Eine Weile lang wartete sie dort, aber sie hielt es nicht sehr lange aus, den Kampflärm von oben zu hören und einfach nichts zu tun. Schliesslich versuchte sie entlang des Ruders nach oben zu klettern. Zweimal rutschte sie auf halbem Weg ab und riss sich an dem rauhen Holz die Hände auf, beim dritten Mal kam sie so weit, dass die Untere Kante der Reling nur noch etwa einen Meter über ihrem Kopf war. Allerdings trat hier das Ruder in den Schiffbauch ein und weiter oben gab es nichts, um sich festzuhalten. Sie fixierte die Kante, stellte einen Fuss auf das leicht schräbe Ruder und hoffte, dass die Sohle daran hielt, dann stiess sie sich ab. Promt rutschte ihr Fuss weg, aber sie erreichte mit den Fingerspitzen ganz knapp die Holzkante. Schnell griff sie nach, aber sie fand keinen besseren Halt und ihre Finger drohten abzurutschen. Sie versuchte es nocheinmal und bekam einen der Streben zu fassen und zog sich daran hoch. Als ihr Kopf über Deck kam, sah sie, dass der Kampf so gut wie fertig war. Einer ihrer Männer stand kaum zwei Schritte vor ihr. "Eran!", rief sie.
Er drehte sich um und bekam grosse Augen. "Was machst du da unten?"
"Frag nicht so blöd, hilf mir lieber hoch", fuhr sie ihn an und er tat es. Tropfend nass ging sie über das Achterdeck nach vorne. Die Überlebenden der Schiffsbesatzung hatten sich soeben ergeben, zusammengedrängt an einem Mast. Ro baute sich vor ihnen auf. "Wer von euch ist der Magier", zischte sie. Alle sahen sie gross an, aber niemand sagte etwas. "Raus mit der Sprache", knurrte sie. "Ich weiss, dass einer von euch zaubern kann. Einer von euch hat diese verdammte Illusion geschaffen. Sagt, wer es war, oder ich bringe euch alle um."
Immer noch schwiegen sie, aber Ro bemerkte, dass einige Augen zu der Ladeluke flackerten, auf der sie gestanden hatte. "Macht die Luke auf", befahl Ro. "Aber keiner geht rein."
Im Schiffsbauch war es dunkel. Eine schmale Treppe führte nach unten. Ro holte Luft, flüsterte ein Wort und konzentrierte sich auf ihren Säbel. Sie spürte seine Energie und die Energie um sie herum. So wenig sie das mochte, sie würde nicht blind in einen Kampf gegen einen Magier laufen. Langsam stieg sie die Treppe hinunter. "Zeig dich", knurrte sie in die Dunkelheit.
Niemand trat vor, aber ihre geschärften Sinne konnten jemand atmen hören, ganz hinten im Laderaum. Sie ging darauf zu und blieb knapp anderthalb Schritte davor stehen. Der Magier musste jetzt ihre Silhouette scharf gegen das Licht sehen. Sie hob den Säbel. "Nenn mir einen Grund, warum ich dich nicht umbringen sollte."
"Weil ich alles in die Luft sprenge, wenn du es versuchst", antwortete eine Stimme, aber die Angst in ihr war so klar, dass es überhaupt nicht wie eine Drohung klang. Ro ging gar nicht erst darauf ein. "Wieso wolltest du genau mich töten?"
"Ich... ich weiss es nicht", stammelte die Stimme. "Ich habe diese Illusion nicht geschaffen. Ich könnte so etwas gar nicht. Ich weiss nicht wie es geht. Jemand... jemand hat von mir Besitz ergriffen. Ich weiss nicht wer. Ich war es nicht, ich schwörs."
Sie glaubte ihm. Er klang nicht, als wäre er ein sehr starker Magier. Und sie konnte sich vorstellen, dass Illusion weit mehr Geschick erforderte, als ein bisschen Feuer und Eis. Blieb nur die Frage, wer es dann getan hatte. "Tut mir leid", sagte sie schliesslich. "Ich muss dich trotzdem töten, du bist zu gefährlich."
Mit diesen Worten schnellte sie vor. Sie spürte, wie der Magier einen Schild hochriss, aber ihr Säbel liess ihn sofort zerspingen, dann traf sie auf Stoff und Fleisch. Die Klinge drang ein, aber die hatte ungenau getroffen, denn kein Schwall von Energie kam. Der Magier gab ein würgendes Geräusch von sich und flüsterte: "Er hat Angst vor euch. Töten."
Sie spürte durch die Klinge, wie seine Haltung sich änderte und ohne noch einmal nachzudenken riss sie den Säbel heraus und stach ein zweites Mal zu. Diesmal traf sie.
If you're going through hell, keep going.

Als sie auf das Deck zurückkam, tropfte noch immer Blut von der Spitze ihres Säbels. Danva musterte sie. "Alles in Ordnung?"
"Ging mir noch nie besser", antwortete sie ginsend. Immer noch lag ihr der Geschmack der Lebensenergie des Magiers auf den Lippen. Sieschmeckte süss, süsser als jede andere Energie. Sie schmeckte nach mehr. Du bist komplett verrückt, sagte eine Stimme in ihrem Kopf. Bevor sie noch auf die Idee kam, irgendeine Dummheit zu begehen, streifte sie den Säbel am Saum ihrer Tunika ab und steckte ihn schnell weg.
