Ro salutierte und ging auf direktem Weg zu ihrem Zelt.
Sie setzte sich im Schneidersitz auf ihr Fell und breitete den Stadtplan vor sich aus, bereit, ihn bis auf die letzte Gasse auswendig zu lernen. Wenn sie in die Stadt eindrangen, hatten ihre Feinde stets den Vorteil, das sie das Gelände wesentlich besser kannten als sie selbst. Sie wollte diesen Nachteil so weit ausgleichen wie nur möglich. Vorsichtig zündete sie eine Öllampe an, stellte sie neben den Plan und beugte sich darüber. Sie schätzte, dass sie nicht sehr lange brauchen würde, um die wichtigeren Routen genau zu kennen, mit Plänen war sie schon immer gut zurecht gekommen.
Nachher würde sie Arsa und Nesh rufen müssen. Automatisch zuckte sie bei diesem Gedanken fast zusammen. Verdammte Scheisse, fuhr sie sich in Gedanken an. Jetzt hör endlich auf mit dem Scheiss. Er ist dein Fourier und dein Stellvertreter, mehr nicht, also hör auf, dir irgendwas einzureden. Die Aufgabe, die vor ihnen lag war zu schwierig, um sich dauernd ablenken zu lassen. Sie würden irgendwie auf diese Mauern hinaufkommen müssen, und sich dann durch die ganze Stadt schlagen. Liess sich nur hoffen, dass sich die gegnerischen Soldaten nicht in den Häusern verkrochen. Mach dir keine Hoffnung, sagte sie sich. Sie tun es eh. Sie selbst hätte es auf jeden Fall getan.
Nachdenklich stützte sie das Kinn in die Hände. Es war das erste Mal, dass sie um eine Stadt kämpfen würde. Sie hatte den Nordwestkrieg damals verlassen, lange bevor sie die Klippenstädte erreicht hatten. Unwillkürlich fragte sie sich, was aus ihr geworden wäre, hätte sie das damals nicht getan. Sie wäre niemals Diebin geworden. Wäre vermutlich niemals in Ladril gewesen, oder in Murgird. Hätte niemals von den Magiern erfahren. Sie wäre nur Söldner geblieben, und vielleicht irgendwann Hauptmann geworden. Allerdings, nein, der Krieg war ja zwei Jahre später fertig gewesen. Also wäre sie arbeitslos durchs Land gezogen wie Nesh und die anderen. Vielleicht wäre sie nach Derni gegangen, immerhin musste sie da noch einen Rest Verwandtschaft haben, auch wenn die sie nicht sonderlich mochten. Vielleicht hätte sie am Ende sogar sowas komisches gemacht, wie irgendeinen zu heiraten und ein ganz normales Leben zu beginnen. Nein, die Vorstellung war echt absurd.
Andere Frage: hätte der Kommandant sie überhaupt behalten? Einerseits hatte er gewusst, dass sie ein ebenso guter Kämpfer war, wie ihr Vater es gewesen war, andererseits war sie ein Mädchen, knappe vierzehn Jahre alt. Und unter wessen Befehl hätte er sie stellen sollen? Sie stiess die Luft aus in einem Gemisch aus Schnauben und Seufzen. Die Überlegungen waren eh müssig. Sie hatte nicht bleiben können, sie hätte es niemals fertig gebracht, auf den selben Schlachtfeldern einfach weiter zu kämpfen, nachdem Darez gestorben war. Darez. Schmerz durchzuckte sie wie von einer alten Wunde, als sein Bild ihre Gedanken streifte. Dann wurde es von einem anderen verdrängt, von Nesh, wie er aufgespiesst wurde, und dieser Schmerz war wesentlich frischer. Aber Nesh war nicht tot. Er lebte. Sie merkte, dass sie begann dümmlich zu grinsen, und verpasste sich eine heftige Ohrfeige.
