Avis stand entspannt auf einem der kleinen steinernen Balkone und beobachtete Biarn beim Training. Der Waffenmeister der Nachtzinne war ein strenger Mann und gewährte dem Jungen trotz seines königlichen Blutes keinerlei Privilegien. Genau der richtige also. Sie seufzte und wandte sich um. Durien hatte bevor er wieder losgezogen war angeordnet weitere Soldaten auf Tyre ausbilden zu lassen. 2000 Mann um genau zu sein. Avis wusste, dass er nicht ewig so weitermachen konnte. Auch wenn er reich war. Irgendwann würde auch sein Gold zur Neige gehen. Er brauchte Freunde, die seine Ideen unterstützten. Dafür war sie verantwortlich.
Sie hatte schon Dara für sich gewinnen können und Ekain würde nach dem Aufbau sicher auch treu zu ihnen stehen. Avedis und Cadogan vermutlich auch. Schliesslich wollten sie ebenfalls Schutz vor den Schwarzmagiern. Sie verzog das Gesicht als ihr in den Sinn kam, dass sie vermutlich bald einen der Grafen heiraten müsste. Manron hatte schon die Dreistigkeit gehabt sie zu drängen ihn zu heiraten. Sie hatte den kaum verhüllten Zorn in seinem Gesicht gesehen, als sie ihn abgewiesen hatte. Sie drehte sich um und lief mit langsamen Schritten den Gang runter zum Thronsaal. Gleich würde sie einen Gesandten von Dara empfangen müssen. Was würde sie dafür geben ein paar Momente für sich zu haben.
Sie wollte gerade die steinernen Stufen zum Thron hochsteigen, als sie ein leises Geräusch vernahm. Das Rascheln von Schuppen. Sie drehte sich um und einige Meter von ihr entfernt stand Armelion und lächelte. Die graugrünen Augen blitzten und die Rüstung aus Drachenschuppen funkelte im Schein der Fackeln.
"Avedis und Cadogan gehören uns. Wir haben keinerlei Kämpfe ausfechten müssen und Durien ist auf dem Weg zurück."
Eine Welle der Erleichterung flutete durch sie hindurch. Endlich war der schlimmste Teil des Krieges vorbei! "Danke, dass du gekommen bist um mir das zu sagen Armelion. Ich weiss, dass du viele Pflichten hast, doch..." Ihr stockte der Atem. Irgendetwas war falsch an ihm. Sich wich einen Schritt zurück. "Wer bist du?", fragte sie mit scharfer Stimme. Er trat einen Schritt auf sie zu. Seine Miene war verstört und beunruhigt.
"Ich verstehe nicht Avis. Ich bin es. Armelion. Erkennst du micht nicht?" Er ging langsam auf sie zu. Bestürzung machte sich auf seinem Gesicht breit, als er ihre Angst sah. Avis wich weiter zurück. Etwas fehlte. Sie wusste nicht was, doch etwas fehlte.
"Nein, du bist es nicht. Du siehst zwar so aus wie er, dennoch..."
Plötzlich machte er ein paar rasche Schritte und packte sie an den Armen. "Was ist denn nur mit dir los?", fragte er. Verwirrung schwang in seiner Stimme mit. Als sie sein Gesicht aus der Nähe sah wusste sie was fehlte. Die Narbe an seiner linken Augenbraue.
"Ich habe keine Ahnung wer du bist, aber Armelion bist du ganz sicher nicht. Er hat eine Narbe, die seine linke Augenbraue spaltet.", fauchte sie wütend.
Der bestürzte und verwirrte Ausdruck im Gesicht von Armelion war wie fortgewischt. "Nein! Nicht Armelion!", schärfte sie sich ein. "Das hier ist etwas anderes." Stattdessen breitete sich ein höhnisches Lächeln auf seinem Gesicht aus.
"Du bist gar nicht mal so dumm, Menschenweib.", flüsterte er mit heiserer Stimme und tippte mit zwei Fingern seiner rechten Hand gegen seine linke Augenbraue. Ein rotes Licht flammte auf und als er die Hand runternahm war die Narbe da. "Besser so?", fragte er mit einem bösartigen Lächeln. Avis zog den Dolch, den Armelion ihn gegeben hatte, und stiess ihn mit aller Kraft gegen die Kehle des Doppelgängers. Bevor der tödliche Stahl sein Ziel finden konnte fand sich ihr Handgelenk im eisernen Griff des Mannes wieder. "Na, na, na. Wir wollen nichts überstürzen." Er schnalzte ungeduldig mit der Zunge und drückte ihren Arm Zentimeter für Zenitmeter runter. Als er auf Bauchhöhe war, drehte er ihn um, so dass die Spitze auf sie zeigte. Avis kämpfte gegen ihn an, doch den Kräften des falschen Elfen war sie nicht gewachsen. Mit vor Schreck geweitete Augen starrte sie auf die stählerne Spitze, die jetzt gegen ihren Bauch gerichtet war. Mariika und Biarn! Sie durfte sie nicht im Stich lassen. Sie sammelte noch ein letztes Mal all ihre Kräfte um sich gegen den Griff des Mannes aufzubäumen. Erst jetzt fiel ihr ein nach den Wachen zu rufen. Sie holte tief Luft und der Mann rammte ihr den Dolch mit ungehemmter Kraft schräg unter die Rippen in ihre Lunge. Alles was sie zustande brachte war ein ersticktes Keuchen. Kein Schrei... nichts kam über ihre Lippen. Eisige Kälte schien sich von der Wunde aus zu verbreiten und der falsche Armelion liess sie mit einem verächtlichen Blick los. Für einen Moment hielt sie sich noch schwankend auf den Beinen, dann verliess sämtliche Kraf ihren Körper und sie fiel die kurze Treppe hinunter auf den kalten Marmorboden. Noch einmal öffnete sie die Lippen um nach Hilfe zu rufen, doch kein Ton kam raus.
Sie hörte wie Schritte näher kamen und Armelion's Gesicht schob sich in ihr Blickfeld. "Bald wird es vorbei sein.", flüsterte er und strich ihr zärtlich mit einer Hand übers Gesicht. Im nächsten Moment erklang ein erschrockener Schrei und sie hörte wie jemand Alarm schlug. Viel zu spät. Es war bereits viel zu spät., dachte sie. Dann wurde um sie herum die Welt dunkel.