Sie liess die blau-rote Flagge von Vaesna vom Mast holen und ein behelfsmässiges schwarzes Tuch setzen als Zeichen für die Nachtzinne. Dann teilte sie die Männer an verschiedene Posten auf. Der Kommandant ihres eigenen Schiffes war in den Flammen umgekommen, und dem Gegnerischen konnten sie kaum vertrauen, also übernahm Danva das Steuer und Ro das Kommando. Mehrere Male versuchten im Verlauf der Schlacht gegnerische Schiffe ihnen nahe zu kommen, aber der auf sie gerichtete Flammenwerfer liess sie stets schnell rückwärts rudern. Schliesslich gab sich die Flotte von Vaesna geschlagen und floh nordwärts. Sie verfolgten sie nicht, sondern nahmen Kurs aufs Land. In der Abenddämmerung landeten sie an einer flachen, sandigen Küste.
If you're going through hell, keep going.

Der Morgen graute. Der Feind blieb immer noch auf derselben Stelle und bewegte sich nicht vom Fleck. Die Reiter der Nachtzinne hatten es geschafft die Kavallerie des Feindes zu zerschmettern und das bei sehr geringen Verlusten. Die Dunkelheit hatte ihnen zusätzlich geholfen. Die Zahl der Überlebenden von Vaesna belief sich auf etwa 300, während Armelion immer noch 270 Kampfesfähige Männer. 20 waren in der Schlacht gefallen und 10 waren so schwer verletzt, dass sie die nächsten paar Tage wahrscheinlich nicht überleben würden.
Armelion hatte warten müssen um sie zu heilen, denn sie hatten nicht gewusst ob noch weitere Feinde in der Nähe waren. Doch jetzt da die Sonne aufging und keiner der Späher etwas gemeldet hatte, liess er für dei Verwundeten ein kleines Lager einrichten, während der Rest die Pikeniere beobachtete. Die Soldaten von Vaesna hatten kaum Bogenschützen mehr und die Überlebenden hatte nur sehr wenige brauchbare Bögen. Während Ormuds Angriff hatten sie ihre Waffen weggeworfen um schneller rennen zu können und die Pferde waren darübergaloppiert. Nach Caelrias Zählung hatten sie nur noch 15 Bogenschützen mit brauchbaren Waffen.
Ormud ritt zu ihm hoch, stieg vom Pferd und salutierte. "Sie sitzen in der Falle Herr... ich meinte Armelion.", korrigierte er sich, als er das Stirnrunzeln seines Freundes sah. "150 von unseren Leuten haben Bögen dabei. Wir können den Feind abschiessen ohne auch nur einen einzigen Mann zu verlieren."
"Wartet noch mit dem Angriff. Lasst sie eure Waffen sehen und wenn sie sich bewegen schick ihnen einen Warnschuss, wenn sie sich dann immer noch bewegen kannst du sie töten.", erwiderte Armelion und kniete sich neben einem der Verwundeten. Ein Speer hatte den Muskel im Oberschenkel zerfetzt. Falls der Mann die Verletzung überleben würde, würde er für den Rest seines Lebens verkrüppelt sein.
"Also los Neyamrin. Darf ich mir deine Kraft leihen?" Der Drache öffnete sich ihm wortlos. Es erstaunte Armelion immer wieder wie viel Macht ein solches Wesen besass. Er griff mit seinem Geist nach der Magie und begann den Heilzauber. Silbriger Nebel wogte um seine Hände und er senkte sie auf die Wunde. Für einen Moment sog der Verwundete scharf die Luft ein, doch dann entspannte er sich. Armelion fühlte wie sich das zerissene Fleisch wieder zusammenfügte, die Blutadern wieder zusammenwuchsen. Nach etwa einer Minute war er fertig. Alles was von der Wunde zurückgeblieben war, war ein Fleck von heller Haut. "Belaste es in der nächsten Woche nicht stark.", befahl er, stand auf und ging zum nächsten Verwundeten. Dank Neyamrin konnte er alle heilen und obwohl er nichts von seiner eigenen Kraft gebraucht hatte, war er erschöpft. Es war keine körperliche Müdigkeit, sondern eher eine mentale.
"Du solltest eine Weile schlafen Armelion.", sagte Caelria sanft und legte ihm eine Hand auf die Schulter. "Wir kommen mit den restlichen schon klar."
Er nickte ihr dankbar zu und legte sich dann ins Gras. Einen Augenblick später schlief er tief und fest.

Es war eine lange, für Ende August aussergewöhnlich kühle Nacht, bis am anderen Morgen die Versorgungschiffe mit Zelten und anderer Ausrüstung eintrafen. Sie waren einen Tag später aufgebrochen, um bei einer allfälligen Seeschlacht - mit der ja zu rechnen gewesen war - nicht vernichtet zu werden. Karren hatten die Schiffe natürlich keine bringen können, also musste jeder seine Sachen selber tragen.