Schnaubend stand sie auf, trat aus dem Zelt und rief laut nach Arsa und Nesh. Es dauerte nicht lange, bis beide da waren. Sie schluckte, versuchte Nesh am besten gar nicht anzusehen und Arsa keinen allzu wütenden Blick zuzuwerfen. Immerhin war er daran Schuld, dass sie sich jetzt mit sich selber herumschlagen musste. Sie folgten ihr ins Zelt und setzten sich ihr gegenüber vor die Karte. Sie erläuterte alle wichtigen Punkte darauf, wo sie angreifen würden und was sie danach zu tun hatten. "Zuerst das Tor", fasste sie zusammen. "Dann in Richtung Osten die Mauer räumen, den nächsten Turm blockieren und dafür sorgen, dass unsere Ballistiker raufkommen. Dann weiter die Mauer entlang."
"Was machen wir, wenn die Mauer dort schon uns gehört", fragte Nesh.
Sie blickte auf und sah ihn an. "Dann versuchen wir durch den Turm..." Seine Augen waren hell, mit einem dunkleren Rand und leuchtenden Strahlen, die von der Mitte nach aussen liefen, wie das Strahlen eines Sterns. Blaugraue Sterne, kühl wie Wasser, aber viel lebendiger...
"Ist jemand zuhause?"
Sie bemerkte, dass Arsa ihr mit der Hand vor dem Gesicht herumwedelte und schlug sie weg. "Zum Teufel, darf man nicht mal kurz nachdenken?"
"Ich will gar nicht wissen, woran du jetzt gerade gedacht hast", meinte Arsa, aber sein Grinsen sagte ihr, dass er es eigentlich genau wissen wollte. Sie fragte sich, was für einen merkwürdigen Gesichtsausdruck sie wohl gemacht hatte.
"Was versuchen wir durch den Turm?", fragte Nesh.
"In die Stadt runter zu kommen", sagte Ro. "Und uns möglichst direkt zur Zitadelle durch zu schlagen."
Sie widerstand mit Mühe der Versuchung und sah Nesh während dem ganzen Rest des Gesprächs nicht mehr an. Als die beiden schliesslich gegangen waren, liess sie sich auf ihr Fell fallen. Einige Augenblicke lag sie nur da, das Gesicht in die weiche Schlafunterlage gedrückt, dann schlug sie mit den Fäusten darauf ein. Verdammt, verdammt, verdammt! Warum musste ihr das jetzt passieren.
If you're going through hell, keep going.

Fünf Tage später war sie endgültig mit den Nerven am Ende und schliesslich musste sie einsehen, dass es keinen anderen Weg gab, als es einfach zu akzeptieren. Sie liebte Nesh. Warum auch immer. Wenn sie versuchte objektiv zu urteilen, sah er eigentlich nicht besser aus als der ganze restliche Haufen dreckiger, unrasierter, grober Söldner. Gut, Nesh hatte im Gegensatz zu den meisten immerhin einen halbwegs ansehnlichen Vollbart, aber trotzdem. Seine Locken waren so schmutzig, dass man nicht mehr sah, dass sie blond waren, er war ziemlich gross und mit Gambesan etwa doppelt so breit wie sie mit Rüstung. Und er war mindestens sieben oder acht Jahre älter als sie. Wieso gerade er? Sie hatte keine Ahung. Es war verrückt, aber es war einfach so.
Jedes Mal, wenn sie ihm über den Weg lief, schlug ihr Herz, als stünde ein Kampf bevor, und wenn sie ihn ansah, hatte sie das dumme Gefühl, dass sie gleich umkippen würde. Sie war nie umgekippt, aber das war einfach absurd, nicht? Dass sie sich davor fürchtete, ihm zufällig zu begegnen, während sie sich nachts wünschte, er würde neben ihr liegen und ihr wieder über den Rücken streichen. Wofür sie sich dann jeweils selbst eine Ohrfeige verpasste. Was im Grunde noch lächerlicher war.
