Es raschelte wieder, aber diesmal auf der anderen Seite und bedeutend näher. Ro's Hand fuhr unwillkürlich zum Knauf ihres Säbels und sie konnte sich nur mit Mühe davon abhalten ihn zu ziehen. Ihre Nerven waren gespannt wie Federn, bereit dazu, sie jederzeit losschnellen zu lassen. Irgendetwas flackerte am Rand ihres Gesichtsfeldes und sie fuhr herum, aber da war nichts. Im nächsten Augenblick sah sie es auf der anderen Seite flackern und drehte den Kopf ruckartig dorthin, aber da war nichts, ausser ein paar Bäumen. Dann erklang ein Geräusch, als würde jemand flüstern, so leise, dass man ihn nicht verstand. Natürlich, es konnte auch Wind sein, der sich in trockenen Blättern verfing. Nur dass sämtliche Blätter klatschnass am Boden klebten.
"Konzentrier dich auf den Weg", sagte Machek hinter ihr leise. "Oder auf deinen Vordermann."
Sie versuchte seinem Rat zu folgen und eine Weile lang starrte sie nur auf eine Zacke an Aries Rücken, aber immer wieder hatte sie das Gefühl, irgendetwas bewege sich neben ihr, gerade in dem Bereich ihres Sichtfeldes, in dem sie nur noch verschwommen sah. Schliesslich hielt sie es nicht länger aus und wandte den Blick zur Seite. Was sie sah, liess sie aufschreien. Da war ein Gesicht. Ein bösartiges Gesicht, mit schmalen, kleinen Augen und einem hämisch verzogenen Maul.
Auf den zweiten Blick begriff Ro, dass es nur ein merkwürdig geformter, verdrehter Ast war, aber da war es schon zu spät. Sie stolperte rückwärts über eine Wurzel und fiel krachend in ein Gebüsch.

Das brauchte man Ro nicht zweimal zu sagen. Genau genommen hatte sie den Säbel schon in der Hand, bevor Ran auf die Idee kam, es ihr zu sagen. "In die Mitte!", sagte sie zischend. "Rücken an Rücken! Schnell!"
Die anderen beiden kamen ihrer Aufforderung nach und sie bildeten eine Art unförmiges Viereck, weil der Drache nicht ganz in die Formation passte.
Ro hörte ein tiefes Knurren und das Geräusch von kleinen Ästen, die zerbrachen, als sich ein Tier dazwischen hindurchdrängte. Es kam immer näher. Und wurde schneller. Ro hob den Säbel zur Gefechtsstellung und suchte mit beiden Füssen festen Stand. Mit einem letzten Krachen brach die Bestie auf die Lichtung und Ro konzentrierte sich darauf, um zu sehen, wovon sie angegriffen wurde - aber sie sah nichts. Im selben Moment, als das Tier auf die Lichtung sprang, wurde es stockdunkel.
Einzig ihren Kampfinstinkten verdankte es Ro, dass sie im richtigen Moment zuschlug um die Attacke des Biests abzuwehren. Dennoch taumelte sie von der Wucht. Sie schmeckte Blut, aber offenbar lebte das Vieh noch, denn sie hörte es Knurren und nach links laufen, um ihre Flanke anzugreifen, aber dort stand Ran.
Im selben Moment, wie das Ding erneut zum Angriff ansetzte entflammte auf Macheks Seite eine Flamme, aber es schien, als würde ihr Licht von der Dunkelheit verschluckt, und nur ein roter Schein blieb übrig, in dem Ro die anderen nur Schemenhaft erkennen konnte, die Bäume um sie herum gar nicht.