zwischen Mitte und Ende Februar
Arsa, in seinem Dorf
Vier Tage nachdem der Prinz Geviras wieder verschwunden war, heiratete Arsa die Burgherrin. Es war kein grosses Brimborium, lediglich eine offentliche Zeremonie auf dem Platz vor der Burg. Die Dorfbewohner sollten zusehen können, damit sie begriffen, wie die Herrschaftsverhältnisse nun gesichtert waren. Ausserdem schuf so ein Anlass das Gefühl von Normalität. Die Dorfbewohner begannen sich an ihre neue Lebensweise mit den Söldnern zu gewöhnen und Arsa wollte sie darin bestärken.
Die Lady hatte sich nicht gegen die Hochzeit gesträubt, überhaupt nicht. Sie hatte sich sehr verändert in den letzten Monaten, genau wie er es beabsichtigt hatte. Er hatte sie gefragt, ob sie einer Hochzeit mit ihm zustimmen würde und sie hatte ja gesagt. So einfach war das, wenn man die Leute erst einmal da hatte, wo man sie haben wollte.
Nach der Zeremonie feierten sie ein Fest in der Burg. Arsa liess an die Dorfleute zusätzliche Rationen verteilen und für die Söldner holte er die letzten Weinfässer hervor. Erstens waren sie dadurch in guter Stimmung, zweitens würden sie danach umso begieriger sein, neues Land zu erobern, weil kein Wein mehr da war.
Arsa sass an seinem Tisch und beobachtete, wie einige der älteren Söldner sich über die jungen Rekruten lustig machten, von denen wohl die meisten das erste Mal betrunken waren. Für einmal liess Arsa sie gewähren. Er hatte zu gute Laune, um jemanden zusammen zu brüllen. Ausserdem hatte er einige der Söldner angewiesen, ein Auge auf die Jungen zu haben, wenn sie besoffen waren, damit sie es nicht übertrieben im Umgang mit den Dörflern.
Er führte den Weinbecher an seine Lippen und nickte der Lady zu. Sie lächelte schmal, stand auf und ging die Treppe hinauf in die oberen Räume, während ihr langes, edles Kleid sich bauschte. Arsa wartete noch einige Minuten, dann folgte er ihr. Er war sehr zufrieden mit sich. Er hatte sich eine Aufgabe gestellt und sie vollendet. Und jetzt würde er sich seine Belohnung holen.
Danva, in Ekain
Die Aufbauarbeiten in Ekain schritten schneller voran, als er sich erhofft hatte. Sie hatten bereits den ganzen Schutt, der von den Bränden übrig war, vor die Stadt geschafft und waren dabei, und arbeiteten nun an den Stadtmauern, als Danva einen neuen Auftrag erhielt. Er sollte das Kommando über die Truppen in Ekain einem seiner Offiziere übergeben und dann mit einer kleineren Truppe nach Westen ziehen, zum zerstörten Eyni. Erstens, um zu sehen, ob ein Wiederaufbau der Stadt überhaupt noch Sinn machte, zweitens auch, um das Rätsel um die verschwundene Stadtbevölkerung aufzuklären. Der Auftrag war nicht ganz ungefährlich, aber Danva blieb nicht viel anderes übrig, als ihn anzunehmen. Immerhin hatte er mit Reven einen Magier an seiner Seite.
Alyrna, in Avedis
Alyrna hatte ihre Macht in Avedis schneller gefestigt, als irgendjemand für möglich gehalten hatte. Die gegen sie gerichteten Adligen hatte sie mit wenigen Worten ihrer Ämter enthoben, einige davon sogar hinrichten lassen, anderen lediglich Titel und Lehen genommen, sodass sie mit ihrem Reichtum auch den Einfluss verloren. Zwei oder drei von ihnen versuchte Widerstand zu leisten, aber mit den Truppen, die Armelion ihr dagelassen hatte, und mit einer Bürgerwehr, die sie in kurzer Zeit aushob, brach sie ihn schnell. Die freigewordenen Landsitze vergab sie an niedrigere Adlige, die sie zu neuen Positionen erhob und sich dadurch günstig stimmte.
Es dauerte keine zwei Wochen um zu zeigen, dass Lady Alyrna mit harter Hand regierte. Aber da diese Hand vor allem Adlige und den korrupten Hofstaat traf, wurde sie beim Volk beliebt. Nur eines fehlte noch, um ihre Macht zu bestätigen, und das war die zugesichterte Bestätigung von Durien, dass sie nun Gräfin über Avedis war. Deshalb hatte sie den General losgeschickt zur Nachtzinne. Er hatte bereits einmal mit diesen Leuten verhandelt, er würde es erneut tun. Bald musste er die Nachtzinne erreichen.
If you're going through hell, keep going.

Mitte Februar
Armelion tauchte inmitten des Thronsaales auf. Für einen Moment konnte er Avis nicht erblicken und sah nur die Wachen, welche mit gezogenen Waffen auf ihn zustürmten. Erst dann entdeckte er sie. Der Dolch, den er ihr geschenkt hat, steckte in ihrer Brust und sie bewegte sich nicht. Ihre Augen waren vor Schock geweitet und ein dünnes Blutrinnsal lief aus ihrem Mund.
Mit einem erstickten Schrei kniete er neben ihr nieder und tastete nach ihrem Puls. Da war nichts. "Nein, nein, nein, nein. NEIN! AVIS! VERFLUCHT!" Er knotete den Beutel mit der Asche auf und holte zehn Körner raus. Ohne zu zögern schluckte er sie und legte die Hände auf ihre Wunde. Bevor er jedoch versuchen konnte seine Heilkräfte einzusetzen schlug ihm einer der Wächter den Schwertknauf gegen die Schläfe und die Welt wurde dunkel.