Kurz und gut kapierte sie eigentlich gar nichts mehr, nur dass sie ihn liebte. Damit war eines geklärt, aber das vereinfachte die anderen Probleme nicht gerade. Sie konnte nichts mit ihm anfangen. Das ging einfach nicht. Aber es ging auch nicht nicht. Sie war nicht weit davon entfernt durchzudrehen. Zu den ganzen Schwierigkeiten war sogar noch was hinzu gekommen. Ihr war nämlich aufgefallen, dass Nesh denken musste, dass sie absolut nichts von ihm wollte. Besser gesagt, nach der Gesichte mit Aeron und den Gerüchten aus dem Hurendorf musste er denken, dass sie überhaupt nichts von Männern wollte. Wieso musste das so kompliziert sein.
Glücklicherweise war nicht alles so verworren. Die Vorbereitungen für den Angriff auf Eyni schritten gut voran, sie hatten bereits bei weitem genügend Leitern, die Männer waren bestens instruiert und sie warteten eigentlich nur noch, bis die Flotte bereit war. Der Nachteil dabei war, dass sich die Söldner begannen zu langweilen. Nachdem es zwei Tage lang dauernd zu Prügeleien gekommen war, beschloss Ro, dass man sie irgendwie beschäftigen musste. Sie kam zum Schluss, dass ein kleines Turnier keine schlechte Idee war, wenn sie sich unbedingt Prügeln wollten. Allerdings musste sie darauf auch einen Preis aussetzen, und so beantragte sie beim Kommandanten einige Fässer Wein, einerseits um den Gewinnern ein paar Schläuche davon zu geben, andererseits, damit nach dem Turnier alle ihren Spass hatten und auch die Verlierer versöhnt waren. Nichts dämpfte Aggressionen so sehr wie sich prügeln und danach miteinander Bruderschaft trinken.
If you're going through hell, keep going.

Als der Bote ihm die Nachricht von Ro überbrachte war Armelion im ersten Augenblick geneigt die Bitte abzulehnen, doch dann überlegte er für einen Augenblick. Ein solches Turnier würde sicher die Stimmung der Soldaten heben und ein Besäufnis kam immer gut an. Allerdings würden nicht nur die Söldner mitmachen. Er würde unter all den freiwilligen, die sich melden würden etwa zwei- bis dreihundert auslosen lassen, die mit den Söldnern kämpfen durften. Das könnte auch das Bündnis zwischen den Söldnern und den Soldaten stärken.
"Geht und stellt die Fässer beiseite. Und treibt noch ein paar Bier auf. Es soll für alle reichen.", beorderte er und wandte sich wieder den endlosen Listen vor ihm auf dem Tisch zu. Es waren Listen von Befehlen, Truppenbewegungen, Meldungen von Spionen, Berichte über den Nachschub, Listen über was die Armee täglich brauchte und und und. Mit einem unwirschen Knurren unterzeichnete ein weiteres Pergament. Wenn das so weiterging hatte er nicht übel Lust selbst an dem Turnier teilzunehmen. Er würde hier im Zelt drin noch versauern.
Er würde alle Verantwortung für das Turnier auf Ro abwälzen. Sie konnte zusehen wie sie das organisieren wollte. Allerdings würde er ihr nur beschränkte Mittel zur Verfügung stellen. Wer wusste schon was sie für Ideen hatte?

Ro biss sich auf die Lippen. Dann seufzte sie und lehnte sich auf dem hölzernen Sitz den jemand aus zwei Holzbrettern gebastelt hatte, zurück. "Ich kann euch nicht euch gegenseitig umbringen lassen, Arsa. Und wir können auch keine Verwundeten brauchen, Mann, wir haben einen Krieg zu gewinnen."
"Aber...", begann er trotzig.
Sie beugte sich wieder vor. "Vergiss es. Keine scharfen Waffen. Ich bin mir nicht mal sicher, ob ich euch Stöcke in die Hände geben darf, ohne dass ihr euch zu Brei haut."
"Sagst gerade du", meinte Nesh.
Sie spürte, wie sie rot anlief, und wusste einige Augenblicke lang überhaupt nichts mehr zu sagen. Dann meinte sie: "Gut, wenn alle Helme und Gambesons anziehen, sollte es gehen. Also, wir machen: waffenloses Ringen, Langschwert (mit Stöcken, Arsa!), Schwert und Schild (das auch!) und Bogenschiessen (auf Strohpuppen, verdammt noch mal!)" Die letzte Anmerkung war wieder an Arsa gerichtet gewesen, der mit einem immaginären Bogen auf Danva gezielt hatte.
