"Wir gehen nach Kor", sagte Ro und schulterte den Stab, den ihr Growndrill gegeben hatte.
Sie hatte sich die Fäden selbst gezogen in den letzten Tagen und während den Rasten hatten sie gegeneinander Übungsduelle ausgefochten. Sie war wieder kampfbereit. Noch immer nicht so stark, wie als sie Drez verlassen hatte, aber sie war verdammt nochmal schon als neunjährige in die Schlacht gezogen. Es kam nicht auf die Kraft an. Man musste nur schnell und präzis sein. Und das war sie.
Sie näherten sich der Stadt weiter vorsichtig, aber sie konnten nirgends eine Armee ausmachen, die auf irgendeinem Berghang lauerte. Auf der Südstrasse, die in einer weiten Bogenbrücke den Fluss überspannte und sich dann in Serpentinen den Hang hinauf schlängelte, traten sie auf das Stadttor zu, durch das sie wenige Monate zuvor noch geflohen waren. Ro beobachtete die Mauern und sah sofort, dass sie mit mehr Soldaten bemannt waren, als es in Friedenszeiten der Fall gewesen wäre. Das grosse Tor war geschlossen. Ihr Blick ging zum Banner, das über den Zinnen wehte. Sie war sich nicht sicher.
"Ist es noch dasselbe Banner?", fragte sie Alastar und Growndrill.

"Ich hoffe nicht", meinte Ro. "Ich wäre sonst arg versucht, sie einen Kopf kürzer zu machen, und ich weiss nicht, wie gut das ankäme."
Sie dachte nach. Wenn es nicht mehr das selbe Banner war... bedeutete das, die Stadt war bereits erobert? Aber sie sah nirgends Einschusslöcher oder irgendetwas. Das musste aber nichts heissen, vielleicht hatten sie die Eroberer ja doch mit offenen Armen empfangen. Die Situation hier in Kor war recht... wirr gewesen, wenn sie sich richtig erinnerte.
Nun, vermutlich blieb ihnen nichts anderes übrig als zu fragen. Unbeirrt marschierte sie weiter auf das Tor zu.
Noch bevor sie auf hundert Meter daran heran waren, hatte man ein halbes Dutzend Armbrüste auf sie gerichtet. Ro hob die Hände zum Zeichen, dass sie nicht vorhatten zu sechst eine schwer befestigte und bewachte Stadt anzugreifen und ging langsam weiter vor. Als sie sich dem Tor bis auf etwa zwanzig Meter genähert hatten, brüllte einer der Zwerge auf der Mauer: "Wer seid ihr?!"
"Wir sind Söldner!", rief Ro zurück. "Wir haben gehört, ihr steht im Krieg. Wir können für euch kämpfen, wenn ihr uns bezahlt."

(haha, Shagan ist so goldig)

