"Ja, wenn die Jäger erfolgreich waren", sagte sie und machte sich an die Arbeit. "Doch viel von Kasz gesehen habe ich nicht wirklich."

"Hast du jemals vom unterirdischen Teil Kasz' gehört?" fragte er vorsichtig weiter.
Kasz war eigentlich eine typische Dämonenstadt. Oberirdisch, verstreut. Teilweise Höhlenbehausungen. Aber es gab die Kernstadt, in der viele Dunkelschatten dicht beieinander in einer richtigen Stadt beisammen lebten. Das bedeutete auch viel Ärger, aber die Dunkelschatten - und das war die Mehrheit - die damit nicht klar kamem, lebten weiter außerhalb.
Und unter der Kernstadt gab es die Tiefstadt. Sie war kleiner und es wurde seltener von ihr gesprochen, da sie unbedeutender war.
Aber es gab sie. Tunnel und unterirdische Höhlen mit Häusern und Hütten. Sie war kleiner als der oberirdische Teil, aber dennoch groß.
Er hatte dort gelebt, als er noch in Kasz gelebt hatte. War zwar oft oben gewesen, aber wohl gefühlt hatte er sich vor allem unten.
Er war sogar bis in die Tieftunnel vorgedrungen, was sich viele nicht wagten.
Dort lebten viele merkwürdige Gestalten und wer nicht entdeckt werden wollte, zog sich dorthin zurück.
Kasz war ein El Dorado für die Kriminalität. Ein Zentrum dämonischer psychicher Abgründe. Ein Chaos aus Überlebenswillen und Anarchie.
Oftmals hatten Ordnungshüter weniger Sagen als hochrangige Kriminelle.
Eigentlich hatten sie gar kein Sagen.
Und trotzdem funktionierte das System und es gab eine gewisse Ordnung. Es war schwierig sich hineinzuleben, aber wenn man es kannte, war es nicht schlimm. Das Leben ging seinen Weg, jedes Individuum ging seinen Weg und wenn man sich geschickt anstellte, hatte man keinen Ärger.
Aber man konnte Ärger haben. Jede Menge.
Kasz. Er seufzte.
In der Oberstadt herrschte noch Konservativität. Kämpfe, Traiditonen, Kultur.
In der Unterstadt auch. Aber hier herrschte noch stärker eine Art neues System, in dem die alten Traditionen unbedeutender waren, sich aufgelöst hatten in Kaltschnäuzigkeit und Machtverlangen. Viele kümmerte die Religion nichtmehr. Sie glaubten nur an sich.
Viele kümmerten Werte nichtmehr. Sie dachten nur an sich.
Und so ließ es sich gut leben. Wenn man Macht hatte und stark genug war.

"Natürlich", sagte sie. "Doch die Khan'dagna halten nicht viel von der unterirdischen Stadt. Sie bezeichnen die Dämonen, die dort unten leben als Hunde, die es nicht wert sind das Tageslicht zu erblicken. Erbärmliche Wesen, die sich in ihrem eigenen Dreck suhlen und gegenseitig in Stücke reissen. Wesen, die weder Stolz besitzen, noch das Leben verdient hätten. Den schlimmsten Abschaum. Sogar Zwerge und Elfen sind ihnen lieber, als die Dämonen der unteren Stadt."
Sie blickte prüfend in Gwaishachs Gesicht. Sie wollte seine Reaktion sehen. Vielleicht hatte sie etwas übertrieben, doch sie wollte sehen, ob sie recht hatte. Die Art, wie er sie auf die Stadt unter Kasz angesprochen hatte, liess sie vermuten, dass er selber von dort stammte.

Er nickte. Von den Khan'dagna hatte er nichts anderes erwartet. Viele an der Oberfläche dachten so, wenngleich die Aussagen seiner Meinung nach nicht stimmten.
Die normale Bevölkerung unterschied sich im Durchschnitt nur wenig von denen der Oberstadt.
"Die einflussreicheren Dämonen aus der Unterstadt denken nicht anders über die Khan'dagna", antwortete er nur.
Er schaute zu ihr. Sie beabsichtigte doch irgendwas mit ihrer Gesprächsart.
"Die dich nebenbei einfach an Sklavenhändler verkauft haben."

Niv lachte. "Sie haben mich nicht grundlos verkauft. Sie halten sich an Tradition. Der Khan'dagna hat mir nichts getan. Er hat mich verkauft, weil ich seiner Meinung nach den Namen der Familie besudelt hätte." Ein bitteres Grinsen verzog ihren Mund. "Eigentlich wäre der Tod die angebrachte Strafe dafür. Tod als Opfer an den Gott der Finsternis. Aber er hat mich 'verschont' weil ich seine Tochter bin."

"Nein, wie gnädig von ihm", meinte er sarkastisch. Er hielt nichts von solchen Traditionen. Genausowenig wie von Religion, Idealismus, Werten und manchen Gesetzen.
"Und warum hast du ihrer Meinung nach den Namen der Familie besudelt?"

"Weil ich zu schwach war die Tradition zu bewahren."

"Welche Tradition?"
Langsam musste er es eigentlich wissen. Sie antwortete immer so knapp, weil sie nicht darüber reden wollte.
Schade eigentlich, weil er wirklich ein wenig neugierig war. Andererseits konnte er sich auch einfach um seinen Kram kümmern.

"Eine Tradition", sagte sie nur und stand auf. Sie zog die Haut vom Tier weg. Es ging niemanden etwas an, was damals passiert war. Sie versuchte es zu vergessen, was ihr unmöglich war. Doch es war nun mal geschehen und sie konnte es nicht ändern. Auch wenn es sie immer noch schmerzte...

Er zuckte bloß mit den Schultern und beschloss, nichtmehr nachzufragen. War ja ihre Sache.
Wortlos zog er ebenfalls die Haut ab.