"Jeder Teilnehmer sucht sich seine Stöcke selber im Wald dahinten auf dem Hügel", sie deutete vage in die falsche Richtung. "Besammlung ist morgen eine Stunde nach Sonnenaufgang, am Ostrand des Lagers. Wer dann nicht da ist, macht nicht mit. So, und jetzt lauft los und seht zu, dass das jeder mitkriegt, Eran, du läufst zum Kommandanten und sagsts ihm, damit er es seinen Leuten weiterleiten kann."
Während die Männer in alle Richtungen auseinandergingen, stand Ro auf und streckte sich. Sie fühlte sich richtig eingerostet. Gerne hätte sie selbst an dem Turnier teilgenommen, aber es war vermutlich nicht die beste Idee. Wenn sie gewann, waren die Soldaten von einer Frau besiegt worden. Wenn sie verlor - was wahrscheinlicher war, weil sie niemals mit einem Schwert gekämpft hatte, und viel kleiner und leichter war als die Söldner - stand sie als Hauptmann ziemlich blöde da.
Sie wollte gerade zu ihrem Zelt gehen, als sie sah, dass Nesh immer noch da stand. Sie zuckte zusammen, und fuhr ihn unwillkürlich an: "Was machst du noch hier?!"
"Ich dachte, du brauchst vielleicht Hilfe bei der Organisation", meinte er. "Wettkampfsystem, wer wann gegen wen kämpft, Schiedsrichter, Verteilung der Preise, und so weiter. Ich nehme an, damit hast du dich noch nicht befasst, oder?" Er grinste schief. "Dafür bin ich ja da, was?"
Sie unterdrückte den Reflex, einen Schritt zurück zu weichen, und fühlte sich irgendwo zwischen Lachen und Heulen. Lachen, weil Nesh natürlich komplett recht hatte. Sie war noch genau das selbe Antiorganisationstalent wie damals, als sie die Räuberbande gegründet hatten. Heulen, weil sie sich ziemlich mies fühlte dabei, Nesh so auszunutzen und ihn die ganze Arbeit machen zu lassen. Sie ahnte, dass er nicht wirklich etwas dagegen hatte, aber das machte es auch nicht besser. Am liebsten hätte sie sich in seine Arme fallen gelassen. Aber das konnte sie nicht.
"Ich... ich...", begann sie zu stottern. "Ich dachte, die Preise in allen vier Kategorien gleich. Und wir könnten den Teilnehmern Nummern aufmalen oder so..."
Nesh lachte, als er sie so überfordert sah. "Schon gut", meinte er, und klopfte ihr auf die Schulter. "Ich hab eine Idee, wie wir das machen." Er drückte sie zurück auf ihren Sitz und setzte sich selbst auf den Hocker, dann erklärte er ihr lange, wie er das ganze aufziehen wollte. Ro sah ihn die ganze Zeit an und fragte sich, wie zum Teufel er es fertig brachte, so normal mit ihr zu sprechen. Sie selbst fühlte sich, als könnte sie kein gescheites Wort mehr sagen. Bewunderung stieg in ihr hoch, dafür, dass er sich so im Griff hatte. Dann dachte sie daran, dass man das vermutlich nach ein paar Monaten durchaus in den Griff bekam. Sie fragte sich, wie es für ihn sein musste, sie zu lieben, obwohl sie diese Liebe niemals erwidert hatte und für ihn alles dagegen sprechen musste, dass sie es jemals tun würde, und sie fühlte sich furchtbar schlecht. Erstens, weil sie so blöd gewesen war, das so lange nicht zu merken, und auch so lange nicht zu merken, wie sehr sie ihn eigentlich liebt. Zweitens, weil er wegen ihr litt. Sie begann schon wieder fast zu weinen. Zum Teufel, was war nur mit ihr los?