In den folgenden anderthalb Wochen kämpften sie sich nordwärts durch das Land. Die meisten Dörfer ergaben sich schnell. In manchen war zwar etwas Widerstand vorhanden, aber die behellfsmässigen Palisaden waren schnell erstürmt oder niedergebrannt und die Männer entwaffnet. Und wenn dann einmal ein paar Köpfe gerollt waren, warfen sich die Bauern schnell den Soldaten zu Füssen. Sie liessen sie einen Eid auf die Nachtzinne und Durien schwören, dann zogen sie weiter.
Ro gefiel diese vorgehensweise, denn es lief immer was. Das einzige, was sie daran etwas merkwürdig fand, war dass es ihnen strikte Verboten war zu plündern. Mehr als einmal war sie kurz davorgestanden, deswegen ernsthaften Ärger zu bekommen, denn ihre Söldner waren sich ganz anderes gewohnt, und sie sahen nicht ein, warum sie sich nicht nehmen sollten, was sie wollten. Immerhin waren sie doch die Sieger, oder? Und das musste man ausnutzen, solange man konnte. Ro sah das eigentlich auch so. Aber der Kommandant hatte eben etwas dagegen, und weil sie für das, was ihre Leute taten, gradestehen musste, lag ihr einiges daran, dass er nie davon erfuhr. Ein paar geschlachtete Tiere waren einfach zu vertuschen. Aber als einige der Männer sich in einem eroberten Dorf über zwei Bäuerinnen hergemacht hatten, war sie vermutlich nur knapp an einer Katastrophe vorbeigeschlittert. Sie hatte sie im Meer entsorgt und darauf gedrängt, schnell weiter zu reisen, und es war gerade nochmal gut gegangen. Sie schnaubte und fragte sich, wie lange die Kommandanten der Nachtzinne und ihre Leute noch an den edlen Ideen, die Bevölkerung rauszuhalten, festhalten würden. Der Krieg nahm früher oder später jede edle Gesinnung. Ro wettete, dass die Soldaten spätestens, wenn der Nachtzinne das Geld ausging um sie zu bezahlen und gut zu versorgen, darauf kamen, dass Plündern gar keine schlechte Idee war.
Anfang September erreichten sie schliesslich die Nordspitze der Halbinsel. Dort stand eine Festung mit einigen hundert Soldaten. Sie einzunehmen würde die erste richtige Herausforderung seit dem Seekampf werden.
If you're going through hell, keep going.

Als Armelion aufwachte stand die Sonne schon hoch am Himmel. Er setzte sich auf und sah sich um. Der Feind hielt immer noch die Stellung, doch sie hatten sich nicht gerührt. Ihre höchsten Offiziere mussten gefallen sein, ansonsten hätten sie schon längst was unternommen. Wahrscheinlich hatte jetzt irgendein Jüngling das Kommando und wusste weder ein noch aus.
Armelion stand auf und sofort kam ein Soldat zu ihm rüber und brachte ihm ein Stück Brot und einen Weinschlauch. Dankend nahm er es an und verschlang das Essen heisshungrig. Vom Wein nahm er allerdings nur ein paar Schlucke er brauchte einen klaren Kopf für das was er tun musste. Er ging rüber zu Ormud, der bei einigen Bogenschützen stand und mit ihnen redete. Caelria war ebenfalls bei ihm.
"Habt ihr irgendwelche Vorschläge was wir tun sollen?", fragte Ormud und deutete auf die gegnerischen Soldaten. Armelion schwieg und blickte zu Caelria rüber. Sie zuckte mit den Schultern, aber ihre Hand lag auf ihrem Bogen. Er wusste was sie dachte.
"Ihr denkt wir sollten sie abschiessen bis wir keine Pfeile mehr haben und dann erledigen wir den Rest. Ist es nicht so?", fragte der Elf und blickte sie scharf an.
Nach einer Weile nickten sie, wenn auch zögerlich.
"Das ist nicht richtig.", knurrte er.
"Es ist aber notwendig. Was denkst du wird passieren, wenn wir sie laufenlassen? Sie schliessen sich Vaesna wieder an und dann werden wir Männer verlieren wenn wir gegen sie kämpfen. Dann wärst du nicht nur für den Tod dieser Männer verantwortlich sondern auch für die, die gegen sie haben kämpfen müssen. Wir können sie nicht gefangen nehmen, dafür sind wir viel zu wenige. Du hast selbst gesagt wir sollen sie töten wenn sie zu fliehen versuchen.", erwiderte Caelria sanft.
"Ich weiss, aber... falls wir das tun, gewinnen wir nie die Unterstützung der Bevölkerung. Haltet sie noch eine Weile auf. Ich überlege mir etwas.", befahl er und wandte sich mit einem Ruck von ihnen ab. Caelria schaute zu Ormud rüber und zuckte mit den Schultern. Der grossgewachsene Mann schüttelte den Kopf und gab die Befehle weiter. Er sah keine andere Möglichkeit als den Feind zu töten.

"Ich werde mit ihnen reden!", sagte Armelion schlussendlich. "Vielleicht kann ich eine Lösung finden."
"Das ist verrückt!", knurrte Caelria. "Sie sind unsere Feinde. Der Krieg fordert nun mal Opfer. Daran kannst du nichts ändern."
