RE: Drez (Stadt der Schattendämonen)
in Dreitan - das Spiel 31.12.2012 17:48von Ro Raven •

Sie sass da und starrte ins Feuer. Die Flammen schlugen langsam höher, leckten über das Holz, das sie aufgelegt hatte. Sie war in einem unbewohnten Raum der Festung, den sie nicht kannte, und wusste nicht mehr mit Sicherheit, wie sie hierhergekommen war. Wieder einmal die Realität aus den Augen verloren. Wieder eine diese Nächte, in der sie sich selbst nicht aushielt. Die Bilder in ihrem Kopf. Der Schmerz in ihrer Brust. Vermutlich hatte sie versucht davon zu laufen. Aber sie konnte nicht davonlaufen, es war in ihr. Wenn es Tag war, solange sie trainierte, solange sie rannte, kletterte, solange sie etwas tat, schaffte sie es manchmal, nicht daran zu denken. Aber es war immer da, wie ein bitterer Geschmack, eine Schicht von Verzweiflung, ohnmächtiger Wut und brennendem Hass unter allen anderen Gedanken. Manche Nächte waren tödlich.
Die Flammen tanzten, immer neu, immer anders. Sie versuchte, einen Augenblick ihres ständigen Wandels in ihrem Geist festzuhalten, doch es gelang ihr nicht. Sie fielen zusammen, richteten sich wieder auf, wie Stoff, der im Wind flatterte. Tatsächlich sahen sie aus, als wären sie fest, fassbar. Ohne es wirklich zu merken streckte sie die Hand aus...
"Was tust du da?"
Sie fuhr auf und spürte erst jetzt den Schmerz, wo sie sich die Finger berbrannt hatte. Im Türramen stand Veray. "N...nichts", stammelte sie und wich automatisch zurück.
"Schon gut", meinte er und liess sich seufzend in einen der verstaubten Sessel fallen. "Du kannst hier genauso machen, was du willst wie ich."
Sie setzte sich in den anderen Sessel. Lange sassen sie beide da und starrten in das Feuer. Schliesslich begann Veray: "Ich weiss, es geht mich eigentlich nichts an, aber... woher hat dich der Drache geholt?"
Sie warf ihm einen vernichtenden Blick zu. Das ging ihn wirklich überhaupt nichts an. Er hob entschuldigend die Schultern. "Ich hab mich nur gefragt. Du hast ziemlich mitgenommen ausgesehen."
Sie schwieg, doch schliesslich antwortete sie doch. "Im Südwesten gibt es einen Bürgerkrieg. Ich hab da gekämpft. Wir haben eine Stadt erobert, aber die haben alles in die Luft gejagt."
Sie warf Veray einen Blick zu und sah, dass er begierig war, mehr zu hören. Vermutlich war er kaum je aus diesen Bergen herausgekommen. Aber sie hatte keine Lust zu erzählen, denn das tat weh. Schliesslich fragte sie: "Ich frag mich wieso jemand mich holen und in diese alte Festung bringen lassen wollte."
Veray schien zu zögern, dann sagte er: "Vielleicht solltest du den Typen mal fragen, der den Dagnaz'Ûr gerufen hatte."
"Ja", meinte Ro. "Aber dazu muss ich ihn finden."
"Er ist hier", sagte Veray.
Ro starrte ihn an. Sie hatten ihr erzählt, dass sie den Magier aufgegriffen hatten und gezwungen, den Auftrag zu widerrufen, aber sie hatten ihr nicht gesagt, was sie danach mit ihm gemacht hatten. Sie hatte damit gerechnet, dass sie ihn entweder umgebraucht hatten oder laufen lassen, Magier waren schwierig festzuhalten. "Wo?"
"Im Kerker der Festung unten." Er deutete auf den Boden.
Ro sprang auf. "Verdammt nochmal, wieso sagt mir das niemand?!"
"Damit du nicht bei der erstbesten Gelegenheit runterläufst und ihn massakrierst", sagte Veray ruhig.
Ro fluchte und lief zur Tür, aber Veray rief sie zurück. "Ro!"
Sie drehte sich um. "Was?"
"Du gehst jetzt nicht da runter, um ihn umzubringen!" Seine Stimme klang anders als vorher, härter. Sie erinnerte sie fast an Vakra. "Dafür haben wir ihn nämlich nicht durchgefüttert. Ist das klar?"
Sie drehte sich ohne Antwort um und lief davon.
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RE: Drez (Stadt der Schattendämonen)
in Dreitan - das Spiel 01.01.2013 01:48von Ro Raven •

Machek
Er erwachte, als das Licht draussen näher kam. Die Ketten rasselten leise, als er sich aufrichtete, den Blick auf das kleine Gitterfenster in seiner Zellentür gerichtet. Er schätzte, dass es mitten in der Nacht sein musste, denn es war lange her, seit man ihm das Abendessen gebracht hatte. Seit über einem Monat war er hier, in dieser dunklen Kammer in den Kerkern der Schwarzen Festung. Als er sie an jenem Tag gesehen und begriffen hatte, mit welcher Familie er sich angelegt hatte, hatte er sein Leben bereits aufgegeben. Aber man hatte ihn weder umgebracht noch gefoltert, noch war seine Gefangenschaft sehr hart. Die Zelle war trocken und nicht zu kalt, die Pritsche recht bequem, man gab ihm ausreichend zu Essen und tasüber sogar oft eine Kerze gegen die Dunkelheit, und die Ketten, die er an Händen und Füssen trug waren so leicht, dass er sie kaum spürte. Sie dienten auch nicht dazu, ihn festzuhalten oder zu quälen, das hatte er schnell bemerkt. Es waren magische Fesseln mit nur einem Zweck: solange er sie trug, konnte er überhaupt keine Magie verwenden.
