#241

RE: Drez (Stadt der Schattendämonen)

in Dreitan - das Spiel 27.12.2012 00:34
von Ro Raven | 10.532 Beiträge

Veray's Sicht

Veray verlagerte das Gewicht seines Rucksackes auf den Schultern, dann konzentrierte er sich wieder auf den Weg vor sich. Er war steil und es war erst dämmrig, es würde noch lange dauern, bis die Sonne über den Bergrücken aufging. Sie waren zu dritt unterwegs. Zuvorderst ging Driss. Sie trug einen langen Kaupzenumhang unter dem nur die glänzende Spitze ihres Säbels hervorragte. Er wusste, was sie darunter trug, das selbe wie eientlich immer. Eine Tunika und eine lederne Weste. Keine Rüstung wie die meisten Dämonen. Sie war auch die einzige in der ganzen Familie, die ihre Haare kruz geschnitten hatte. So gesehen war sie die einzige mit Mut. Ausser Darez vielleicht, aber den hatte er niemals gekannt, er war fortgegangen lange bevor er geboren wurde. Er seufzte. Er selbst gehörte auf jeden Fall nicht zu den mutigeren.
Er hatte Driss schon immer gemocht, nicht nur wegen ihres Muts. Sie war stammbaummässig gesehen seine Tante aber sie war nicht viel mehr als zwanzig Jahre älter als er und er hätte sie immer lieber als Schwester gesehen, aber Vorsza war dagegen gewesen, und Vorsza widersprach man nicht. Im Grunde war Vakra genau so wie sein Vater es gewesen war. Veray fragte sich, wer nach Vakra das Familienoberhaupt sein würde. Er selbst bestimmt nicht. Sein Vater hielt ihn für einen ziemlichen Versager, da war er sich sicher. Eher Lesir. Er schnaubte. Lesir war fast dreissig Jahre jünger als er und er sah ihn weniger als Bruder als Driss als Schwester. Gut, Lesir war besser im kämpfen, aber dafür war er sonst ein Idiot und ein unverbesserlicher Aufschneider. Veray war nicht gerade traurig darüber gewesen, als er endlich auf die Severjakza verschwunden war.
Hinter Driss ging Achrat, ihr Sohn. Er war der Grund, warum sie überhaupt hier unterwegs waren, auf dem Weg zu den Schattenspitzen. Er war mittlerweile dreizehn und niemand hatte ihn jemals ein Wort sprechen gehört. Er war nicht stumm, denn manchmal, wenn er glaubte, dass niemand zuhörte, summte er Melodien. Ebensowenig war er dumm, er hatte schneller lesen gelernt als die meisten, und er konnte auch schreiben, aber er hatte niemals geschrieben um zu kommunizieren. Sie wollten mithilfe der Magie der Schattenspitzen herausfinden, warum er nicht sprach.
Der Weg führte über ein freies Feld und mündete auf der anderen Seite in eine Schlucht. Es war nicht mehr weit. Als sie die Schlucht fast erreicht hatten, kam ihnen plötzlich ein anderer Dämon entgegen. Veray war so überrascht, dass er stehen blieb. Er konnte sich nicht erinnern, auf diesem Pfad jemals jemandem begegnet zu sein, der nicht zur eigenen Gruppe gehörte. Der Dämon sah sehr erschöpft aus und Veray registrierte schnell, dass seine Hosen blutverklebt waren. Er hob die Hand zum Gruss. Der andere tat es ebenfalls, wobei er taumelte. Er fing sich wieder, aber sein einer Ärmel war zurückgerutscht. Sein Arm war übersäht von blutigen Runen. Veray erstarrte, als er zwei sehr eindeutige Zeichen darunter entdeckte. Ohne nachzudenken trat er dem Fremden in den Weg.
"Du... Ihr... habt sie gerufen! Wo... wofür?"
Der Dämon musterte Veray einen Augenblick, dann zog er ohne Vorwarnung seinen Säbel und schlug nach ihm. Veray sprang zurück aber die Säbelspitze schrammte über seinen Lederharnisch. War das Ding also doch mal zu was gut. Driss zog ihre Waffe und stürzte sich mit einem Schrei auf den Mann, doch bevor sie ihn erreichte, schoss ihr aus seiner Hand eine Flammenzunge entgegen. Sie entging dem Feuer um Haaresbreite, fiel hin und krabbelte rückwärts auf allen vieren von ihm weg. Auch Veray wich zurück. Ein Magier.
Der Mann richtete seine Hand auf Driss, doch plötzlich verzerrte sich sein Gesicht vor Schmerz und er ging auf die Knie. Veray und Driss tauschten einen verwirrten Blick. Der Magier begann zu wimmern. "Hör auf... aufhören... bitte... sagt ihm, er soll aufhören..."
Veray folgte seinem gequälten Blick und sah Achrat. Sein Gesicht war völlig ruhig, aber seine dunklen Augen schienen zu brennen. Dann hörten sie auf und der Magier brach zusammen. Veray schauderte. Was hatte Achrat da getan? Und viel wichtiger: woher konnte er so etwas?
Auf jeden Fall wirkte der Magier jetzt völlig am Ende. Veray trat zu ihm. "Wofür hast du sie gerufen? Rede, sonst macht er es wieder."
Das war im Grunde eine leere Drohung, denn Veray hatte keine Ahnung, was Achrat tun würde oder nicht, aber sie wirkte. "Sie sollen jemanden holen", stammelte der Mann. "Der Meister hat es Befohlen."
"Der Meister?", fragte Veray scharf. "Ein freier Dämon kennt keinen Meister." Er bemerkte, dass er sich gerade anhörte wie Vorsza und beschloss, dass es ihm ausnahmsweise egal war. Vorsza war immer sehr respekteinflössend gewesen.
"Er ist mächtig", redete der Magier weiter. "Sie sollen sie zu ihm bringen."
"Wen sollen sie zu ihm bringen?"
"Eine Kriegerin. Von deinem Volk." Der Mann hob den Kopf.
"Du hast was getan?!", schrie Driss ihn an und packte ihn kurzerhand am Kragen. "Wie kannst du es wagen. Die Dagnaz'Ûr gegen eine zu verwenden, die von deinem eigenen Volk ist. Schande über dich." Sie liess ihn los und spuckte vor ihm auf den Boden.
Er ging nicht darauf ein. "Sie ist bei den Menschen. Komisch eigentlich. Sie ist zu jung für die Severjakza."
Er sah Veray an und in Veray's Kopf tauchte unwillkürlich das Bild einer jungen Dämonin auf. Er sog sehr scharf die Luft ein. "Du musst ihn sofort zurückrufen", sagte er.
"Das geht nicht", sagte der Mann. "Einmal auf dem Weg führen sie den Auftrag aus."
"Und ob das geht", zischte Veray und packte nun seinerseits den Mann am Kragen. "Bist du hier der Magier oder ich? Man kann den Auftrag eine Dagnaz'Ûr während der Ausführung ändern, solange es kein signifikanter Mehraufwand ist. Und das wirst du tun, ist das klar?!?