Als er wieder aufwachte war er angekettet und sein Kopf schmerzte höllisch. Armelion fühlte sich entsetzlich schwach. Etwas schien im seine Kräfte auszusaugen. Er blickte auf seine Hand runter und erkannte die Kette wieder, die er für die gefangene Schwarzmagierin hatte herstellen lassen. Er hob seinen Kopf und sah wie das andere Ende der Kette um ein dünnes Handgelenk geschlungen war. Die Besitzerin der Hand lehnte gegen die Wand ihm gegenüber. Es war die Schwarzmagierin Isilya. Als sich ihre Blicke trafen lächelte sie müde. "Du hast ganze Arbeit bei der Kette geleistet.", sagte sie mit leiser Stimme.
Er erwiederte nichts. Avis war tot und er war ihr in einem dunklen Verlies zusammen mit einer anderen Schwarzmagierin angekettet. "Ich habe gewusst, dass du irgendwann hier enden wirst.", fuhr sie fort. "Die Menschen hassen und fürchten dass was stärker ist als sie."
"Halt die Klappe!", fuhr er sie barsch an.
Sie tat so als ob sie ihn nicht gehört hatte, "Egal wie oft du ihnen hilfst und ihnen deine Loyalität erweist, irgendwann werden sie sich gegen dich wenden, weil sie deine Stärke fürchten. Das haben sie mit dir getan. Sie werden dir Avis Mord anhängen und dich hinrichten."
Armelion's Kopf ruckte hoch, "Woher weisst du dass sie tot ist?"
"Eine der Wachen hat dich einen verdammten Königinnenmörder genannt, da lag die Schlussfolgerung nahe.", erwiderte sie und blickte zu Boden. Die Gefangenschaft hatte ihr nicht gut getan. Sie wirkte bleich und apatisch. Geschah ihr recht. dachte er wütend. Sie hat die Toten wieder zum Leben erweckt und hunderte, wenn nicht gar tausende den Tod gebracht. Sie unterbrach seinen Gedankengang, als sie wieder zu sprechen anfing. "Ich habe es nicht freiwillig getan weisst du. Du hast meine Erinnerungen gesehen und..."
"Ich will mir deine verdammten Ausflüchte nicht hören.", knurrte er unwirsch. "Man hat immer eine Wahl und anschliessend muss man für das was man getan hat gerade stehen."
Sie wandte den Kopf ab und schnaubte. "Du hast keine Ahnung was mein Herr mir angetan hat. Er hatte seine unfehlbaren Methoden um uns zu beherrschen, doch jetzt bin ich frei und dafür danke ich dir. Nun ja zumindest frei von ihm." schränkte sie mit einem schwachen Lächeln ein.
Armelion wandte sich demonstrativ ab. Sie öffnete den Mund um noch etwas zu sagen, doch schloss ihn wieder als sie Schritte näher kommen hörten. Ein Schlüssel rasselte im Schloss und die Tür schwang auf. Manron stand im Türrahmen und sah mit einem breitem Lächeln auf die beiden Gefangenen runter. "Endlich bist du da wo du hingehörst Schwarzmagier.", sagte er und Triumph schwang in seiner Stimme mit. Das Funkeln in seinen Augen machte Armelion aber wesentlich unruhiger. "Schafft ihn in den Befragungsraum!", befahl Manron barsch und trat zurück. Sie zerrten Armelion auf die Füsse und lösten die Ketten um seine Füsse. Isilya wurde ebenfalls losgekettet. "Leider muss sie auch mitkommen. Wenn ich einem von euch die Kette abnehme, dann könnt ihr einfach so verschwinden. Es ist aber schon eine gewisse Ironie dabei, findet ihr nicht, General?" Das letzte Wort spie er praktisch aus. Er trat auf Armelion zu und blickte ihm in die Augen. "Ich begreife es nicht, wie einer wie du Freunde in unserem Land findet. Steapa weigert sich gegen dich auszusagen obwohl er dich niederschlug. Er sagt jemand anders hat Avis ermordet."
"Dann habt ihr kein Recht mich hier festzuhalten.", knurrte Armelion wütend.
Manron schenkte ihm ein strahlendes Lächeln und rammte ihm dann mit voller Kraft das Knie in den Unterleib. Der Elf sackte mit einem Stöhnen zusammen und wäre zu Boden gefallen hätten die Wachen ihn nicht aufrecht gehalten. "Leider sagen die anderen Wachen gegen dich aus. Zumindest drei von ihnen und das reicht um dich zu verurteilen. Ein Geständnis von dir wäre allerdings sehr von nutzen und würde die ganze Sache beschleunigen."
Armelion brauchte einen Moment um zu begreifen, was er meinte. "Ihr wollt mich hinrichten bevor Durien zurück ist. Ihr habt Angst er könnte alles aufklären. Ihr fürchtet euch vor ihm. Ha! Ihr seid nichts weiter als ein jämmerlicher..." Manron's Faust traf ihn mitten ins Gesicht und Armelion's Nase brach mit einem hörbaren Knacken. Für einen Moment wurde Armelion schwarz vor Augen und die Wachen schleiften ihn zum Verhörraum. Als er wieder zu sich kam fesselte ihn die Wachen auf eine langes tischähnliches Ding. Wieder brauchte er einen Moment um zu begreifen was vor sich ging, doch als er die Wahrheit erkannte wurde der Drang zu betteln so übermächtig, dass er sich auf die Lippen beissen musste. Manron hatte ohne Zweifel vor ihn zu foltern um ein Geständnis aus ihm herauszuholen.
"Wie lange denkst du wird Durien wohl brauchen um von Cadogan zur Nachtzinne zu gelangen Armelion? Eine Woche? Oder vielleicht zwei? In spätestens zwei Tagen wirst du darum betteln gehängt zu werden.", verkündete er ihm fröhlich und nickte einem der Wachen zu. Der Mann packte das Rad am Ende des Tisches und begann es zu drehen. Das leise Klappern der hölzernen Sperre verursachte Armelion eine Gänsehaut. Die Seile um seine Hand- und Fussgelenke begannen sich zu spannen. Manron hob einen dicken, kegelförmigen Holzknüppel hoch und liess ihn kreisen. "Ich hoffe für die, dass du nicht besonders stur bist. Die Streckbank kann sehr ungemütlich werden, vor allem wenn sie den Gespickten Hasen einsetzen. Hast du schon mal gesehen, was der mit einem Menschen anrichtet? Eine grässliche Sauerei sag ich dir. Aber zurück zum eigentlichen Thema: Gibst du zu Avis ermordet zu haben?"