"Aber ich kann versuchen, die Opfer zu minimieren.", erwiederte er scharf und stiefelte wütend an ihr vorbei. Sie rief ihm noch etwas nach, doch er ignorierte sie. Die Soldaten der Nachtzinne schauten ihm verdattert nach, als er auf die Feinde zumarschierte. Einer der feindlichen Bogenschützen schoss einen Pfeil auf ihn ab, doch er fegte ihn mit einer Handbewegung zur Seite. "Ich will reden!"
Zuerst war alles still, doch dann hörte er auf einmal laute Stimmen und zwei Männer drängten sich durch die Reihen der Pikeniere. Oder besser gesagt einer schob sich durch ihre Reihen und zerrte einen zweiten hinter sich her. Der Mann, der den anderen zog, war kleingewachsen, aber hatte breite kräftige Schultern und sah sehr stark aus. Er starrte Armelion finster an, doch in seiner Miene konnte der Elf auch Respekt lesen. Der andere war noch sehr jung. Er konnte kaum siebzehn Jahre alt sein, wenn nicht jünger.
"Dieser Waschlappen hat das Kommado über unsere Truppe. Aber ich spreche für die Soldaten.", sagte er mit fester Stimme und hielt etwa drei Meter vor Armelion an.
Der Elf nickte und betrachtete den jüngeren Mann. Dieser wimmerte vor Furcht und versuchte sich hinter dem breiteren Soldaten zu verstecken. Armelion entschied sich ihn nicht weiter zu beachten und richtete seine Aufmerksamkeit auf den älteren Mann. "Mein Name ist Armelion. Ich führe das Kommando über die Reiter und kontrolliere den Zugang zu der Halbinsel."
"Mein Name ist Egbert und dieses Weichei hier ist der Sohn irgendeines Adligen." Er zeigte mit dem Daumen auf den Mann hinter ihm und fuhr fort, "Aber genug der Höflichkeiten. Wir wissen, dass ihr die Halbinsel angreift und die Dörfer unterwerft. Wir wollen unsere Familien beschützen, darum hat uns Vaesna hochgeschickt. Aber ihr habt uns besiegt und diktiert nun die Bedingungen. Was bietet ihr uns also an?"
"Freier Abzug.", erwiderte Armelion. Der Mann riss erstaunt die Augen auf, er hatte mit nichts dergleichen gerechnet. Bevor er ihn allerdings unterbrechen konnte, fuhr der Elf fort, "Ihr legt eure Waffen und Rüstungen ab und geht zu euren Familien. Ihnen sollte nichts geschehen sein, denn wir wollen den Thron für Alvias Sohn Biarn erobern und nicht für uns selbst. Ich verspreche euch wenn ihr euch ergebt und eure Waffen hier lässt wird euch nichts geschehen. Allerdings müsst ihr einen Eid schwören nie wieder die Waffen gegen uns zu erheben."
Egbert schluckte und wollte gerade antworten, da wurde er von dem jungen Mann hinter ihm unterbrochen. "Ihr dürft das nicht tun. Mein Vater wird davon erfahren. Er wird euch bestrafen."
"Halt die Klappe.", knurrte Egbert. "Deine Drohungen sind nur leeres Geschwätz. Alles um was ich mich sorge ist meine Familie, mir ist es gleich wenn sich die Generäle gegenseitig die Köpfe einschlagen." Er wandte sich zu Armelion. "Also gut, wir tun was ihr verlangt, aber ihr schwört mir bei eurem Blute, dass unsere Heimat nicht geplündert werden wird."
Der Elf nickte. "Ich schwöre es." Egbert nickte. Für die Menschen der Nachtzinne bedeuteten Schwüre viel. Sie banden einen Meschen an seinen Herrn, bis dieser ihn aus seinen Diensten entlassen hatte. Allerdings erlosch ein solcher Schwur, wenn der Dienstherr seinen Pflichten seinem Schwurmann gegenüber nicht nachkam. Nach einem Moment des Zögerns wandte Egbert sich zu den restlichen Soldaten.
"Legt die Waffen nieder! Wir gehen nach Hause!", befahl er. Für einen Moment herrschte Stille, doch dann begannen einige zu murren. Doch Egbert hatte die Mehrheit auf seiner Seite. Sie legten ihre Waffen und Rüstungen auf einen Haufen vor den Reitern und stellten sich dann in einem unordentlichen Haufen vor den Reitern aus der Nachtzinne auf. Nachdem alle den Schwur abgelegt haben nie wieder bewaffnet gegen die Nachtzinne zu marschieren, liess Armelion sie gehen. Den Sohn des Adligen behielt er allerdings. Für ihn konnten sie ein hübsches Lösegeld erpressen. Den anderen Soldaten schaute er mit gemischten Gefühlen nach, als sie über die Hügel marschierten. Hatte er die richtige Entscheidung getroffen? Oder würde es nur noch mehr Opfer in diesem Krieg geben?
Trotzdem, sie mussten die Bevölkerung auf ihre Seite haben wenn sie diesen Krieg gewinnen wollten und her hoffte dass er mit dieser Geste ihrer Treue einen Schritt näher gekommen war.