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#242

RE: Drez (Stadt der Schattendämonen)

in Dreitan - das Spiel 27.12.2012 01:59
von Ro Raven | 10.532 Beiträge

Die Sonne ging auf. Sie brach über den staubig verschwommenen Horizont im Osten, ihre Strahlen tasteten sich wie Finger über die Ebene. Leuchtendes Gelb floss in das graublau der Nacht und spülte es fort hinter den Horizont im Westen. Sie sah es. Sie sah es nur. Sie betrachtete es nicht. Um etwas zu betrachten, brauchte es eine bewusste Entscheidung. Dafür hätte sie denken müssen. Sie durfte nicht denken. Niemals wieder.
Die Sonne ging auf. Wann hatte sie zuletzt gesehen, wie die Sonne aufging? Alles, woran sie sich erinnerte, schien eine ewig lange, dunkle Nacht voller Flammen gewesen zu sein. Vielleicht war die Sonne seit Jahrhunderten nicht mehr aufgegangen. Weil irgendein Fluch über dem Land gelegen hatte, der nun gebrochen war. Oder vielleicht war es ja normal, dass die Sonne nur alle paar Jahrunderte einmal aufging. Vielleicht war die Sonne ein Gott, der sich nun der Welt zeigte. Sie hatte es einmal gewusst. Jetzt wusste sie nichts mehr.
Die Sonne war aufgegangen. Über einer Wiese, die vor einer grossen Stadt lag. Die Helme und Waffen des Heeres hatten im Licht aufgeblitzt, die Standarten im Wind geknattert. Alle in Reih und Glied. In der vordersten Reihe stand eine Frau, eine Halbdämonin. Neben ihr stand ein Söldner mit blondem Haar. Sie liebte ihn. Sie wollte, dass die Zeit stehenblieb. Aber sie drehte sich weiter. Und als die Sonne wieder aufging, war der Mann tot und die Frau wusste nicht mehr, wer sie war.
Sie wollte schreien, aber sie konnte es nicht. Sie wünschte sich eine Träne, nur eine einzige Träne um sie den Winden zu opfern für ihn. Sie stellte sich vor, wie die Träne fiel, immer weiter und weiter, so tief bis hinunter zur Ebene. Sie stellte sich vor, sie wäre die Träne. Immer weiter fallen. Bis zum Aufprall, der sie einfach zerstäubte zu nichts. Kein schlechtes Ende. Sie traf eine Entscheidung. Langsam wand sie ihren Arm, bis sie an den Griff ihres in der Rüstung versteckten Messers gelangte. Noch langsamer zog sie es und hob es an. Dann stiess sie es mit aller Kraft in die Klauen des Drachen.
Sie fiel. Zuerst glaubte sie wirklich, er habe sie losgelassen, doch dann gab es einen heftigen Ruck als der Drache die Flügel spannte und seinen überraschten Sturz auffing. Sie drehte herum und glitt ihm beinahe aus den Krallen, denn er hatte mit der verletzten Klaue losgelassen, doch sofort griff er nach und packte sie fester als zuvor. Alles, was von ihrem Versuch blieb war ein Kratzer an ihrem Arm. Und ein Messer, dass ihrer kraftlosen Hand entglitt und glitzernd in die Tiefe fiel. Wie eine Träne.
Sie schloss die Augen und das ständige Auf und Ab des Drachenflugs ergriff von der Leere in ihrem Geist Besitz. Irgendwann veränderte es sich, als hätte der Drache die Richtung geändert. Als es kälter wurde, öffnete sie die Augen und sah Berge. Sie schloss sie wieder. Geschlossene Augen taten weniger weh, wenn sie nicht weinten. Sie schienen zu sinken. Das Geräusch der Flügelschläge veränderte sich, als gäbe es einen Hall. Dann öffnete der Drache seine Klauen und sie fiel ins Nichts. Endlich.


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#243

RE: Drez (Stadt der Schattendämonen)