Nur zwei Dinge machten ihm wirklich zu schaffen: einerseits die Dunkelheit und Enge hier unten. Er hatte Jahrzehntelang in Tunnels gelebt, aber niemals waren sie so bedrückend gewesen, und manche Dinge wurde man wohl nie ganz los. Die panische Angst davor, eingesperrt zu sein, die alle Dämonen hatten, gehörte offenbar dazu. Das zweite war, dass er sich das Hirn zermarterte mit der Frage, warum sie ihn so gut behandelten oder besser gesagt, warum sie ihn nicht längst umgebracht hatten. Er hatte da einige Ideen und keine davon war schön.
Schnelle Schritte kamen näher, ein Schlüssel drehte sich im Schloss, dann wurde die Tür mit solcher Wucht aufgetreten, dass sie an die Wand knallte. Machek wich auf seiner Pritsche so weit zurück, bis er praktisch an der Wand klebte. Im Türramen stand eine Gestalt, die Zähne gebleckt, die ganze Haltung gleich einem Wolf vor dem Angriff. In der linken trug sie eine brennende Fackel, in der rechten einen schimmernden Säbel. Ein heiseres Knurren füllte den Raum, die Flammen tanzten in ihren hellen Augen. An diesen Augen erkannte er sie und er verabschiedete sich innerlich von seinem Leben.
Sie kam näher und senkte die Hand mit der Fackel. Langsam hob sie den Säbel. Machek rollte sich zu einer Kugel, aber er wusste, dass es nichts half. Sie holte aus. Er sah den blinden Hass in ihren Augen. Dann liess sie die Klinge mit einem Wutschrei niederfahren.
Er war nicht tot. Vorsichtig hob er den Blick. Die Säbelklinge steckte keine Handbreit vor ihm im Holzramen der Pritsche. Die Frau keuchte, ihr Gesicht verzerrt vor Wut und unsagbarem Schmerz. Schliesslich riss sie ihre Klinge los, machte einen Schritt rückwärts, dann einen zweiten, als koste es sie grosse Anstrengung. Als sie die Zellentür erreichte, zitterte sie am ganzen Leib. Sie schloss die Tür wieder ab und schliesslich entfernte sich das Licht.
Machek liess sich schwer atmend auf die Pritsche fallen und starrte an die Decke. Er war sich nicht sicher, ob es sein Glück war oder sein Pech, dass sie ihn nicht getötet hatte. Nach dem Hass in ihren Augen schien sie in der Lage zu sein, sich noch viel schlimmeres für ihn auszudenken. Aber er erinnerte sich auch an den Schmerz, den er gesehen hatte. Und zum ersten Mal begann er sich zu fragen, wer dieses Mädchen war, dass der Meister sie unbedingt haben wollte.
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RE: Drez (Stadt der Schattendämonen)
in Dreitan - das Spiel 02.01.2013 02:56von Ro Raven •

Machek
Jedes Mal, wenn jemand in die Kerker hinunterkam, schlug sein Herz vor Angst so heftig, dass er fürchtete, am Ende noch daran zu verrecken. Er war ein Feigling. Das war ihm noch nie so bewusst gewesen wie jetzt. Der Magier in ihm zuckte die Achseln. Warum auch nicht. War es nicht logisch, dass man sich vor Tod und Schmerz fürchtete? Aber der Teil von ihm, der immer Dämon geblieben war, verachtete sich selbst dafür, dass er sich fast in die Hosen pisste vor Angst. Jedes Mal, wenn er draussen Schritte hörte, dachte er, dass er jetzt dran war, dass sie jetzt kommen würde um ihn umzubringen, zu Tode zu foltern. Er erinnerte sich noch genau daran, was man sich über die Leute von der schwarzen Festung erzählt hatte, als er ein Kind war.
Aber nichts geschah. Er wurde genau so behandelt wie zuvor, und sie kam nicht wieder. Er fragte sich, wer sie war. Und er fragte sich, warum er sich das nicht schon viel früher gefragt hatte. Er hatte sich überhaupt nichts gefragt, warum oder wozu er das tun sollte, er hatte einfach dem Befehl des Meisters gehorcht. Er schnaubte. Die Menschen nannten sowas Kadavergehorsam.
Er erwachte im Dunkeln. Irgendetwas hatte ihn geweckt, aber er konnte zunächst nicht sagen, was es war. Nach seiner Schätzung musste es mitten in der Nacht sein. Kein Geräusch war zu hören. Langsam drehte er den Kopf und erstarrte.
Die Zellentür stand offen, eine schwarze Silhouette hob sich gegen den kaum helleren Flur ab. Er konnte nichts sehen als ihren Umriss, aber er wusste, wer es war. Das Herz schlug ihm bis zum Hals.
Doch sie bewegte sich nicht. Regungslos stand sie da und im Dunkeln konnte er nicht einmal sagen, ob sie ihn ansah. Konnte sie ihn überhaupt sehen? Überhaupt: warum hatte sie keine Fackel dabei? Wozu war sie hergekommen? Es liess sich besser töten oder foltern bei Licht. Und wenn sie nicht deswegen hier war, was wollte sie dann?
Plötzlich hörte er ein Geräusch. Zuerst konnte er es nicht zuordnen, doch dann erkannte er, was es war: ein leises Schluchzen. Sie weinte. Das verwirrte ihn völlig. Warum weinte sie? Müsste sie nicht wütend auf ihn sein, dass er sie einfach verschleppen liess?
