#261

RE: Drez (Stadt der Schattendämonen)

in Dreitan - das Spiel 23.01.2013 01:11
von Ro Raven | 10.532 Beiträge

Daka hatte Glück, dass er ihr an diesem Tag nicht über den Weg lief, als sie zur schwarzen Festung zurückkehrte. Sie hätte ihn umgebracht, ohne einen Gedanken daran zu verschwenden, auch wenn er kein Wort gegen sie gesagt hätte. Das Feuer war blutrot, aber es brannte heiss und füllte sie bis zum Rand. Sie war voller Energie, die sich irgendeinen Weg aus ihr hinaussuchen wollte. Es war keine Gute Energie. Daka hatte wirklich Glück gehabt. Sie hätte ihn erstochen, halbiert, zerschnitten, zerrissen...
Ein Grinsen breitete sich auf ihrem Gesicht aus, als sie sich ausmalte, was sie alles mit ihm hätte anstellen können. Nicht dass sie wütend auf ihn war, für seine Beleidigungen hatte er schon gebüsst. Nein. Sie wollte einfach nur Blut sehen. Ohne es zu merken, legte sie die Hand um den Griff ihres Säbels und war einen Augenblick lang erstaunt darüber, dass sie ihn im Kampf gegen Vron nicht gezogen hatte. Plötzlich hörte sie etwas. Ein leises Geräusch, wie ein Flüstern oder Schritte. Sie fuhr herum, aber da war niemand. Es schien von überall her zu kommen. Oder von nirgends. Eigentlich war sie sich nicht einmal sicher, ob es überhaupt existierte, denn es war nun auch nicht mehr da.
Sie zuckte mit den Achseln, ging die letzten Schritte auf die Tür der schwarzen Festung zu und öffnete sie mit dem Fuss, um sie hinter sich wieder zuzutreten. Sie stieg die Wendeltreppe in die oberen Räume hinauf und war eben in den Korridor eingebogen, als sie eine Stimme in ihren Gedanken hörte. Ro!
Sie erstarrte, und ein Schauder lief ihr über den Rücken. Die Stimme war fremd und kalt. Jemand war in ihren Gedanken. Wieder ertönte der Ruf, aber es war weniger ihr Name, sondern mehr ein Bild von ihr, mit dem Rücken zum Betrachter. Langsam drehte sie sich um. Im Schatten unter einem Fackelhalter lehnte eine Gestalt an der Wand. Die Gestalt hob den Kopf und sie erkannte ihn. Es war Achrat, Driss' Sohn. Er sah sie mit seinen dunklen Augen durchdringend an. Sie wusste, dass es seine Stimme war, die sie gehört hatte. Veray hatte ihr erzählt, dass er nicht sprach und auch sonst nicht kommuniezierte. Offenbar hatte er sich geirrt.
Ro erinnerte sich an das Amulett, das Ran ihr gegeben hatte. Es sollte die Gedanken anderer abwehren. Der Drache hatte sie nicht erreichen können, ohne sie zu berühren. Wie zum Teufel...?! Automatisch fuhr ihre Hand zu ihrem Hals, aber das Amulett war noch da. Warum wirkte es nicht mehr.
Es wirkt, sagte Achrat. Aber es ist Äther. Es wehrt Gedanken aus der Luft ab. Ein Bild, nein, ein Gefühl erreichte sie, von einem Gedanken, der durch den steinernen Boden unter ihren Füssen kroch. Es war ein verdammt seltsames Gefühl. Unwillkürlich blickte sie zu Boden, aber natürlich sah sie nichts. Sie fragte sich, ob das Amulett überhaupt etwas nützte, wenn es so leicht zu umgehen war. Durch Stein ist schwer, antwortete Achrat. Viel schwerer als Luft. Wenige können es.
Sie fixierte ihn mit ihrem Blick, denn ihr war eingefallen, was Veray noch erzählt hatte: dass Achrat den Magier, der jetzt im Kerker sass, mit blossen Blicken in die Knie gezwungen habe. Ihr war nun klar, dass es nicht blicke gewesen waren, sondern Gedanken. Ja, bestätigte Achrat und auf ihre unausgesprochene Frage hin sagte er: Ich habe ihm Schmerz gezeigt, bis er ihn nicht mehr ertrug.
Woher?, fragte Ro fast erschrocken. Woher hatte ein Junge wie Achrat den Schmerz, einen Mann zusammenbrechen zu lassen? Anstatt einer Antwort schickte er ihr ein Gefühl. Sie erkannte es, taumelte und krachte mit dem Rücken gegen die Wand. Wimmernd rutschte sie daran herunter und krümmte sich vor Schmerz und Verzweiflung, ihrem eigenen Schmerz über Nesh's Tod, so scharf und ungedämpft, dass sie drauf und dran war ihren Dolch zu ziehen und sich umzubringen, um ihm zu entkommen.
So plötzlich wie er gekommen war, hörte es wieder auf. Er ist in euren Gedanken, hörte sie Achrat. Ich brauche nicht zu suchen.
Keuchend richtete sie sich auf und sah ihn an. Du machst mir Angst.
Ich weiss, sagte Achrat. Darum soll es niemand wissen.
Warum hast du es mir dann gezeigt?, fragte sie.
Um dir etwas anderes zu zeigen, antwortete er. Du hast sie gehört. Aber zu leise. Mit diesen Worten öffnete er ein Tor in seinen Gedanken und sie sah die Welt, wie er sie wahrnahm. Vieles war anders. Aber vorallem waren da die Stimmen. Ro erkannte sie wieder als das leise Geräusch, das sie draussen gehört hatte, als sie den Säbel ergriffen hatte, nur dass sie jetzt fast ohrenbetäubend laut waren. Es waren mächtige Stimmen. Drachen, wurde ihr klar. Sie riefen nach jemanden. Achrat verschloss das Tor und es wurde wieder still für Ro. Wen rufen sie?, fragte Ro.
Alle, die es hören, antwortete Achrat.
Und warum?
Ich weiss es nicht, sagte Achrat und endlich klang seine Stimme nicht mehr so kalt und übermächtig, sondern fast unsicher. Deshalb habe ich es dir gezeigt. Du kennst Magier.
Aber Ro schüttelte den Kopf. Ich weiss nicht, warum.
Achrat zuckte gedanklich mit den Schultern und verschwand auf der Treppe nach unten.