"Nein und ich werde es niemals..." Der Rest seines Satzes ertrank in einem erstickten Schrei als Manron ihm den Knüppel in die Rippen rammte.
"Lass mal sehen wie viel so ein Elflein aushält. Robert! Zieh den Elfen mal ein bisschen in die Länge!"
Die Wache nickte und das Rad begann sich wieder zu drehen.

Er war ein Wrack. Er hatte Mühe den Kopf zu heben und die Welt interessierte ihn kaum noch. Das einzige was er hoffte, dass noch ein paar Minuten verstrichen bevor Manron zurückkam. "Du hast es immer noch nicht zugegeben.", flüsterte eine leise Stimme und unverholener Stolz schwang in ihrer Stimme mit. Armelion öffnete müde die Augen und blickte hoch. Isilya blickte auf ihn runter und strich ihm das verfilzte Haar aus dem Gesicht. "Du hast gebettelt und geheult, doch du hast nicht die Worte gesagt, die er will."
Armelion schloss wieder die Augen. Er hatte wesentlich mehr getan als gebettelt. Er hatte geschrien, gefleht und als sie ihm das linke Knie mit dem Knüppel zerschmetterten, hatte er sich eingenässt und war ohnmächtig geworden. Sie nahmen ihm einfach alles. Seine Würde, seinen Stolz, sie zerbrachen ihn Stück für Stück. Morgen würden sie ihm den gespickten Hasen vorführen. Manron hatte es ihm versprochen und ihm die Stachelrolle vor die Augen gehalten. Das würde ihm den Rest geben. "Wie lange?", fragte er schliesslich.
"Das ist der achte Tag.", erwiderte sie leise. Armelion stöhnte erstickt auf. Es erschien ihm eher als wären acht Jahre vergangen. "Shhh, shhh, shhh. Es wird bald vorbei sein. Ich versprech es dir.", flüsterte Isilya. Während den acht Tagen waren sie sich näher gekommen. Sie hatte ihn gepflegt, als sie ihn nach dem ersten Tag wieder in die Zelle geworfen hatte und ihm von ihrem Leben erzählt. Überhaupt hatte sie sehr viel geredet. Er war meistens in einem dämmerartigen Zustand dagelegen und hatte gehofft, dass die Schmerzen ihm einfach das Leben nehmen würden. Diese Hoffnung hatte sich bis jetzt noch nicht erfüllt. Der Schlüssel rasselte wieder im Schloss und Manron und seine zwei Wachen traten ein. Der Lord hatte einen mürrischen Gesichtsausdruck und als er Isilya anblickte loderte der pure Hass in seinen Augen. "Packt ihn wieder auf die Streckbank, bindet aber nur seinen linken Fuss fest. Mal sehen wie viel sein Bein noch aushält bevor es durchreisst."
Armelion hatte nicht einmal die Kraft sich zu wehren. Er stöhnte lediglich als die zerschmetterten Knochen in seinem linken Knie gegeneinander rieben. Als er die stachelbesetzte Rolle auf der Streckbank sah begann er am ganzen Körper zu zittern und zu schwitzen. Er begann schon zu betteln als sie ihn auf die Streckbank legten, doch als Manron ihn wieder fragte ob er den Mord gestehen wollte, sagte er nichts. Er traute sich einfach nicht. Er wollte nein sagen, doch er fürchtete, dass wenn er den Mund aufmachte ein Ja rauskommen würde.
An den Rest würde er sich nicht mehr oder nur verschwommen erinnern. Isilya sass wieder auf dem Boden neben der Streckbank und vielleicht schöpfte er durch ihre Nähe Kraft. Jedenfalls gab er den Mord immer noch nicht zu. Als sie ihn wieder in die Zelle brachten war sein ganzer Rücken nur rohes Fleisch. Er hatte keinerlei Gefühl von seinem linken Knie an abwärts, wofür er aber eher dankbar war. Er war am Ende. Noch einen Tag würde er nicht mehr durchstehen. Isilya bettete seinen Kopf auf ihren Schoss und strich ihm über den Kopf. "Er wird bald hier sein.", flüsterte sie. Bald. Du wirst schon sehen."
Armelion schloss lediglich die Augen und schlief trotz seiner Schmerzen schlussendlich vor Erschöpfung ein.

Als Danva mit seinen Soldaten in Eyni eintraf, sahen sie schnell, dass von der Stadt überhaupt nichts mehr zu retten war. Die Stadt war komplett ausgebrannt, und was an Fundamenten noch übrig gewesen war, war durch die Winterkälte geborsten. Die Stadtmauern sahen aus, als hätte ein riesiges Monster sie zermalmt. Der Hafen war zwar nicht ganz so arg in Mittleidenschaft gezogen worden wie der Rest, aber Danva erkannte, dass es einfach sein würde, einige hundert Meter weiter eine komplett neue Stadt samt Hafen zu bauen, als diesen Trümmerhaufen zu räumen. So wie sie es damals nach dem Grossen Krieg der zwei Reiche mit Nurmen getan hatten.
Er schickte sofort einen Boten mit der Nachricht in Richtung der Nachtzinne, dann liess er die Männer ein Lager aufbauen. Am folgenden Tag untersuchten sie die Stadt genauer. Danva spürte den Unwillen seiner Männer, das Ruinenfeld zu betreten, und er konnte es ihnen nachempfinden. Was sie hier erlebt hatten, war die Hölle gewesen, und viele Kameraden waren gestorben, zerfetzt von den Explosionen oder bei lebendigem Leibe verbrannt.
Reven, der damals nicht dabei gewesen war, starrte mit offenem Mund um sich. "Was hat das hier angerichtet?"
Danva erzählte ihm, was in der Nacht der Flammen vorgefallen war und schloss mit dem Auftrag, den sie nun hatten, die verschwundene Stadtbevölkerung zu suchen.
