Ro wusste, dass sie gewinnen wurde. Allerdings wusste sie das eigentlich immer. Einen Kampf zu verlieren war in der Welt ihrer Gedanken irgendwie noch nie eine Option gewesen, selbst damals nicht, als sie noch keine Chance gehabt hatte gegen Darez. Auf die Idee, zuerst über Chancen nachzudenken, kam sie überhaupt nie.
Drecheb kämpfte technisch, aber je schneller sie wurden, je mehr Ro ihren Instinkt übernehmen liess, desto mehr spürte sie auch, dass er das selbe tat, Technik Technik sein liess und sich in den Kampf fallen liess. Trotzdem blieb er relativ defensiv, machte nur Ausfälle, bei denen er gleichzeitig gedeckt war und der losgelöst denkende Teil von Ro fühlte sich an eine Kugel erinnert, die sich zusammenzog oder ausdehnte, wo sie die Möglichkeit hatte.
Es endete damit, das sie seinen Schutz durchbrach und die Stockspitze einen Fingerbreit vor seiner Brust stopfte, bereit zuzustossen. Er lachte atemlos und reichte ihr die Hand. Sie schlug ein und versuchte die Flammen wieder unter Kontrolle zu bringen und nicht irr zu grinsen.
Erst als sie wieder losliess, sah sie Veray und Lesir vor dem Haus stehen, unweit von Alastar an die Wand gelehnt, und sie überlegte sich, auch Veray direkt herauszufordern, aber dann blieb ihr Blick an Alastar hängen. Der Kampf gegen Drecheb hatte das Feuer flackern lassen, aber sie war nie an den Punkt gekommen, an dem sie sich ihm vollständig überlassen hatte. Alastar konnte das.

Das Feuer brandete auf, ihr Sichtfeld fiel in sich zusammen, ihr Körper reagierte reflexartig, schnellte unter der einen Klinge hindurch und blockte die andere, bevor sie nach vorne schnellte und stach. Alastar wich aus, die Stangen zischten durch die Luft, der Boden bewegte sich unter ihren Füssen als sie sprang, die Flammen schossen bis in ihre Fingerspitzen, nicht sie änderte ihre Position, die Welt verschob sich, sie zuckte um Alastar herum, griff von hinten an, aber seine Klinge wartete bereits auf ihre.

Veray hatte die Arme verschränkt und sah dem Kampf zu, überrascht und mit einem kleinen Stich von Neid. Wieso mussten ihm ausgerechnet zwei Halbblute dermassen vor Augen führen, was er niemals sein würde? Andererseits sollte er sich nicht beschweren. Ro würde irgendwann Lord der Schwarzen Festung sein - zumindest wenn sie sich nicht vorher umbrachte - und sie würde den Clan immerhin stark repräsentieren. Stark und wahnsinnig. Zwei Eigenschaften, die ihren Clan schon immer ausgezeichnet hatte. Und für den Rest würde er im Schatten stehen, auch wenn er niemals Ruhm dafür ernten würde.
"Da hat sich jemand abregiert", riss Lesir ihn aus den Gedanken.
Irritiert sah Veray ihn an. "Wie meinst du das?"
"Na, sie ist viel weniger gestört als letztes Jahr."
"Weniger gestört?", fragte Veray skeptisch. So wie Ro grinste in den wenigen Momenten, in denen sie lange genug anhielt um überhaupt etwas zu sehen, war sie eher komplett übergeschnappt. "Sie ist völlig wahnsinnig."
"Nicht alles Unlogische ist Wahnsinn", feixte Lesir. "Vor nem Jahr hätte sie längst irgendeinen von uns massakriert. Wahrscheinlich mich."
Veray beherrschte sich, nichts böses dazu zu sagen, wie sorglos Lesir das von sich gab. "Kann sein."
Lesir grinste. "Die Aschehaut tut ihr wohl gut."
"Das kann dreihundert verschidene Gründe haben", meinte Veray stirnrunzelnd.
Lesir lachte. "Bruder, du willst mir nicht erzählen, dass du das nicht gerafft hast, oder?"
Veray sah ihn verständnislos an. "Was?"

