Idril blickte ihr nach. Die Kleidung, die sie erhalten hatte, waren aus einem feinem, aber stabilen Stoff gefertigt. Also ideal um für eine Balgerei mit Draugmôr. Könnte der Elf, den sie soeben gesehen hatte, sie zu den Amarok bringen? Sie würde eigentlich lieber mit Dayana gehen, damit sie sie den Riesenwölfen vorstellen konnte. Ausserdem vermisste sie das Flötenspiel und die Holzetuis durfte sie nur aufmachen, wenn die von Biredh beschriebene Situation eingetreten war. Vielleicht könnte sie sich hier eine Flöte ausleihen. Sie könnte dann ein wenig spielen und auf Dayana warten. "Das war eine gute Idee.", befand sie schliesslich und ging ebenfalls zur Türe hinaus. Sie fand sich in einem langen Gang wieder. Mit einem Schulterzucken wandte sie sich nach links und humpelte los. Nach ein paar Schritten kam vor ihr ein junger Mann aus der Türe raus. Es war nicht derselbe Elf, den sie vorhin gesehen hatte.
"Hallo? Ihr wisst nicht zufälligerweise, wo ich eine Flöte ausleihen könnte?", fragte Idril vorsichtig.
Der Elf drehte sich zu ihr um und blickte ein wenig überrascht auf das Kind runter. "Wer bist du denn?"
"Idril. Ich bin Narums Schülerin und Dayanas Gast.", fügte sie rasch hinzu, da die Elfe ihr ja aufgetragen hatte, sich so vorzustellen.
Der Elf lächelte, "Na dann, Idril, Schülerin Narums und Gast von Dayana, komm mit mir. Ich bin sicher einer aus meiner Familie hat eine kleine Bambusflöte herumliegen."
Der Elf behielt recht. Fünf Minuten später sass Idril glücklich und zufrieden auf dem Bett, in welchem sie aufgewacht war, und spielte eine muntere Frühlingsmelodie.

Als Dayana nach vier weiteren Liedern noch immer noch nicht aufgetaucht war, entschied Idril sich auf eigene Faust auf den Weg zu machen. Sie humpelte aus dem Zimmer raus in den Gang und bog dann nach rechts ab. Der Elf hatte ihr vorhin erklärt wie sie raus kam. Einige Minuten später stand sie auf einer Treppe, der zum Hauptgebäude hochführte. Ein weiter Platz breitete sich um das Gebäude herum aus und einige Strassen führten schnurgerade darauf zu. Ein paar Männer und Frauen blickten ihr nach, doch hielten sie nicht weiter auf, so dass Idril ungehindert einer der breiten Hauptstrassen hinunter zum Wald folgen konnte.

"Du weißt ganz genau wie wir zu Fremden in Azura stehen, Dayana." Die Elfe musterte Karjm kühl. "Sie ist ein Kind", entgegnete sie.
"Aber wie lange noch? Sobald sie erwachsen ist, wird sie eine potentielle Gefahr darstellen. "
"Verdammt nochmal, Karim! Sie ist Narums Schülerin."
"Das sagt sie. Das Mädchen wurde mitten in einem Amarok Rudel gefunden! Denkst du wirklich Narum würde seine Schülerin einfah so der Wildnis überlassen?"
Dayana zögerte. "Nein", sagte sie dann, "Aber wer weiss... Vielleicht ist etwas passiert... Ich bin dafür, dass wir sie hier behalten bis wir genaueres wissen. "
"Fängst du wieder damit an?", knurrte Karim und setzte sich wieder.
"Die anderen Clanhäupter sollen ebenfalls entscheiden", sagte Dayana und ging ohne ein weiteres Wort. Karim sah ihr nur nach und holte dann Papier und Schreibutensilien aus einer Schublade hervor.
Dayana verliess das Hauptgebäude, um frische Luft zu schnappen, wobei ihr ein Mitglied ihres Clans entgegen kam. "Sie hat das Haus vor wenigen Minuten verlassen", sagte der Elf und vernbeugte sich knapp. "Wohin wollte sie?" Der Mann beschrieb ihr den Weg, welchen Idril gegenüber genommen hatte und Dayana nickte nur, bedankte sich und machte sich auf den Weg, Idril zu folgen. Sie machte sich Sorgen um das Mädchen, denn wenn sie den Wald betrat, ohne die Amarok, würde sie sich verlaufen und ein gefundenes Festmahl für die Feen darstellen.

