"Sie war langsam. Bei meinem linken Fuss brauchte sie Tage, bis sie die Haut abgezogen hatte, aber wenn es stimmt was ihr sagt, dann wurde mir durch ein Zauber Glauben gemacht, dass die Zeit langsamer verlief, denn für mich waren es fast 30 Jahre.", sagte er und stand auf. "Wo lebt dieser Erik? Ich würde ihn gerne so schnell wie möglich aufsuchen.", fragte Arndir um das Thema zu wechseln. Er wollte nicht über die Folter sprechen, die er erlitten hatte.

Narum konnte Arndirs, respektives Armelions Drang vor der Wahrheit oder dem Geschehenen zu fliehen durchaus verstehen, aber ihn so los zu schicken wäre nicht verantwortungsvoll gewesen. "Ihr werdet Kleidung und Proviant brauchen", sagte er und erhob sich seufzend. "Ausserdem etwas Geld. Kommt, ich zeige euch, wo ihr was kaufen könnt... Erik ist ein alter Bauer, der im Dorf westlich vom Berg hier lebt. Es sind zwar nur einige Stunden marsch von hier. Aber er wird euch die ersten paar Tage wahrscheinlich nicht versorgen können. Er selber hat keine nahen Verwandten, die ihn unterstützen würden. Seine Kinder leben in Immen, seine Frau starb letzten Sommer. Kurz darauf wurde er krank und kann jetzt nicht mehr so gut für sich alleine sorgen. Ich schicke ihm immer wieder einige Schüler als Helfer. Man lernt zu geben und genügsam zu leben auf einem Bauernhof. Zufrieden zu sein und die Arbeit klärt die Gedanken."

Einen Tag später

Arndir war sich seiner Flucht bewusst, doch er konnte nicht anders als erleichtert auszuatmen, als er die kleine Hütte sah, die sich an den Rand des Berges schmiegte. Ein paar Hühner hoben die Köpfe und beäugten ihn misstrauisch, doch dann scharrten sie weiter im Boden auf der Suche nach etwas essbarem. In einem kleinen Gehege meckerten ein dutzend Ziegen und ein alter Mann sass auf einem Schemel im Gehege und melkte sie.
Er blickte auf, als er den Neuankömmling hörte. "Seid willkommen, willkommen.", sagte er mit einem warmen Lächeln und enthüllte dabei die wenigen ihm verbliebenen Zähne. Er tauchte einen schlichten Holzbecher in den Milchkessel und reichte ihn Arndir. "Trinkt. Ihr müsst durstig sein, anschliessend könnt ihr mir helfen den Sommerweizen zu dreschen. Es ist eine anstrengende Arbeit und mit meinem Rücken schaffe ich so etwas nicht mehr."
Arndir nickte und nahm einen tiefen Zug von der Milch. Sie war noch warm und rann in einem köstlichen Strom seine Kehle runter. "Danke.", sagte er und stellte seinen Seesack gegen die Hauswand ab. Er leerte noch den Becher und ging dann in die kleine Scheune um sich an die Arbeit zu machen.

Idril schluchzte erstickt. Er war gegangen. Der Abschied war kurz und förmlich ausgefallen. Er hatte zwar zugelassen, dass sie ihn umarmt hatte, doch es hatte sich nicht richtig angefühlt. Wütend trat sie einen Schemel zur Seite, der krachend die Treppe runterstürzte, stiess sich dabei aber auch so fest den Zeh, dass ihr weitere Tränen in die Augen stiegen. Sie schniefte und wischte sich energisch über die Augen. Es war nutzlos. Er hatte sie einfach zurückgelassen und das tat weh. In ihr wallte ein hilfloser Zorn auf die Welt und all die schlimmen Dinge, die geschahen. Wieso passierte so etwas nur? Sie packte den Zinnkrug mit Wasser, welcher neben ihrem Bett stand, und schleuderte ihn mit Macht gegen die Wand. Das Scheppern des Metalls und das spritzende Wasser hatte eine eigentümlich befriedigende Wirkung.

Die nicht lange anhielt, denn in der Sekunde darauf, riss ein wütender Narum die Tür auf. Er brauste jedoch weder auf, noch brüllte er herum, was ihm meist eine leicht furchteinflössende Note gab, die man sonst nicht von ihm kannte. "Was bei all den Teufeln soll das Idril?", fragte er, doch etwas laut geworden. "Man wirft nicht mit Sachen herum!"

Idril hatte keinerlei Hemmungen laut zu werden. "Lass mich in Ruhe!", schrie sie und verpasste dem Zinnkrug demonstrativ einen Tritt, der ihn in Narums Richtung segeln liess. Ohne darauf zu achten, ob sie ihn nun traf oder nicht, wandte sie sich ab und verschränkte die Arme, während sie die Tränen des Zorn und der Trauer erfolglos wegzublinzeln versuchte.

Narum trat zur Seite und der Krug sauste scheppernd durch die Tür nach draussen. "Junge Dame!", rief er aus, packte Idril am Kragen und drehte sie so herum, dass sie ihn ansehen musste, bevor er sie wieder auf das Bett pflanzte. "Räum die Sauerei auf! Und wenn du dich beruhigt und alles aufgeräumt hast, kommst du in mein Arbeitszimmer", wies er sie mit Nachdruck an, unterdrückte seinen Ärger und verliess den Raum, wobei er die Tür fast hinter sich zu schlug.

Für einen kurzen Moment war sie erschrocken und überlegte ob sie vielleicht zu weit gegangen war, doch dann warf sie sich nach hinten aufs Bett und verschränkte trotzig die Arme. Er hatte kein Recht sie herumzukommandieren und erst recht nicht sie zu schelten. Narum konnte warten bis er alt und grau war, befand sie. Sie würde nicht aufräumen. Ausserdem würde das Wasser von selbst trocknen.

Doch das Wasser trocknete nicht. Dafür sorgte Narum, welcher in der Küche stand und sich überlegte, was er denn kochen sollte, um sie aus dem Zimmer zu locken, natürlich dürfte sie erst essen, wenn ihr Zimmer aufgeräumt war. Es war gemein, aber Idril hatte eine Lektion verdient. Sie musste lernen, dass die Welt sich nicht um sie drehte.

Nach einer guten Stunde wurde sie des Wartens überdrüssig. Mürrischer Laune besorgte sie sich ein Handtuch, trocknete das Wasser auf und hängte das nasse Tuch anschliessend über ihren Stuhl auf. Dem Schemel war ein Bein abgebrochen und sie konnte nichts machen um es zu reparieren. Den zerbeulten Zinnkrug stellte sie zurück auf seinen Platz und den zerbrochenen Schemel schob sie in eine Ecke hinter der Türe, bevor sie sich auf den Weg zu Narums Studierzimmer machte.

Narum hatte selbst noch nicht gegessen, hörte aber, wie sie die Tür zu seinem Arbeitszimmer öffnete und wieder schloss und wartete ein paar Minuten, bevor er sich zu ihr gesellte. "Hast du aufgeräumt?", fragte er und schloss die Tür hinter sich, bevor er ihr gegenüber, hinter seinem Sekretär platz nahm.