Er war verwirrt. Hatte sie ihn jetzt schlagen wollen? Warum? So indezent war die Frage auch wieder nicht gewesen. Und er hatte sich dafür entschuldigt. Bei allen Runen, er hätte viel darum gegeben, jetzt ihre Gedanken lesen zu können, so wie Achrat. Moment, a propos Achrat. Der stand doch immer noch irgendwo hier im Raum? Oder war er fortgegangen?
Er hätte sich nur umdrehen müssen um nachzusehen, aber er wollte sich nicht umdrehen. Ran sah jetzt traurig aus. Er versuchte sich vorzustellen, wie es sein musste, so lange um jemanden zu trauern, auch anhand von dem, was sie ihm gezeigt hatte. Dann fragte er leise: "Hat das Glück davor den Schmerz nicht aufgewogen?"

Er hob die Hand und hielt ihre Finger auf seiner Wange fest. "Warum hast du dann nicht neues Glück gesucht? Warum lässt du den Schmerz immer mehr werden im Verhältnis zu der kurzen Spanne der Freude? Kannst du es nicht? Willst du es nicht?"
Er war sich nicht ganz sicher, warum er das sagte. Vielleicht einfach, weil er es, so sehr er auch der Bücherwurm war, nicht akzeptieren konnte, dass jemand sich aus Schmerz so weit zurückzog, dass er gar nichts mehr empfand. Er hatte Angst vor dieser Vorstellung. Was war denn das Leben noch, ohne jedes Gefühl? Er wollte nicht, dass Ran dieses Schicksal erleiden musste, für alle Ewigkeit.

Er war überrascht. Verdammt überrascht. Nein, das war untertrieben. Dennoch schaffte er es irgendwie, nicht zusammen zu zucken. Stattdessen erwiderte er den Kuss. Er hatte lange niemanden mehr geküsst, und er fragte sich, warum. Waren die Bücher wirklich besser als das? Er war sich plötzlich nicht mehr so sicher.
Dann riss er sich zusammen und löste seine Lippen von Ran's. Er fuhr mit den Fingerspitzen ihrem Wangenknochen nach, schluckte und flüsterte: "Es ist schade, dass du fortgehst."

Ihre Gesichter waren sich so nah, dass er nur ihre Augen sah. So dunkel. So tief. "Aber nicht für lange", flüsterte er. "Oder? Du wirst gehen, wenn nicht jetzt, dann bald. Wenn nicht heute, dann morgen."
Er spürte ihren Atem auf seinen Lippen. Oh ja, das war etwas ganz anderes als Bücher.

"Nein", sagte er. "Ich will dir nicht wehtun."
Trotz seiner Worte liess er den Abstand zwischen ihren Gesichtern schmelzen und küsste sie. Verdammt, was tat er hier eigentlich?