Am nördlichsten Ende der Halbinsel stieg die sonst weiche, flache Küste lansam zu Kalksteinhügeln an, die das Meer wie auch das Land dahinter überragten, vom Land her langsam ansteigend und gegen das Meer hin als schroffe Klippen fallend. Auf einer dieser Klippen stand die Festung - für einmal eine richtige Festung, kein befestigtes Lager - erbaut aus dem selben Stein wie der Fels unter ihr. Sie hatten das Lager etwa eineinhalb Kilometer südlich davon aufgeschlagen, in der flachen Ebene, bevor die Klippen begannen aufzusteigen. Sie konnten die beeindruckende Anlage von hier aus gut sehen, und die Feinde konnten sie ebenso sehen, zogen es aber anscheinend vor, in der Festung zu bleiben.
Der Kommandant rief die Offiziere in der Mitte des Lagers zusammen. "Wir haben keine Zeit, die Festung zu belagern", begann er direkt. "Wir müssen sie so schnell wie möglich einnehmen und zu den Truppen im Süden stossen, bevor Vaesna seine Hauptstreitmacht auf sie losschickt. Wir werden also stürmen müssen."
Ro trat einen Schritt vor. "Wissen wir, wie das Innere der Festung aussieht?" Nach der Seeschlacht hatte sich herumgesprochen, dass sie einen Magier getötet hatte. Das und ihr Einsatz in jeder Dorferoberung hatten ihr den Respekt eingebracht, in der Versammlung sprechen zu können, ohne aufgefordert zu werden.
Der Kommandant sah sie an. "Unsere Spione berichten, dass auf der Westseite das Haus des Burgherrs ist, im Norden die Soldatenquartiere und im Süden die Stallungen. Im Nordwesten, genau gegenüber des Tores steht zudem ein Bergfried als Rückzugsort. Ob es daraus einen Fluchttunnel gibt, ist uns nicht bekannt. In der Mitte des Hofes befindet sich eine Zisterne, kein Brunnen. Die Gebäude sind ebenso aus Stein wie die Mauern, die Stallungen aus Holz, das Herrenhaus ist mit Schindeln gedeckt, die übrigen mit Stroh. An der Innenseite der Mauerkrone verläuft ein ungedeckter Wehrgang, das Tor ist doppelt, wird aber jeweils nur von einem Riegel gehalten. Allgemein hat die Festung schon bessere Zeiten gesehen, und wurde nicht sonderlich gut in Stand gehalten."
Ro nickte und trat zurück.
"Sie haben vierhundert Kämpfer, etwa hundert Bogenschützen, dazu an die Dreihundert Dörfler, die in die Mauern geflohen sind. Diese sind unbewaffnet, können uns aber auch heisses Öl auf die Köpfe leeren, also sollten wir sie nicht vergessen."
Ro blickte zur Festung hinüber. Achthundert Leute waren da drin? Das musste ja völlig überfüllt sein. Ihr kam eine Idee, aber ein anderer Offizier kam ihr zuvor damit, sie auszusprechen. "Wenn wir die Gebäude anzünden, können sie nicht alle drin bleiben. Da ist zu wenig Platz, um den Flammen zu entkommen. Sie werden die Tore öffnen müssen."
Der Kommandant verzog das Gesicht. "Dabei werden viele Unschuldige sterben."
Diesmal konnte Ro ein schnauben nicht mehr unterdrücken. "Herr Kommandant", sagte sie, als er sich zu ihr umdrehte. "Ich weiss nicht, wie sehr ihr euch dieser Tatsache bewusst seid, aber wir befinden uns im Krieg."
Er richtete sich auf. "Was meint ihr damit, Raven?"
"Dass jeder, der nicht auf unserer Seite steht, ein Feind ist, und kein Feind ist unschuldig", sagte sie kalt. "Ihr habt selbst gesagt, dass diese Bauern nicht zögern würden, uns mit brennendem Öl zu übergiessen. Weshalb wollt ihr sie umgekehrt verschonen?"
Er seufzte. "Legat Armelion will die Bevölkerung auf unsere Seite bringen. Das gelingt uns nicht, indem wir sie töten. Ausserdem verteidigen diese Männer die Burg nur, weil sie glauben, dass ihnen nichts anderes übrig bleibt. Legat Armelion will nicht, dass die Bevölkerung unter dem Krieg leidet und ich unterstütze diese Ansicht."
Aha, da lag der Hase also. Sie versuchte, ihre nächsten Worte sorgfältig zu wählen. "Ich zweifle nicht an den Fähigkeiten des Legaten. Er ist sicherlich ein guter Stratege und ein grosser Krieger, aber verzeiht mir folgende Bemerkung: ich glaube er ist ein unverbesserlicher Utopist. Kriege gewinnt man nicht mit hohen Idealen, man gewinnt sie mit Stahl und Feuer. Seht euch diese Festung an. Glaubt ihr, wir können sie innert nützlicher Frist auf "schonende" Weise erobern, ohne dabei massive Verluste zu erleiden, Verluste, die uns möglicherweise später den Sieg kosten werden?"
Der Kommandant gab nicht sofort eine Antwort. Er wirkte unsicher.
"Wir sind hier, damit Fürst Durien und die Nachtzinne diesen Krieg gewinnen", fuhr Ro fort. "Das ist unsere Aufgabe, und wir können nicht riskieren zu versagen, nur wegen ein paar Bauern."