Idril hatte ihren Zustand gründlich überschätzt. Sie war hundemüde, als sie endlich zum Rand des Dorfes kam. Das Tor war offen und so konnte sie ungehindert hinaustreten. Der Weg schien ein paar Meter nach dem Tor einfach zu verschwinden. Zögernd blieb sie stehen. Die Amarok waren nirgends zu sehen. Sie machte noch zwei drei Schritte und schaute sich dann wieder um. Plötzlich hörte sie ein Rascheln, dann das Geräusch von weichen Pfoten auf frisch gefallenen Blättern und im nächsten Moment spürte sie eine feuchte Zunge im Gesicht. Lachend schlang Idril die Arme um Barans Hals, die ausser sich vor Freude das Mädchen abschleckte. Sie beschnupperte auch ausgiebig den Fuss des Mädchens.
Die restlichen Amarok begrüssten sie ebenfalls ausgiebig. Ailgaur erlaubte ihr sogar ihn zu streicheln, was bei dem silberhaarigen Leitwolf eine Seltenheit war. Auch er schien sich über ihren geheilten Fuss zu freuen. Draugmôr stupste sie mit der Schnauze an und gab ein kurzes bellendes Geräusch von sich, dann wandte er sich ab und verschwand im Wald. Baran stupste das Mädchen an, als ob sie sie in den Wald scheuchen wollte. Idril trat ein paar Schritte nach vorne und Baran folgte ihr dichtauf. Die anderen Amarok waren wieder zurück in den Wald gegangen. Ohne nachzudenken lief das Elfenmädchen ihnen nach. Baran blieb dabei die ganze Zeit an ihrer Seite. Nach kurzer Zeit erreichten sie die Stelle, wo die Amarok sie hatte hinbringen wollen. Ein totes Waldschwein lag unter einem breiten Baum und die Riesenwölfe rissen mit ihren kräftigen Kiefern Fleisch aus dem Kadaver. Offensichtlich erwartete Baran das auch Idril ihren Anteil ass, doch nun da das Mädchen schon einen vollen Bauch hatte, schien ihr rohes Fleisch nicht mehr so verlockend.

Dayana eilte aus dem Dorf und sah nur, wie Idril mit den Amarok hinter den Bäumen verschwand. Sie fluchte, rief der Wache zu, dass sie für einige Minuten oder ein zwei Stunden weg sei und eilte dem Mädchen nach, den Spuren der Wölfe folgend. Sie hoffte, dass sie nicht zu weit in den Wald lief und dass die Feen noch nichts bemerkt hatten oder noch nicht handeln würden.

Sie setzte sich unter einen nahe gelegenen Baum und beobachtete die Amarok beim Fressen, doch kaum hatte sie es sich bequem gemacht, tauchte Dayana auf der Lichtung auf. Sie hatte Gegenwind gehabt, deshalb hatten die Riesenwölfe sie nicht gerochen, doch nun da sie offen auf der kleinen Lichtung stand, wandten sich sämtliche Tiere gegen sie. Blutiger Geifer tropfte von Ailgaurs Schnauze. Er hatte sich gerade satt gefressen, deshalb beliess er es bei einem warnenden Knurren. Doch der Tonfall sagte deutlich aus, dass wenn die Elfe als sein Nachtisch enden würde, falls sie sich nicht schleunigst aus dem Staub machte.
Hastig sprang Idril auf und stellte sich mit ausgebreiteten Armen vor den Leitwolf hin. Ailgaur war so überrascht von der Geste, das sein Knurren verstummte. "Sie hat mich geheilt. Sie ist eine Freundin.", sagte Idril mit fester Stimme und blickte Ailgaur herausfordernd in die Augen. Gleichzeitig streckte sie ihren Geist nach dem der Wölfe aus und versuchte ihnen zu vermitteln, dass sie ihr Vermögen zu Gehen der Elfe verdankte. Für einen Moment schienen die Amarok geneigt zu sein sie zu ignorieren und Dayana anzugreifen, doch dann senkte Ailgaur den Kopf. Er wandte sich wieder dem Schweinekadaver zu und riss ein grosses Stück Fleisch raus. Idril stiess einen erleichterten Seufzer aus und humpelte rüber zu Dayana. Baran folgte dem Mädchen dicht auf den Fersen und stellte sich zwischen ihr und Dayana, als Idril nach der Hand der Elfe greifen wollte. Die Wölfin schnupperte am Fuss des Mädchens, hob dann die Schnauze vor der Elfe in die Luft und sog witternd ihren Geruch ein. Erst dann trabte sie aus dem Weg und liess zu, dass Idril zu der Elfe ging.

Dayana hatte ihre Hand bereits am Griff ihres Jagdmessers gehabt, doch entspannte sich jetzt. "Willst du nicht ein paar Tage in Azura bleiben?", fragte sie das Mädchen und beugte sich zu ihr hinunter, wobei sie die Wölfe nicht aus den Augen liess.

"Gerne.", erwiderte sie. "Kann ich dann bei dir bleiben? Und ich hab noch eine Frage: Gibt es hier Feen? Biredh hat mir erzählt hier würden Feen leben, doch er hat mir nicht gesagt wie sie sind."

"Kleine, fliegende, elfenfressende Monster", sagte sie. "Ja du kannst bei mir und meinem Clan bleiben", antwortete sie lächelnd. Sie hoffte, dass die Feen ihre Unterhaltung nicht als Einladung empfinden würden.

"Oh.", sagte Idril nur und blickte sich unwillkürlich um. Doch sie konnte nichts erkennen. Schnell trat sie näher zu Dayana und griff nach ihrer Hand. "Warum tun sie das denn?", fragte sie mit leiser Stimme.