Karim lächelte und hob anerkennend eine Augenbraue, wobei die Anerkennung nicht der Nachricht, sondern seiner Quelle in Drez galt, die ihn anscheinend richtig informiert hatte. "In der Tat wundervolle Neuigkeiten. Ich gratuliere", meinte er. "Aber... Wie sehen eure Pläne für die Zukunft aus?", fragte er und verschränkte die Hände vor sich auf dem Tisch.
Ran lächelte. "Wie gesagt wird sich einiges verändern. Aber ich würde dies gerne besprechen, wenn alle Vertreter der Familien hier sind", antwortete sie. Karim lächelte schmal. "Darum wäre es besser gewesen, wenn ihr euch angekündigt hättet", sagte er trocken. "Oh, eigentlich wollte ich von dir jetzt nur wissen, wo sich welches Familienoberhaupt für wie lange befindet, damit ich Boten zu ihnen entsenden kann. Die Versammlung wird Ende Jahr stattfinden. Bis dahin läuft alles wie gewohnt weiter", erklärte sie. "Und dafür habt ihr den weiten Weg von Lovit gemacht? Ich hätte dir das alles in einer Nachricht mitteilen können", seine Stimme wurde leiser und kälter. Ran reagierte nicht darauf. "Ich wollte die Liste persönlich abholen", meinte sie. Karim neigte nur den Kopf. "Mich wundert es aber trotzdem", begann er. "Was erwartest du von uns Verdezia, Ran? Ich meine du bist jetzt der Südliche Drache, wir sind aber hier in Azura, im Gebiet des Westlichen. Im Süden hast du keinen Clan, der deinen Rücken stärkt. Und einige fühlen sich... nun ja... verraten", wieder verzog ein schmales Lächeln seine Lippen und Rans Augen funkelten verärgert auf. "Wir werden ein Abkommen mit den Natzhaema schliessen. Und wenn der Clan nicht meine Kompetenz und mein Recht anzweifelt unser Oberhaupt zu sein, werden wir natürlich ins südliche Gebiet ziehen. Aber die Familien, die hier bleiben wollen, werden nicht dazu gezwungen Azura zu verlassen. Wenn es aber jemanden gibt, der sich als geeigneter sieht Clanführer zu sein, soll er sein Recht einfordern."
"Und wann soll dies stattfinden? Ich meine den Umzug in den Süden nicht das andere", bohrte der alte Dämon mit einem verlegenen Lächeln nach. Ihm schien es nicht zu gefallen, Azura zu verlassen und seine Allianzen mit den anderen Clans hier aufzugeben. "Ende dieses Jahres wird darüber entschieden", entgegnete sie kühl. "Wenn dafür entschieden wird, werdet ihr beide ebenfalls nach Loney ziehen?", etwas an seinem Blick gefiel ihr nicht.
"Karim, ich treffe meine Entscheidungen mit dem Wohl der Verdezia im Sinn. Doch du tust so, als würde ich versuchen meinem eigenen Clan in den Rücken zu fallen. Du bist zwar mein Grossvater, aber auch Mitglied dieses Clans. Ich schätze deinen Rat sehr, doch mag ich es nicht, wenn man meine Entscheidungen anzweifelt. Als mein Berater hast du das Recht mir zu widersprechen, aber nenne dann bitte deinen Grund."
Karim sagte nichts darauf. Ihm war bewusst, das ein oder zwei Familienoberhäupter an der Tür lauschten, die Ran ihm vorzogen. Er wollte sich nicht in eine noch misslichere Situation bringen. "Verzeih mir. Ich war nur neugierig... Werdet ihr hier übernachten?", fragte er freundlicher. "Ich bin mir noch nicht sicher", sagte sie barsch. Karim nickte. "Ich werde Papier und Feder holen. Bitte entschuldigt mich", sagte er und liess sie und Veray allein.

Ran lehnte den Kopf an Verays Schulter. "Es ist alles eine solche Mühsal", flüsterte sie und schloss kurz die Augen. Karim liess sich Zeit. Wahrscheinlich hoffte er darauf, dass sie sich unterhielten. Irgendeiner seiner treuen Diener hielt sich sicherlich in Hörweite. "Sollen wir auf dem Rückweg in Drez einen Zwischenhalt einlegen?"

"Willst du nicht unbedingt oder nicht?", fragte sie neckisch und spielte mit seinem Haar. "Wir können uns ein paar Tage Zeit lassen, bevor wir zurück nach Lovit gehen." Plötzlich bemerkte sie einen Schatten an der Wand und ohne viel nachzudenken, zog sie ihr Messer und warf es. In dem Moment in dem es sich die Klinge ins Holz bohrte blockte sie instinktiv mit ihrem Arm ein Schwert ab. Sie war froh, ihre Haut kristallisieren zu können, ohne diese Fähigkeit hätte sie jetzt einen Arm weniger. "Was soll das?", zischte sie einen schwarz vermummten Mann an, welcher sofort zurückwich und in einigem Abstand in Verteidigungsstellung ging. Er sagte kein Wort, sondern fixierte sie nur herausfordernd mit seinem Blick.
"Leihst du mir bitte kurz deinen Säbel?", fragte sie Veray leise, ohne den Angreifer aus den Augen zu lassen. Sie hatte ihre Schwerter nicht mitgenommen, was sie gerade bereute.