Langsam richtete er sich auf. Augenblicklich verstummte das Schluchzen. Einen Moment stand sie da wie erstarrt, dann zog sie mit einem Ruck die Türe zu und schloss ab. Er hörte sie auf dem Flur davonlaufen und die Tür zu den Kerkern zuschlagen und er verstand die Welt nicht mehr.
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RE: Drez (Stadt der Schattendämonen)
in Dreitan - das Spiel 04.01.2013 02:20von Ro Raven •

Sie schaffte es bis zur Treppe, dann brach sie heulend zusammen. Es tat so weh, so furchtbar weh. Und es gab keinen Weg zu entkommen. Nesh war tot, gestorben durch eine blöde Verkettung von Ereignissen, ohne, dass irgendjemand ihn hätte tot sehen wollen. Hätte jemand ihn absichtlich umgebracht, dann hätte sein Tod wenigstens einen Grund gehabt, auch wenn er noch so schlecht war. Aber so, so war er einfach nur sinnlos. Er war gestorben, ohne dass irgendjemand etwas davon hatte, ohne dass es wenigstens irgendjemand lebenden etwas brachte ausser Schmerz. Es war so sinnlos. Alles war so furchtbar sinnlos.
Als ihr Schluchzen nachliess, rappelte sie sich auf und lehnte sich mit dem Rücken gegen die Wand. Der Stein war kalt und die Kälte drang ihr durch die Knochen bis ins Herz. Sie wünschte sich, dass er hier war. Sie wünschte es sich so sehr. Aber manche Wünsche wurden niemals wahr, egal wie fest man es sich wünschte. "Nesh", flüsterte sie leise in die Dunkelheit und begann wieder zu weinen.
Lange sass sie da. Schliesslich zog sie ihren Dolch. Sie wusste nicht mehr, wie viele Male sie das getan hatte in den letzten Wochen, die Klinge in der Hand gedreht und angestarrt, nur um sie schliesslich wieder weg zu stecken. Sie wusste gar nicht wirklich, warum sie es tat. Der Gedanke lag nahe, dass sie sich umbringen wollte, und manchmal dachte sie auch daran, aber das war es nicht. Sie drehte die Klinge hin und her, sah die scharfe, leicht schartige Schneide an, wie all die Male zuvor. Aber diesmal steckte sie ihn nicht weg.
Sie wusste später nicht mehr wie sie darauf kam, doch irgendwann zog sie den Ärmel ihres Hemdes zurück, setzte die Klinge an und zog durch. Stumm, fast fasziniert betrachtete sie, wie der Schnitt sich mit Blut füllte, das sich ansammelte, bis sich schliesslich ein Tropfen löste, über ihre Haut rann und zu Boden tropfte. Ein zweiter Tropfen folgte. Still sah sie zu, und mit jedem Tropfen, der sie verliess, spürte sie die Kälte tiefer werden, als würde sie innerlich gefrieren.
Irgendwann stand sie auf, leckte die Wunde sauber und steckte den Dolch weg. Dann stiess sie die Tür zum Kerker auf, zündete eine Fackel an und ging zu der Zelle des Magiers. "Wach auf!", sagte sie und fast machte ihr ihre eigene Stimme Angst. So kalt.
Der Magier richtete sich langsam auf seiner Pritsche auf und blinzelte gegen das Licht. Er war bleich, selbst für einen Dämon, und sie spürte seine Angst. Eigentlich war es schrecklich. Das einzige Gefühl, dass sie anderen Wesen immer sofort anmerkte war Angst. Bei diesem hier konnte sie sogar sagen, wovor er sich fürchtete. Sie hatte nicht vor, ihm etwas anzutun, aber es konnte nicht schaden, wenn er Angst hatte. Sie musterte ihn lange, dann fragte sie: "Warum hast du den Dagnaz'Ûr befohlen mich zu holen?"
"Der Meister hat es befohlen", antwortete er in einem Versuch, sich von der Schuld freizureden.
"Welcher Meister?", fragte sie.
Er schien zu zögern, ob er sprechen sollte. Sie legte eine Hand auf den Kauf ihres Säbels. "Der Meister des südlichen Magierzirkels", antwortete er.
Das sagte ihr nicht viel. "Was ist das für ein Zirkel?"
"Eine Gemeinschaft von Magier, die sich vorallem dem gemeinsamen Studium der Magie widmet. In letzter Zeit aber auch anderem."
"Anderem?", frage sie nach und ihre Stimme war gefährlich leise.
Wieder schien der Mann zu zögern, aber er sprach schnell, als sie die Zähne bleckte. "Schon Taront hat uns..."
"Taront!", fiel sie ihm zornig ins Wort. "Du gehörst zu denen!" Da hätte sie eigentlich selber drauf kommen können, dass diese verfluchten Leute dahinter steckten.
Aber der Magier schüttelte den Kopf. "Taront interessiert uns nicht mehr. Er ist nur irgendein machtsüchtiger Dummkopf. Er bezahlte gut, aber am Ende liess er uns nur die Drecksarbeit erledigen."
Das war ja interessant. Diese Magier liessen sich anheuern wie Söldner. Es waren trotzdem Magier. "Und wer zahlt euch jetzt?"
"Niemand", sagte der Mann, und er wirkte fast beleidigt. Offenbar war seine Angst etwas verflogen. Sie fragte sich, ob sie das ändern sollte.
"Und wer ist dann euer Meister?", fragte sie.
Er schien nachzudenken. "Er ist der stärkste und versierteste Magier, von dem ich jemals gehört habe."
Diese Beschreibung brachte etwas in Ro zum Klingen. "Wer ist er?", fragte sie leise.