Unter den Offizieren wurde Zustimmung laut. "Warum sollten wir unsere Männer in den Tod laufen lassen, nur damit einige Bauern überleben? Von denen hat es doch genug."
Weitere Stimmen schlossen sich an und der Kommandant wirkte immer mehr in die Ecke gedrängt. Ro fragte sich, warum er nicht einfach seine Meinung durchsetzte. Er war der Befehlshaber, und die Offiziere hätten ihm im Zweifelsfall immer noch gehorcht. Sie musterte ihn scharf und stellte fest, dass er in erster Linie mit sich selbst rang. Sein Verstand schien zu erkennen, dass sie recht hatten, aber sein Gewissen stellte sich dagegen. Ro schüttelte innerlich den Kopf. Wie konnte ein Mann in seinem Alter, noch dazu ein Soldat, immer noch so an seinem Gewissen hängen?
Schliesslich schien er eine Entscheidung getroffen zu haben, denn sein Gesicht verhärtete sich. "Einverstanden", sagte er. "Wir greifen mit Feuer an. Aber ich werde ihnen zuerst die Möglichkeit geben zu kapitulieren."
Sie besprachen den genauen Angriffsplan bis in die Nacht hinein und beschlossen, erst am übernächsten Tag anzugreifen, damit sie erst noch Schutzschilde für die Brandschützen bauen konnten, damit sie nicht selbst in einen Pfeilhagel gerieten.
Als die Sitzung schliesslich aufgehoben war und Ro zu ihren Leuten zurückkehren wollte, stand plötzlich der Kommandant neben ihr. "Hauptmann Raven", sagte er eindringlich. "Ihr seid gute Kämpfer, aber eure Moral und die eurer Männer macht mir Sorgen."
Irritiert runzelte sie die Stirn. "Unsere Kampfmoral ist ungebrochen."
"Ich meine nicht eure Kampfmoral", meinte der Kommandant. "Ich meine eure Vorstellungen von Moral, von Recht und Unrecht."
Sie lachte auf. "Moralvorstellungen? Wir sind Söldner. Wir kennen keine Moral."
"Das sehe ich", zischte er zwischen zusammengebissenen Zähnen. "Aber um Himmelswillen, steckt nicht meine Soldaten damit an. Das sind Männer, Väter und Söhne, die nach dem Krieg in ihre Familien zurückkehren und noch normale Menschen sein sollen."
Sie schaffte es gerade noch, sich auf die Zunge zu beissen, um nicht erneut loszulachen, denn sie ahnte, dass der Kommandant es alles andere als lustig gefunden hätte. Glaubte er etwa ernsthaft, nach dem Krieg würde noch irgendetwas so sein wie zuvor? Sie bekam sich wieder in den Griff und sah den Kommandanten kalt an. "Ich versuche niemanden zu demoralisieren. Ich sage nur die Wahrheit. Aber ich kann sie auch verschweigen, wenn ihr das für besser haltet."
In ihrer Stimme schwang ein merkwürdiger, dunkler Unterton mit bei den letzten Worten. Der Kommandant fing ihn auf und offensichtlich traute er sich plötzlich nicht mehr, etwas dagegen zu sagen, sondern nickte ihre nur zu und ging davon. Sie marschierte zu den Zelten ihrer Leute und fragte sich, wie lange dieser Mann wohl noch Kommandant sein würde. Er war zu schwach für so einen Posten.
If you're going through hell, keep going.

Armelion traute den Männern von Vaesna natürlich nicht vollständig und schickte ihnen eine zwanzig Mann starke Spähtruppe hinterher. Jeden zweiten Tag sollte einer von ihnen Meldung erstatten und falls sie keine erhielten, würde er das als Anlass sehen, dass Egbert und seine Männer ihren Schwur gebrochen hatten. In diesem Fall würde ihm nichts anderes übrig bleiben als sie aufzusuchen und zu töten. Die Waffen und Rüstungen, die sie den Männern abgenommen hatten, liess er verstecken. Er würde sie zur Nachtzinne bringen lassen. Die Ausrüstung würde viel Geld wert sein und je weniger sie ausgaben, desto länger würden sie diesen Krieg führen können.
In den kommenden Tagen sichteten sie keine Feinde mehr. Armelion nahm an, dass sie sich zurückgezogen hatten und die Verteidigung der Stadt vorbereiteten, aber er konnte sich dessen nicht sicher sein. Wenn Graf Vaesna noch eine Streitmacht hochschicken würde, würde er Probleme haben sie aufzuhalten. Denn die nächste Truppe würde bestimmt vorsichter sein. Also wartete er und hoffte das die restlichen Soldaten der Nachtzinne und Tyre die Halbinsel bald gesichert hatten.

Sie hatten sich zur Schlacht aufgestellt, die vordersten Reihen knappe fünfhundert Meter von den weissen Mauern entfernt, gerade noch ausserhalb der Reichweite der Ballisten. Ro stand in der vordersten Reihe, vor den Söldnern und dem Teil der Soldaten, den sie kommandierte. Stille herrschte, nur der Wind fuhr über das lange Gras. Dann ertönte ein Horn aus dem Heer und eine Fahne wurde gehisst, die in der hiesigen Flaggensprache die Aufforderung zu einer Verhandlung bedeutete. Kurz darauf stieg auch auf den Mauern der Festung eine Fahne auf. Keine Verhandlung.