in Dreitan - das Spiel 28.12.2012 23:18
von Ro Raven | 10.532 Beiträge

Nicht denken. Ihr Geist war erfüllt von diesen zwei Worten, und sonst nichts. Einfach nicht denken. Die Realität kehrte zurück, als schmerzhaftes Rauschen in ihren Ohren. Sie öffnete die Augen. Eine steinerne Decke war über ihr, dunkler, fast schwarzer Stein, angeleuchtet von Feuerschein. An der Wand, die davon herunterführte hing ein bunter Wandteppich. Wo war sie hier...?
Diese eine, winzige Gedanken, liess das nichts in ihrem Kopf zusammenbrechen. Eine Woge von Schmerz brandete über sie hinweg. Kein körperlicher Schmerz, damit hätte sie umgehen können. Er war tot. Er war tot. Er war tot. Und damit konnte sie nicht umgehen.
Wimmernd krümmte sie sich zusammen. Irgendwo am Rand registrierte sie, dass sie immer noch ihre Rüstung trug und auf einem Bett lag. Warum? Warum er? Warum gerade jetzt? Warum jetzt, wo sie endlich den Mut gefunden hatte zu lieben, jetzt, wo sie hätte glücklich sein können? Wer bestimmte dieses Schicksal? Sie wollte schreien vor Wut, doch nur ein ersticktes Würgen kam aus ihrer Kehle. Es tat so weh, es tat so weh...
Mit einem Ruck drehte sie sich und fiel aus dem Bett, als versuchte ein Teil von ihr, dem Schmerz davon zu laufen. Sie rappelte sich auf. Da war ein Raum. Dunkle, steinerne Wände, Wandteppiche, ein Tisch, ein Schrank, ein Kamin. Ein Feuer brannte darin, die Flammen tanzten wie Gespenster. Sie taumelte und stolperte gegen die Kamineinfassung, schloss die Augen, um die grausamen Flammen nicht mehr sehen zu müssen. Doch die schwarze Leere ihrer Augendeckel war viel schlimmer. Es war die Leere, wo er gewesen war. Er war fort. Tot. Für immer. Er war tot.
Sie krümmte sich wieder und schlug mit dem Kopf hart auf den Kaminsims. Für einen winzigen Augenblick schoss der körperliche Schmerz so herftig durch sie hindurch, dass er alles andere zum Schweigen brachte. Dann kehrte es zurück und liess sie kraftlos der Wand entlang hinunterrutschen. Immer wieder sah sie sein Bild, im Sonnenlicht eines Morgens, er lächelte. Und immer wieder, wie ein Hammer, kam die Gewissheit: Er ist tot, zerschlug das Bild in tausend Splitter und liess nichts als eine gähnende Leere zurück, während sich die Splitter in jeden Teil ihrer Seele bohrten und sie zerfetzten.
Sie biss sich in die Hand, bis sie blutig war, aber es half nichts. Nicht denken. Es war alles, was sie noch wollte. Nicht mehr denken zu müssen. Nicht mehr sehen und hören zu müssen, wie die Häuser explodierten, nicht mehr wissen zu müssen, dass er tot war. Nur das es aufhörte, egal was danach kam.
Langsam stand sie auf, fixierte den Kaminsims mit ihrem Blick, nahm Anlauf und schlug ihren Kopf auf die Kante. Sie ging zu Boden. Einige Herzschäge lang war die Welt verschwommen, doch dann kehrte sie zurück, mit all ihrer Härte. Sie rappelte sich auf. Blut rann ihr über die Wange und tropfte auf den schwarzen Stein. An der wand abgestützt, holte sie ein zweites Mal Anlauf. Dann sah sie etwas. Auf dem Tisch stand eine tönerne Flasche. Da waren noch andere Dinge, Verbandsmaterial zum Beispiel. Aber vor allem die Flasche.
Sie wankte hinüber, riss den Korken mit den Zähnen heraus und spuckte ihn in die Ecke. Dann roch sie am Inhalt der Flasche. Es war genau das, was sie vermutet hatte. Alkohol. Die Sorte, die man brauchte, um Wunden zu desinfizieren. Sie musterte die Flasche und hoffte dass es reichte. Der erste Schluck brannte wie flüssiges Feuer. Sie biss die Zähne zusammen und leerte die Flasche in einem Zug. Dann stand sie da, wartete, wimmerte, unfähig den Bildern und Worten zu entfliehen.
Die Wirkung kam schnell, schneller als sie erwartet und fast so schnell gehofft hatte. Sie spürte sie in sich aufsteigen, ihr wurde schwindlig. Die Flasche entglitt ihrer Hand und zerschellte auf dem Boden. Sie spürte, wie ihre Knie begannen nachzugeben und liess sich auf das Bett fallen. Alles drehte sich. Sie sah ihn, im Sonnenlicht. "Nesh", fllüsterte sie. "Nesh." Sie streckte die Hand nach ihm aus. Dann versank die Welt in dunkler Stille.


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#244

RE: Drez (Stadt der Schattendämonen)

in Dreitan - das Spiel 30.12.2012 16:55
von Ro Raven | 10.532 Beiträge

Als sie langsam wieder zu sich kam, war der Schmerz kein bisschen schwächer geworden. Sie begriff, dass er nicht aufhören würde. Dass sie für immer damit leben musste, dass Nesh tot war. So wie sie mit Darez' Tod leben musste. Sie versuchte sich zu erinnern, wie sie damit fertig geworden war. Eigentlich gar nicht. Sie wünschte sich immer noch, dass er noch lebte. Und es war nicht das selbe. Darez hatte sich für den Tod entschieden. Er hatte zu ihr gesagt: Ro, meine Zeit ist vorbei, ich bitte dich, mich gehen zu lassen, und hinter aller Trauer hatte sie seine Enscheidung akzeptiert. Aber Nesh hatte nicht sterben wollen. Für ihn hatte das Leben erst gerade begonnen. Es war so ungerecht...
Dann wurde ihr noch etwas klar: dass ihr speiübel war. Sie drehte sich herum, beugte sich über die Bettkante und würgte, aber ihr Magen war so gut wie leer. Zitternd liess sie sich zurücksinken. Die Welt wollte nach der Bewegung nicht mehr anhalten, alles drehte sich. Sie kniff die Augen zusammen, aber es half nichts. Sie würde damit Leben müssen, dass er tot war, bis an ihr eigenes Lebensende. Ein Leben konnte so lang sein, so furchtbar lang...
Sie versuchte still zu liegen und sich an den Schmerz zu gewöhnen, der sie von nun an begleiten würde. Sie hielt es keine drei Atemzüge aus.
Fast reflexartig sprang sie auf und knallte genauso schnell der Länge nach hin. Wieder würgte sie. Irgendwo am Rand wurde ihr klar, dass sie vermutlich scharf an einer Alkoholvergiftung vorbeigeschlittert war. Aber sie sehnte sich schon jetzt danach, einfach wieder in das dunkle Nichts zu verschwinden, wo keine Erinnerung existierte, weder gute noch schlechte. Und wen kümmerte es schon, wenn sie sich zu Tode soff? Sie selbst nicht. Und der einzige, der versucht hatte, sie davon abzuhalten, war tot.
Sie zog sich am Tisch hoch, taumelte und krachte gegen die Wand. Keuchend hielt sie inne und versuchte in dem ganzen Gekreise etwas zu erkennen. Auf dem Tisch stand nichts mehr, die Scherben der Flasche waren fort. Irgendetwas... Irgendetwas, was sie aufhören liess zu denken. Irgendetwas, was den Schmerz ertränkte... Sie sah die Tür, wankte darauf zu und knallte dagegen. Zuerst fand sie die Türfalle nicht, dann gab sie plötzlich nach, die Tür ging auf und sie fiel der Länge nach in den Flur.
Die Welt kippte, als sie den Kopf drehte. Sie sah zwei Stiefel. Ruckartig hob sie den Kopf und sah in das verschwommene Gesicht einer Frau. Sie war blass, ihr Haar lang, schwarz, hochgesteckt. Ro versuchte, ihre Zunge dazu zu bringen, ihr zu gehorchen. "...rinken...was...ingwa..."
Die Frau trat einen Schritt zurück und rief laut: "Geza, Lashk, kommt her."
Zwei hochgewachsene Dämonen kamen näher. "Bringt sie auf die Füsse und kommt mit", befahl die Frau.
Ro wurde an den Schultern gepackt und hochgerissen. Sie versuchte zu stehen, aber die Männer gingen zu schnell und so schleiften ihre Füsse einfach am Boden nach. Die Frau ging voraus durch lange Korridore, die Ro irgendwie bekannt vorkamen, aber sie wusste nicht mehr woher. Sie erreichten eine Tür, die Frau klopfte an, trat ein und bedeutete den Männern zu folgen. Ro sah nicht viel vom Raum, die Frau versperrte ihr die Sicht und sie hatte Mühe, ihren Kopf zu heben. Doch dann durchschnitt eine Stimme die Stille, die ihr das Blut in den Adern gefrieren liess. "Geht. Lasst sie hier."
Die Männer liessen sie los und sie fiel auf die Knie. Die Türe schloss sich mit einem Knall hinter ihr. Langsam hob sie den Kopf. Vakra stand vor ihr, das Gesicht verzerrt vor Zorn. Lange starrte er sie nur an, dann trat er auf sie zu und verpasste ihr eine Ohrfeige, die ihren Kopf herumdrehte, gefolgt vor einem Tritt vor die Brust, der sie rückwärts in die Tür krachen liess. Sie rang nach Atem und tastete nach ihrem Säbel. Zu ihrem Erstaunen war er tatsächlich noch da, sie hatten ihn ihr nicht abgenommen. Diese Tatsache brachte sie dazu, ihn nicht zu ziehen.
"Weisst du, wer du bist?", fragte Vakra kalt.
Sie antwortete nicht.
"Du bist ein Mitglied der Familie von der schwarzen Festung", fuhr er fort und sein Blick war tödlich. "Mehr noch. Du bist der Erbe. Du bist derjenige, der das Wesen dieser Familie, die Essenz unseres Blutes in sich vereint. Wir alle tragen es in uns, aber du bist es. Du weisst, ich würde alles tun, um das zu ändern, aber es steht nicht in meiner Macht."
Er drehte sich um und blickte aus dem Fenster. "Ich bin das Oberhaupt dieser Familie. Ich vertrete sie gegenüber den anderen Familien, der Gemeinschaft, allen Aussenstehenden. Was immer ich tue wirkt sich auf das Ansehen der schwarzen Festung aus. Mit einem einzigen, falsch platzierten Wort kann ich uns alle ins Verderben ziehen. Du hingegen, du bist der Erbe. Auch du repräsentierst unsere Familie, und zwar viel unmittelbarer als ich. Ich bin sozusagen der Kopf, ich politisiere, treffe Entscheidungen, stehe für die Interessen der Familie. Du jedoch stehst für das, was wir sind, für unsere Qualitäten, unsere Fähigkeiten. Es gehört nicht zu diesen Fähigkeiten, sich besinnungslos zu saufen."
Er drehte sich um und sah sie an. Sein gesicht war eine eiskalte Maske. "Weisst du, was ich von dir erwarte?"
Wieder sagte sie nichts. Vermutlich hätte ihre Stimme ihr ohnehin nicht gehorcht.
Er trat einen Schritt auf sie zu und zischte: "Ich erwarte von dir, dass du dich verhältst, wie ein Erbe der schwarzen Festung sich zu verhalten hat. Ich erwarte, dass du besser bist, als alle anderen. Hast du das verstanden?"
Einige Augenblicke schwieg sie und fragte sich, was sie tun wollte. Aber da war nur Leere. Sie wollte nichts. Sie konnte sich nicht einmal mehr erinnern, jemals etwas gewollt zu haben, was nicht zusammen mit Nesh gestorben war. Und wenn sie selbst nichts wollte, konnte sie ebenso gut einfach gehorchen. Sie hob den Kopf. "Ja."