Der Magier wirkte ehrlich verwirrt. "Ich weiss nicht... ich kenne seinen Namen nicht."
Ro biss sich auf die Unterlippe, dann holte sie Luft, streckte dem Magier die Hand entgegen und befahl: "Zeig ihn mir!"
Zögernd ergriff er ihre Hand. In der Leere in ihrem Geist entstand ein Bild. Ein hagerer Mann mit halblangem, schneeweissem Haar und einer Narbe im Mundwinkel. Ihre Vernunft erkannte den Mann nicht, aber alles andere in ihr reagierte sofort. Der Magier schaffte es gerade noch, sich zu ducken, als ihr Säbel über seinen Kopf hinwegzischte. Sie schrie vor Wut und Hass. Der zweite Schlag war noch knapper, dann bekam sie sich wieder halbwegs in den Griff, aber sie schäumte noch immer vor Wut. Der Magier hatte sich zitternd gegen die Wand gedrückt. "Verräter!", brüllte sie ihn an. "Ihn nennst du deinen Meister? Verräter! Verräter an deinem ganzen Volk!"
Er sah völlig verwirrt aus. "Weisst du nicht, wer das ist?", fragte sie zornig.
Er schüttelte den Kopf. Sie sah ihn an und zischte: "Es ist Nagareth!"
Zuerst sah er sie ungläubig an, dann mit einem Blick, als wolle sie ihn verarschen. "Nagareth ist nur eine Legende. Und selbst wenn nicht, ist er lange tot."
Sie spuckte aus. "Was weisst du schon. Und ich dachte, du seist hier der Magier."
Ohne ein weiteres Wort ging sie.
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RE: Drez (Stadt der Schattendämonen)
in Dreitan - das Spiel 04.01.2013 05:02von Ro Raven •

"Es rollt herum, hässlich und dumm, steht immer Kopf, stopfs in den Topf, es ist ein Ro-Ro-Rollmops."
Ro ignorierte sie. Oder zumindest versuchte sie es. Ihre Finger juckten danach, ihnen allen eine Tracht Prügel zu verpassen, dass sie nach Hause kriechen konnten. Sie schätzte, dass sie mindestens zwei erwischen würde, bevor der Rest davongelaufen war. Klar, es waren Dämonen, aber sie waren allesamt etwa zwei Köpfe kleiner als sie selbst. Und deshalb tat sie es nicht, denn sie ahnte, dass sie sich verdammt lächerlich machen würde, wenn sie die kleinen verprügelte.
Ausserdem wusste sie genau, wer eigentlich dafür verantwortlich war. Er hiess Daka, war soweit sie wusste knapp achtzehn und ein absolutes Arschloch, zumindest was sie betraf. Und im Moment lehnte er mit eineigen anderen an einem Geländer etwa zwanzig Meter weiter auf dem Weg. Die Strasse ging hier steil aufwärts zu den oberen Häusern von Drez, und wenn man ihr weiter folgte führte sie schliesslich auch zur schwarzen Festung. Als sie, dicht gefolgt von der Rollmopsschar, an dem Geländer vorbeikam, sah sie Daka fett grinsen und sie beschloss, dass es vielleicht Zeit war, die Sache ein für alle mal zu klären.
Sie fixierte ihn mit ihrem Blick und ging schnurstracks auf ihn zu, bis sie keinen Meter vor ihm stand. "Hast du was zu sagen?"
Er war mehr als einen halben Kopf grösser als sie, aber das beeindruckte sie überhaupt nicht. Die Söldner waren alle grösser als sie gewesen und trotzdem war sie der Hauptmann. Allerdings schien er das nicht zu kapieren, denn er blähte sich noch ein bisschen mehr auf und meinte grinsend. "Nein, die Kleinen machen das doch das ganz gut."
"Feigling!", zischte Ro. "Kannst du auch was anderes, als kleine Kinder vorschicken?"
"Natürlich", meinte er überheblich. "Immerhin üb ich nicht nur Handstand. Kommt dir das nicht komisch vor, dass nur du das machen musst, hä? Wahrscheinlich bist du zu beschränkt für alles andere. Darum haben sie dich bis jetzt ja auch versteckt gehalten. Oder hast du da auch Handstand gemacht?"
Ro verschränkte die Arme. Ihr kam eine Idee. Sie begann zu grinsen. "Du willst wissen, wie es zu und hergeht, wo ich herkomme? Bitte, wie du willst. Dann red ich jetzt Klartext. Du bist ein verdammtes Arschloch und ein Feigling und wenn du nicht endlich aufhörst, die Kinder los zu schicken, um was zu sagen, was du dich nicht traust, dann kannst du deine Zähne nachher einzeln aushusten, ist das klar?"
"Oh, schau, wie niedlich. Sie droht mir."
Sie verzog den Mund. "Du kapierst es schon gar nicht, was? Aber weisst du was? Mit so intelektuellem Abschaum wie dir geb ich mich gar nicht ab." Und mit diesen Worten spuckte sie ihm mitten ins Gesicht. Sie wusste, dass sie damit zu weit ging. Aber eigentlich wusste sie auch, dass sie diese Diskussion überhaupt nur angefangen hatte, um ihn zu provozieren. Ihre Muskeln schrien geradezu nach einem richtigen Kampf.
"Bäääh", er wischte sich mit dem Ärmel übers Gesicht. "Gehts noch?"
"Oh, bist du dreckig geworden?", höhnte sie. "Weichei!" Und sie spuckte noch einmal.