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#262

RE: Drez (Stadt der Schattendämonen)

in Dreitan - das Spiel 23.01.2013 15:43
von Ro Raven | 10.532 Beiträge

Auch Machek hörte den Ruf. Tief unten im Kerker war er genauso scharf und mächtig wie oben auf den Zinnen der Festung. Machek hörte ihn Tag und Nacht. Die Dunkelheit, die ihn einen Grossteil der Zeit umgeben hatte, schien seine Sinne noch schärfer gemacht zu haben, denn er spürte nicht nur den Ruf, sondern auch, dass viele darauf antworteten.
Er fragte sich, was der Meister tat, ob er welche von ihnen losschickte, um zu sehen, worum es da ging. Vermutlich. Der Meister. Er schluckte. Was die Frau erzählte, was verrückt. Niemand konnte tausend Jahre leben. Und doch... der Meister war ein Mensch. Er war mächtiger als alle anderen Magier, die er kannte, einerseits was seine Kraft betraf, andererseits aber auch sein können. Machek glaubte nicht, dass ein Mensch in seinem kurzen Leben überhaupt so viel Wissen ansammeln konnte.
Also ging er rein hypothetisch einmal davon aus, dass sie Recht haben konnte. Dann stellten sich zwei Fragen: erstens, wie hatte Nagareth es geschafft, so lange zu leben? Zweitens, warum hatte man Jahrhundertelang überhaupt nichts von ihm gehört? Auf beide Fragen hatte er einige Ideen als Antwort, aber nichts konkretes. Er erinnerte sich, wie die Dämonin gesagt hatte: Was weisst du schon. Und ich dachte, du seist hier der Magier. Offensichtlich wusste sie also durchaus etwas. Er wollte sie danach fragen, aber nach jener Nacht war sie nicht wiedergekommen. Er begann langsam zu argwöhnen, dass sie ihn hier unten festhalten würden, bis er verrottete.
Er dachte auch an das andere, was sie ihm entgegengeschleudert hatte. Verräter! War er ein Verräter. Nagareth war ein Feind aller Dämonen, denn er hatte versucht, sie zu vernichten - zumindest behaupteten die Legenden der Dämonen das. Machek war nicht unbedingt überzeugt davon, dass die brauchbare Quellen waren. Ausserdem sah er sich selbst nicht mehr als Dämon, er war in erster und einziger Linie Magier. Und als solcher folgte er einem mächtigeren Magier, um von ihm zu lernen, egal wer er war.


