8. April, nachmittags

Am Morgen hatte er einen Einsiedlerhof gefunden und dort weitergefragt. Die Bauernfamilie dort hatte ebenfalls seinen Cousin gesehen und ihren Angaben nach, waren sie in südöstlicher Richtung weitergezogen, in ein anderes kleines Dämonendorf. Dieser Information war er gefolgt, bis er es mittags erreicht hatte.
Auch hier hatte er sich tarnen müssen, da selbst in diesem entlegenen Winkel der Steppe bekannte Gesichter auftauchten. Die ehemalige Bevölkerung Búracs hatte sich weit verstreut.
Aber er war auf der richtigen Spur gewesen. Sein Cousin und seine Begleitung hatten hier eine Woche verbracht und waren dann mit einer Nomadenkarawane in den Norden gezogen. Dort wollten sie ein Haus bauen und manche Materialien dafür hatten die Nomaden mit ihren Wagen gegen Geld transportiert.
Und auf dem Weg in den Norden war er jetzt. Er sah die Gipfel der Drachenberge in der Nähe aufragen. Es war nicht weit bis zum Gebirge. Nichtmal ein Tagesmarsch.
Wenn Sharin sein Haus im Norden gebaut hatte, konnte es nur zwischen dem Dorf und dem Gebirge oder am Fuß des Gebirges sein. In diesem Gebiet ging es steil ins Gebirge hinauf und nur die Wenigsten würden dort leben wollen. Im Gebirge konnte man nur weiter westlich leben oder tiefer im Gebirge selber. Aber das war Schattengebiet.
Irgendwann sah er jedoch vor sich in der Ferne eine Gestalt laufen. Er versteckte sich schnell hinter einem Akazienstamm und beobachtete die Gestalt.
Sie war jedoch noch zu weit entfernt, als das er was hätte erkennen können. Dennoch beschloss er, sich versteckt zu halten, bis sie fort war.

Zarkun
8. April, nachmittags

Zarkun war am späten Morgen ausgeruht erwacht und sofort losgerannt, Richtung Süden. So würde er übermorgen Búrac erreichen. Er kannte sich im Norden nicht sonderlich gut aus, glaubte aber, einen halben Tagesmarsch entfernt, ein kleines Dorf vom Gebirge aus gesehen zu haben. Er würde kurz vorher einen Bogen um das Dorf machen müssen, aber bis dahin konnte er noch die Richtung halten.
Am frühen Nachmittag war er bereits so weit gekommen, dass er in der Ferne Rauch aufsteigen sah. Er nahm sich vor, noch bis zur ausladenden Akazie in der Ferne zu laufen und dann den Bogen um die Siedlung zu schlagen.

Shagan

Als die Gestalt näherkam, erkannte er, dass es sich um einen Elfen handelte. Sehr seltsam, dass sich ein Elf hier im Norden aufhielt.
Genauer gesagt: Schier unmöglich. Als der Elf mit seiner beeindruckenden Geschwindigkeit noch näher gekommen war, setzte beinahe kurz sein Herz aus. Es war Llaywan! Er lebte! Er brauchte eine Sekunde, um zu begreifen, dass es gar nicht Llaywan sein konnte. Zarkun hatte ja jetzt seinen Körper, so wie er Zarkuns Körper hatte.
Sofort verwandelte sich sein Erstaunen in puren Hass. Wut durchflammte ihn wie ein inneres Feuer und er spürte unbändige Energie in sich, den Wunsch zu kämpfen, zu töten. Zarkun. Mit ihm hatte er noch alte Rechnungen zu begleichen.
Und sie hatten die unausgesprochene Übereinkunft, eines Tages Mann gegen Mann gegeneinander zu kämpfen. Das war ihnen beiden schon immer klar gewesen.
Knurrend drehte er sich hinter dem Baumstamm hervor und stellte sich in die Laufbahn seines alten Feindes.

Zarkun

Er war noch ein gutes Stück von dem Baum entfernt, als plötzlich eine Gestalt hinter ihm hervorkam. Er kam augenblicklich schlitternd zum Stehen. Ohne sein Adlerauge konnte er die Gestalt nur unklar erkennen, sah sie sich aber genauer an und zischte auf. Er sah sich selbst. Jedoch erkannte er sich nur am Gesicht. Die Haare seines Gegenübers waren rötlich gefärbt und schulterlang gewachsen. Shagan.
Er knurrte, als er ihn erblickte und der alte Hass stieg in ihm auf.
Was machte er hier oben? Egal, er hatte ihn gefunden. Dann würde er eben hier und jetzt sein Volk retten. In der Verfassung dafür war er.
Er blieb einfach stehen und fixierte den Feuerdämon.
Es konnte losgehen.

