Narum war derweil zu beschäftigt, um sich um Idrils Ausbildung zu kümmern. Für Janis' Hilfe war er daher sehr dankbar. Dass sie und der Nordmann eine Art Beziehung führten, war ihm eigentlich egal, solange es keine Probleme brachte.
Jeden Tag verbrachte er bei irgendeiner der Gilden und ihrer Verantwortlichen oder hinter Stapeln an Papieren und Plänen. Er musste eine Armee aufstellen und ausbilden. Keine leichte Aufgabe in so kurzer Zeit. Immer wieder hätte er das ganze am liebsten hingeschmissen und Donsoha verlassen. Aber er konnte nicht. Es war seine Aufgabe und Verantwortung für das Wohl der Höhlenstadt und ihrer Bewohner, als auch der umliegenden Dörfer zu sorgen.
Also arbeitete er, entwarf, diskutierte, verwarf und begann von neuem. Abends sass er jeweils ausgelaugt in der Küche und kochte für Idril, Janis und sich. Dann brachte er das Mädchen zu Bett, damit Janis Zeit für sich hatte. Diese kleinen Momente des Alltags brachten Ruhe in seine Gedanken.

Der Stoss traf Idril hart vor die Brust, doch dank der dicken Schutzkleidung schmerzte es kaum. Mit einem leisen Fluch stolperte sie zurück und setzte sich unsanft auf den Hosenboden. Verdrossen blickte sie hoch zu Ragnar, der ein spitzbübisches Lächeln präsentierte. "Du bist gross und stark, da darfst du nicht auch noch schnell sein.", klärte sie ihn auf und stand unter vernehmlichen Ächzen wieder auf.
"Das muss ich irgendwie verpasst haben.", erwiderte Ragnar gut gelaunt und bedeutete ihr mit dem Training weiterzufahren. Eine Stunde später zog Idril die Schutzweste aus und goss sich anschliessend einen Eimer mit kühlem Wasser über den Kopf, bevor sie sich wie ein Hund schüttelte. "Komm Würmchen. Du und Janis esst heute Abend bei mir. Trocknen kannst du auf dem Weg zum Haus."
"Nenn mich nicht Würmchen.", erwiderte Idril beleidigt, doch Ragnar fuhr ihr nur lachend mit der Hand durch das nasse Haar.
"Du bist niedlich wenn du wütend bist, Kleines." Er packte sie und setzte sie auf seine Schulter bevor er sich auf den Weg zurück zu seiner Schmiede machte. Janis würde ebenfalls bald kommen und er hoffte, dass er diesen Abend noch ein wenig mehr Private Zeit mit ihr würde verbringen können. Idril konnte ja nach einer Weile zurück zu Narum. Wenn das nicht möglich war, würde ein Becher voll mit Met ihr sicherlich zu einem tiefen Schlaf verhelfen, sodass sie durch eventuelle Geräusche nicht geweckt werden würde.

Zwei Monate später: Ende Oktober


Naja erreichte endlich ihr Ziel. Sie zügelte ihr Pferd und sah sich um. Die Wachem hielten sich am Hang versteckt. Das spürte sie. Sie sah in Richtung des Mannes, der ihr am nächsten stand. "Bringt mir Narum oder mich zu ihm!", rief sie ihm zu. "Es ist dringend! Sagt ihm, Naja hätte eine Botschaft!"

Narum sass mit Idril bei Tisch und liess sie vorlesen und einige Textpassagen abschreiben, die ihr gefielen. Später würde er sie prüfen, wie gut sie schon rechnen konnte.
Der Bote, riss ihn aus den Gedanken, als er gegen die Tür hämmerte. "Einen Moment", murmelte Narum und stand auf, wobei Janis, die kochte, und Idril ihm verwundert nachschauten. Als Narum Augenblicke später zurück kam, hatte er schlechte Laune. "Idril, wir machen heute Abend einen Ausflug. Pack zwei Satz saubere und warme Sachen und alles, was du mitnehmen willst", wies er sie an, dann wandte er sich um und verliess das Haus.

Wenige Minuten später stand Idril mit einem kleinen Packen über der Schulter und Biredhs Blindenstock in der Hand am Hauseingang. Narums Blick war noch immer finster und sie fragte sich warum er so schlechte Laune hatte. Vielleicht war es wegen dem Boten, aber vielleicht hatte er auch herausgefunden, warum dass sie..... Nein. Sie dachte lieber gar nicht darüber nach. Ihre Streiche blieben meist unentdeckt, oder waren harmlos genug, dass sie ungestraft davonkam.

Narum wartete, bis der Bote zurück kam. Er hörte zu und nickte dann. "Idril, geh zu Ragnar, nimm Janis mit, verabschiede dich von ihnen und warte auf mich in der Schmiede", wies er sie an. Dann ging er nach draussen.