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#263

RE: Drez (Stadt der Schattendämonen)

in Dreitan - das Spiel 28.01.2013 16:41
von Ro Raven | 10.532 Beiträge

Der Dezember schritt fort, immer mehr Schnee fiel und die Rufe der Drachen verstummten, ohne dass Ro etwas darüber herausgefunden hätte. Es interessierte sie auch nicht. Nichts mehr interessierte sie, ausser der nächste Kampf und die Aussicht, Vron eines Tages das Gesicht zu zerschmettern, wenn das Feuer in ihr und ihre Kontrolle darüber endlich stark genug waren. Sie hatte auch begriffen, dass es nicht nur ihr Verstand war, der ihr Grenzen setzte, sondern auch ihr Körper, denn auch wenn sie im Kampf keinen Schmerz, keine Anstrengung mehr spürte, gewisse Dinge scheiterten einfach an einem Mangel von Kraft. Seither verbrachte sie die Zeit ausserhalb der Trainings damit, durch den Schnee zu laufen, Felswände hinaufzuklettern, immer auf dem schwersten möglichen Weg. Eines Abends am Feuer fragte Veray sie, warum sie das tat. Sie sah ihn an mit diesem Blick von Feuer und Eis, an den er sich mittlerweile gewöhnt hatte und sagte: "Um stärker zu werden. Ich will besser sein. Besser als alle anderen. Ich werde es sein. Oder ich werde sterben."
Sie sah, dass er schluckte. "Das ist nicht, was du willst. Das ist, was Vakra will."
Sie verzog ihren Mund zu einem verbitterten Grinsen. "Ich habe keinen Grund mehr, irgendetwas zu wollen. Ich kann ebenso gut wollen, was er will, wie alles andere."


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#264

RE: Drez (Stadt der Schattendämonen)

in Dreitan - das Spiel 30.01.2013 21:51
von Ro Raven | 10.532 Beiträge

Sie schnellte herum, trat zu, verfehlte und traf stattdessen die Hausmauer. Verputz löste sich und bröckelte herunter, während sie sich von der Mauer wegstiess und Vron ansprang wie ein Tier. Er liess sich fallen und rollte rückwärts, wobei sie durch ihren eigenen Schwung den Halt verlor und zwei Meter weiter wieder auf die Füsse kam. Er liess den Stock kreisen, sie duckte sich unter dem einen Ende hindurch und parierte das zweite, indem sie dagegen trat. Den Schwung des Tritts nutzend, wirbelte sie um die eigene Achse und zielte mit dem Ellbogen nach seiner Gurgel. Wieder sauste ein Stockende auf sie zu. Reflexartig hob sie die Hand und fing es ab. Sie riss daran, dann stiess sie noch schneller zurück, sodass sich das andere Ende in Vrons Bauch rammte, bevor sie von unten gegen den Stock trat, sodass er Vron aus der Hand gerissen wurde. Sie liess ihn beidhändig auf Vrons Hals niederfahren, aber Vron wich aus, schlug den Stock nieder und sprang darauf, sodass er zerbrach. Ro stach mit dem abgebrochenen Ende auf ihn ein, er packte ihr Handgelenk, und riss sie mit einem Schritt an ihr vorbei Rückwärts, sie stiess sich mit den Beinen vom Boden ab, machte einen Überschlag und landete wieder auf beiden Füssen. Gleichzeitig packte sie Vrons Unterarm, riss daran und warf ihn. Im letzten Moment riss sie mit aller Kraft zurück, er fiel zu Boden, sie liess sich mit den Kie voran auf seine Rippen fallen und holte mit dem Spiess aus.
Es wäre so leicht gewesen, ihn jetzt zu töten. Der Holzsstab war vorne zersplittert und spitz. Mit einem wuchtigen Hieb konnte sie ihm damit den Hals durchbohren und ihn geradewegs auf dem Boden festnageln. Sie war gut genug. Sie brauchte ihn nicht mehr. Er war ohnehin alt. Sie drückte die Spitze gegen seinen Hals, dort, wo die Schlagader war und knurrte: "Nenn mit einen guten Grund, warum ich dich nicht töten soll."
Er sah sie gelassen an. "Weil es nichts ändert."
Einige Augenblicke war sie still. Dann brüllte sie ihn an, holte aus und rammte den Pflock tief neben ihm in den Erdboden. Mit einem Ruck sprang sie auf und ging zur Wasserstelle.
Nach einer Weile kam auch Vron, beugte sich über den Brunnentrog und trank. Sie musterte ihn und stellte sich vor, ihm den Hals umzudrehen. "Ich werde mich für das Winterturnier einschreiben", sagte sie beiläufig.
"Nein, das wirst du nicht", erwiderte er, ohne aufzusehen.
"Und wieso nicht?", fragte sie gereizt.
"Du bist zu jung", meinte Vron ungerührt.
Sie starrte ihn verständnislos an. "Zu was?!?"
"Zu jung", widerholte Vron und richtete sich auf. "Aber lass dir das von wem anderen erklären. Ich hab heute noch zu tun."