Schliesslich beendete er seine Erklärungen und sah sie fragend an. Sie nickte und brachte ein "Klingt gut" zustande. "Du kannst das so gut", murmelte sie und sah ihn dabei vermutlich so seltsam an, dass er ihr einen verwirrten Blick zuwarf.
"Ich glaube, du solltest schlafen gehen", meinte er schliesslich besorgt. "Du siehst müde aus."
Sie nickte langsam, ging in ihr Zelt und liess sich auf das Fell fallen. Er hatte recht. Sie war müde. Aber sie glaubte nicht, dass sie mehr schlafen würde als in den Nächten zuvor. Nicht solagen er die ganze Zeit in ihrem Kopf herumspukte und doch unerreichbar war. Im Grunde hätte es doch so einfach sein können. Er liebte sie, sie liebte ihn, alles klar. Nur, dass er nicht wusste, dass sie ihn liebte. Und dass sie keine Ahnung hatte, wie sie ihm das zeigen sollte.
If you're going through hell, keep going.

Armelion schaute sich um. Er war offensichtlich nicht der einzige der sich für das Turnier melden wollte. Neben ihm stand Ormud. Der rothaarige Hüne ballte schon einmal probehalber die Fäuste. Der Elf war froh, dass Ormud sich für den Ringkampf angemeldet hatte. Er hatte keine Lust gegen den 2 meter grossen, muskelbepackten Riesen kämpfen zu müssen. Ormud würde ihn wahrscheinlich einfach packen und aus dem Ring werfen, bevor er auch nur einen Treffer landen könnte.
Armelion schaute auf den dicken Eichenstock in seiner Hand runter. Es fühlte sich gut an wieder einmal etwas so einfaches zu tun. Er hatte sich für den Wettkampf mit Schwert und Schild angemeldet. Um ehrlich zu sein hatte er das einfache Soldatenleben vermisst. Doch nun war er es der an alles denken musste. Er hatte keine Angst zu verlieren. Armelion wusste, dass die Soldaten ihn respektierten. Auch wenn er von jemanden besiegt werden würde machte das nichts. Er hatte sich schon oft genug unter Beweis gestellt.
Er schaute sich in der Menschenmenge um und sah wie einige schon Wetten abschlossen. Grinsend schüttelte er den Kopf. Sie wussten noch nicht einmal wer gegen wen antreten musste und schon begannen sie ihren Sold auf verschiedene Personen zu setzen. Es würde viel Glück bei der Sache sein. Er hoffte das er nicht schon in der ersten Runde gegen einen meisterlichen Schwertkämpfer würde kämpfen müssen. Er wollte nicht schon in der ersten Runde ausscheiden, das wäre trotz allem ein wenig peinlich. Er liess die Schulter kreisen und schaute zum behelfsmässigen Podest hoch. Gleich würden die Lose gezogen werden.

Sie hatten allen Teilnehmern eine Nummer und die Kategorie auf den Handrücken gemalt, das war wesentlich einfacher als die Namen aufzuschreiben. Es waren um die zweihundertfünfzig Soldaten und praktisch alle ihre Söldner, also nochmal gegen hundertfünfzig Mann. Manche nahmen in mehreren Kategorien teil, die hatten pro Kategorie eine Nummer bekommen.
Ro kletterte auf die provisorische Tribüne. Nesh grinste ihr aufmunternd zu, sie kramte ein Stück Papier aus ihrer Gürteltasche hervor und begann die Nummern für die erste Runde vorzulesen. Sie hatten die Liste am Vorabend zufällig zusammengestellt. Als alle wussten, wo, wann und gegen welche Nummer sie kämpfen würden, erklärte Ro die Regeln: "Beim Bogenschiessen tretet ihr in Gruppen von sechs Leuten an. Gewertet wird nach Punkten, die besten beiden der Gruppe kommen eine Runde weiter.
Die übrigen Kämpfe sind Zweikämpfe, der Sieger kommt weiter. Beim Ringen hat gewonnen, wer den Gegner zuerst aus dem Ring bringt, oder ihn drei Sekunden mit dem Rücken auf den Boden drücken kann. Schläge, Würfe und Tritte sind erlaubt, Beissen und absichtliches Würgen nicht.