Reven dachte eine Weile nach. "Ich würde mal in den umliegenden Dörfern nachfragen" meinte er schliesslich. "Vielleicht haben sie bei der Evakuierung geholfen. Oder sie können zumindest etwas gesehen haben."
If you're going through hell, keep going.

Isilya betrachtete den Elfen mit gemischten Gefühlen. Er hatte sie gefangen und einsperren lassen und dennoch war er es, der jetzt gefoltert wurde. Nur weil er in eine politische Intrige hineingeraten war. Sie war bis jetzt verhältnismässig gut behandelt worden. Ab und zu hatte einer der Wachen in ihr Essen gespuckt, doch mehr war nicht geschehen. Keiner hatte versucht sie zu schänden oder hatte sie sonstwie misshandelt. Sie war sich sicher, dass sie den Schutz Avis, Durien oder Armelion verdankte. Warum wusste sie nicht? Isilya hätte sie getötet, wenn sie die Chance gehabt hätte. Nicht weil sie es wollte, sondern lediglich weil ihr Herr es wünschte. Jetzt hatte sie die Chance. Sie müsste die Kette lediglich um Armelion's Hals schlingen und zuziehen. Er wäre ihr höchstwahrscheinlich noch dankbar dafür. Dennoch zögerte sie und sie verstand einfach nicht warum. Mit Mühe rollte sie ihn auf den Bauch und bettete seinen Kopf wieder auf ihren Oberschenkel. Damit lag er zwar auf den Brandwunden, doch immerhin konnte sie die frischen Wunden an seinem Rücken pflegen.
Faulendes Stroh klebte an Armelion's zerschundenen Rücken und sie begann die einzelnen Halme mit spitzen Fingern wegzupflücken. Er zuckte nicht einmal. Langsam begann sie sich zu sorgen. Starb er? Sie tastete nach seinem Puls und fand ihn. Schwach aber regelmässig.
Die Türe zu ihrer Zelle ging wieder auf und einer der Wächter kam rein. Es waren im gesamten fünf. Zwei die Armelion immer zur Folterkammer brachten, Einer der die Zelle säuberte und noch zwei, die Wache hielten während Manron seinen Geschäften nachging. Der Wächter blickte den zerschundenen Körper des Elfen an und erschauerte sichtlich. Ohne ein weiteres Wort stellte er den Krug mit Wasser und eine Schüssel mit Brot ab und ging wieder.
Der zweite Ruf hatte sie am vierten Tag erreicht. An dem Tag hatte Manron dem Elfen mit einer Pechfackel zugesetzt. Sie bezweifelte, dass Armelion den Ruf überhaupt wahrgenommen hatte. Er war zu beschäftigt damit gewesen nicht die Worte zu sprechen, die Manron hören wollte.
Isilya hob den Wasserkrug hoch und goss vorsichtig ein wenig vom Wasser auf Armelion's Rücken. Seine Augen öffneten sich und er leckte sich die Lippen. Sie verstand. Mühsam half sie ihm sich aufzusetzen und hob dann den Wasserkrug an seine Lippen. Langsam flösste sie ihm einige Schlucke ein, bevor sie den Krug wieder sinken liess. Schon diese kleinen Schluckbewegungen schienen ihn an die Grenzen seiner Kräfte gebracht zu haben. Er wurde wieder Ohnmächtig. Isilya legte ihn wieder hin und zog die Knie an. Das Brot ass sie selbst. Sie würde die Kräfte brauchen, wenn sich mal eine Gelegenheit zur Flucht ergeben sollte. Die Kette nahm ihr zwar immer ihre Kräfte, doch irgendwann würde den Wachen sicherlich ein Fehler unterlaufen.
Einige Stunden später hörte sie das Getrappel von mehreren Stiefeln näherkommen. "Ich hätte nicht gedacht, dass er so bald schon hier sein wird. Tötet ihn und werft seine Leiche in den Fluss. Die Strömung wird ihn ins Meer raustragen. Mit der Elfenschlampe könnt ihr machen was ihr wollt."
Sie hörte zustimmendes Gemurmel und dann entfernte sich wieder ein Stiefelpaar. Das musste Manron sein. Er wollte nicht dabei sein, wenn sich seine Leute die Hände schmutzig machten. Die Kerkertüre öffnete sich quietschend und offenbarte fünf Männer. Robert stand zuvorderst. Er hielt ein gezogenes Schwert in der Hand. "Ihr werdet umquartiert.", sagte er mit einem hämischen Grinsen. Robert ging rüber zu Armelion und stellte ihm den Stiefel auf die offenen Wunden in seinem Rücken. Der Elf stöhnte erstickt auch und machte eine schwache Bewegung, als ob er sich wehren wollte. Der Mann schüttelte den Kopf. "Du weisst einfach nicht wann du aufgeben sollst, Elflein." Er hob das Schwert und liess die scharfe Klinge in einer schnellen Bewegung runterfahren. Im selben Moment als er das Schwert hob sprang Isilya nach vorne und riss ihren linken Arm hoch. Gleichzeitig zog sie Kette mit ihrer rechten Hand vor Armelion's Hals. Der Stahl trennte ihr sauber die linke Hand ab, wurde von der Kette abgelenkt und prallte gegen den Boden. Sie war frei! Das war der Fehler auf den sie gewartet hatte!
Isilya liess die Kette fallen und packte Robert mit der rechten an der Kehle. Der Soldat reagierte blitzschnell und rammte ihr die Klinge bis zum Heft in die Brust. Isilya bleckte die Zähne. Schwarze Rauchschwaden stiegen von der Wunde in ihrer Brust auf, doch die Energie für den Zauber nahm sie von Robert. Sein Mund öffnete sich in einem stummen Schreckensschrei, doch bevor er einen Ton hervorbringen konnte, riss Isilya den letzten Lebensfunken aus ihm raus zusammen mit seiner Seele. Sie verschwand, tauchte vor einem weiteren Soldaten auf und stahl ihm ebenfalls die Lebenskraft bevor das Schwert zu Boden fallen konnte. Jetzt hatte sie genug Energie um die Blutung zu stillen. Wieder verschwand sie, presste einem weiteren Soldaten den Stumpf ins Gesicht und packte einen weiteren an der Kehle. Innert wenigen Sekunden hatte sie vieren die Lebenskraft und die Seelen gestohlen. Der fünfte war klug genug auf dem Absatz umzudrehen und davonzulaufen. Isilya hob ihren linken Arm und bellte einen Befehl. Ein schwarzer Fangarm schoss aus dem Stumpf heraus und schlang sich rasch um den Körper des Mannes, bevor er die Treppen hochkam. Er zappelte und schrie als er wieder zurückgezogen wurde, doch es war nutzlos. Isilya legte ihm die rechte Hand auf die Stirn und nahm auch ihm die Lebenskraft. Die fünf Seelen bannte sie in den Dolch des Soldaten und nahm ihn an sich. Sie würde die Kraft noch brauchen.