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#245

RE: Drez (Stadt der Schattendämonen)

in Dreitan - das Spiel 30.12.2012 19:54
von Ro Raven | 10.532 Beiträge

Zwei Tage lang drehte sie fast durch. Sie blieb in dem Zimmer, in dem sie aufgewacht war, und niemand kam zu ihr. Vakra hatte ihr zwar nicht verboten, im Haus herumzugehen, aber erstens war sie hier vermutlich nicht sehr willkommen und zweitens wurde sie mit sich selber kaum fertig. Sie rannte im Raum hin und her, wand sich im Versuch, dem Schmerz zu entkommen, aber schlussendlich half alles nichts. Sie wusste später nicht mehr, was sie in jenen zwei Tagen noch alles getan hatte, aber an einigen Stellen war der Boden blutig, die Bettdecke war völlig zerfetzt und was vom Tisch übrig war, grenzte an Kleinholz.
Als der dritte Tag anbrach, kauerte sie mit dem Rücken an die Wand gelehnt. Das Feuer war längst ausgegangen, es war so kalt im Raum, dass ihr Atem eine Wolke bildete. Durch das offene Fenster brachen die Strahlen der Wintersonne, tanzten über die Wände, über ihr Gesicht, ihre Hände. Die Strahlen schienen durch ihre Haut hindurch zu gehen, als wäre sie durchsichtig, und füllten sie wie ein Gefäss mit ihrem hellen, kalten Licht. Zum ersten Mal seit der Nacht der Flammen sah sie die Welt wieder klar, ohne den Schleier des Schmerzes. Nicht, dass er nicht mehr da war, er war eher klar geworden.
Sie sah das gleissende Licht und den Himmel über den bereits verschneiten Berggipfeln. Sie hörte ihren Atem. Sie spürte die Kälte. Sie begann auch, ihren Körper wieder zu spüren. Dass sie zitterte. Und den körperlichen Schmerz. Langsam hob sie die schmerzenden Hände und sah, dass die Haut an den Knöcheln offen war. Ihre Arme waren zerkratzt und stellenweise hatte sie Brandblasen. Sie erinnerte sich, dass die Explosionen auch ihr zugesetzt hatten, doch einige der Wunden waren eindeutig frischer.
Langsam stand sie auf und trat ans Fenster. Ihre Kleider waren zerrissen, angesengt und verklebt von getrocknetem Blut. Sie blickte hinaus ins von Morgensonne durchflutete Tal und erinnerte sich an einen anderen Morgen in diesen Bergen, in einem anderen Winter, als überall Schnee gelegen hatte. Als sie das erste Mal gesehen hatte, was Magie anrichten konnte. Ein trauriges Lächeln stahl sich auf ihre Lippen. Was hatte sie da schon gesehen. So gut wie nichts.
Ihr Magen knurrte und sie merkte, dass ihr fast übel war vor Hunger. Sie wandte sich vom Fenster ab, öffnete die Tür und ging hinaus. Sie begegnete niemandem auf ihrem Weg durch die Stockwerke hinunter, wo sie irgendwo die Küche vermutete. Schliesslich fand sie sie, öffnete die Tür und trat lautlos ein. Jemand stand an einem grossen Herd mit dem Rücken zu ihr, eine Frau mit einem langen, schwarzen Zopf. Nach einer Weile drehte sie sich um, sah Ro und schien zuerst zu erschrecken. Dann sah sie sie misstrauisch an. "Was machst du hier?"
Ro's Stimme gehorchte ihr nicht auf Anhieb, so als wäre sie eingerostet. Erst auf den dritten Anlauf schaffte sie es, verständlich zu reden: "Kann ich etwas zu essen haben?"
Die Frau musterte sie nocheinmal, dann reichte sie ihr eine Schüssel Brei. "Hier. Du sollst zu Vakra gehen. Aber vielleicht solltest du dir zuerst etwas anderes anziehen."
Ro erwiderte nichts, sondern machte sich wie ein Raubtier über den Brei her. Danach ging sie in das Stockwerk, in dem sie Vakra's Schreibzimmer vermutete, fand es aber nicht, kam dafür kurz darauf an einer halboffenen Türe vorbei, aus der sie Stimmen hörte, Vakra's und eine andere, die ihr bekannt vorkam. Sie stiess sie auf und blieb im Türramen stehen. Die beiden Dämonen drehten sich zu ihr um und sie erkannte den zweiten als Veray, Vakra's Sohn. Vakra richtete sich auf. "So kannst du hier nicht herumlaufen. Nimm dir neue Kleider. Im Schrank", sagte er, ohne Wort über die vergangenen Tage zu verlieren. "Und dann widmen wir uns deiner Erziehung."
"Erziehung?", fragte Ro tonlos.
Vakra sah sie kalt an. "Ich kann deine Abstammung nicht ändern. Aber ich werde dafür sorgen, dass du in allem anderen ein voller Dämon bist. Du wirst vieles lernen müssen."
Die Art, wie er das sagte, hätte ihr zu einem früheren Zeitpunkt vielleicht Angst gemacht. Aber jetzt spürte sie keine Angst, genau so wenig wie irgendetwas anderes.
"Und du wirst ab morgen die Kampfakademie besuchen", fügte Vakra hinzu.
Ein schwaches Lächeln legte sich auf ihre Lippen und sie merkte, dass es durchaus noch etwas gab, was sie spürte, aber es war bestimmt nichts Gutes. Mit einem spöttischen Unterton meinte sie: "Ich glaube kaum, dass das nötig ist."
Vakra bedachte sie mit einem vernichtenden Blick. Dann meinte er trocken: "Keine Sorge. Mein Sohn..." Er warf einen Seitenblick auf Veray. "...hat mir von deinem Sieg an der Wintersonnwende berichtet. Aber er hat mir auch von deiner grauenhaften Leistung im Messerwerfen erzählt. Ich will gar nicht erst wissen was passiert, wenn man dir eine Armbrust in die Finger gibt. Also keine Widerrede."
Sie nickte und ging.