Bei den Waffenkämpfen gilt jeder Treffer mit dem Schwert als Punkt, egal wo, gekämpft wird auf drei Punkte, Doppeltreffer geben für keinen einen Punkt. Gambeson, Handschuhe und Helm sind Pflicht. Klar?"
Zustimmendes Gemurmel ertönte und die Kämpfer verteilten sich auf die Kampfplätze, die Nesh und einige Helfer - und Ro, die irgendwann dazugestossen war, weil sie eh nicht hatte schlafen können - am Abend noch abgesteckt hatten, während die Bogenschützen zu einem Feld weiter südlich schritten. Ro blieb auf der Tribüne stehen und bewunderte Nesh's Organisation. Er hatte es sogar irgendwie geschafft, dass bei jedem Ring einer als Schiedsrichter stand, der gerade nicht kämpfen musste. Jetzt konnte sie ihn nirgends sehen. Vermutlich sah er irgendwo nach dem Rechten.
Nach einer Weile öffnete sie eine Kiste hinten auf dem Podest und nahm einige Bögen Papier - von der billigsten Sorte, die Kampfergebnisse waren ja nicht für die Ewigkeit bestimmt - und Tinte heraus, und wartete auf die ersten Ergebnisse um festzuhalten, wer weiter kam. Nachdenklich sah sie auf die Feder in ihrer Hand. Wenn sie ehrlich war, war sie sich gar nicht sicher, ob sie noch schreiben konnte, sie konnte sich gerade nicht mal daran erinnern, wann sie es zuletzt getan hatte. Musste ewig her sein. Naja, vermutlich konnte sie es immer noch besser als der Grossteil der Soldaten und Söldner. Sie bezweifelte, dass die Mehrheit von ihnen auch nur lesen konnte. Sie brauchten es ja auch nicht zu können. Aber ein Hauptmann musste seine Befehle lesen und Botschaften und manchmal sogar Berichte schreiben können, und deshalb hatte ihr Vater es ihr beigebracht.
Der Tag schritt fort und sie notierte. Bald tauchte auch Nesh wieder auf und stellte aus den Ergebnissen die Liste für die zweiten Runden zusammen. Ihre Bewunderung für ihn stieg mit jedem Herzschlag. Er schien alles völlig im Griff zu haben. Und er konnte schreiben, sogar besser als sie selbst, wie sie zugeben musste, was sie definitiv nicht erwartet hätte. Nach einer Weile übernahm er die Schreibarbeit schliesslich ganz und sie begann zwischen den Kampfplätzen hin und her zu gehen und zuzusehen. So sehr sie normalerweise Waffenkämpfe liebte, das Faustringen war eindeutig am interessantesten anzusehen, und so blieb sie an jenen Plätzen am längsten stehen. Viele ihrer Männer kämpften hier mit, einerseits diejenigen, die "richtig" kämpfen wollten, nicht mit so komischen Holzstecken, andererseits die, die nicht mit einem Schwert umgehen konnten, weil sie normalerweise mit der Axt kämpften. Sie sah bei Arsa zu, und auch bei Pave. Beide siegten ohne grosse Mühe. Arsa, weil er schnell war, und immer sehr gezielt schlug und warf. Die Narbe quer in seinem Gesicht zuckte unheimlich, wenn er sich voll auf den Kampf konzentrierte. Pave schlicht, weil er zwei Handbreit grösser war als die allermeisten, und vermutlich auch entsprechend schwerer. Unter den Soldaten hatte es jedoch noch einen, der nach Ro's Schätzung zwei, drei Fingerbreit grösser sein musste, einen Rotschopf, der ebenfalls seinen ersten Kampf gewann. Ro bedauerte, dass Nesh nicht am Turnier machte. Sie hätte gerne zugesehen, wie er sich prügelte. Er war bestimmt nicht schlecht darin.