Naja blickte auf und strahlte Narum zum Grusse an. Dieser erwiderte das Lächeln etwas gezwungen und fragte, was sie wolle. Sie fasste es ihm zusammen und er schüttelte den Kopf. "Ich kann für nichts garantieren", meinte er dann. "Gewalt werden wir mit Gewalt beantworten. Aber ich will auch keinen Krieg und kein sinnloses Morden. Sag ihm, dass er einen Bogen um die Ländereien hier machen soll. Wir werden sie nicht angreifen."
Naja nickte. "War das alles?", fragte er. Erneutes nicken.
"Gut, dann bevor du gehst... Was hattest du mit diesem Elfen, Armelion, zu tun?"
Sie sah ihn an und überlegte. "Du hast ihn geheilt', stellte sie fest. "Wie geht es ihm?"
"Schlecht...Er war sehr übel zugerichtet... Man hatte ihn eigentlich schon zu Tode gefoltert...Wäre dein Fluch nicht gewesen. Er hat keine Erinnerung an sein früheres Leben und ist nach Brimmen, um sich der Armee anzuschliessen."
Naja nickte. "Brimmen sagst du?", fragte sie. Narum nickte. "Gut...ich...werde ihn bei Gelegenheit besuchen. Arndir nennt er sich?"
"Ja... Naja. Spiel nicht zu sehr herum. Wie ich sehe hast du wieder deine alten...Kräfte... wenn du weiterhin so leichtsinnig bist, verlierst du sie noch."
"Mach dir um mich keine Sorgen, alter Mann", lachte sie, "ich war lange genug eingesperrt... Seit Ewigkeiten schon sehne ich mich nach Freiheit und dieser Elf... Er ist ein interessantes Spielzeug. Aber ich werde nett sein zu ihm. Sehr nett."

"Armelion ist kein Spielzeug.", knurrte eine helle Stimme und Idril trat hinter Narum hervor. "Hast du ihm wehgetan?", fragte sie und schaute Naja zornerfüllt an. So wie sie es verstanden hatte, war sie teilweise dafür verantwortlich, dass Armelion sich nicht an sie erinnern konnte. Als die Frau nicht direkt antwortete, wiederholte sie ihre Frage. "Hast du ihm wehgetan?"

"Nein", meinte Naja. "Ein Schwarzmagier war es. Narum, halt dein Balg im Zaum", knurrte sie dann den Halbelfen an.
"Habe ich dir nicht gesagt, du sollst vei Ragnar warten?", fragte Narum leise und drängte sie nach hinten. "Ihr reist ab, oder?"
"Ja", antwortete Naja und wandte sich um.

Idril umklammerte den Stock so fest, dass ihre Knöchel weiss hervortraten. Plötzlich sprang ein fahlgrüner Funke zwischen ihren Fingern hervor, lief knisternd über ihre Arme hoch zu ihrem Kopf. "Aber du warst die ihn verflucht hat.", sagte sie leise, aber es war trotzdem deutlich zu vernehmen. Mehr und immer mehr Funken liefen zwischen ihren Fingern hervor, bis sie ein konstantes Knistern umgab und eine Spannung lag in der Luft wie vor einem plötzlichen Gewitter. Sie zitterte vor unterdrückter Wut. Jetzt stand endlich jemand vor ihr, der für Armelions Leiden verantwortlich war, jemand der ihn lediglich als Spielzeug ansah.

Torn betrachtete die Kleine und zog sich hastig einige Schritte zurück. Das Kind schien keinerlei Kontrolle zu besitzen und das was sie da zusammenbraute wollte er nicht erfahren. Ein tiefes Grollen liess ihn jedoch innehalten. Langsam drehte er sich um und fand dass nur wenige Meter hinter ihm und Naja der grösste Wolf stand, den er je gesehen hatte. Das Ding war fast so gross wie ein Pferd und viel muskulöser gebaut.

"Torn, es ist nur ein Amarok", meinte Naja. "Narum wird sicherlich nicht zulassen, dass ein Kind das Leben hunderter hier in Donsoha riskiert...habe ich Recht Narum?"
Dieser schnaubte. "Du hast sie wütend gemacht, nicht ich."
"Hör zu, kleiner Bastard", meinte Naja mit gefährlichem Unterton, an Idril gewandt. "Dein Armelion lebt dank des Fluches. Du egoistisches, kleines Balg hättest ihn bestimmt nicht lieber tot. Oder? Immerhin ist er für dich auch nur ein überdimensioniertes Kuscheltier. Dir geht es am Arsch vorbei, dass er gelitten hat. Aber, wie konnte er nur wagen, dich zu vergessen? Dass er andere Freunde gefunden hat und du ihn nicht mehr hast...", ein böses Grinsen legte sich auf ihre Lippen, "Und jetzt willst du mich angreifen? Wir stehen im Krieg und wenn man Torn oder mir ein Haar krümmt, wird Donsoha in Grund und Boden gestampft und jeder der dir lieb ist wird sterben... Das kann dann auch Narum nicht verhindern."
Das Knistern in der Luft wurde stärker. Mit was würde Idril angreifen? Blitz? Feuer? Schall? Was es auch war, Naja freute sich etwas darauf. Die Kleine hatte Potenzial. Sie blickte zu Narum, welcher nur beobachtete. Der Dreckskerl würde sich erst im letzten Moment einmischen.

"Sie sind meine Familie. Ich wähle sie mir selbst, denn etwas anderes kann ich nicht.", erwiderte sie mit plötzlicher Klarheit. "Niemand verletzt meine Familie." Das Knistern wurde immer stärker, doch die Funken hörten auf über ihren Körper zu laufen. Stattdessen erklang ein tiefes summendes Geräusch, bevor ein Blitz aus ihrer Schulter zuckte. Es war unkontrolliert. Wütend blickte Idril Naja, atmete tief durch und begann dann das erste Gebet von Perun und Inara zu rezitieren. Immer mehr kleine Blitze zuckten unkontrolliert über ihren Körper und als sie die letzte Silbe gesprochen hatte, entluden sich drei gewaltige fahlgrüne Blitze in den Himmel. Das Donnern war ohrenbetäubend. Der Boden in Idrils Nähe war versengt und das Gras schwelte, doch keine der Blitze war in Najas oder Torns Nähe gekommen. Die Meditations- und Atemlektionen von Refala hatten endlich was gebracht.