Sie drehte sich wieder zur Zelle um und ging hinein. Armelion lag noch immer regungslos auf dem Bauch in der Zelle. Ein Ende der verzauberten Kette war noch immer um seine rechte Hand geschlungen. Sie kniete sich neben ihn hin und packte seine rechte Hand. Mit einem Zauber brach sie ihm die Knochen in der Hand und zog sie dann aus der Kette raus. Auf ein paar gebrochene Knochen mehr kam es bei ihm sicher nicht drauf an. Anschliessend legte sie ihm die Hand auf den Kopf und im nächsten Augenblick waren sie beide verschwunden.

Ende Februar
Durien war fassungslos gewesen als er von Steapa die Nachricht vom Tod seiner Schwester Avis erhielt. Ohne zu zögern war er mit einer kleinen Eskorte von zwanzig Berittenen zur Nachtzinne geprescht. Beim Haupttor war er auf Manron und eine Ehrengarde getroffen.
"Ich drücke euch mein tiefstes Beileid aus. Ich habe Königin Avis immer bewundert und geschätzt. Es ist eine Tragödie. Natürlich habe ich den Mörder Armelion sofort einsperren lassen."
"Wo ist er?", fragte Durien barsch ohne sich mit irgendwelchen höflichen Floskeln aufzuhalten.
"Wer?"
"Armelion du verdammter Trottel!"
Manron überging die Beleidigung und verbeugte sich. "Wenn ihr mir bitte folgen wollt, dann führe ich euch zu euren Quartieren. Ich werde euch dann alles Einzelheiten erklären." Er liess einen abschätzigen Blick über Duriens verschwitzte und verstaubte Reisekleider schweifen.
"SEID IHR TAUB ODER LEDIGLICH DUMM!", brauste Durien auf. Was fiel diesem aufgeblasenem Sausack ein. Er führte sich auf als sei er der Herr der Stadt. Was er vermutlich inzwischen auch war. Er hatte die Zeit nach Avis Tod sicher genutzt um seine Position in der Nachtzinne zu festigen. Durien nahm einen tiefen Atemzug um sich zu beruhigen, doch es brachte nichts. Seine Schwester war ermordet worden. Er hatte weder Zeit noch die Geduld für irgendwelche Höflichkeiten. "Ihr sagt mir jetzt wo dieser verdammte Elf ist!", befahl er barsch.
Manron schluckte. Er hatte gehofft für seine Männer etwas mehr Zeit gewinnen zu können. "Ich bin seit seiner Festnahme nicht bei ihm gewesen." Durien warf ihm einen vernichtenden Blick zu und Manron fuhr schnell weiter, "Er ist zusammen mit der Schwarzmagierin in eine Zelle im dritten Untergeschoss gesperrt worden."
Durien gab seinem erschöpften Reittier die Sporen und preschte durch Manron's Empfangskomitee hindurch. Durien's Soldaten folgten ihm ohne zu zögern und liessen Lord Manron in einer Staubwolke zurück. Der Graf von Tyre sprang aus dem Sattel sobald er die Zitadelle vor sich sah und Steapa folgte ihm dicht auf den Fersen. "Jetzt erzähl mir nochmal was genau vorgefallen ist!"
Steapa nickte, "Ich hörte Stimmen und sah kurz ein rotes Licht aufblitzen. Ich machte mir Sorgen und ging deshalb in den Thronsaal. Ich sah wie...." er brach ab und schüttelte den Kopf.
"Wie was!?", knurrte Durien unwirsch.
"Ich sah wie jemand, der genau wie General Armelion aussah ihr ein Messer in die Brust stiess, doch etwas war falsch. Wie ihr wisst habe ich lange mit dem Elfen gekämpft und dieser Armelion bewegte sich anders, als denjenigen, den ich kenne. Seine Bewegungen waren abgehackter und irgendwie präziser. Ich zog mein Schwert und lief los. Als sich eine der Säule umrundete kniete er neben ihr und zog ihr das Messer wieder aus der Brust. Er legte seine Hände auf ihre Wunde und dann schlug ich ihn nieder. Ich dachte das wäre sicherer. Ich schaute nach Avis aber sie war schon tot. Der Dolchstoss hatte ihre Lunge und eine grosse Arterie durchtrennt, keine Magie der Welt hätte sie retten können.", berichtete er rasch. Durien nickte knapp. Das Ganze klang unglaubwürdig. Warum sollte Armelion Avis töten wollen? Er hatte sie schliesslich vor Alvian gerettet? Das ganze machte einfach keinen Sinn.
Sie bogen in einen breiten Gang ein, der zur den Zellen führte, doch vor der Türe standen mehrere Wachen im Livree von Manron. Als sie die beiden Gestalten in ihren dreckigen Reisekleidern erblickten kreuzten sie ihre Hellebarden um ihnen den Durchgang zu verweigern. "Keiner darf die Gefangenen besuchen. Befehl von Lord Manron!", sagte eine der Wachen barsch. Durien zog in einer blitzschnellen Bewegung sein Langes Messer und drückte sie dem Sprecher gegen die Kehle.
"Ich bin Durien, Graf von Tyre und du lässt mich jetzt durch oder..." Er liess den Satz unvollendet, doch sein Blick sprach Bände. Hastig traten die beiden Wachen zurück.