Etwa eine Stunde vor Mittag verlas Ro die Kampfliste für die zweiten Runden. Als sie anschliessend wieder umherlief, sah sie in einem Ring den Elfen - den Legaten, berichtigte sie sich - stehen, mit Schwert und Schild in der Hand. Ihm gegenüber stand einer ihrer Männer, Nonda, für Sturmtruppenverhältnisse ein aussergewöhnlich ruhiger und überlegter Kämpfer. Sie blieb stehen und sah zu, gespannt wie sich das Elfchen in der zweiten Runde schlagen würde.
If you're going through hell, keep going.

Armelion atmete tief durch und schloss für einen kurzen Moment die Augen um sich zu konzentrieren. Er war bis jetzt fast ohne Probleme weitergekommen. Einmal hatte es einen kritischen Moment gegeben, als er gegen einen der Veteranen aus den Truppen der Nachtzinne kurz nacheinander zwei Treffer einsteckte, obwohl er schon mit zwei Treffern vorne gelegen hatte.
Der Mann der ihm gegenüber stand musterte Armelion ruhig. Den Stock hielt sein Gegner schräg gegen den Boden gerichtet. Sie taxierten sich gegenseitig für einige Augenblicke, bis der Mann schliesslich von seinen Kameraden angefeuert den ersten Schritt tat. Er hob den Schild und das Schwert und begann langsam auf Armelion zuzugehen. Als er nahe genug gekommen war führte er einen blitzschnellen Hieb gegen Armelion's Kopf, dieser hob den Schild und fing den Schlag mühelos ab, doch er verschätzte sich bei der Wucht des Schlages. Armelion brach fast in die Knie. Der Söldner fing den Gegenschlag des Elfen ohne Mühe mit dem Schild ab und erwiderte ihn augenblicklich. Armelion wich wich zur Seite aus, doch es war knapp. Der Holzstock verfehlte ihn nur um wenige Fingerbreit.
Armelion schlug den Stecken mit dem Schild beiseite und rammte ihn mit der gleichen Bewegung seinem Gegner vor die Brust. Der Mann taumelte mit einem unterdrückten Fluch nach hinten und Armelion setzte ihm sofort nach. Er duckte sich unter einem wilden Hieb hinweg und hieb dem Söldner dann seinen Stock mit einem Rückhandhieb in die ungeschützte Seite.
Der Schiedsrichter hielt den Kampf sofort an und wies sie an sich erneut aufzustellen. Dem Söldner gelang es einen Stich gegen Armelions Schulter zu landen und der Elf traf ihn kurz darauf mit dem Stock wuchtig gegen das rechte Knie. Er schien den Mann wohl verletzt zu haben, denn nach dem Treffer humpelte er. Nicht fest, aber es reichte um ihn seiner Geschwindigkeit zu berauben und dies nutzte er gnadenlos aus. Er tänzelte um den Söldner herum, täuschte immer wieder Schläge an, bis er endlich eine Lücke in der Verteidigung des Mannes fand. Armelion blockte einen Gegenangriff ab, täuschte dann einen Stich gegen den Kopf seines Gegners vor und lenkte den Angriff um und zielte auf die Beine des Söldners. Er sah den Stoss seines Gegners erst im letzten Augenblick kommen. Er riss den Kopf zur Seite, doch er spürte den Luftzug als die Klinge keine zwei Fingerbreit an seiner Kehle vorbeisauste. Wut erfüllte ihn. Dieser Stoss hätte ihn töten können. Er war hart genug gewesen um ihm den Kehlkopf einzudrücken.
Seinen vorherigen Angriff hatte er abbrechen müssen. Er wirbelte herum und führte eine rasend schnelle Abfolge von Hieben gegen seinen Gegner aus, die dieser aber alle parierte. Allerdings musste er zurückweichen und als er das Gewicht auf das verletzte Knie verlagern musste, machte Armelion einen Schritt zur Seite und schlug dem Söldner mit einer raschem Streich den Stock gegen den Kopf. Der Mann brach lautlos zusammen.