Ro sah, wie der Kommandant zögerte, doch schliesslich gab er den Befehl zum Angriff. Hinter tragbare, hölzerne Wände geduckt rückten die Bogenschützen vor, das Hauptheer folgte mit einigem Abstand. Ro sah, dass die beiden Ballisten auf den Mauern ausgerichtet wurden, die Stahlbolzen schnellten los. Einer traf und liess eine Holzwand in drei Teile zersplittern, der andere grub sich in die Erde. Als die Schützen in Reichweite der gegnerischen Bögen kam, stieg ein dunkler Schwarm von Pfeilen von den Mauern der Festung auf und regnete nieder, aber sein Effekt war klein, die Pfeile bohrten sich nur in Holz. Dann kam die Antwort von den Schützen der Nachtzinne, und diese Pfeile zogen Rauchschweife hinter sich her.
Acht Mal schossen die Brandschützen, bis schliesslich dunkler Rauch aus der Festung aufstieg. Sofort kam Bewegung ins Heer, sie liefen zur Ostseite der Burg, dort, wo das Tor lag. Der Wind wehte von Westen und er trug nicht nur den Rauch mit sich, sondern auch die Verzweifelten Schreie von Menschen. Ro zog den Säbel, bereit, loszustürmen, sobald sich die Tore öffneten. Aber die Tore öffneten sich nicht.
Schon leckten die Flammen über die Mauerkrone, Menschen schrien und Pferde wieherten in Todesangst. Ro ahnte, dass da drin jetzt verdammt wenig Platz sein musste, auf dem man nicht gebraten wurde. Doch die Torflügel blieben noch immer zu. Ro stand nahe genug beim Kommandanten, um zu hören, was dieser sagte. "Sie öffnen sie nicht. Sie lassen sie einfach verbrennen." Seine Stimme klang vollkommen entsetzt darüber, dass jemand zu so einem Entscheid fähig war, die eigenen Bauern verbrennen zu lassen, nur um die Festung nicht aufzugeben. In seiner Stimme klang aber noch etwas anderes mit, eine Verlorenheit und Verzweiflung, die Ro aufblicken liessen. Sie sah, dass er stumm die Lippen bewegte und las davon, was er sagte. Meine Schuld. Meine Schuld.
Ro blickte zur Festung hinüber. Sie konnten warten, bis die Gebäude ausgebrannt waren, und dann versuchen, gegen eine deutlich dezimierte Besatzung anzustürmen. Oder sie konnten es jetzt tun, mitten in der ganzen Verwirrung des Gegners, mit der Gefahr, selbst in den Brand zu geraten. Sie würden die Tore irgendwie aufbrechen müssen, so oder so. Sie kam zum Schluss, dass ein Angriff jetzt besser war und sah zum Kommandanten hinüber. Der aber gab keinen Befehl, sondern stand nur da, mit starrem Blick und immer noch stumm sprechend. Ihr Blick wanderte weiter zu seinem Stellvertreter, der stirnrunzelnd daneben stand, und nicht recht wusste, was mit seinem Vorgesetzten los war.
Ro fluchte, rannte zu den beiden hinüber. Ein Blick in die Augen des Kommandanten genügte. Der Typ hatte den Verstand verloren, der würde heute gar keinen Befehl mehr geben. Sie sah den Stellvertreter an. "Wir sollten angreifen." Er erwiderte ihren Blick und nickte, dann wies er mit dem Kinn auf den Kommandanten.
"Vergiss ihn, wenn wir die Schlacht heute gewinnen sollen", sagte Ro kalt.
Er nickte abermals und bedeutete ihr, zu ihren Leuten zurückzugehen. Dann gab er das Zeichen. Ro streckte den Säbel über ihren Kopf. "Angriff!!"
Kaum jemand schoss auf sie, als sie auf die Festung zustürmten. Das Tor gab schneller nach, als Ro erwartet hätte, als ein dutzend Männer sich dagegen warf, fiel es einfach aus den Angeln. Sie liefen durch den kurzen Korridor, rannten auch das zweite Tor ein, und fanden sich in einer verwirrenden Situation wieder. Die Ställe standen Lichterloh in Flammen, aus den Fenstern der Quartiere leckte das Feuer, nur Herrenhaus und Bergfried wirkten noch unversehrt. Im breiten Hof drängte sich eine Masse von Leuten. Vor ihnen stand eine sechs Mann starke Front von Kriegern, aber sie waren nicht gegen die Feinde gewandt, die einstürmten, sondern hatten die Spiesse auf die eigenen Leute gerichtet. Ro brauchte einige Augenblicke um zu kapieren, was da los war. Die Bauern hatten vor dem Feuer fliehen wollen, die Soldaten hatten sie mit Gewalt daran gehindert, die Burg zu verlassen.