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RE: Drez (Stadt der Schattendämonen)
in Dreitan - das Spiel 06.01.2013 22:51von Ro Raven •

Seine Reaktion kam so schnell, dass ihr vor Überraschung keine Zeit blieb, abzuwehren. Sein Tritt traf sie in die Magengrube und riss sie von den Füssen. Sie krachte auf den Rücken, rang nach luft und rollte sich auf die Seite, um aufzustehen. "Das tat weh, was?", höhnte er. "Das ist was anderes, als gegen kleine Kinder trainieren, was?"
Sie rappelte sich auf. "Ich hab mich schon mit Männern geprügelt, die waren einen Kopf grösser als du und etwa doppelt so schwer, also bild dir nichts ein", knurrte sie. "Und wenn du glaubst, das hat wehgetan, dann hast du keine Ahnung, was Schmerz überhaupt ist. Du hast keine Ahnung, verdammt nochmal, keine Ahnung davon!!!" Die letzten Worte hatte sie geschrien. Schmerz. Was wusste dieser Idiot schon von Schmerz? Wie konnte er es wagen, davon zu sprechen, als wisse er bescheid? Wut stieg in ihr auf, Zorn, Hass. Der Hass, der seit Darez' Tod in ihr lauerte und seit der Nacht der Flammen ständig schwelte.
Sie sprang auf Daka zu und schlug mit der Faust zu. Er wehrte den Schlag ab und schlug selber zu, so schnell, dass Ro nur dank eines Reflexes ausweichen konnte. Der zweite Schlag erwischte sie an der Schulter. Sie sprang zurück. Einen Augenblick stutzte sie, dann ging ihr ihr Denkfehler auf. Natürlich. Der verdammte Idiot war ein Dämon, er war schneller als die Söldner. Nun, dann wurde sie selbst eben auch schneller.
"Gibst du schon auf?", rief er spöttisch.
"Vergiss es", knurrte sie und griff erneut an. Sie dachte an Darez. An all den Schmerz. An Nesh. Ihre Ohren rauschten, als sie Daka's Schlag abwehrte. Sie trat nach seinen Beinen, doch er drehte sich weg, schnellte zurück und trat erneut nach ihrem Bauch. Die Welt zerfiel in wichtig und unwichtig. Ihre Füsse traten automatisch zur Seite, ihre Hände griffen nach seinem Fuss und drehten ihn herum. Er entglitt ihr und trat mit voller Kraft auf ihre Zehen, doch bei ihren robusten Schuhen spürte sie es kaum. Sie riss den Fuss zurück, wodurch er aus dem Gleichgewicht geriet und schlug ihm gegen den Unterkiefer. Er stolperte einen Schritt zurück, sie setzte nach, aber er schien nur darauf gewartet zu haben, denn er packte ihr Handgelenk, zerrte sie heran und rammte ihr die Faust mitten ins Gesicht.
Sie ging zu Boden und kam mit einer Rückwärtsrolle wieder auf die Füsse. Ihre Nase tat so weh, dass sie fürchtete, sie sei gebrochen, doch der Schmerz verschwand im Feuer und machte einer anderen Empfindung Platz. Sie spürte das Blut, das ihr übers Gesicht lief. Blut im Gesicht. Wie damals sein Blut. Sie spürte, wie sie die Kontrolle verlor. Und dass es ihr scheissegal war.
Aus der Hocke sprang sie Daka an, die Zähne gebleckt wie ein wildes Tier. Er wich aus, sie landete auf den Füssen, wirbelte herum und trat ihm mit der Stiefelferse ins Gesicht. Sie hörte das Knacken, als sein Nasenbein brach und nun strömte auch ihm Blut übers Gesicht. Ohne zu warten, bis er sich gefangen hatte, trat sie nach seinem Knie. Die Knie würden zuerst brechen. Als es nicht auf den ersten Tritt brach, trat sie ein zweites Mal zu, doch mittlerweile hatte er sein Bein zurückgezogen. Er bewegte die Schultern. Sie spürte, wo er schlagen würde, bevor er es tat und fing den Schlag ab, bevor er wirklich begonnen hatte, um ihre Faust dann in Daka's Gesicht zu schlagen. Er taumelte zwei Schritte zurück, bis er mit dem Rücken an die Wand stiess.
Ein böses Grinsen legte sich auf ihr Gesicht, als sie auf ihn zuging. Er sah es und seine Hand schnellte zum Griff seines Säbels. Sie hatte ihre Klinge gezogen, noch bevor er die seine auf sie gerichtet hatte. Er griff an, sie parierte und stach zu, er wich aus, umkreiste ihre Klinge und zog hoch zu ihrem Hals. Sie riss die Hand hoch, wehrte mit hängender Klinge ab und trat von unten nach seiner Hand. Als er den Arm zurückriss wandelte sie den Tritt in eine Drehung um und liess die Klinge mit der ganzen Wucht des Schwungs auf ihn niederfahren. Er wehrte knapp ab und wich einen Schritt zurück.
Der im Hintergrund denkende Teil von Ro analysierte sein Verhalten. Kein schlechter Kämpfer, aber weit weniger versiert als ein Vakra, was schlicht am Alter lag. Und er schien zwar teilweise intuitiv zu reagieren, aber er vertraute niemals so sehr auf seinen Instinkt wie sie selbst. Dem nicht denkenden Teil waren solche Dinge scheissegal. Sie war voller Hass. Sie wollte diesen Idioten einfach nur leiden sehen.
