Vela legte sanft die Hand auf ihre Stirn. "Sie schläft. Sie wird sich erholen."
Growndrill trug das Mädchen ins Zelt, zog ihr Jacke und Stiefel aus und wickelte sie in eine warme Decke, dann kam er wieder heraus, wo sich Velryunra und der fremde Magier schweigend anstarrten. Der Mann wirkte verängstigt und Growndrill fragte sich, warum sie ihn mitgenommen hatte. Was sollte er ihnen nützen?
Er setzte sich zu ihnen und lange Zeit sprach niemand etwas, während das letze Licht der Sonne verschwand und die Nacht die Dämmerung verjagte. Dann richtete sich Velryunra auf und setze den Topf erneut auf das magische Feuer, diesmal mit Tee, bevor sie sich wieder hinsetzte, die Beine unterschlagen. In dieser Gestalt trug sie kein Kleid, sondern hohe Stiefel und weite dunkle Hosen, und eine gefütterte Jacke mit gestickten Bordüren, die ihr bis über die Knie reichte, vorne und hinten geschlitzt zum Reiten, das dunkle, fast schwarze Haar hatte sie zum Zopf geflochen und am Hinterkopf zu einer Spirale gedreht. Obwohl ihre Gesichtszüge und ihre Haltung eine gewisse Würde ausstrahlten, konnte sie wie eine gewöhnliche Nagzwa wirken auf jemanden, der die Wahrheit nicht kannte. Ihm wurde bewusst, warum sie die Kunst, sich zu tarnen, so perfekt beherrschte, und ein altbekanntes Schuldgefühl machte sich in ihm breit.
"Wie lautet dein Name, Sklave?" Velryunra hatte die Frage gestellt, aber sie liess ihn mithören.
Der Mann schien einen Moment lang sprechen zu wollen, blieb aber dann in der Ebene der Gedanken. "Reven. Auch der Landstreicher."
"Woher stammst du?"
Seine Antwort fiel knapp aus. "Weit aus dem Westen."
Er musste zu den Soldaten gehört haben, die dieser Elf aus der Nachtzinne gebracht hatte.
"Dein Element ist die Luft?"
Er nickte. Dann, mit einem Blick auf die Flammen unter dem Kessel, fragte er: "Das Eure ist das Feuer?" Er warf auch Growndrill einen Blick zu, stellte ihm aber keine Frage.
"Unter anderem", antwortete die Flammenflügel. Sie griff nach dem Henkel des Topfes und schenkte den Tee in drei Becher, von denen sie Growndrill und Reven je einen reichte. Der Magier nippte daran und fluchte leise, als er sich die Zunge verbrannte. Erneut flackerte sein Blick gehetzt hin und her und er erinnerte Growndrill an den einer Maus, die jederzeit damit rechnete, dass sich aus irgendeiner dunklen Ecke die Katze auf sie stürzte. Allerdings hatte der Kerl erstaunlich viel Mut. "Ihr seid nicht wirklich Diplomatin", meinte er und nickte auf die Stickereien an Velryunra's Ärmeln.
Sie lächelte nur als Antwort und trank von ihrem Tee.
"Ihr beherrscht unsere Sprache zu gut, als dass sie euch zurückschicken würden", murmelte er mehr zu sich selbst, während er erneut am Tee nippte. "Und ihr seid zu stark."

Sie erreichten Rhamas zwei Tage spaeter und deckten sich dort mit neuen Vorraeten ein, bevor sie noch am selben Tag weiterzogen. Gelegentlich begegneten sie weiteren Sklaventrupps oder Reisenden, die ihnen auf der Strasse entgegen kamen, auf dem Weg in Richtung Westen. Der Abstieg von den Bergen dauerte laenger als erwartet und war beschwerlich, denn die Pferde schienen wesentlich besser damit zurecht zu kommen bergauf zu gehen als bergab, oft mussten sie absitzen und sie am Zuegel fuehren, doch schliesslich wurde das Gefaelle geringer, die Luft waermer und die schroffen Felsen gingen in dichten Wald ueber, endlos und getraenkt vom Geruch nach Harz und Erde. Der Fruehling war laengst ueber das Land hereingebrochen und erfuellte es mit Leben. Die Pferde spuerten es, und neue Kraft schien ihre Schritte zu erfuellen, selbst der Landstreicher sah besser aus, bekam wieder Farbe in die Wangen und etwas Fleisch auf die mageren Knochen, die seit Rhamas in etwas gehuellt wurden, das man zumindest Kleidung nennen konnte.
Auch Velryunra spuerte ein Kribbeln in ihrer Kopfhaut, das mit jedem Tag zunahm, aber es war anderer Natur. Jeder Schritt, jede Stunde am Tag, die sie ritten, brachte sie dem Geschichtenerzaehler naeher. Sie war sich nicht mehr sicher ob es eine gute Idee gewesen war, ihn zu suchten. Geschweige denn Growndrill und das Maedchen mitzunehmen.

Velryunra duckte sich, um unter einigen tiefhängenden Ästen hindurchzureiten. Der Weg führte über eine leichte Kuppe um sich dann, den Wellen der Hügelflanke folgend, ins Tal hinunter zu schlängeln. Sie erstarrte einen Moment lang, als sie den Wanderer sah, aber dann zwang sie sich weiterzuatmen, ein Lächeln aufzusetzen und zu tun als wüsste sie von nichts. Bereits seit dem vorangehenden Tag hielt sie ihre Aura verschleiert, um die Macht darin zu verbergen, und wäre sie alleine gewesen, hätte sie vermutlich an dem alten Krüppel in der Robe eines Wanderpriesters vorbeireiten können, ohne dass er sie gross bemerkt oder sich gar an sie erinnert hätte. Natürlich würde ihr das Mädchen einen Strich durch diese Idee machen, weil sie auf den Kerl zuhüpfen würde wie ein Frosch im Frühling. Aber deswegen brauchte sie sich noch lange nicht zu erkennen geben...
Sie liess ihr Pferd unmerklich langsamer werden, um die anderen aufschliessen zu lassen, und baute eine geschützte Verbindung zu Growndrill auf. "Ist er es?", fragte sie, obwohl sie es eigentlich bereits wusste, und ihre Gedanken überschlugen sich beinahe vor Nervosität.
Er nickte in Gedanken.

Sie kam zum Schluss dass es keine schlechte Entscheidung gewesen war, die Tarnung von den beiden zu nehmen. Alles andere hätte nur Misstrauen bezüglich ihres eigenen Äusseren geweckt. Während Growndrill auf den Priester zuging um ihn zu begrüssen, blieb sie im Sattel und beobachtete die Szenerie, während der Landstreicher Growndrills Pferd am Zügel fasste und festhielt. Sie hörte wie Growndrill etwas sagte davon, dass er Idril wieder einmal etwas frische Luft habe verschaffen wollen und es auf dieser Seite des Gebirges weniger gefährlich sei, und hätte beinahe gelacht. Es war so klar wer Sehnsucht nach frischer Luft gehabt hatte.

Growndrill bejahte guter Laune und sie folgten der Führung des Priesters, ohne wieder in den Sattel zu steigen. Reven führte die Pferde am Zügel, nur Velryunra ritt und hielt sich dabei im Hintergrund.