Einige Atemzüge lang herrschte Schweigen und sie konnte selbst auf die Distanz sehen, wie der Zwerg abwägte. Schliesslich rief er. "Gut! Wartet, wo ihr seid!"
Nochmal eine kurze Weile später erklang das Geräusch eines schweren Mechanismus und einer der Torflügel schwang etwa anderthalb Meter weit auf. "Tretet ein!", befahl der selbe Zwerg wie vorhin - zumindest nahm Ro an, dass es der selbe war, ganz sicher war sie sich nicht, denn sie trugen ziemlich ähnliche Rüstungen und die Helme verzerrten die Stimmen ohnehin - und winkte sie her.
Hinter dem Tor erwartete sie eine bewaffnete Truppe und eskortierte sie durch den langen Mauertunnel und durch ein zweites, nicht minder massives Tor hindurch zu einem Gebäude nur wenige Meter davon entfernt. Ro sah auf den ersten Blick, dass es früher einem ganz anderen Zweck gedient haben musste, und erst vor kurzem zum Kontrollhaus umfunktioniert worden war, denn entlang der kahlen Steinwände sah man noch die Abdrücke früherer Möbel.
Man führte sie in einen grösseren Raum, in dem ein einzelner Tisch stand, hinter dem ein Zwerg in edlerer Kleidung sass, bewacht von einigen Soldaten. Ro erkannte die Listen auf seinem Tisch. Offensichtlich waren sie nicht die ersten, die sich hier als Söldner anmelden wollten. Natürlich, Krush und die anderen mussten ja ein Stück vor ihnen gewesen sein. Und mittlerweile hatte die Nachricht bestimmt schon etliche Dörfer erreicht.
"Ihr wollt euch also als Söldner anmelden", sagte der Beamte hinter dem Tisch.
"Ja", antwortete Ro. "Wir haben gehört, ihr sucht Leute." Sie rief sich in Gedanken, dass sie nach wie vor nicht wussten, ob das nun noch die Verteidiger, oder bereits die Besatzer waren, trotzdem fügte sie hinzu. "Ein paar Kameraden von uns müssten schon hier sein. Einer von ihnen heisst Krush, ein älterer Mann mit Schlapphut."
Der Beamte/Offizier oder was er auch immer war, machte sich nicht die Mühe, in seinen Listen nachzusehen. Stattdessen starrte er sie nur aus zusammengekniffenen Augen an. Ro konnte sich vorstellen, was er dachte. Sie waren eine Truppe aus vier Dämonen und zweien, denen man nicht einmal ansah, von was für einem Volk sie stammten. Sie waren ein verdammter Haufen Risiko, den man eigentlich nicht in einer Stadt haben wollte. Aber die Zwerge wussten auch, dass Dämonen gut kämpften. Und gute Kämpfer hatte man im Krieg lieber auf der eigenen Seite.
Zu diesem Schluss schien auch der Beamte zu kommen. "Gut", meinte er schmallippig. "Stellt euch in einer Reihe auf."
Sie taten es und Ro trat als erste auf ihn zu.
"Name?", fragte der Mann knapp.
"Raven", antwortete sie genauso.
"Volk?"
"Mensch."
Er sah sie an. "Bist du dir da sicher?" Sein Blick fragte eher: Willst du mich verarschen?
"Mensch", widerholte sie ungerührt. "Meine Mutter war eine Bauernfrau am Malven. Und daran gibt es keinen Zweifel."
Er hob nur eine Augenbraue und fragte sich vermutlich, ob sie tatsächlich ein Mensch war und nur erstaunlich ähnlich wie ein Dämon aussah, ob sie von ihrer Herkunft einfach keine Ahnung hatte, oder ihn anlog. Er schien zum Schluss zu kommen, dass es auch egal war. "Bewaffnung?"
"Säbel und Dolch."
"Kampferfahrung?"
"Fünf Jahre im Heer Nurmens. Einige Monate im Heer der Nachtzinne. Infanterie, Sturmtruppe."
Er hob wieder den Blick. Erzähl du nur, Mädchen, dafür bist du viel zu jung.
"Unterschreiben", sagte er und drehte ihr die Liste zu, auf der er das meiste, was er sie gefragt, vermerkt hatte.
Sie kam keinen Schritt näher. "Was ist der Sold? Ihr denkt doch nicht, dass ich unterzeichne, solange ich nicht weiss, was dabei rausspringt?" Sie lachte fast.
Er wirkte leicht genervt, nannte ihr aber den Betrag. "Kost und Logie, im bedarfsfall Zelte bekommt ihr gestellt", fügte er hinzu.
Das war ungewöhnlich für Söldner und rechtfertigte den eher niedrigen Lohn. Ohne ein weiteres Wort trat Ro auf den Tisch zu und setzte ihren Namen auf das Dokument. Sie sah, dass etliche der Männer, die sich vor ihr eingetragen hatten, einfach ein Kreuz gezeichnet hatten. Die allermeisten Söldner konnten weder lesen noch schreiben.
"Der nächste", befahl der Beamte und Ro trat zur Seite.

"Wahrscheinlich nicht", antwortete Ro. "Normalerweise stecken sie einen einfach in irgendein Kontingent, drücken einem den ersten Sold in die Hand und sagen: "Geht und sterbt für uns." Aber ich hatte noch nie mit Zwergen zu tun."