Als sie in der Festung ankam, war ihre Stimmung so mörderisch, dass sie das Gefühl hatte, jedem an die Kehle zu gehen, der ihr begegnete. Sie hatte keine Ahnung, wo Vakra war, also marschierte sie auf direktem Weg an den einzigen Ort, wo sie mit Sicherheit wusste, dass ein Mitglied ihrer Familie zu finden war, in Verays Arbeitszimmer neben der Bibliothek. Veray sass da, hatte ein Buch aufgeschlagen und machte irgendeine Liste. Sie warf keinen Blick darauf, sondern trat vor seinen Tisch, stützte sich mit beiden Händen darauf ab und fragte: "Was soll das heissen, ich bin zu jung?!"
Er wusste sofort, worum es ging. Ohne von seiner Liste aufzusehen, meinte er: "Am Winterturnier dürfen nur Leute teilnehmen, die die Severjakza hinter sich haben. Wie alt bist du? Neunzehn?"
"Fast zwanzig", zischte sie.
"Wie auch immer. Da man erst mit Einundzwanzig auf die Severjakza geht, bist du eindeutig zu jung."
"Aber ich hab letztes Jahr auch teilgenommen", meinte sie verständnislos.
"Ja", sagte Veray und begann einen neuen Punkt auf seiner Liste zu schreiben. "Weil da niemand wusste, dass du zu jung bist. Aber jetzt weiss man es, und deshalb kannst du nicht teilnehmen."
Sie schlug auf den Tisch, dass das Tintenfass hüpfte. "Was ist denn das für eine verdammte Scheissregel?!?"
Verays Kopf fuhr hoch. "Das ist keine "Scheissregel"", fuhr er sie an. "Das ist Tradition! Das wird seit Jahrhunderten so gemacht und nur weil es dir nicht passt, wird es nicht geändert!"
Ro wich automatisch einen Schritt zurück. Eine so heftige Reaktion hatte sie von Vrenay nie gesehen und noch weniger erwartet. "Hey, bleib mal ruhig", meinte sie. "Ich hab ja nur gefragt."
"Es ist Tradition", sagte Veray und seine Stimme bebte vor Zorn. "Tradition ist das, was uns ausmacht! Diese Familie! Diese Gesellschaft! Dieses Volk! Und jetzt geh raus, ich hab noch was zu tun!"
Perplex verliess sie das Zimmer und schloss die tür hinter sich. Da sollte noch einer drauskommen.


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#265

RE: Drez (Stadt der Schattendämonen)