"Natürlich könnt ihr passieren. Wir haben euch nicht erkannt.", murmelte die Wache entschuldigend und fummelte mit fahrigen Fingern nach dem richtigen Schlüssel. Durien war versucht ihn wieder anzufahren, wartete jedoch ungeduldig bis die Tür aufgeschlossen war. Bevor er jedoch auch nur einen Schritt in die Kerker hinein machen konnte stürmte ihm ein entsetzter Wächer entgegen. "Tot! Alle tot! Robert, Ed,... Die Elfen haben sie getötet und sind dann geflohen."
Durien stiess ihn zur Seite und lief runter. Steapa zog sein Schwert und folgte ihm. "Das sieht ihm nicht ähnlich, Herr.", sagte er leise.
"Ich weiss.", erwiderte Durien knapp. Der Armelion, den er kannte, hätte gewartet und auf ein gerechtes Urteil gehofft. Was überlegte er sich da eigentlich? Wieso sollte der Elf warten, wenn er seine Schwester umgebracht hatte? Wieder fiel ihm auf wie wenig Sinn, diese ganze Geschichte machte.
Die erste Leiche fanden sie direkt vor der Zellentür. Das pure Grauen war ihr ins Gesicht geschrieben und die Augen starrten leblos auf einen Punkt an der Decke. Die anderen vier lagen in der Zelle selbst. Auch ihnen schien äusserlich nichts zu fehlen, dennoch lagen sie alle tot auf dem Boden. Das sonderbarste war jedoch das blutige Schwert und die abgeschlagene Hand auf dem Boden neben der verzauberten Kette. Steapa kniete sich hin und hob die Hand mit spitzen Fingern auf. "Die ist zu klein für Armelion. Ich schätze die gehörte der Schwarzmagierin."
Durien nickte nur und schaute sich um. "Was zur Hölle ist hier bloss passiert? Hat er wirklich Avis getötet oder war es jemand anders?", murmelte er leise. Mehr zu sich selbst als zu Steapa, der sich aber dennoch angesprochen fühlte.
"Keine Ahnung, Herr. Wir sollten die Wachen befragen, was hier passiert ist. Vielleicht finden wir etwas heraus."
Durien nickte nur und wandte sich zum gehen. Er musste seiner Schwester die letzte Ehre erweisen und sich um Biarn und Mariika kümmern. Ausserdem musste er endlich Alyrna zur Gräfin von Avedis erklären. Er fuhr sich mit einer Hand durch sein kurzes graues Haar und seufzte. Die Last auf seinen Schultern schien Tag für Tag schwerer zu werden. Kein Wunder dass er schon mit 26 Jahren graue Haare hatte.

Danva, bei den Ruinen von Eyni
Sie taten genau das, was Reven vorgeschlagen hatte. Die Dörfer direkt um Eyni waren zwar genauso geräumt worden wie die Stadt, aber weiter hinauf und hinunter die Küste hatte es genügend Fischer. Sehr schnell stellte sich heraus, dass diese vom Evakuationsplan gewusst hatten, über Verwandte, aber auch schlicht durch die Vorbereitungen, die die Stadt getroffen hatten. "Sie haben alles auf Schiffe gepackt", sagte ein Fischer. "Mein Bruder hat es mir gesagt. Er kam sich verabschieden, weil er nicht wusste, ob sie zurückkehren würden."
"Wohin sind sie gefahren?", fragte Danva.
"Ich weiss es nicht", sagte der Fischer. "Aber wohl nicht sehr weit. Man kann nicht so viele Leute und genug Lebensmittel für eine lange Reise auf die Schiffe und Boote packen, die Eyni konfisziert hatte."
Danva bedankte sich für die Auskunft, hörte sich noch bei einigen anderen Leuten um und kehrte dann zurück zu den Zelten, die sie ausserhalb des Dorfes aufgebaut hatte. Er betrat sein Zelt, holte eine Karte der Gegend aus einer Rolle hervor und breitete sie auf dem Klapptisch aus. Dann wandte er sich an Reven und den Offizier, der ihn begleitet hatte. "Sie müssen irgendwo hier zumindest zwischengelandet sein", sagte er und zog einen Umkreis um Eyni, der etwa zwei bis drei Tagesreisen mit einem langsamen Segelschiff entsprach. "Die Küste nördlich von hier kommt nicht in Frage, da sind Leute von uns stationiert, das hätten wir erfahren. Tyre ebenso. Hätten sie es bis auf Boden von Gevira schaffen können?"
Der Offizier schüttelte den Kopf. "Sie hätten nicht damit rechnen können, dort aufgenommen zu werden. Gevira war zu dem Zeitpunkt noch mit uns verfeindet. Ausserdem hätten sie dazu den Eingang der grossen Bucht entweder passieren müssen, was unserer dort stationierten Flotte aufgefallen wäre, oder aber weit umfahren, aber dazu hätten sie zu lange gebraucht."
Danva nickte. "Dann müssen wir uns auf das Gebiet südlich von hier konzentrieren. Was liegt hier an der Küste?"
"Bis hier runter ist es Einflussgebiet von Vaesna", antwortete der Offizier und deutete auf eine schmale Linie. "Das haben wir damals abgesichtert, dort können sie nicht gelandet sein. Diese Ecke hier gehört zu Dara. Dafür gilt dasselbe. Dahinter kommt das Ödland."
"Das Ödland?" Danva hob eine Augenbraue. "Was hat es damit auf sich?"
"Die Küste dort ist zu rauh, um mit Schiffen anlegen zu können", erklärte der Offizier. "Deshalb wurde das Gebiet niemals richtig besiedelt. Nur einige wenige Dörfer stehen dort, die nicht direkt unter jemandes Schutz stehen."
"Eine recht einsame Gegend", pflichtete Reven bei. "Ich war mal da. Die mögen dort keine Fremden."
"Was kommt hinter dem Ödland?", fragte Danva.
"Ein anderes Reich", antwortete der Offizier. "Korodraim nennt es sich. Wir hatten lange nichts mehr mit ihnen zu tun. Das Ödland ist weit genug, um keine Grenzstreitigkeiten aufkommen zu lassen."
Reven zündete sich eine Pfeife an. "Die Leute von Korodraim haben ausserdem kein Intresse an dem Land hier. Ist ihnen zu kalt. Ich hab gehört, bei ihnen im Süden gibt es keinen Winter."
