. Er bückte sich nach dem Griffel, stolperte und knallte gegen einen der anderen Gäste. Ein grosser Teil des Inhaltes von dessen Bierkrug landete auf dem Boden. Mit einem Fluch fuhr der Mann herum und im nächsten Moment landete eine knochige Faust in Alastars Gesicht. Der Dunkelschatten fiel wie ein gefällter Baum und blieb einen Moment reglos auf dem Boden liegen. Die Decke drehte sich über ihm und er blinzelte erstaunt. Mit einer Hand tastete er über seine Lippe und betrachtete dann versonnen seine Fingerspitzen. Blut. Plötzlich tauchte ein Schatten über ihm auf und ein Fuss erhob sich über seinem Gesicht. Der Kerl wollte offensichtlich nochmals nachtreten. Alastar blockte den Tritt mit den Unterarmen ab, bekam den Fuss des Mannes zu Fassen und griff ihm mit der anderen Hand in die Kniekehle. Ein kurzer Ruck beförderte das Gesicht des Mannes in seine Reichweite. Alastar packte ein Stuhlbein und schlug ihm mit aller Kraft das Möbelstück gegen den Schädel. Ohne einen Laut kippte der Mann zur Seite und der Dunkelschatten stand schwankend und zum allgemeinen Beifall der übrigen Gäste wieder auf.
Er drehte sich zu Ro um, zeigte mit einem Finger in Richtung des Zimmers, dass sie für die Nacht gemietet hatten und machte sich dann auf den Weg. Klarer würde er sich im Moment so oder so nicht ausdrücken können.

Am übernächsten Morgen warteten Alastar, der Söldner und Ro beim Tor auf den Zwerg. Der Dunkelschatten hatte am gestrigen Tage für die letzten paar Münzen seine Rüstung reparieren lassen und sich eine dünne Nadel gekauft. Mit der würde es viel besser gehen Wunden zusammenzunähen, als mit einem Holzsplitter. Das Boot hatte er heute Morgen mit Ros Einverständnis an einen Fischer verkauft. Die Hälfte der Münzen hatte er Ro abgegeben.
Als er langsam begann ungeduldig zu werden, tauchte schliesslich der Zwerg auf. Er führte ein kleines stämmiges Pony.
"Vorräte.", erklärte er knapp, als er den fragenden Blick von Alastar sah. "Seid ihr bereit?"

Ende Anfang Mai, irgendwo im Gebirge südlich von Kor

Ruhig wehte der Wind durch die Wälder und liess die Äste der Bäume ächzen und knarren. Growndrill hob den Kopf, drehte das Gesicht gen Wind und sog die Düfte in sich ein. Roch den Wald, den Boden, das Wasser in der Luft, die Tiere und dann Naja. Sie war in der Nähe.
Schnell trieb er sein Pferd in die Richtung an, aus der ihr Geruch kam. Den steilen Weg hinauf. Er brauchte nicht mehr lange, bis er die Stelle erreichte, an der sich Naja befand. Zu seiner Überraschung stand da nur eine Kiste, versiegelt und verkettet auf einem Vorsprung im Fels. Ohne zu zögern sprang er vom Pferd. Eilte wie gebannt auf die Kiste zu und zog sein Schwert. Er hackte auf die Kette ein und als sie splitterte, riss er den Deckel auf.
Doch ehe er es sich versah, sprang ihm etwas furchtbares entgegen. Wie eine Furie mit blitzenden, silbernen Augen stürzte sich Naja auf ihn.
Ihr Gesicht war zu einer wutentbrannten Fratze verzerrt, die kristallenen Krallen schnappten nach seiner Kehle. Im letzten Moment riss der Drache den Arm nach vorne und Naja verkrallte sich in seiner Armschiene. "Monster!", brüllte sie.
Growndrill schluckte, versuchte sich von ihr zu befreien, doch sie riss ihn um, beide fielen sie und Naja hackte nach seinem Kopf, sobald sie auf ihm landete. "Monster!", wiederholte sie.
Er wusste nicht was er sagen sollte. Langsam verliess Naja die Kraft und der Kristall zog sich zurück. Wütend rammte sie ihrem Vater die Faust ins Gesicht, schlug ihm zwei Ohrfeigen und brach in Tränen aus. "Wie konntest du nur!?", brüllte sie und krümmte sich schluchtzend auf seiner Brust zusammen. "Wie konntest du nur!?"
Growndrill schloss sie in die Arme und küsste ihren Scheitel. Sein Blut färbte ihr Haar rot, doch sie beide merkten es nicht. "Ich weiss es nicht", brummte er, wusste genau, was Naja meinte und fühlte sich mies.