Sie fing die Waffe auf. "Ich weiss, es gefällt dir nicht, aber halt dich bitte raus Veray. Dieser Mann ist nur meinetwegen hier", sagte sie und machte sich bereit. Der Assassine zögerte nicht mehr, sondern schnellte hervor, täuschte einen Schlag von rechts an, drehte das Schwert und schlug von unten zu. Ran parierte den Schlag, wobei sie beinahe zu spät reagiert hätte, und wich zur Seite aus.
Seit langem hatte sie keinen Säbel mehr in Händen gehabt, aber sie erinnerte sich an die Schrittabfolgen und an all die Techniken, die sie einst gelernt hatte. Mit jedem Zug, den sie durchführte wurde sie sicherer und präziser.
Schnell griff sie an. Der Assassine war geübt, doch nicht so kampferfahren wie sie. Er versank in seinen Gedanken und Ran übernahm die Führung, sie gab ihm den Rhythmus vor und er folgte, ohne es zu merken. Als er nur noch darauf achtete ihren Schlägen auszuweichen, gab sie ihm eine Möglichkeit anzugreifen, er nutzte sie und zielte auf ihren Hals, sie duckte sich unter dem Schwert weg und packte unsanft seinen Arm und Hals mit ihren Kristallklauen, wobei sie ihn an die Wand drängte. Der Arm brach mit einem unschönen Knacken. Beide Waffen fielen klappernd zu Boden und einige Sekunden lang musste Ran sich beherrschen, den Mann nicht umzubringen. Der Assassine entspannte sich in ihrem Griff. "Ihr habt gewonnen. Verzeiht mir", sagte er ergeben und wandte den Blick demütig zu Boden. "Was soll der Scheiss!?", knurrte sie wütend. "Welchem Clan gehörst du an?"
"Den Verdezia, Herrin", sagte er ruhig. Ran entzog ihm wütend die Energie, die sie brauchte und schleuderte ihn mit voller Wucht zur Seite, hob Schwert und Säbel auf und deutete mit der Schwertspitze auf den Hals des Assassinen, welcher sich in einer Ecke leicht aufrichtete, jedoch nicht wagte aufzustehen. "Wer hat dich beauftragt?", fragte sie leise. Der Assassine zögerte. "Mein Familienoberhaupt."
"Wieso?"
"Wurde mir nicht gesagt."
"Wag es nicht zu lügen", zischte sie. "Bist du wirklich so dumm, Verrat an mir zu begehen?"
"Sie wollten eure Stärke testen", sagte er dann.
"Steht auf", zischte sie und hielt die Waffe zur Seite, der Assassine folgte. Sie liess das Schwert fallen und holte mit der Hand aus, bevor sie ihm eine wischte. Blut spritzte an die Wand und der Assassine stolperte, wäre die zweite Wand nicht hinter ihm gewesen, wäre er umgefallen. Er sagte nichts, sah nur zu Boden, währendem das Blut von seiner Wange auf den Boden tropfte. "Sagt ihnen, dass jeder, der es wagt mich oder jemanden der mir nahe steht anzugreifen, versucht uns irgendwie Schaden zuzufügen, wird diese Person es bereuen. Ich verzeihe diesen einen Fehler. Aber jeder weitere wird mit dem Tod bestraft." Sie sah ihn drohend an. "Ich weiss nicht, was euch gesagt wurde, aber ich sehe dies nicht als einen Akt der Treue an. Ihr habt Schande über diesen Clan gebracht. Verschwindet!", das letzte Wort brüllte sie. Der Assassine verbeugte sich tief und machte sich aus dem Staub. Ran atmete schwer und schloss die Augen für einen Moment, bevor sie sich umdrehte und Veray den Säbel zurück gab.

Auch wenn er sich zurück hielt, konnte sie sehen, wie seine Mundwinkel kurz gezuckt hatten. Sie kannte diese Reaktion. Jedesmal als er mit Vakra zu tun hatte, zeigte er sie.
Ran sagte nichts, sondern setzte sich neben ihn. Sie wusste nicht was sie sagen sollte. Einerseits war sie wütend auf Karim. Sie wusste dass er es war, der den Assassinen angeheuert hatte. Andererseits fühlte sie sich schuldig und verletzt, wegen Verays Reaktion. Es wurmte sie ebenfalls, dass er nichts sagte. Wäre er wütend oder was auch immer, hätte sie es verstanden, aber so nagte die Stille an ihr. Sie wagte es aber nicht etwas zu sagen. War es ihr Stolz, der sie daran zurück hielt? Oder Angst? Sie schluckte trocken. Den Reflex sich zu entschuldigen unterdrückte sie. Schnell blickte sie zur Tür, doch Karim tauchte noch nicht auf. Es war ihr zu still und die Anspannung in ihr stieg und sie wäre am liebsten aufgestanden und zum See gegangen, doch sie konnte schlecht weg.