"Die Strecke dorthin ist zu weit, als dass die Schiffe sie hätten in einem Zug fahren können", meinte Danva nachdenklich. "Die Frage ist nur: wo zum Teufel sind sie dann?"
Arsa, in seinem Dorf
Er hatte Kundschafter ausgeschickt, um herauszufinden, wie es politisch gesehen um das Land stand. Sie waren zurückgekehrt, und die Bilanz war durchzogen. Durien hatte es schneller als erwartet geschafft, die Grafschaften zu unterwerfen. Arsa hatte damit gerechnet, dass sich die Kämpfe darum noch einige Monate hinziehen würden. Das hiess, er musste vorsichtig sein.
Was er herausgefunden hatte, war dass das Heer, dass zuletzt in Cadogan stationiert gewesen war, nun in den Norden zog. Da Cadogan über keine eigenen Truppen mehr verfügte - sie waren alle im Krieg gefallen - hatten sie dort nun nur eine kleine Garnison zur Verfügung, die Durien zurückgelassen hatte, während das Hauptheer in der Nachtzinne war, ein Teil in Ekain. Das bedeutete, er würde zuerst in Richtung Süden expandieren, denn dort hatte er mit kaum Widerstand zu rechnen.
If you're going through hell, keep going.

Durien sass in seinem Zimmer und hörte Biarn's Schluchzen zu. Sein Vater hätte ihn vermutlich angefahren und ihm befohlen sich zusammen zu reissen. Zum Glück war der alte Säufer bei einem Sturm ertrunken. Durien riss sich aus seinen Gedanken raus und trank einen kräftigen Schluck verdünnten Weines. Er musste einen klaren Kopf bewahren. Die grossen Städte waren gesichert. Er traute Cadogan nicht, aber er hatte einige der fähigsten Männer der Stadt zu deren Anführer bestimmt. Jetzt musste er Reiter ausschicken. Zu jedem einzelnen Dorf. Sie würden aufschreiben, wie viele Menschen noch lebten und ihre Besitztümer verzeichnen. Ausserdem würden die Soldatengruppen kleinere Banditentruppen verjagen.
Der lange Arm war schon zurückgedrängt worden. Er hatte die Hälfte seiner Leute verloren, als Benjen ihnen mit einer kleinen Reitertruppe einen Hinterhalt gelegt hatte. Der Anführer war geflohen und für den Moment unauffindbar. Die Dörfer in der Gegend waren hingegend wieder sicher.
Die Späher würden aus Gruppen zu je 20 Mann bestehen. Jede Woche würde einer losziehen um Bericht zu erstatten. Fiel ein Bericht aus, dann würden sie sofort wissen in welchem Gebiet der Reitertrupp verschwunden war, da jede Gruppe eine bestimmte Zone durchkämmen musste. Er schrieb die entsprechenden Befehle auf und schickte sie mit einem Schreiber zu seinen Offizieren. Schon bald konnten sie anfangen die Ländereien der Nachtzinne Stück für Stück zu durchkämmen. Von den anderen Städten würden sie ebenfalls so vorgehen. Er würde noch einen Brief an die Gräfin Alyrna schreiben müssen und sie bitten dies ebenfalls zu tun.
Plötzlich klopfte es an der Türe und Steapa trat ein. Seit Armelion's Verschwinden führte er jetzt die Königliche Garde an. Er zögerte einen Moment, sagte dann jedoch, "Prinz Biarn wünscht euch zu sehen."
"Sag ihm, ich habe keine Zeit.", entgegnete Durien unwirsch.
Steapa nickte knapp und drehte sich um, "Es nützt dem Jungen nichts wenn ihr euch in Selbstmitleid verliert oder euch in eurer Arbeit ertränkt, Herr. Er ist erst 6 und ihr solltet ihm ein wenig eurer kostbaren Zeit widmen." Ohne auf eine Antwort zu warten, schlug der Captain der Königlichen Garde die Türe hinter sich zu und stiefelte davon. Durien war für einen Moment lang sprachlos. Solche Frechheiten waren ihm schon seit längerem nicht mehr untergekommen. Er musste aber zugeben, dass Steapa recht hatte. Er sollte dem Jungen wirklich ein wenig Zeit widmen. Mit einem schweren Seufzer stand er auf, trank den verdünnten Wein in einem Zug aus und machte sich dann auf den Weg.

Danva brütete die halbe Nacht über der Karte, aber er kam auf keinen grünen Zweig. Da war keine Küste, die anlaufbar war, im möglichen Umkreis und nicht von ihnen kontrolliert wurde. Wo waren diese verfluchten Schiffe wieder gelandet? Oder hatte man sie mit Magie schneller gemacht? Oder gleich ganz verschwinden lassen? Immerhin waren ihre Feinde Schwarzmagier gewesen. Aber so viel er wusste, hatte sich Vaesna nicht mit denen verbündet, sie waren erst nach dem Fall von Eyni wirklich auf den Plan getreten. Das hiess natürlich nicht, dass nicht doch Magie im Spiel war, da war immerhin diese komische Frau mit der Maske gewesen...
Als er aufwachte, lag er mit der Stirn auf der Karte. Er richtete sich ächzend auf, rieb sich den Kopf und wischte einen Spuckefleck von der Karte. Da entdeckte er etwas, das ihm vorher nicht aufgefallen war, weil er die ganze Zeit nur die Küsten abgesucht hatte. Südwestlich von Tyre, ein gutes Stück vor der Küste, lag eine kleine Insel. Von der Grösse her konnten es kaum mehr als einige Felsen mit etwas Wiese und Sandbank darum herum sein. Konnte man an so einem Ort eine ganze Stadtbevölkerung verstecken? Ja, durchaus. Aber wie sollte man sie versorgen, mit Wasser und mit Lebensmitteln? Es schien unmöglich. Und doch war es der einzige Ort in der ganzen Gegend, der wenigstens Ansatzweise in Frage kam.
Sofort kramte Danva ein Papier und eine Feder hervor, um einen Brief an Durien zu verfassen. Er brauchte Schiffe.
If you're going through hell, keep going.

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