Shagan
Er schlenderte betont lässig auf Zarkun zu. Langsam. Unaufhaltsam. Den Blick hasserfüllt auf Zarkun gerichtet.
Sein Gegenüber blieb einfach stehen und schloss die Augen, bevor Zarkun sich anzuspannen schien.
Schritt für Schritt kam Shagan ihm näher.
Als er schließlich nur noch etwa zehn Meter von Zarkun entfernt war, blieb er stehen und fixierte ihn, sah ihn einfach nur an.
"Was hast du in der Wüste zu suchen?", fragte er ihn mit kalter Stimme.

"Dich", antwortete Zarkun, genauso kalt.
"Tss. Und was willst du von mir?", erwiderte Shagan.
"Dich aufhalten. Du wirst unser Volk nicht dem Untergang preisgeben."
"Wer von uns hat denn unser Volk geraten und das ganze Dorf dem Untergang preisgegeben?" Shagan schrie jetzt.
"Du weißt gar nichts", erwiderte Zarkun verächtlich. "Ich hatte keine andere Wahl. Ich habe dafür gesorgt, dass wir überleben können, als es schon zu spät war."
"Ach ja, und wie?"
"Ich habe alle Daranshen im Norden getötet und deinen Cousin beschützt. Dich wollte ich vernichten damals. Denn wenn Hexathar erst einmal die Artefakte hat und alles, was er von unserem Volk gebrauchen kann, sind wir für ihn nichtmehr nutzvoll. Unser Volk wird sterben! Und du bist derjenige, der sie ihm ausliefert. Ich habe Búracs Untergang besiegelt, ja, aber du hast ihn vollendet! Wegen dir sind alle Dämonen in Búrac tot. Und jetzt willst du die letzten Daranshen töten, die noch über die Blutlinie verfügen, unsere Geheimnisse ausliefern und alles Leben in der Wüste vernichten? Ich verhindere das!"
"Woher weißt du davon?", knurrte er. "Von den Toten Búracs."
"Ich bin nicht so einfältig, wie du denkst. Ich habe mehr im verborgenen getan, als jeder von euch weiß. Und wenn ich dich hier und jetzt aufhalte, ein für allemal, wird unser Volk leben. Du hast es selbst so eingerichtet, dass wenn du stirbst, keiner mehr an die Artefakte kann. Außer ein Daranshen aus der Linie. Und wenn niemand mehr an die Artefakte kommt, sind wir ebenfalls verloren. Also werde ich dafür sorgen, dass Sharin überleben kann und ihn verstecken."
"Dafür, dass du so schlau bist, bist du aber ziemlich blöd, mir das zu erzählen. Zudem, wie kommst du darauf, mich besiegen zu können?"
"Ich bin ein ausgebildeter Elementenmagier, du beherrschst nur die anfängliche Feuermagie eines Elitekriegers. Du hast keine Chance gegen mich."
Gut, er wusste also nichts von den Feuermagiern und seiner Ausbildung. Sie hatten ihn ja schließlich im geheimen ausgebildet, damit er Zarkun töten konnte unter anderem.
"Dann versuch es doch", antwortete Shagan und stellte sich in Angriffsposition hin.
Zarkun war verunsichert. Wieso zog er nicht seinen Säbel? "Deine Arroganz ist deine Schwäche", antwortete er. Er hatte keine Angst, er war ein starker Magier. Shagan würde sterben. Heute. Hier. Jetzt.

Shagan spürte die magische Bahn Neshatars auf und grinste innerlich. Er würde Zarkuns Magie genauso kappen, wie er es bei Neshatar getan hatte.
Doch als er nach ihr greifen wollte, spürte er, wie sie ihm entglitt und er sie nicht kontrollieren konnte.
"Vergiss es", grinste Zarkun. "Jeder Magier, der Magie wirklich gelernt hat, weiß, wie man sich dagegen wehrt. Deshalb benutzen Magier diese Methode nicht. Sie funktioniert nicht. Nie."
"Bei Neshatar hat sie aber funktioniert", entgegnete Shagan.
"Neshatar war auch kein Magier. Er hat nur von Natur aus seine Luftmagie beherrscht."
"Wieso hat ihn dann nie ein feindlicher Magier blockiert?"
"Weil kein Magier der Welt auf die Idee käme, es zu versuchen. Jeder Magieanwender kann sich in der Regel dagegen wehren. Neshatar bildete da eine Ausnahme."
Plötzlich merkte Shagan einen seltsamen Druck, der nicht von körperlicher Natur zu sein schien. Ohne es zu beabsichtigen tat er etwas im Geiste und der Druck hörte auf.
"Siehst du. Selbst du, der kaum Magie anwenden kann, wehrt sich instinktiv dagegen", antwortete Zarkun. " Aber genug geredet. Es wird Zeit, dass du aus der Welt verschwindest."
Er stellte sich in eine Angriffsposition und um jede seiner Hände erschien plötzlich ein rötlich flammender Schein.