Ro versuchte die Nerven zu behalten und weder auszuweichen, noch zu früh zuzuschlagen als sie das Biest am Rand von Macheks Feuerschein kauern und sich zum Sprung bereitmachen sah. Einen Augenblick lang schien die Zeit stillzustehen. Dann sprang das Vieh und Ro liess den Säbel nach vorne schnellen, genau in den weit geöffneten Rachen der Bestie. Die schwarfe Klinge glitt durch die Eingeweide des Viehs wie durch Weichkäse und drang ein bis zum Heft. Dann verhakte sich der Handschutz des Säbels mit den Fangzähnen des Biests und die Wucht des Aufpralls riss Ro um.
Sie rollte sich rückwärts ab, und riss den Säbel seitwärts, um das Innere des Viehs zu zerhacken, dann zog sie ihn zurück und stiess ihn quer durch den Hals des Untiers. Es musste so gut wie tot sein, zuckte aber noch, weshalb Ro nochmal ausholte und ihm mit einem sauberen Schlag den Kopf abtrennte, der zu Boden fiel und vom Blut aus der Halsarterie des Viehs übersprudelt wurde. Eines war tot. Allerdings lief auch an Ro's Armen Blut hinunter, wo ihr die Krallen des Tieres Hemd und Haut aufgekratzt hatten. Ohne einen Moment zu zögern drehte sie sich wieder um, um einen möglichen nächsten Angriff abzublocken.
Machek hatte inzwischen dem Biest, dass ihn angegriffen hatte, ein Flammennetz auf den Pelz gejagt. Das warf es zwar zurück, aber wirklich beeindruckt wirkte es nicht davon, geschweige denn, dass es lichterloh brannte, wie es eigentlich hätte der Fall sein sollen. Er musste also zu etwas schärferem als Feuer greifen. Er vollführte einen komplizierten Zauber und beschwor aus der Luft, die ihn umgab, und dem Boden, auf dem er stand, eine Alchemistische Flüssigkeit hervor, die tiefe Löcher in Fell, Haut und Fleisch des Tieres frass.

Sowohl Ro als auch Machek waren durch Ran's Blitz für einige Augenblicke so gut wie blind gewesen, dennoch war es Ro irgendwie gelungen, das Biest abzuwehren, als es sich auf Machek stürzen wollte, und Machek hatte mit einem zweiten alchemistischen Angriff die Flüssigkeit so weit in den Körper des Tieres getrieben, dass sie die Nervenbahnen in dessen Nacken zerfrass, wonach es so gut wie tot in sich zusammenfiel. Ro machte es endgültig, indem sie ihm wie dem ersten den Kopf abhackte.
Als die Feen ihnen den Weg freigaben, schloss Ro sich wieder Ran und Aries an. Um die Wunden würde sie sich später kümmern, sie wollte so schnell wie möglich aus diesem Wald herauskommen. Die Entscheidung rächte sich. Noch bevor sie am Abend Rast machte, wurde ihr schwummrig und nach dem Abendessen war ihr so schlecht, dass sie sich sehr konzentrieren musste, um es nicht wieder herzugeben. Alles drehte sich. Es dauerte eine Weile, bis sie auf die Idee kam, nach den Wunden zu sehen, die die Krallen des Hundeviehs an ihren Armen hinterlassen hatten. Sie hatten sich auf eine sehr unnatürlich aussehende Art verfärbt.
"Ich hasse diese Viecher!", rief sie aus, dann kippte sie auf die Seite.

"Ich habe Bücher darüber gelesen", antwortete Machek. "Aber ich hatte selten Gelegenheit, dieses Wissen praktisch Anzuwenden. In Magiergemeinschaften wird selten ein Mitglied vergiftet."
Er trat zu Ro herüber und besah sich ihre Wunden. "Nach meiner Einschätzung ist es kein gewöhnliches Gift", meinte er. "Also nichts, was über einen bestimmten Stoff in ihrem Körper wirkt. Es ist eher eine Art von Magie, die sich immer tiefer hineinfrisst, über die natürlichen Wege des Körpers, also Blut, Lyphen oder Nervenbahnen. Ein magisches Gift gewissermassen."