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#246

RE: Drez (Stadt der Schattendämonen)

in Dreitan - das Spiel 30.12.2012 20:37
von Ro Raven | 10.532 Beiträge

Das Feuer in ihrem Zimmer brannte wieder und der Fensterladen war geschlossen, aber es war noch immer kalt. Neben dem Kamin stand ein kleiner Zuber und zwei Eimer voll Wasser. Sie betrachtete einige Augenblicke lang die Trümmer des Tisches, dann wandte sie sich dem Schrank zu. Schnell fand sie eine Hose, ein Hemd, eine Tunika und auch Unterwäsche, die ungefähr die richtige Grösse hatten. Sie legte sie auf das Bett und begann sich aus ihrer alten Kleidung zu schälen.
Als sie den Schulterriemen losschnallte, bemerkte sie, dass ihr Seesack daran hing. Er hatte mehrere Brandlöcher. Sie würde sich einen neuen besorgen müssen. Ausserdem war er leerer als sonst. Sie erinnerte sich vage, einige Dinge herausgenommen zu haben, damit er sie in der Schlacht nicht behinderte und im selben Moment fiel ihr auch ein, warum sie ihn überhaupt mitgenommen hatte. Hektisch tastete sie ihn ab. Vermutlich hatte sie durch die Löcher einige Dinge verloren, aber das, worauf es wirklich ankam, war noch immer darin, eingewickelt in ein Hemd und wie durch ein Wunder unbeschädigt. Nun, vielleicht war es kein Wunder, sondern einfach Magie.
Als sie alles ausgezogen hatte, stellte sie sich in den Kessel und wusch sich mit dem Wasser und einem Stück Kernseife, das daneben lag, so gut es ging. Die Schnitte und Kratzer überall an ihrem Körper brannten, als sie darüber schrubbte. Als sie fertig war, war das Wasser im Zuber fast schwarz. Sie zog sich an, säuberte ihre Rüstung und die Stiefel und fettete sie mit einem Döschen Talg, das sie in ihrem Seesack fand ein.
Dann legte sie sich aufs Bett und starrte an die Decke. Langsam, ganz langsam spürte sie, wie ihre Augen sich mit Tränen füllten, bis schliesslich eine sich löste und über ihre Wange rann. Sie begann leise zu schluchzen und rollte sich zusammen, geschüttelt von Weinkrämpfen. Sie weinte so lange bis sie einschlief und zum ersten Mal seit dem Morgen der Schlacht schlief sie wirklich.


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#247

RE: Drez (Stadt der Schattendämonen)