in Dreitan - das Spiel 02.02.2013 19:03
von Ro Raven | 10.532 Beiträge

Sie nahm also nicht am Winterturnier teil. Was sie nicht davon abhielt am fraglichen Tag nach Drez hinunter zu gehen, den Kämpfen zuzusehen und beim anschliessenden Besäufnis mitzummachen. Niemand versuchte, sie davon abzuhalten, und hätte jemand es versucht, dann hätte sie ihm gezeigt, wer hier verdammt nochmal angeblich zu jung war.
Der Abend war fortgeschritten und sie kippte den sie-hatte-keine-Ahung-mehr-wievielten Becher Bier - ihr war gar nicht bewusst gewesen, wie sehr sie das Zeug vermisst hatte - als ihr jemand mit Wucht auf die Schulter schlug. Einen Augenblick lang fragte sie sich, warum die Leute das immer machten, wenn sie am saufen war, sodass sie sich das halbe Bier anleerte, dann fragte sie sich, ob sie sich umdrehen und dem Typen eine reinhauen sollte, doch bevor sie zu einem Entschluss gekommen war, hatte er sich schon neben sie an den Tresen gelehnt. "Na, Küken?", fragte er grinsend. "Zu jung?"
Es war Sirak, gegen den sie letztes Jahr in der Endrunde gekämpft hatte. Dieses Jahr hatte er gewonnen und das war ihm offenbar zu Kopf gestiegen. Oder wieso nannte der verdammte Idiot sie "Küken"?!? Sie schaubte nur und trank weiter.
Er kicherte und ihr wurde klar, dass er sturzbetrunken war. "Tja, Pech gehabt, dass sie das rausgekriegt haben, was? Jetzt hab halt ich gewonnen."
"Gratuliere", meinte sie trocken. Es hielt ihn nicht davon ab, weiter zu schwafeln. "Willst du wissen, was ich mir hab stechen lassen?"
Sie erwiderte nichts, aber er liess ihr auch gar keine Zeit dazu. "Die Rune für einen schnellen Kampf", erklärte er. "Passt, was?"
Hatte der Kerl sein Hirn weggeschwemmt? Vermutlich. Er sollte aufhören, mich zu reizen, dachte der Teil von ihr, der sich mittlerweile gut genug kannte, um zu wissen, wann es gefährlich wurde.
Er hörte nicht auf. Stattdessen kam er noch näher und meinte: "Du hast mir gar nicht gesagt, was du dir letztes Jahr hast stechen lassen."
Zum ersten Mal sah sie ihn richtig an. "Federn", sagte sie. "Rabenfedern."
"Wo?", fragte er.
Sie starrte ihn an. Was zum Teufel ging ihn das an? Aber gut, warum auch nicht? "An den Schultern", meinte sie und trank einen Schluck Bier.
"Die musst du mir mal zeigen", meinte er und legte seine Hand auf ihre Schulter, auf eine eindeutig mehr als kameradschaftliche Weise. Sie begriff, dass es ihm um alles andere als die Tätowierung ging. Langsam stellte sie den Becher ab. Dann drehte sie aus dem Stand herum und rammte ihm ihre Faust mitten ins Gesicht.
Er ging zu Boden. Die Umstehenden wichen schnell einen Schritt zurück. Einige fluchten, andere lachten. Sirak rappelte sich auf und holte wankend aus, aber sie hatte wesentlich mehr Erfahrung darin, betrunken zu kämpfen als er und beförderte ihn ein zweites Mal auf die Dielen. Einige der Umstehenden bogen sich vor Lachen. Wieder rappelte er sich auf und sie schlug ein drittes Mal zu. Erneut verlor er das Gleichgewicht, aber diesmal bekam er ihr Handgelenk zu fassen und riss sie mit sich.
Sie landete halb auf ihm und musste sich eingestehen, dass sie selber stockbesoffen war. Sie hörte ihn lachen, schnellte hoch und drückte ihn mit einem Knie in seiner Magengrube nieder, bevor er sich aufrappeln konnte. Dann verpasste sie ihm eine Ohrfeige, dass sein Kopf herumflog. So betrunken war sie noch lange nicht.
Sie registrierte, dass er die Schultern anspannte und bereitete sich darauf vor, einen Schlag abzuwehren, aber er schlug nicht zu, sondern packte sie und zog sie zu sich hinunter. Ohne nachzudenken drückte sie mit ihrem Handballen gegen sein Kinn und stiess es nach oben, bis sein Kopf ganz im Nacken lag. "Ein bisschen mehr", zischte sie. "Und du bist tot."
Er erstarrte. Die Welt erstarrte. Sie war sich nicht sicher, ob wirklich die Umstehenden verstummten, angesichts dessen, was sie vielleicht gleich tun würde, oder ob es nur ihre Wahrnehmung war. Ein Ruck und er war tot. Ein trockenes Knacken und ein kleines Lichtchen, das einfach ausging, wie vom Wind ausgeblasen. Sie begann zu Grinsen.
Sirak interpretierte ihr Grinsen offenbar falsch. "Du hast mich besiegt", sagte er. "Ich stehe zu deinen Diensten." Am Tonfall seiner Stimme war klar, welche Art von Dienst er meinte.
Der Augenblick schien zu gefrieren, alles wurde langsam, die Zeit zog sich in die Länge. Ein Ruck. Es war so leicht. Wieder einmal töten. Nur eine kleine Muskelanspannung. Wer sagte, dass sie es nicht plötzlich ausversehen tat, dass ihre Muskeln einfach ausführten, was sie sich vorstellte? Sollte sie es tun? Sie schmeckte ihn schon auf den Lippen, den süssen Geschmack des Tötens. Den Geruch von Blut. Sie drückte ein klein wenig. Sirak begriff, dass sie es erst meinte. Entsetzen trat in seine Augen. Sie roch seine Angst. Ein kleiner Ruck und es war vorbei, dann brauchte sie sich nicht mehr zu entscheiden. Sie spürte die Panik, die ihn überfiel angesichts des Todes. Sie genoss es. Hier zu knien und mit einem einzigen Handgriff die Macht über Leben und Tod dieses Arschlochs, das sich vor Angst am Boden wand zu haben, war besser als alles, was sie in den letzten zwei Monaten gespürt hatte.
Ihr Grinsen wurde breiter, dann verschwand es. Sie liess los und stiess sich mit einem Schlag gegen seinen Brustkorb hoch. "Machs dir selber, notgeile Sau", knurrte sie und spuckte ihn an, bevor sie im Gewühl verschwand und ihn liegen liess.