Sie deckte ihn mit Schlägen ein, bis er nichts mehr anderes tun konnte als abwehren und zurückweichen. Plötzlich stand er mit dem Rücken zum Abgrund. Sie schlug ein weiteres Mal zu und er musste sich weit zurücklehnen, um ihrer Klinge zu entgehen. Sie sah, dass er das Gleichgewicht verlor. Dann die Angst auf seinem Gesicht, als er es selber begriff. Langsam kippte er rückwärts. Seine Hand schnellte hoch. Sie sah, wonach er greifen würde und einen Augenblick spielte sie mit dem Gedanken, ihn einfach zu lassen. Was kümmerte es sie, wenn er sich selber die Finger abtrennte im Versuch, sich an ihrer Säbelklinge festzuhalten? Nichts. Im Grunde kümmerte sie überhaupt nichts mehr sonderlich. Auch nicht, ob er über die Klippe hinunterfiel oder nicht. Es war ihr scheissegal. Alles war ihr scheissegal.
Sie riss den Säbel zurück, bevor er zupacken konnte und hielt Daka ihre Hand hin. Er griff danach, doch anstatt ihn einfach zurück zu ziehen, riss sie mit solcher Kraft, dass er an ihr vorbeiflog. Sie schnellte herum und verpasste ihm noch einen Tritt in den Hintern, der ihn kopfvoran in die Felswand auf der andern Strassenseite beförderte. Er ging zu Boden und blieb liegen.
Ohne ein weiteres Wort zu den Anwesenden ging Ro davon.
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RE: Drez (Stadt der Schattendämonen)
in Dreitan - das Spiel 12.01.2013 16:12von Ro Raven •

Ro liess sich in den Sessel fallen und schlug die Beine übereinander. Das Feuer im Kamin prasselte, wie immer in diesem Raum. Es war fast ein Saal, eine Art Gemeinschaftsraum vermutlich, was bedeutete, dass normalerweise kaum jemand hier war. Heute schon. Ro hatte beschlossen, dass es in diesem Haus besser war, die Mitbewohner im Auge zu behalten, als sich vor ihnen zu verstecken, gerade weil sie sie nicht mochten. So bekam sie wenigstens mit, wem sie gleichgültig war, wer sie hasste und wen sie im Notfall vielleicht auf ihre Seite ziehen konnten.
Im Sessel neben ihr sass Veray. Er blickte lediglich kurz auf, musterte und vertiefte sich dann schweigend wieder in das halb verfallene Buch, in dem er las. Er las oft. Sie war ihm einige Male begegnet, wenn sie nachts durch die Gänge streifte, vor irgendeinem Kamin sitzend, in ein Schriftstück vertieft. Manchmal setzte sie sich zu ihm. Er sprach nicht viel und sie schätzte seine Schweigsamkeit, denn sie hatte nichts zu sagen. Das wenige, was sie noch dachte, ging niemanden etwas an.
Sie hörte Schritte hinter sich, dann Vakra's schneidende Stimme. "Ro!"
Sie wandte sich um. "Was?"
Er hatte die Arme verschränkt, die Lippen zusammengekniffen und wirkte nicht sehr erfreut. "Ich habe ein Schreiben von der Familie Sardak erhalten. Du hättest einen ihrer Jungen fast umgebracht. Sein Name ist Daka."
Sie schnaubte. "Fast umgebracht?! Ich hab ihm seine verdammten Finger gerettet."
"Wie auch immer", meinte Vakra. "Dem Schreiben lag ein Fehdebrief bei."
Ro runzelte die Stirn. Das klang nicht sehr gut. "Was bedeutet das?"
"Nichts", sagte Veray neben ihr seelenruhig, ohne von seinem Buch aufzusehen. "Wir haben mit Sardak seit Jahrhunderten eine Fehde am Laufen. Gelegentlich frischt sie mal wieder einer auf, damit mans nicht vergisst."
Vakra's einer Mundwinkel zuckte leicht, als wäre er kurz davor zu grinsen, doch schnell wurde er wieder ernst. "Es kümmert mich nicht, wenn du einen Nachkommen von Sardak verprügelst. Von mir aus hättest du ihn auch töten können. Wer einen von der schwarzen Festung beleidigt muss damit rechnen. Aber ich will, dass dir eines klar ist." Sein Blick war eiskalt. "Kämpfe, töte meinetwegen, aber halte deine Zunge im Zaum! Egal, wie sehr und womit sie dich beleidigen, sie dürfen niemals erfahren, dass du ein Halbblut bist!"
Sie unterdrückte den Drang aufzufahren. "Warum?"
Er musterte sie. "Brauchst du das wirklich zu fragen?"
Sie erinnerte sich, was Vakra von den Menschen hielt. Vermutlich dachten die anderen Dämonen ähnlich. Es erfüllte sie mit Zorn, aber es war vermutlich klüger, sich danach zu richten, zumindest soweit hatte Vakra recht. "Nein", sagte sie und liess sich wieder in den Sessel sinken.
Sie hörte Vakra fortgehen und drehte sich noch einmal um. "Was ist mit den Söldnern und dem Krieg? Kann ich ihnen davon erzählen?"
Vakra wandte sich um. "Ja", antwortete er. "Es ist bekannt, dass Darez verrückt war." Er verzog spöttisch das Gesicht. "Ausserdem erklärt es dein ungehobeltes Benehmen. Aber es entschuldigt es nicht, ist das klar?"
Sie schnaubte. "Dafür brauch ich mich nicht zu entschuldigen."
"Sei still!", fuhr Vakra sie an. "Und schweig über Dinge, von denen du nichts verstehst."
Diesmal sprang sie auf. "Ich verstehe genug um zu wissen, dass ich nie jemandem mit höflichen Worten in den Arsch kriechen werde, und dass einer, der mich beleidigt, es verdient hat, dass ich ihm ins Gesicht spucke."