in Dreitan - das Spiel 30.12.2012 23:06
von Ro Raven | 10.532 Beiträge

Die Kampfakademie bestand aus einem grossen Platz und einigen kleinen Gebäuden ringsum. Es war noch früh am Morgen, die Sonne war noch nichteinmal über den Bergrücken erschienen und die Luft klirrend kalt, es sah aber aus, als könnte es im Verlauf des Tages warm werden. Ro wickelte den langen Umhang, den sie im Schrank gefunden hatte, enger um sich und sah sich um. Überall waren kleine Gruppen von Kindern verschiedenster Grösse, aber alle waren viel jünger als Ro. Sie fragte sich, was sie jetzt tun sollte.
Schliesslich ertönte ein Horn und die Kinder schienen sich ungefähr nach Alter in Gruppen zu teilen. Ro stand einen Augenblick unschlüssig da, dann schloss sie sich der ältesten Gruppe an, hielt sich aber im Hintergrund. Sie musterten die anderen Dämonen. Sie waren alle bestimmt zwei Jahre jünger als sie, auch wenn einige grösser waren, die meisten trugen eine Lederrüstung und auf Ro machten sie alle einen leicht übereifrigen Eindruck. So ähnlich wie Freiwillige vor ihrem ersten Kampf.
Ein Mann trat zu der Gruppe hinzu und rief etwas, die Jugendlichen riefen etwas anderes zurück. Der Mann ging der Reihe entlang, die sie gebildet hatten und zählte sie. Dann bemerkte er Ro, die immer noch die Kapuze ihres Mantels aufhatte. "He, du da. Wer bist du?"
Sie trat einen Schritt vor und zog sich die Kapuze vom Kopf. "Ro", antwortete sie. "Ro Raven."
"Verzeihung", meinte der Mann, der nun erst sah, dass sie älter war. "Ich hielt euch für einen Schüler. Was wollt ihr hier?"
"Ich bin ein Schüler", sagte Ro. "Mein Onkel schickt mich her. Ich soll kämpfen lernen."
Sie hörte, wie die Jugendlichen zu flüstern begannen. Nach dem, was sie aufschnappte, hatte irgendjemand sie erkannt als die Siegerin vom letzten Winterturnier. Der Mann runzelte die Stirn. "Wer ist dein, euer Onkel?"
"Vakra von der Schwarzen Festung", antwortete sie.
Der Mann kniff die Augen zusammen und musterte sie mehrmals von Kopf bis Fuss, schliesslich blieb sein Blick aan ihrem Säbel hängen. "Ich verstehe", sagte er, schien dabei aber leicht aus der Fassung gebracht. "Hol Vron", befahl er einem der Schüler, der sofort loslief.
Wenig später kehrte er zurück, zusammen mit einem Dämonen in einer glänzenden, schwarzen, mit Metalbeschlägen verstärkten Lederrüstung. Er nickte dem anderen Mann zu, dann trat er zu Ro. "Du bist die Schülerin?"
Ro nickte und musterte den Mann. Er war ein alter Krieger. Ein Krieger unverkennbar, vermutlich einer, der sich in jeden Kampf gestürzt hatte, den er finden konnte, denn seine Wangen waren gezeichnet von alten Narben. Aber er war auch alt. Ein Stück älter zumindest als Darez jemals geworden war. Ein böser Teil von Ro fragte sich unwillkürlich, ob er keine Nachkommen hatte, die er zum Rachary fordern konnte, aber sie brachte ihn schnell zum Schweigen und nickte.
"Komm mit", befahl er Mann. Sie gingen an einem Gebäude vorbei auf einen kleinen Platz dahinter, der gesäumt war von kleineren Hütten. Er stellte keine Fragen, weder darüber wer sie war noch warum sie erst mit fast zwanzig hier auftauchte. Entweder er wusste es, oder er konnte es sich zusammenreimen. Oder es interessierte ihn einfach nicht. Oder er sprach nicht gerne.
Schliesslich blieb er stehen, drehte sich zu ihr um und sagte: "Mach den Handstand."
Sie sah ihn perplex an. "Was?"
"Du hast mich verstanden", sagte er. "Also frag nicht, sondern tu was ich sage. Oder kannst du es nicht?" Die Art, wie er die letzten Worte sagte, war fast beleidigend, mindestens aber provokativ.
Ro zog ihren Mantel aus und legte ihn an eine Hauswand. Dann nahm sie einen Schritt Anlauf und schwang sich hoch, sicherheitshalber gegen die Wand, denn sie war nie sehr gut in solchen Dingen gewesen, und sie hatte es wohl seit Jahren nicht mehr versucht. Tatsächlich brauchte sie die Stütze der Wand, um aufrecht zu bleiben. Sie verharrte einige Sekunden, dann liess sie sich zurückfallen und drehte sich zu ihrem Lehrer um. Er musterte sie kalt. "Hab ich gesagt, du sollst aufhören?"
"Nein?", antwortete sie.
"Dann tust du es auch nicht", meinte er. "Also los, wieder hoch."
Verwirrt gehorchte sie und blieb so stehen. Bald begannen ihre Handgelenke zu schmerzen. Sie sah hoch und sah ihn dastehen und warten. "Kann ich jetzt wieder runtergehen?"
"Nein", antwortete er. "Und hör auf zu Fragen. Ich sage dir, was du tun musst."
Sie fluchte innerlich, gehorchte aber. Die Haltung wurde immer unangenehmer. Als sie wieder aufblickte sah sie, dass ihr Lehrer sich auf einen Hocker gesetzt hatte und sich eine Pfeife anzündete. Empört fragte sie: "Wie lange soll ich denn hier rumhängen?"
"Bis ich sage, dass du aufhören kannst", sagte er gelassen und machte einen Rauchring.


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#248

RE: Drez (Stadt der Schattendämonen)