Holz schabte über Holz als sie den Arm streckte und um seine Klinge herum zustach, er wich aus und schlug mit der zweiten Klinge zu, sie duckte sich zur Seite weg und trat ihm gegen den Oberschenkel. Ein Schlenker aus dem Handgelenk liess die Spitze ihrer Waffe gegen seine Hüfte schnellen, er parierte und sie bog den Rücken durch, um einem horizontalen Schwung zu entgehen, bevor sie einen Schritt zurückwich, nur um wieder auf ihn zuzuschnellen und von der anderen Seite zu schlagen. Die Klinge in ihrer Hand zuckte mehrmals über ihrem Kopf hin und her, von beiden Seiten auf seinen Hals zu und als er für einen Moment beide Schwerter hob um zu parieren, schoss sie vor in die Lücke dazwischen und trat ihn in den Bauch. Er schlug ihr den rechten Knauf ins Gesicht und sie spürte den Schlag aber nicht den Schmerz, tauchte unter seinem Arm hindurch und wirbelte herum, den Säbel auf Bauchhöhe. Erneut krachte Holz auf Holz.

Bevor Lesir dazu kam zu antworten, trat Drecheb auf sie zu. "Sie kämpft schnell", meinte er und nickte auf Ro. "Von wem wurde sie trainiert?"
"Ihrem Vater, so viel ich weiss", antwortete Veray. "Und Vron hat ihr letztes Jahr noch etwas Feinschliff verpasst."
"Sie wuchs nicht in Drez auf?"
Veray schüttelte den Kopf. "Ihr Vater hat Drez vor über achzig Jahren verlassen."
"Er ist zu den Vrenasza?"
"Unter anderem", antwortete Veray. "Wir wussten nicht, dass er eine Tochter hat." Ihm war bewusst, dass das eine Lüge war. Vakra hatte es gewusst. Und geschwiegen, verständlicherweise. Was er weniger verstand, war, warum auch Driss niemals etwas gesagt hatte, denn wenn er eins und eins zusammenzählte, musste sie ebenfalls Kenntnis davon gehabt haben. War sie am Ende vielleicht selbst mehr am Titel des Erben interessiert gewesen, als es den Anschein gemacht hatte?
"Wie habt ihr sie gefunden?"
Sie ist in die Festung eingebrochen und hat mir ein Messer ins Bein gesteckt, dachte Veray. "Zufällig", antwortete er.

Sie ging tief in die Knie, taxierte ihn, schnellte vor und als er zuschlug liess sie sich fallen, rutschte unter der Klinge hindurch und trat ihm den vorderen Fuss weg. Sie spürte, wie er das Gleichgewicht verlor, stolperte und sich wieder fing, ohne hinzufallen, aber da war sie bereits wieder auf einem Knie, rammte ihm den Ellbogen in die Rippen und packte seinen Waffenarm, bevor sie nach seinem Gesicht schlug.

Ro spürte seine Hilflosigkeit wie ein Geschmack, der ihr auf der Zunge lag. Mit einer Hechtrolle überbrückte sie die Distanz zu ihm, drückte ein Knie auf seine Brust und hielt ihm ihren Dolch an die Kehle. Das Feuer liess nach, die Flammen, die den dunklen Kreis ihrer Wahrnehmung umrahmt hatten, fielen in sich zusammen, flackerten nur noch vereinzelt und sie begann wieder zu sehen, was sie umgab, der Platz, die Gebäude, die Zuschauer. Sie sog einen tiefen Atemzug in sich, als hätte sie ihn angehalten und kalte Luft strömte in ihre Brust, holte ihren Geist zurück. Langsam stand sie auf und streckte Alastar die Hand hin.