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#266

RE: Drez (Stadt der Schattendämonen)

in Dreitan - das Spiel 02.02.2013 23:02
von Ro Raven | 10.532 Beiträge

Sie fand einen neuen Humpfen Bier une einen Platz an einem Tisch in der Ecke. Ein älterer Dämon sass ihr gegenüber und musterte sie eingehend. Sie nahm sich gerade vor, endgültig auszurasten, wenn der sie auch noch blöde anmachte, als er meinte: "Du hast ihn angespuckt. Das gehört sich nicht."
Sie starrte ihn an und bekam beinahe einen Lachanfall und das aus zwei Gründen: erstens war ihr etwas eingefallen, was so lange her war, dass sie seit Jahren nicht mehr daran gedacht hatte. Damals, als sie aus dem Kaff weggegangen war, um Darez zu suchen, hatte die Frau - sie war sich nichtmal mehr sicher, ob sie mit ihr verwandt gewesen war oder nicht - zu ihr gesagt: "Nimm dich in Acht vor Dämonen, sie wollen dich in Käfige sperren und zwingen zu singen. Du musst sie anspucken, um sie zu verjagen, davor haben sie Angst", oder so etwas ähnliches. Wie passend. Zweitens, bitte, das gehört sich nicht??! Was war denn das für eine schräge Aussage. "Er hatte es verdient", sagte sie nur.
"Es wiederspricht trotzdem den gesellschaftlichen Regeln", meinte der Dämon.
Jetzt begann sie endgültig zu Lachen. "Ich pfeiff auf Regeln", schnaubte sie und trank einen Schluck Bier.
Der Ältere grinste leicht und meinte: "Genau wie der Vater."
Sie verschluckte sich an ihrem Bier. "Ihr...ihr kanntet ihn?"
Er zuckte mit den Schultern. "Nicht gut. Aber ich war zur gleichen Zeit jung wie er."
Und du lebst noch, und er nicht, dachte sie verbittert, aber sie sagte nichts.
"Er hat sich nie an irgendwelche Regeln gehalten", fuhr der Mann fort. "Als Junger nicht und nachher nicht. Ich weiss noch, als er von der Severjakza zurückkehren sollte. Ihn haben sie ja die vollen sieben Jahre fortgejagt. War schon damals nicht mehr üblich, aber sein Vater... dein Grossvater, war eben so. Ich mein, ich war vielleicht drei Monate weg. Aber bei Darez hiess es: sieben Jahre, oder du bist tot. Tja, und dann nach den sieben Jahren sollte er zurückkehren - aber er ist einfach nicht gekommen. Ein volles Jahr hat er sich verspätet. Und kaum zwei Jahre darauf ist er schon wieder abgehauen, durchgebrannt mit diesem Mädchen vom Westufer des Sees, irgendwo in die Berge."
Sie verschluckte sich zum zweiten Mal. "Darez hatte eine Frau?"
"Ja", meinte der Dämon. "Haben sich da oben ein Häuschen gebaut. Einen Jungen hatte er auch von ihr."
Ro's Gedanken schalteten fast erschreckend langsam. Das bedeutete... sie hatte einen Bruder. Einen Halbbruder. "Was ist mit dem Jungen? Ich mein, wo ist er?"
"Er wurde keine fünf Jahre alt", antwortete der Dämon und verzog das Gesicht. "Man fand sie beide Tot in dem Haus, sie und den Jungen."
"Wie... warum...?", stammelte Ro.
"Keiner weiss es, bis heute nicht", meinte der Dämon. "Manche sagen, er hat sie selber umgebracht."
Ro spürte, wie sie bleich wurde. "Warum sollte er das tun?", fragte sie flüsternd.
Der Dämon hatte sie vermutlich nicht gehört, denn er fuhr fort: "Man hatte seit über einer Woche nichts mehr von ihnen gehört. Schliesslich sind ein paar rauf. Ich war nicht dabei, aber mein Bruder. Die Türe der Hütte stand offen, also sind sie rein. Die Frau und der Junge lagen da, schon seit mehreren Tagen tot, halb zerfetzt. Und Darez sass auf der anderen Seite des Zimmers, halb erfrohren, denn es war Winter, den Säbel in der Hand. Er war so voll Blut und hat sich überhaupt nicht gerührt, dass sie dachten, er sei auch tot, aber er war nichtmal verletzt. Es dauerte über ein halbes Jahr, bis er wieder sprach. Und über das, was dort geschehen ist, hat er gar nie gesprochen."
Ro stand auf. Ihr war schlecht. Wankend hielt sie sich am Tisch fest. Sie musste hier raus. Taumelnd suchte sie sich einen Weg durch die Menge und erreichte endlich die Tür. Die kalte Winterluft draussn schnitt ihr in die Lungen. Keuchend lehnte sie sich mit dem Rücken gegen die Hausmauer und kniff die Augen zusammen.