in Dreitan - das Spiel 31.12.2012 00:28
von Ro Raven | 10.532 Beiträge

Diesmal fluchte sie laut. So langsam begann es wirklich anstrengend zu werden. Ein spitzer Stein bohrte sich in ihren linken Handballen. Als sie nach einer Weile versuchte das Gewicht zu verlagern, knickte sie prompt ein und konnte sich nur dank ihrer schnellen Reaktion davor bewahren, kopfvoran einzuschiessen. Sie rollte sich ab und stand keuchend auf.
"War das schon alles?", fragte der Dämon abschätzig. "Ich hätte mehr erwartet von jemandem wie dir. Wirklich schwach."
Sie wurde zornig. "Was ist denn das für eine verdammt bescheuerte Übung? Das bringt doch überhaupt nichts!"
"Es ist die Übung, die ich dir befehle und deshalb machst du sie", sagte er kalt. "Denn ich bin der Lehrer und du der Schüler."
"Ihr könnt mich mal", fluchte sie. "Ich lass mich doch nicht verarschen."
Er hob den Blick. "Du gibst also schon auf? Schwach, schwach. Ich hätte wirklich mehr erwartet von einem Erben der schwarzen Festung. Dein Vater hätte niemals so schnell aufgegeben in deinem Alter. Aber bei dem Pack, unter dem du aufgewachsen bist, kann man wohl kaum etwas erwarten, wie es scheint."
Sie wäre ihm beinahe an die Kehle gegangen. Das war nicht nur eine Beleidigung gegen sie persönlich, sondern eine Kränkung ihrer Söldnerehre, eine Beleidigung gegen jeden einzelnen, der jemals mit ihr Seite an Seite gekämpft hatte, eine Beleidigung gegen die verwegensten, besten Haudegen unter allen Menschen. Zuletzt auch eine Beleidigung gegen Nesh. Ihre Hand juckte danach, den Säbel zu ziehen und dieses aufgeblasene Arsch auszuweiden. Sie tat es nicht. Aber verdammt nochmal, sie würde ihm zeigen, aus welchem Holz Söldner geschnitzt waren!
Wieder nahm sie Anlauf und ging in den Handstand. Eine Weile lang versuchte sie, ganz ruhig zu stehen, damit es möglichst wenig anstrengend war, aber die Taktik ging nicht sehr lange auf, der Schmerz in ihren Handballen und Unterarmen nahm zu. Sie öffnete die Augen und sah, dass der Dämon seelenruhig dasass und sein Pfeifchen paffte. Sie schloss sie wieder und begann ihre Atemzüge zu zählen, aber schliesslich wurde die Anstrengung nicht einzuknicken so gross, dass sie den Faden verlor. Ihre Handballen fühlten sich an wie durchlöchert von den kleinen Steinchen und sie spielte mit dem Gedanken, aufzugeben, aber damit hätte sie ihm recht gegeben, dass die Söldner schwach waren, dass sie schlechter waren als Dämonen. Und das konnte sie auf keinen Fall.
Sie biss die Zähne zusammen und begann wieder zu zählen. Der Schweiss rann ihr über die Stirn und die zitternden Arme hinunter. Sie verzog das Gesicht vor Schmerz. War es wirklich ein Beweis dafür, dass die Söldner schlecht waren, wenn sie aufgab? Immerhin war sie eine Frau, sie war fast logisch nicht so stark wie die Männer. Sie wollte diesem Gedanken schon fast nachgeben, als ihr etwas anderes einfiel. Dein Vater hätte niemals so schnell aufgegeben. Verflucht, wenn Darez nicht aufgab, dann sie auch nicht! Sie würde nicht schwach sein, wo er durchgebissen hatte! Er sollte stolz auf sie sein, sich nicht für sie schämen müssen, auch wenn er nicht mehr lebte. Nein, gerade deshalb. Weil sie das einzige war, was von ihm geblieben war und sie ihn ersetzen musste in dieser Welt.
Sie merkte, dass sie aufgehört hatte zu zählen und begann wieder von vorne. Bei etwa fünfzehn verlor sie den Faden, begann neu, immer wieder. Jeder Muskel schmerzte. Sie bleckte die Zähne. Ihr Atem ging zischend. Sie öffnete die Augen und sah den Dämonen immer noch dort sitzen und warten. Sie begriff, dass er niemals sagen würde, sie könne aufhören. Er wollte nur sehen, wie lange sie durchhielt. Oh, verflucht, sie würde ihm zeigen, wie lange eine Raven durchhielt, wenn es sein musste! Eine Raven. Eine mit dem Blut des Raben. Sie hörte Vakra's Stimme: Ich verlange von dir, dass du besser bist, als alle anderen. Oh, sie würde diesem verdammten Dämonen zeigen, dass sie besser war. Sie würde so lange hier stehen bleiben, bis ihm der Arsch wehtat von seinem verschissenen Hocker. Sie würde noch hier stehen, wenn die Sonne unterging, wenn es sein musste. Aber sie würde nicht aufgeben. Niemals!
Sie hörte sich selbst knurren und begriff, dass der Zorn das Feuer in dir geweckt hatte. Sie vergass den Schmerz, nur der Zorn blieb. Die Flammen tanzten vor ihren geschlossenen Lidern, brannten in ihren Adern, loderten in ihrer Seele. Sie war sich sicher, in diesem Augenblick hätte sie auch auf den Fingerspitzen einer Hand stehen können. Das Feuer leckte an ihren Erinnerungen, als suche es Nahrung. Immer heisser und dunkler wurden die Flammen, während eine Schlacht nach der anderen an ihr vorüberzog, bis sie die Farbe von fliessendem Blut hatten. Ströme von Blut ergossen sich über sie auf die Erde. Selbst der Himmel war blutrot. Schwarze Vögel kreisten, ihre heiseren Rufe vermischten sich mit ihrem eigenen Wutschrei. Sie hob den Säbel an und streckte ihn dem Himmel entgegen. Blut klebte an ihren Händen und Wangen, tropfte von der Klinge in den weissen, unberührten Schnee...
Sie japste nach Luft, fuhr auf und schnappte nach dem ersten was sie sah, doch ihre Zähne bekamen nichts zu fassen. Stattdessen traf sie der zweite Schwall voll ins Gesicht. Sie hustete und spuckte Wasser aus.
"Es reicht", hörte sie eine ruhige Stimme sagen. Sie blickte auf und sah in das Gesicht des Dämonenkriegers, der noch immer den Eimer in der Hand hielt. "Es reicht", sagte er nochmal ruhig. "Du kannst aufhören. Das war lange genug."


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#249

RE: Drez (Stadt der Schattendämonen)