Zarkun fing mit Feuermagie an. Es war die Magie, mit der er Shagan töten wollte. Er rannte auf ihn zu, seine Hände zu Flammenschneiden umgeformt. Er sprang vor Shagan hoch und schlug nach dessen Hals. Shagan blockte mit einem in rote Flammen gehüllten Arm. Zarkun kam wieder am Boden auf und rannte einige Schritte von Shagan weg. Er beherrschte auch diese Kunst? Naja, sie war nicht besonders schwer...er beschloss, es mit Fernkampf zu probieren.
Er formte eine Feuerkugel und ließ sie auf Shagan zufliegen. Dieser ließ sie in einer flammenden Wand verschwinden.
Zarkun blickte ihn verwirrt an. War es möglich, dass Shagan Feuermagie gelernt hatte?
Er hob einen Arm hoch und beschwor seine Kraft herauf. Er war ein guter Feuermagier und so ließ er aus dem Boden unter Shagans Füßen eine Feuersäule schießen, die alles zerfraß, was ihr in den Weg kam.
Außer Shagan. Dieser warf seinen Mantel ab und stand da in einer glänzenden, rotschwarzen Rüstung, die hell zu leuchten schien.
Dann hob er eine Hand.

Eine Salve aus brennenden Luftpartikeln flogen auf Zarkun zu. Er wirkt einen blockierenden Zauber, verlangsamte sie dadurch jedoch nur.
Er sprang zur Seite und konnte ihnen gerade noch ausweichen. Wie es schien, war Shagan ein Magier geworden. Die schimmernde Rüstung sprach ebenfalls dafür. Verdammt! Er würde es noch eine Weile mit Feuer versuchen und dann zu Wasser und Erde übergehen. Shagan würde vermutlich nur das Feuer oder höchstens noch die Luft beherrschen. Alle vier Elemente beherrschte kaum jemand.
Er ließ Feuer über Shagan herabregnen, der einfach bewegungslos dastand. Das Feuer löste sich an der Rüstung auf.
Zarkun knurrte, hockte sich hin, formte mit den Händen ein Dreieck und flüsterte etwas. Daraufhin explodierte um Shagan herum eine gewaltige Menge an Energie und eine Art Feuerwalze aus rotem Rauch stieg auf.
Kurze Zeit passierte nichts. Dann schossen Flammenkreisel aus der Wolke auf ihn zu. Es waren viele. Zarkun wich den meisten aus und blockte ein paar ab, aber einer traf ihn am Arm und sengte ihn an. Er zischte vor Schmerz und sah nach vorne.
Da stand Shagan, ein wenig angekohlt und schwer atmend, aber sonst unversehrt. Er blickte Zarkun an. Wütend.
Dann hob er beide Hände und offenbarte eine Rune. Eine gewaltige Lawine aus Feuer rollte plötzlich auf Zarkun zu, der vollkommen überfordert war mit der Situation.

Shagan war wütend. Zarkun hatte wirklich starke Magie gewirkt, aber gegen die Feuermagie Búracs kam er nicht an. Immerhin hatte er Shagans Rüstung an den Rand ihrer Kräfte gebracht. Ihr Schutz war seit eben aufgebraucht.
Also musste er handeln. Er hatte die Rune aktiviert und die Feuerwalze gelöst. Er sah Zarkun nichtmehr, da er hinter ihr stand, aber er bemerkte, wie sie nach und nach kleiner wurde und Dampf aufstieg. Wassermagie. Er knurrte.
Zarkun wich zurück und löschte damit nach und nach das Feuer, aber es musste ihn unheimlich viel Kraft kosten.
Shagan stürmte vorwärts und schleuderte weitere brennende Partikel auf Zarkun, der jedem einzelnen von ihnen geschickt ein Wassergeschoss entgegenjagte.
Dann standen sie sich erneut gegenüber. "Musst du schon in andere Magieformen flüchten?", höhnte Shagan.
"Wenn ich dich mit ihnen töten kann, dann tue ich es", antwortete Zarkun trocken und plötzlich schossen aus dem Boden um Shagan herum steinharte Erdzacken empor, die sich um ihn wanden und zusammenzogen. Verdammt!