"Du solltest mit deinem Kopf denken", fauchte Vakra. "Nicht mit deinem Stolz."
"Immerhin habe ich stolz", knurrte Ro zurück, aber sie war sich nicht sicher, ob Vakra es noch gehört hatte, denn er war schon aus der Tür.
Sie liess sich wieder in den Sessel fallen. Veray blickte auf und sah sie an. "Und ich dachte, Driss hat Mumm."
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RE: Drez (Stadt der Schattendämonen)
in Dreitan - das Spiel 12.01.2013 18:41von Ro Raven •

Sie sah ihn an. "Das hat nichts mit Mut zu tun."
"Doch", meinte er, während er einen Lederstreifen zwischen die Seiten seines Buches legte und es zuklappte. "Niemand ausser dir hätte hier gewagt, so mit ihm zu sprechen. Es wäre ein leichtes für ihn, dich bestrafen zu lassen."
Sie gab ein Geräusch von sich, dass irgendwo zwischen einem freudlosen Lachen und einem Schnauben lag und schluckte den Kloss in ihrem Hals herunter. "Was kann er mir schon antun?", fragte sie leise. "Er kann mir Schmerz zufügen. Aber den Schmerz kenne ich. Und er wird nicht zu weit gehen, denn er kann nicht riskieren, mich zu töten oder zum Krüppel zu machen."
Veray sah sie an. "Bist du dir sicher? Vor einem Jahr befahl er noch, dich zu töten."
"Ich weiss", sagte sie. "Aber jetzt wird er es nicht tun. Er dachte damals, ich könne nicht der Erbe sein, auch wenn ich Darez' Tochter bin. Jetzt weiss er, dass ich es bin. Er wird mich nicht töten. Und selbst wenn..." Sie starrte ins Feuer und schluckte abermals, dann sagte sie so leise, dass sie es fast selbst nicht hörte: "Was kümmert es mich? Soll er mich töten. Er kann mir nichts mehr nehmen. Ich habe schon alles verloren."
Veray schwieg und sie war sich nicht sicher, ob er sie überhaupt gehört hatte, doch dann sagte er: "Doch. Die Freiheit, die kann er dir nehmen."
"Was soll ich denn noch mit meiner Feiheit", flüsterte sie.
Dann stand sie auf und ging, damit er ihre Tränen nicht sah.
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RE: Drez (Stadt der Schattendämonen)
in Dreitan - das Spiel 20.01.2013 01:13von Randreyah •

Ende Dezember
Ran stand etwas unentschlossen vor der Tür. Wieso war das Buch hier? Konnte es nicht an einem anderen Ort aufbewahrt werden? Aber nein, ihr alter Herr musste es ausgerechnet diesem alten Dämon ausleihen. Sie schluckte und sammelte sich. In ihrer schwarzen Kleidung wirkte sie wie ein echter Dämon. Den langen Mantel offen und darunter Kleidung, die sie nich im Kampf behinderte. Keine Rüstung, oder Panzer, nur normale dunkle Kleidung aus Stoff. Sie fühlte die Kälte nicht, denn das Gebäude vor ihr schien die Wärme die es in sich trug, beinahe auszuspeien. Hoffentlich war nicht die gesamte Familie versammelt. Schwer klopfte sie gegen die Tür. Eine Weile geschah nichts und sie bildete sich ein das klopfen durch all die ihr so gut bekannten Räume zu hallen. Als Kind war sie öfters hier gewesen. Sie lächelte. Nein sie war auch als Erwachsene öfters herbeordert worden, noch bevor ihrer letzten Kindheit. Zum mächtigsten Dämonengeschlecht Drezs. Erleichtert seufzte sie, als die Tür der Schwarzen Festung sich erneut für sie öffnete. Eine Frau mit langem schwarzen Haar öffnete ihr. "Ich würde gern mit Vakra sprechen", sagte sie bevor die Frau sie überhaupt fragte, was sie hier wollte.
some men just want to see the world burn

RE: Drez (Stadt der Schattendämonen)
in Dreitan - das Spiel 22.01.2013 00:43von Ro Raven •

Ende November -> back in Time
Schlagabfolgen waren etwas vom langweiligsten, was man üben konnte. Oben, unten, seite, unten, seite, oben, seite... immer das selbe, immer und immer wieder. Sie war sich nicht ganz sicher, ob sie eher kurz davor war einzuschlafen oder durchzudrehen vor Langeweile. Sie spürte das Feuer. Es brannte nicht so stark, dass sie ausgerastet wäre, nicht im Moment, aber es war immer da, eine Glut unter einer dünnen Schicht Asche, die jederzeit auflodern konnte, wenn man ihr nur einen Strohhalm hinwarf. Seit einigen Tagen war sie so. Reizbar, ungeduldig, ständig drauf und dran, jemandem an die Kehle zu gehen. Sie fühlte sich wie ein Fass mit diesem Pulver der Assassinen. Bereit beim kleinsten Funken zu explodieren.
Ihre Schläge wurden schneller, fast ohne dass sie es merkte. Die Waffe in ihrer Hand war eine lange Stange, die für einen Speer oder etwas ähnliches stehen sollte, aber es spielte überhaupt keine Rolle, was es war. Die Welt um sie wurde dunkler. Die Schläge ihres Gegners, ein Junge von etwa 12 Jahren, wurden ebenfalls schneller, aber sie waren schwach, so schwach... Sie schlug zu und traf, der Junge ging zu Boden und hielt sich den Unterarm, wimmernd vor Schmerz. Sie hörte die Stimmen um sie wieder. Sie schienen aufgeregt. Jemand kam her, hob den Jungen auf die Füsse, begutachtete seinen Arm und schickte ihn in eine Richtung fort. Alles schien fern zu sein, als wäre sie irgendwo ausserhalb der Realität...
