"Wir haben keine andere Chance, als zu verhandeln!"
Niemand widersprach den heftig in die Runde geworfenen Worten, sie alle wussten, dass es die Wahrheit war, auch wenn es ihnen missfiel. Einige Atemzüge herrschte Schweigen. Dann sagte Amien: "Ich werde gehen."
Er sah gemischte Gefühle in den Gesichtern der anderen Lords und Ladies. Zustimmung von einen, ein resigniertes Nicken von anderen, Missbilligung. Sie kannten ihn, und nicht alle waren mit dem einverstanden, was er vertrat, aber sein Verhandlungsgeschick war nicht zu leugnen und wenn sie ehrlich waren, war auch keiner von ihnen allzu erpicht darauf, die Aufgabe selbst zu übernehmen und sich in die Höhle des Löwen zu begeben. Ohnehin waren sie nur noch ein kläglicher Überrest des einstigen Adels, die wenigen, die aus Nostalgie, Sturheit oder Loyalität zum Rest der Bevölkerung nicht längst nach Ladril geflohen waren, wie so viele andere. Amien hatte den umgekehrten Weg genommen, war zurückgekehrt aus seinem Exil, in das er vor dem drohenden Zorn des Drachen geflohen war, und obwohl nicht alle glücklich waren, ihn wieder zu sehen, überwiegte die Erleichterung, jemandem da zu haben, der Tatendrang zeigte und für den Krieg kein völlig theoretischer Begriff war. Und so nickten sie auch jetzt. "Du weisst was es zu retten gilt."
"Unser Volk und unsere Kultur", antwortete Amien schlicht.
"Unser Land und den Wald", warf ein anderer ein.
"Die alten Schriften."
Eine silberhaarige Lady schüttelte wütend den Kopf. "Ich kann es nicht fassen. Am Ende werden sie uns sogar zwingen ein Bündnis mit den Zwergen einzugehen."
"Versucht das zu umschiffen, Amien!", sagte ein Mann bestimmt.
Er nickte und behielt seine Gedanken für sich. Um die Zwerge stritten sie sich. Natürlich war es naheliegend, dass man sie zu einem Waffenstillstand zwingen würde, vielleicht sogar zu einem passierrecht für die Erdlinge. Und wenn. Ihnen drohten weitaus grössere Probleme. Sie hatten einen Krieg verloren, bevor er begonnen hatte. Das war nicht der Moment für falschen Stolz.

Amien wurde auf dem Pferd durch das Lager geleitet. Er liess seinen Blick über die Zelte schweifen, aber zurückhaltend genug um nicht den Verdacht der Spionage zu erwecken. Was man durch blosse Blick über das Heer in Erfahrung bringen konnte, wussten sie längst, schliesslich hatten sie nicht völlig apathisch gewartet, bis die Armee die Stadt erreichtet, sondern sie stets im Auge behalten.
Vor einem grossen, reich geschmückten Zelt, hielten die Soldaten, die ihn eskoriterten, an. Er schwang sich aus dem Sattel, übergab einem von ihnen die Zügel seines Hengstes und trat auf das Zelt zu. Die Wachen traten wortlos zur Seite und hielten ihm den Eingang auf. Der Raum dahinter war düster im Vergleich zum Tageslicht draussen, aber nach wenigen Augenblicken hatten sich seine Augen genügend daran gewohnt, dass er Personen und Einrichtung mühelos erkennen konnte. Der Mann, der ihn erwartete war schlank, fast athletisch, ein Mensch und Magier. Amien neigte knapp den Kopf zum Gruss. "Ich bin hier, um im Namen der Elfen zu verhandeln."

"Fürst Amien, aus dem Geschlecht der Voinalí", antwortete Amien. "Ich spreche im Namen des Rates von Navrila und als Mitglied des Rates der Kronen von Ladril. Es freut mich, Eure Bekanntschaft zu machen, Laas'kan. Aber wir sind sehr verwundert. Weshalb zieht ihr mit einem Heer in unsere Wälder und gegen unsere Stadt. Was wollt Ihr damit bezwecken?"

"Das ist lobenswert", sagte Amien. "Umso mehr missfällt mir der Grund für den Angriff. Die Zwerge und wir mögen niemals Freunde gewesen sein, aber in den vergangenen Jahrzehnten gab es keinerlei Aggressionen von unserer Seite, im Gegenteil sahen wir über mehrere Vorfälle hinweg, die Anlass zu einem Krieg hätten bieten können. Genauso wenig suchen wir ihn nun."

"Selbstverständlich", antwortete Amien und legte den Kopf etwas schräg. "Nur eine Frage, falls sie mir gestattet ist, ohne dreist wirken zu wollen: ihr habt den Zwergen versprochen, sie in jedem bewaffneten Konflikt zu unterstützen? Ganz egal, wen sie angreifen? Verzeiht, aber das scheint mir wenig sinnvoll, immerhin scheinen sie von euch abhängig zu sein."