Zweite Maiwoche 308 (Zwei Tage nach dem letzten Post)
Erste Gebirgsausläufer südöstlich des Langen Sees

Endlich. Er hatte das Gebirge erreicht. Und zwar nicht wie vorher gedacht in zwei Monaten, sondern nur in einem. Und hatte Agoldur mitgenommen, was ihn mittlerweile Nachts plagte. Er konnte nichtmehr ruhig schlafen, hatte Alpträume, wie die Toten auf ihn zuliefen, wachte schreiend auf. Und auch tagsüber begann er zu bereuen, was er getan hatte. Sie waren Unschuldige gewesen, Angehörige seines Volkes. Seines alten Volkes zumindest, wie er sich gestehen musste. Nur die Tatsache, dass sie im Kern lebten, hatte ihn so die Beherrschung verlieren lassen. Sein Schmerz war Schuld gewesen. Nein...eigentlich war Táront an Allem Schuld gewesen. Nicht er. Er konnte nichts dafür.
Egal, er schüttelte den Gedanken ab. Er stand auf einem hohen Felsplateau am Rande des Gebirges und blickte hinab in das grüne, fruchtbare Tal. Ein schöner Ort, den Dämonen jedoch nur selten betraten. Es war Reich der Menschen. Der schwachen, langweiligen Bauern.
Shagan atmete tief durch. Er würde jetzt Kontakt zu den Magiern aufnehmen und sich ein für alle Mal von ihnen lösen. Endgültig. Sie nie wiedersehen...keinen von ihnen. Weder Drúnkhar, noch Hendó, noch Hexathar. Neshatar war tot und Zarkun ebenfalls. Seine Familie war restlos ausgelöscht worden, seine Verlobte ermordet, seine Freunde verbrannt und abgeschlachtet. Ja, selbst die einzigen Freunde die er auf der Odyssee nach dem Untergang Búracs getroffen hatte, Ro, Arsór, Runa, Llaywan und Gillian...waren tot oder weit weit weg. Er war alleine. Alles, was er je gehabt hatte, war weg. Verschwunden. Was war dann sein Leben noch, wer war er?
Er fasste sich an den Kopf und knurrte. Dann brüllte er, schrie seinen Schmerz hinaus in diese grausame Welt. Brennen sollte sie. Er würde stärker werden, er würde alles brennen lassen und somit den Frieden im Tod schaffen.
Wo kein Leben ist, kann auch kein Leben zugrunde gehen.
Dann atmete er durch. Er durfte nicht die Beherrschung verlieren. Nicht jetzt. Nachher vielleicht, aber nicht jetzt.
Er suchte nach der geistigen Verbindung in seinem Gehirn und fand sie. Drückte leicht gegen das Siegel.
Drúnkhars Stimme erschien: "Was ist."
"Ich bin im Gebirge. Es kann losgehen."
"Warte kurz, ich gebe Hexathar und Ophtal Bescheid."
Shagan setzte sich hin, an den Rande des Abgrunds, ließ die Füße baumeln.
Dann meldete sich irgendwann Drúnkhar wieder. "Wir sind versammelt. Also, du löst das Siegel in Búrac für uns. Unsere Schatzjäger sind bereits dort, wir haben extra in Ravi ein Notfallteam stationiert gehabt. Sie werden den Schatz umgehend bergen. Sofort nachdem du das Siegel gelöst hast, kannst du das lösen, dass mich befähigt, dich zu kontrollieren. Keine Angst, in der Zwischenzeit kann ich nichts tun."
"Oh doch...ich könnte..."
Shagan überlegte. Er hatte ein wenig Furcht davor, dass Drúnkhar log, sie ihn doch wieder fangen würden, aber er musste einwilligen, das wusste er.
"In Ordnung."
Er stand auf und konzentrierte sich.
"Los geht's!"

Anfang Mai (Ro und Alastar)

"Wie lange braucht Assik noch?", brummte Ongur ungehalten. "Wir wollen nicht den ganzen Tag vertrödeln." Alastar schulterte sein Gepäck und richtete den Sitz seiner Augenbinde. Ro hatte wahrscheinlich schon bemerkt was es mit dem Auge auf sich hatte, doch mehr sollten es auch nicht erfahren. Er hatte keine Lust wieder von einer Horde verrückter Magier angegriffen zu werden.

Nach einer Woche stiessen sie auf eine kleine Patrouille, die ihnen berichtete, dass Vorknas in Kor einmarschiert sei. Ongur freute sich sichtlich über diese Nachricht und spornte sie alle zur Eile an.
Alastar ging ein Stück abseits des Weges in der Hoffnung auf einen Hasen, Fasan oder Rebhuhn zu stossen. Einfach etwas das ihre Mahlzeit von Trockenfleisch und hartem Brot etwas abwechseln würde. Er hatte Glück. Gegen Mittag gelang es ihm einen fetten Auerhahn zu erlegen. Zufrieden band er seine Beute an seinen Gürtel und kletterte wieder hoch zu den anderen. "Wie lange noch?" Er reichte Ongur die Tafel und dieser erwiderte mit knapper Stimme.
"Noch drei bis fünf Tage. Je nach dem wie das Wetter ist."