Sie würden die Soldaten töten müssen. Dann würde das Volk versuchen, hinauszulaufen, und dabei dem anstürmenden Heer in die Arme laufen. Das würde verdammt blutig werden. Ein Grinsen schlich sich auf ihre Lippen. Die Flammen schlugen hoch. Ein Teil von ihr begriff, dass sich kurz davor war, die Beherrschung zu verlieren. Es war ihr scheissegal. Ihr Grinsen wurde breiter, sie holte aus und trennte dem ersten der sich hastig umdrehenden Soldaten den Hals durch.
If you're going through hell, keep going.

Der Himmel war blutrot, als die Sonne am Horizont versank. Ro stand auf dem Wehrgang, mit dem Rücken an die Mauer gelehnt und blickte auf die verkohlten Überreste des Stalles hinunter. Der Platz dahinter war so rot wie der Himmel. Blut aus aufgeschlitzten Kehlen, gespalteten Schädeln, aufgerissenen Körpern. Sie hob die Säbelklinge. Das Blut daran war dunkel wie Wein, das Metall glänzte im Licht der Untergehenden Sonne wie Feuer. Sie stiess den Toten Soldaten neben ihr mit einem Tritt über den Rand des Wehrgangs und hörte, wie er in die rauchenden Trümmer darunter krachte.
Langsam wischte sie den Säbel an ihrer Tunika ab und steckte ihn in die Scheide. Dann stieg sie die Treppe hinunter und ging zum Tor, wo der Stellvertreter des Kommandanten und einige Offiziere versammelt waren. "Der Burgherr hält sich noch immer mit einigen Leuten im Bergfried versteckt", sagte ein Offizier. "Aber es sollte nicht mehr lange dauern, bis wir eine Leiter gebaut haben, die bis zur Tür hinauf reicht."
Der Stellvertreter nickte. "Was ist mit den übrigen Soldaten?"
"Alle tot bis auf fünf", antwortete Ro und unterdrückte ein Gähnen. Die besagten fünf Soldaten waren schlau genug gewesen, sich solange tot zu stellen, bis der Kampf vorbei war. Jetzt sassen sie verschnürt beim Palace und wünschten sich vermutlich, sie hätten es nicht getan, denn Lor stand bei ihnen und von dem was Ro aufgeschnappt hatte, schilderte er anschaulich, was sie mit ihnen anstellen würden. Vermutlich würden sie zu nichts davon die Erlaubnis bekommen, aber ein bisschen Angst machen schadete nie.
"Und mit den Zivilisten?"
"Etwa die Hälfte ist tot", antwortete ein Offizier. "Die anderen sind draussen von unseren Leuten umstellt."
Der Stellvertreter seufzte. "Was sollen wir mit den Leuten machen? Wir können sie nicht einfach ziehen lassen. Sie hassen uns, weil sie durch uns Familienmitglieder verloren haben."
Ro gähnte. "Wir können sie alle umbringen."
Der Stellvertreter sah sie befremdet an. "Meinst du das ernst?"
"Nein", antwortete sie schnell. Sie hatte es zwar durchaus ernst gemeint, aber ihr war im Nachhinein klar geworden, wie schlimm das klang. Und dass sie es vermutlich selber nicht gesagt hätte, hätte sie nicht unter den Nachwirkungen des Kampfrausches gestanden.
Zwei Soldaten kamen herbei, die zwischen sich einen dritten schleppten. "Hauptmann", sprachen sie den Stellvertreter an. "Wir haben den Kommandanten gefunden."
"Ist er verletzt?"
"Nein", antwortete der Soldat. "Aber er redet unverständliches Zeug."
Tatsächlich murmelte der Kommandant irgendetwas, ohne dabei den Blick zu heben. Dann riss er plötzlich den Kopf hoch und starrte in die Runde. Der Stellvertreter wich automatisch einen Schritt zurück. "Er ist wahnsinnig."
Ro sah ihn an. "Dann seid ihr jetzt Kommandant."
Der Stellvertreter wirkte völlig überrumpelt, doch schliesslich sagte er: "Ja... so ist es. Bringt ihn zu den Verwundeten."
Ro sah den Männern nach, als sie den Verrückten wegbrachten. Er tat ihr leid. Er hatte die Bevölkerung und seine Soldaten vor den schlimmsten Auswirkungen des Krieges beschützen wollen und jetzt hatte es ihn als ersten erwischt. Das Wissen darum für wie viele Tote er verantwortlich war hatte ihn zerbrochen.
Schlussendlich blieb ihnen nichts übrig, als die Bauern doch frei zu lassen, denn - im Gegensatz zum Burgherren und seiner Familie - konnten sie sie ja nicht mitnehmen, und töten kam nicht in Frage. Noch nicht, wie sich Ro sagte. Sie zweifelte keinen Moment daran, dass dieser Krieg auch jenes Stadium noch erreichen würden, in dem man so etwas ohne nachzudenken tat. Sie selbst hatte das zwar noch nie erlebt, aber Darez hatte ihr davon erzählt. Und Bürgerkriege waren die schlimmsten Kriege, denn schlussendlich ging es nicht mehr um den Sieg, sondern um die absolute Vernichtung des Gegners.
In den anderthalb Wochen darauf zogen sie nach Süden und nahmen den unteren Teil der Halbinsel ein. Schliesslich stiessen sie zu den Reitern.
If you're going through hell, keep going.

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