Sie stand im Hof hinter den Gebäuden. "Zieh die Rüstung aus", befahl Vron. Sie gehorchte und ging in die Knie, ballte die Hände zu Fäusten und wartete auf den ersten Schlag. Vron schlug nicht härter zu als die Male zuvor, aber ihr Geist war so instabil, dass jeder Hieb der Weidengerte sie bis auf den Grund ihrer Seele zu zerreissen schien. Realität und Erinnerung gerieten durcheinander, mischten sich, wurden eins. Sie begann zu weinen, vor Angst, vor Wut, vor Schmerz und aus der Gewissheit, dass es niemanden mehr gab, der an ihrem Bett wachen würde und der sie festhielt, wenn sie taumelte. Er war tot. Alles war tot. Sie selbst war tot, nur ihr Körper funktionierte weiter und immer weiter.
Ihre Stimme schlug um, aus dem Schluchzen wurde ein Lachen, zuerst leise und glucksend, dann laut und so wahnsinnig, dass sie sich vor sich selbst fürchtete. Aber was hatte sie denn noch zu fürchten. Sie hatte keine Angst vor dem Tod, keine Angst vor Schmerz, was konnten sie ihr denn noch antunt? Sie hatte Nesh verloren, sie hatte Darez verloren und sie hatte ihren Verstand verloren. Da blieb nicht mehr viel. Sie warf den Kopf zurück und lachte, die Zähne gebleckt gegen die Welt. Dieses Leben war nicht mehr ihres. Sollten andere sehen, was sie damit machten.
Sie blickte auf und sah Vron an, der längst aufgehört hatte zu schlagen. Er erwiderte ihren Blick und befahl ihr, in den Handstand zu gehen. Sie gehorchte ohne zu zögern und wartete auf das Feuer. Es kam nicht. Oder besser gesagt, es war schon da. Es war überall. In ihr. In der Welt, die sie umgab. Vron wandte sich ab, um zu seinem Hocker zu gehen. Lautlos liess sie sich auf die Füsse fallen und verharrte einen Moment, dann schnellte sie los wie eine angespannte Feder.
Er liess sich fallen und rollte zur Seite, während sie ihren Sprung ebenfalls in eine Rolle verwandelte, auf die Füsse kam und herumschnellte. Sie sprang erneut auf ihn zu und schlug mit den Fäusten nach seinem Gesicht, doch er wich zurück und trat nach ihrem Bauch. Sie packte seinen Fuss und drehte ihn herum. Er wehrte sich nicht dagegen, sondern sprang mit dem anderen Bein hoch, drehte sich einmal um die eigene Achse und schlug ihr dabei seine Stiefelferse seitlich gegen den Kopf. Als sein Arm der Bewegung folgte, fing sie sein Handgelenk in der Luft ab. Enfernt spürte sie den Schmerz in ihren Fingerknöcheln von der Überbelastung und ihr wurde klar, dass sie ohne das Feuer niemals so viel Kraft hätte einsetzen können. Darez' Stimme hallte durch ihren Kopf. Wenn du mit dem Feuer kämpfst, dann kannst du alles. Alles... Sie riss an Vrons Hand und rammte ihm den Ellbogen gegen den Hals, aber er bog sich zur Seite und entging dem Hieb, sie versuchte ihm den Arm zu brechen aber er wirbelte wie ein Rad herum. Wieder zischte sein Stiefel an ihrem Kopf vorbei, aber diesmal spürte sie ihn kommen und wich aus. Sie trat zu und zielte dabei auf seine Weichteile, aber er drehte sich zur Seite und griff nun seinerseits nach ihrem Fuss. Sie spürte, wie er begann zu drehen. Du kannst alles... Sie hatte niemals zuvor so etwas gemacht, aber wie zuvor Vron stiess sie sich ab, zog mit dem linken Fuss einen weiten Kreis durch die Luft und kam wieder darauf zu stehen. Der Widerstand dabei und Vron's sich lockernder Griff sagte ihr, dass sie getroffen hatte. Alles... Sie riss sich los, sprang hoch, trat Vron mit beiden Füssen vor die Brust, überschlug sich in der Luft und landete wieder auf den Füssen. Vron war mit dem Rücken gegen eine Hauswand gekracht und zu Boden gerutscht. Sie sprang auf ihn zu, doch blitzschnell drehte er sich herum, packte den Eimer neben ihm und schüttete ihr das eiskalte Wasser entgegen.
Sie begann wieder zu lachen und erholte sich kaum. Dann bleckte sie die Zähne und knurrte: "Glaubst du, das bisschen Wasser reicht?"
Ohne eine Antwort zu geben, griff er nach dem zweiten Eimer und leerte ihn ihr über den Kopf. Er nützte nicht mehr als der erste. Das Feuer blieb. Es brannte in ihr, in jeder Faser ihres Körpers. Aber das Licht der Flammen nahm ihr nicht die Sicht. Sie schlug nicht zu. Das Feuer war dunkel geworden. Das Verlangen danach, Vrons Kopf an der Wand zu zerschmettern, brannte in ihr, das Verlangen nach Blut und Zerstörung. Aber ihr Verstand war messerscharf. Und vollkommen durchgedreht. Schon wieder lachte sie beinahe.
"Geh!", befahl Vron.
Sie gehorchte ohne ein weiteres Wort.
If you're going through hell, keep going.

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