Ro leerte den noch halbvollen Becher, den sie irgendwie zwischenzeitlich vergessen hatte, stellte ihn auf den Tisch und sah erst die rothaarige Frau, dann Maenavry an.
"Dein Clan weiss nix von ihr, oder?", fragte sie letzteren verschwommen.

"Dann würd ich an deiner Stelle zusehn, dass das so bleibt", lallte Ro, wollte einen Schluck trinken und stellte fest, dass der Becher leer war. "Sie wären nich begeistert."
"Wieso?", fragte die Marketenderin und sah Maenavry an.

(armer Maenavry )

"Hey, ich wollt dich nur warnen", sagte Ro leicht eingeschnappt. "Ich kenn mich aus damit."
Sie stand auf, den Becher in der Hand und stützte sich schwer auf den Tisch. "Aber natürlich, Lord Serpeta, is ja nicht mein Problem."
Darauf wankte sie zur Theke, um sich noch einen Becher Schnaps zu holen. Eigentlich war ihr klar, dass sie sturzbetrunken war. Aber das machte ihr nichts aus.
Kann ihr nicht mal jemand ihre Klappe stopfen?, fragte sich die Marketenderin.

"Ihr habt vorhin gesehen, was sie dazu meinte, als ich es versucht habe", meinte Machek mit hochgezogenen Augenbrauen. Seine Schulter schmerzte immer noch. "Ich schätze, sie wird es umso weniger tun, je mehr ich es sage."
Ro kehrte mit einem Becher Schnaps zurück und schaffte es, kurz vor dem Tisch über ihre eigenen Füsse zu stolpern. Ihre Reflexe funktionierten noch so weit, dass sie den Becher losliess, um sich abzufangen. Sie fand mit einer Hand Halt auf der Tischplatte, mit der anderen stützte sie sich auf Maenavry ab.
Das war der Moment, in dem es der Marketenderin endgültig reichte. Sie holte aus und verpasste Ro eine schallende Ohrfeige.
Ro war einen Augenblick lang völlig perplex, aber dieser Augenblick war nicht sehr lange. Sie dachte nicht nach, sondern ballte die Faust und holte aus, um zurückzuschlagen.

Ro riss die Hand zurück, um erneut zuzuschlagen. Sie liess sich von niemandem einfach so Ohrfeigen, verdammt nochmal!
Dann, in einem plötzlichen Anfall von Klarheit, wurde ihr bewusst warum die Frau sie vermutlich geohrfeigt hatte. Sie wich einen Schritt zurück und stammelte: "Tut mir leid. Ich wollte nicht..."
Sie brach ab, als sie merkte, dass sie kurz davor war loszuheulen. Sie biss sich auf die Lippen. Du hast gesagt, du weinst nicht mehr deswegen. Es bringt nichts.
Mühsam rang sie die Tränen nieder. "Ich... ja, ich... gehe..."
Damit drehte sie sich um und stolperte ohne ein weiteres Wort zur Treppe.
Machek hob eine Augenbraue. "Das war effektiv."

Ro erreichte den oberen Treppenabsatz auf allen vieren, weil sie auf der drittletzten Stufe gestolpert war. Sie rappelte sich auf und wäre beinahe über Alastar gefallen, der an der Wand lag, die Beine quer über den Gang ausgestreckt. Sie sah auf ihn hinunter und versuchte das Drehen in ihrem Kopf zu ignorieren. Er tat ihr leid. Er tat ihr so leid.
Sie ging neben ihm auf die Knie, umfasste seinen Oberkörper mit den Armen, stemmte sich wieder hoch und zog ihn ins Zimmer, wobei seine Füsse auf dem Boden nachschleiften, weil er schlicht zu gross war, als dass sie ihn ganz hätte hochheben können. Sie legte ihn in eines der Betten und deckte ihn zu, wobei sie sich an der Wand abstützen musste, um nicht hinzufallen.
Dann taumelte sie zu einem anderen der Betten und schaffte es gerade noch, die Decke beiseite zu schieben, bevor sie kopfüber auf die Strohmatratze fiel und einfach liegen blieb. Sie dachte an Maenavry Serpeta und seine Geliebte. Nicht weinen, sagte sie sich. Nicht weinen.
Sie schaffte es, das Schluchzen zu unterdrücken, indem sie sich auf die Lippen biss, bis sie bluteten. Aber die Tränen, die ihr über die Wangen liefen, konnte sie nicht verhindern.