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#267

RE: Drez (Stadt der Schattendämonen)

in Dreitan - das Spiel 02.02.2013 23:58
von Ro Raven | 10.532 Beiträge

Die Flammen frassen sich über das Holz. Der Rest Verstand, der noch übrig geblieben war, sagte ihr, dass sie sich vorher die Finger verbrannt hatte, aber sie spürte keinen Schmerz. Sie spürte gar nichts. Es war nicht wegen dem, was der alte Dämon erzählt hatte. Nicht weil ihr Halbbruder und Darez's erste Frau so hässlich umgekommen waren. Nicht, weil manche vermuteten, dass es Darez selber gewesen war. Nein. Es war, weil sie wusste, dass es tatsächlich stimmen konnte. Sie kannte Darez. Er war kein schlechter Vater gewesen. Nicht das Musterbild von Erzieher, aber kein schlechter Vater. Aber in seinem innersten war er verrückt gewesen. So wie sie verrückt war. Sie wusste, dass er fühig war im Wahn seine eigene Frau und sein Kind zu töten. Und ob er es nun getan hatte oder nicht, das war das wirklich schreckliche: dass sie genau wusste, dass er es gekonnt hätte, auch wenn er es nicht wollte. Wie sie selbst es könnte.
Sie hörte ein Geräusch und jemand liess sich neben sie in den Sessel fallen. Es war Veray. Zuerst war er still. Dann meinte er: "Du bist sternhagelvoll, hab ich recht?"
Er hatte recht. Sie wusste nichteinmal mehr, wie sie hierhergekommen war. Oder woher sie die Flasche mit Schnaps gehabt hatte, die mittlerweile leer am Boden lag. Oder ob sie das Feuer selber angezündet hatte. "Ja", antwortete sie.
Wieder schwieg er eine Weile. Dann fragte er: "Warum?"
"Das geht dich einen verdammten Scheissdreck an", knurrte sie.
Schweigen. Sie starrte ins Feuer. Normalerweise, wenn sie so dicht war und jemand sie fragte, warum sie sich betrank, fing sie an zu heulen. Diesmal nicht. Dabei wäre ihre Stimmung gewiss miserabel genug gewesen. Sie war wie Darez. Sie hätte noch so versuchen können, das zu ändern, es wäre nicht gegangen. Aber sie wollte es auch nicht. Niemals! Sie musste schon allein darum sein wie er, damit er in ihr weiterlebte. Er war ihr einziges Vorbild und sie war die einzige, die sich ihn wirklich zum Vorbild nahm. Gegenseitige Abhängigkeit? Verdammte Fachbegriffe. Sie war betrunken.
Darez war ein Krieger gewesen, mit Leib und Seele. Der Rabe, immer dort, wo gekämpft wurde, dort, wo Blut floss. Geboren um zu kämpfen und nichts anderes. Und als seine grosse Zeit als Krieger vorbeigewesen war, hatte er beschlossen zu sterben, denn er war nichts anderes als ein Krieger. Seither waren die Schlachtfelder leer gewesen, ohne den Raben. Sie musste ihn ersetzen. Sie war jetzt der Rabe.
Aber sie konnte es nicht. Sie konnte es nicht, verdammt nochmal! Es war wie damals, nachdem Darez gefallen war. Die von der Armee hätten sie bestimmt behalten, sie hatte bewiesen, dass sie kämpfen konnte, aber sie hatte nicht bleiben können. Sie hätte niemals allein in die Schlacht ziehen können, wo sie Seite an Seite mit Darez gekämpft hatte, jetzt, wo er tot war. Und genau so wenig konnte sie jetzt zurück in den Krieg, denn sie hatte Nesh verloren. Sie würde es einfach nicht ertragen, ohne ihn als ihre Rückendeckung zu kämpfen. Es tat schon viel zu weh, nur daran zu denken.
Aber sie brauchte ein Ziel. Sie musste kämpfen, oder der Wahnsinn würde sie zerreissen. Endlich wieder einmal Blut an der Klinge. Endlich den Hass freilassen. "Ich gehe."
Die Worte waren fast von selbst gekommen. Aus dem Augenwinkel nahm sie war, dass Veray sich zu ihr umdrehte. "Wohin?"
"Den verdammten Bastard von einem Magier massakrieren."
"Den im Kerker?", fragte Veray.
"Nein", antwortete sie. "Seinen Meister."
Veray schnaubte. "Vakra wird dich nicht gehen lassen."
"Soll er versuchen, mich aufzuhalten", knurrte sie. "Ich lass mich eher umbringen."
Veray schwieg eine Weile. Dann meinte er: "Wart wenigstens bis zum Frühling. Es ist Wahnsinn, im Winter in die Ostberge hinaufzuwollen."
"Ich bin wahnsinnig", sagte sie. "Aber ist gut. Im Frühling." Wenn ich es bis dann aushalte, fügte sie in Gedanken hinzu. Sie bezweifelte es gerade stark.