in Dreitan - das Spiel 31.12.2012 01:58
von Ro Raven | 10.532 Beiträge

Vron befahl ihr jeden Morgen als erstes die Handstandübung und er liess sie jedes Mal so lange dort stehen, bis das Feuer sie überwältigte. Sie fragte sich, warum er das tat. Aber im Grunde war es egal. Er war der Lehrer, sie war der Schüler. Er befahl was er wollte, und sie tat es. Die wichtigere Frage, die sie sich stellte war, warum und wann das Feuer kam, und warum es sie schliesslich zu Fall brachte, was ihr noch in keinem Kampf passiert war. Sie wusste, dass jeder Schmerz verschwand, wenn es die Überhand nahm, aber sie konnte es noch so rufen, so konnte noch so versuchen wütend zu sein um sich von der Qual ihrer schmerzenden Muskeln zu erlösen, es kam nicht. Hundertmal glaubte sie jedesmal, sie würde gleich zusammenbrechen und tat es doch nicht, weil sie noch irgendwo einen winzigen Rest an Kraft fand. Und dann, wenn wirklich alles aufgebraucht war, wenn sie spürte dass sie kurz davor war, das Bewusstsein zu verlieren, war es plötzlich da, brannte in ihren Adern, fegte alles hinweg, bis sie nur noch Blut sah.
Dann kippte Vron ihr zwei Eimer Wasser über den Kopf und schickte sie ins Waffentraining. Wurfmesser, Bogen, Armbrust, Speer. Er liess sie mit den absoluten Anfängern trainieren, das hiess mit Kindern, die vielleicht gerade mal sieben Jahren alt waren. Dementsprechend gross war das Gespött vorallem der älteren Gruppen, wenn sie neben ihnen trainierten. Nachdem sie einem von ihnen in einem Wutanfall mit dem stumpfen Ende des Speers zwei Schneidezähne herausgeschlagen und einen anderen mit der Armbrust nur um Haaresbreite verfehlt hatte, liess das zwar etwas nach, dafür bestrafte Vron sie. Er befahl ihr den Harnisch auszuziehen und niederzuknien, dann schlug er sie mit einer Weidengerte. Die Hiebe wurden durch Hemd und Tunika abgedämpft und waren auszuhalten. Das wirklich schmerzhafte für Ro war die Erinnerung. Beim ersten Mal hätte sie beinahe geheult bei der Erinnerung an die Auspeitschung im Heer von Gevira. Ein Teil von ihr fragte sich, warum sie das überhaupt mit sich machen liess. Im Zorn hätte sie dem Alten die Weidenrute vermutlich leicht aus der Hand reissen und ihn damit verdreschen können, aber sie tat es nicht. Sie begriff, dass es nur eine weitere Prüfung war. Wie viel sie ertragen konnte, ohne darum zu bitten aufzuhören. Und in diesem Fall war die Prüfung für sie härter, als Vron überhaupt wissen konnte.
Nach der Bestrafung schickte er sie zurück in ihre Gruppe und liess sie weiter üben. Die einzige Waffe, mit der sie in der ganzen Zeit niemals trainierte, war der Säbel.
Sie verbrachte eigentlich nur die Zeit, die sie brauchte zum Essen und Schlafen in der schwarzen Festung, den Rest der Zeit lief sie durch die Hügel und Felsen des Tals. Das Haus war irgendwie komisch. Es wirkte, als wäre es für viel mehr Leute gebaut worden, als darin wohnten. Selten begegnete sie jemandem auf den Gängen und wenn, dann waren es keine freundlichen Begegnungen. Ihr war auch bewusst geworden, dass sie einen Mann aus diesem Haus getötet hatte, als sie zum ersten Mal hier gewesen war. Sie fragte sich, ob er einen Bruder hatte, der versuchten würde, ihr irgendwann eine Klinge in den Rücken zu stossen.
Sie weinte nicht mehr nach jenem einen Abend. Stattdessen lag sie jeden Abend lange wach, starrte in die Dunkelheit und stellte Fragen. Kaum eine davon wurde je beantwortet. Viele stellte sie immer wieder. Manche drehten sich darum, was sie sah, wenn das Feuer sie überrannte. Dieses viele Blut, die schwarzen Vögel, der Schnee. War es eine Vision? War es eine Erinnerung? Wessen Erinnerung?
Die meisten Fragen drehten sich jedoch um das, was geschehen war. Sie hatten ihr gesagt, was es mit den Dagnaz'Ûr auf sich hatte, den Drachen, die vor langer Zeit einen Pakt mit den Dämonen geschlossen hatten, einen Pakt von Blut und Feuer. Der Drache hatte sie nur geholt, weil jemand ihm das aufgetragen hatte. Es war also niemandes Ziel gewesen, dabei Nesh zu töten. Es war einfach passiert... einfach so... ohne dass jemand es gewollt hatte...
Manchmal wollte sie weinen, aber sie konnte es nicht. Sie fragte auch das. Warum sie keine Tränen hatte. Warum sie solche Angst davor hatte, an ihn zu denken, aber noch viel mehr Angst davor, nicht mehr an ihn zu denken. Und immer wieder diese eine Frage: Warum folgte der Tod ihr wie ein Schatten und holte alle, die ihr etwas bedeuteten?


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#250

RE: Drez (Stadt der Schattendämonen)

in Dreitan - das Spiel 31.12.2012 14:34
von Ro Raven | 10.532 Beiträge

Anfang November fiel Schnee, dicht und weiss. Er bedeckte die schroffen Felsen der Drachenberge mit seinem weichen Glitzern, nahm der Welt die Härte und machte sie still. Ro hinterliess jetzt tiefe Spuren, wenn sie durch das Tal streifte. Manchmal sass sie auf einem Felsen hoch oben und blickte hinunter auf die weisse Landschaft und fragte sich, ob sie wirklich real war oder nur ein Traum. Einmal, als sie zu einem Pass aufstieg, sah sie in der Ferne eine Gestalt. Es schneite und alle Konturen waren verschwommen, aber die Gestalt stand da, als warte sie auf Ro, ihr Mantel und ihr langes, schwarzes Haar wehten im Wind. Als Ro näher kam, war sie verschwunden, als hätte sie niemals existiert.
Vron schien der Schnee überhaupt nicht zu interessieren. Er liess sie ungerührt weiter den Handstand machen, auch wenn ihr der Schnee auf dem Platz bis fast an die Ellbogen reichte. Eines Tages geschah etwas merkwürdiges. Mit gebleckten Zähnen, die Augen zisammengekniffen vor Schmerz stand sie da, hin und her gerissen zwischen dem übermächtigen Wunsch, nachzugeben und aufzuhören, und der Willen, eher zu sterben als aufzugeben. Irgendwann wusste sie, dass sie am Ende war, und das war der Moment, in dem sich das Feuer auflehnte dagegen, so einfach besiegt zu werden. Sie sah die Flammen lodern, spürte, wie sie überhand nahmen, und plötzlich wurde ihr etwas klar: dass auch das am Ende nur eine Schwäche war. Sie überliess sich einfach dem Willen des Feuers, anstatt ihm den ihren aufzuzwingen. Das war leichter, aber nur ein Schwächling wählte den leichten Weg. Sie hatte längst aufgehört, das überhaupt als Option zu sehen. Sie hatte keinen Grund sich zu schonen. Das einzige Ziel war Perfektion, und wenn sie den Weg dorthin nicht aushielt, dann ging sie eben drauf.
Das Feuer war stark, und es machte sie stark, aber nur, wenn sie es einsetzen konnte. Und dazu musste sie stärker sein. Sie kämpfte, gegen den Schmerz auf der einen, die Flammen auf der anderen Seite. Schliesslich unterlag sie.
Sie kam zu sich, als Vron ihr Wasser über den Kopf leerte. In ihrem Mund war der Geschmack von Blut, aber vermutlich hatte sie sich nur selber auf die Zunge gebissen. Langsam richtete sie sich auf und sah ihren Lehrer an. Dann stellte sie ihm die Frage, die ihr schon seit Wochen auf den Lippen lag: "Warum kämpfe ich nicht mit dem Säbel?"
Er reichte ihr die Hand und zog sie auf die Füsse. "Sie haben dich nicht zu mir geschickt, um Technik zu lernen. Die beherrschst du längst."
"Warum bin ich dann hier?"
Er setzte sich auf seinen Hocker und steckte sich die Pfeife an. "Die schwarze Festung", sagte er schliesslich. "Man kann es einen Fluch nennen oder eine Gabe, aber jedes Mitglied dieser Familie trägt ihn in sich, den Wahnsinn. Nicht alle auf die selbe Weise, nicht alle gleich stark. Er ist es, der vor allem die Erben eurer Familie zu so starken Kämpfern macht, aber er kann auch ganz anderes anrichten. Vakra hat dich hergeschickt, damit du lernst, den Wahn als eine Waffe einzusetzen."


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