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#268

RE: Drez (Stadt der Schattendämonen)

in Dreitan - das Spiel 03.02.2013 00:36
von Ro Raven | 10.532 Beiträge

Sie hörte das Klopfen. Sie dachte nicht daran, die Türe zu öffnen. Das machte entweder Nera oder einer der wachmänner, die ihr auf Schritt und Tritt gehorchten. Merkwürdig eigentlich, dass sie die Wachleute befehligte und nicht Vakra oder Driss. Egal. Sie wollte sich nicht darüber den Kopf zerbrechen.
Drei Tage waren vergangen seit der Wintersonnwende. Sie hatte kaum mit jemandem gesprochen, praktisch gar nichts gegessen und gestern Nachmittag eine Flasche Schnaps geleert, bevor sie wirklich gemerkt hatte, dass sie sie in der Hand hatte. Shak, das kam mal noch böse raus. Letzte Nacht war sie dreimal, geschlagene drei Mal, aufgewacht, mitten im Zimmer stehend, den Säbel in der Hand. Ohne den blassen Schimmer, was sie hatte tun wollen. Und dann hatte sie noch die ganze Zeit so Scheisse geträumt, dass sie nicht mehr wusste, was Traum war und was Realität. Vielleicht wurde sie krank.
Ohne es zu merken, war sie doch in Richtung der Türe gelaufen. Bevor sie jedoch um die Ecke bog, hörte sie, wie jemand öffnete und dann eine Stimme, die sie erstarren liess. Im ersten Moment begriff sie nicht einmal warum, nur, dass sie die Stimme kannte. Dann setzte sich ihre Erinnerung zusammen. Ran. Wo hatte sie die nochmal zuletzt gesehen? Richtig, in Loney. Als Nesh...
Ihr wurde schon wieder halb schlecht. Vorsichtshalber lehnte sie sich mit dem Rücken an die Wand.
An der Türe hörte sie Nera fragen: "Wer seid ihr und weswegen wollt ihr ihn sprechen?"


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#269

RE: Drez (Stadt der Schattendämonen)

in Dreitan - das Spiel 03.02.2013 00:40
von Randreyah | 11.751 Beiträge

"Randreyah, die Tochter des Hohepriesters aus Lovit... Sagt Vakra bitte, dass es dringend ist", antwortete Ran freundlich lächelnd. Sie wollte es schnell finden und dann wieder gehen, ohne Vakras Söhne sehen zu müssen und ohne auf Fragen über ihren Vater zu antworten. Sie wollte so schnell wie möglich wieder gehen.


some men just want to see the world burn

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#270

RE: Drez (Stadt der Schattendämonen)

in Dreitan - das Spiel 03.02.2013 00:57
von Ro Raven | 10.532 Beiträge

"Kommt mit", sagte Nera. "Ich bringe Euch zu ihm."
Reiss dich zusammen, verdammt!, fluchte Ro sich innerlich an. Wollte sie Ran sehen? Klares nein. Wollte sie, dass Ran hier im Haus herumlief und sie keine Ahnung hatte, wo sie gerade war? Noch klarer Nein. Also, mal vernünftig überlegen wenigstens für eine halbe Sekunde!! Nera brachte Ran zu Vakra. Also zu Vakras Arbeitszimmer. Das war anerthalb Stockwerke weiter oben und da hinten irgendwo.
Sie war mittlerweile genügend Nächte schlaflos durch die Festung zu laufen, um festgestellt zu haben, dass es immer mehr als einen Weg gab, um von einem Ort zum anderen zu kommen. Schnell, bevor Nera und Ran um die Ecke kamen, lief sie den Gang hinunter und verschwand in einer bestimmen Tür. Vom Raum dahinter führte eine weitere Tür auf eine schmale Wendeltreppe, die wiederum in einen noch schmaleren Flur mündete. Ro fragte sich, welcher Dämon das gebaut hatte, da bekam man ja Platzangst. Schnell ging sie den Gang entlang, durch eine weitere Tür, einige Stufen hoch und um zwei Ecken den Flur entlang.
Dort wartete sie. Sie hörte Schritte die Haupttreppe hinaufkommen, dann ein Klopfen an die Tür von Vakras Arbeitszimmer. Die Tür ging auf, einige Worte wurden gewechselt, dann ging sie wieder zu und jemand - vermutlich Nera - kam den Korridor entlang in ihre Richtung. Sie tat, als wäre sie ganz zufällig hier am durchschlendern und lief an der Tür zu Vakras Arbeitszimmer vorbei, aber sobald sich eine Türe hinter Nera geschlossen hatte, lief sie lautlos zurück und drückte ihr Ohr an das Holz.
Drinnen hörte sie Vakra sprechen. "...Euer Vater ist immer noch Hohepriester in dem Tempel?" Allein schon, wie er die Frage stellte, hörte Ro, dass er etwa ähnlich viel von Lovit hielt wie sie, wenn nicht noch weniger.
"Man hat Euch längere Zeit nicht mehr gesehen", meinte er. "Weshalb seid Ihr hier?"


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