Sofort kam ein Heiler heran und untersuchte den bewusstlosen Söldner. Er schüttelte den Kopf und sah mit einen Grinsen hoch. "Nichts weiter passiert. Er wird nur scheussliche Kopfschmerzen haben wenn er aufwacht.", erklärte er und stand auf. Zwei Söldner stiegen in den Ring und zogen ihren bewusstlosen Kameraden raus.
Im selben Augenblick ertönte ein gewaltiger Triumphschrei und Armelion wandte sich in Richtung des Lautes um. Das Gebrüll kam von Ormud. Er hatte seinen Gegner packen können und stemmte ihn nun über seinem Kopf in die Höhe, nur um ihn dann mit Schwung aus dem Ring zu werfen. Armelion lachte, als die Soldaten der Nachtzinne in Jubel ausbrachen. Geld wechselte den Besitzer und das Bier wurde schon jetzt ausgeschenkt. Dieses Turnier würde ihm noch lange in Erinnerung bleiben. Armelion stellte den Stock auf den Boden und ging rüber zum Schiedsrichter um zu erfahren wer sein nächster Gegner sein würde.

Nicht schlecht, dachte Ro. Gar nicht übel für einen Elfen. Sie verzog das Gesicht. Immer diese verdammten Vorurteile, sie hätte eigentlich wissen sollen, dass auch Elfen kämpfen konnten, immerhin war sie schonmal einem begegnet, der es gekonnt hatte, diesem eingebildeten Typen, der bei Murgird einfach verschwunden war. Trotzdem. Sie fragte sich unwillkürlich, ob Vorurteile angeboren sein konnten.
Aber der Kerl kämpfte wirklich nicht schlecht. Er hatte gute Reflexe. Antrainiert vermutlich. Auf jeden Fall war er keiner dieser Befehlshaber, die nur am Schreibtisch gut waren. Sie spürte ein Kribbeln in ihren Fingern. Es juckte sie, den Elfen zu einem Zweikampf herauszufordern, nicht im Rahmen des Turniers, sondern ganz frei, jeder mit seiner eigenen Waffe, nicht mit diesen Plumpen Stecken.
Sie seufzte und schlug sich die Idee aus dem Kopf. Der Legat würde kaum auf einen Kampf mit scharfen Klingen eingehen. Im Grunde wusste sie auch nicht, ob sie ihm wirklich soweit vertraute, dass er seine Waffe, sollte er gewinnen, rechtzeitig abbremsen konnte. Bei dem Turnier in Drez hatte sie keine Angst davor gehabt. Dämonen wurden in der absoluten Beherrschung ihrer Klinge zu jedem Zeitpunkt ausgebildet, und ein Säbel war leicht. Aber sie wollte eigentlich nicht riskieren, wegen einem kleinen Fehler mit einem Schwert entzweigehackt zu werden.
Und dann war da noch ein anderer Grund, warum es vielleicht klüger war, nicht gegen ihn zu kämpfen. Sie wusste, dass sie im Zweikampf, viel mehr noch als in der Schlacht, ein Dämon war und als solcher kämpfte. Wenn dieser Elf jemals zuvor einen Dämonen kämpfen gesehen hatte, würde er den Stil erkennen, und das wollte sie nicht unbedingt. Bis jetzt schien er sie nur als Mensch zu sehen, wenn vermutlich auch als eher ungewöhnlicher Mensch, und es war ihr eigentlich lieber, wenn das so blieb.
Also liess sie den Säbel stecken, schlenderte noch ein wenig hin und her und kehrte schliesslich zu Nesh zurück mit dem Gedanken ihm zu helfen, stellte allerdings fest, dass es da nichts zu helfen gab, holte sich einen Krug Bier - endlich wieder einmal Bier! - und setzte sich auf den Rand der Tribüne, um mit den Leuten zu plaudern, die die Ergebnisse einschreiben kamen. Immer wieder sah sie zu Nesh hinüber, vorallem wenn er am Schreiben war und es nicht bemerken konnte. Ihr Blick fuhr über seine verfilzten, blonden Locken, den struppigen Bart, die leicht geknickte Nase, die breiten Schultern, die sich unter dem Gambesan abzeichneten, und sie fand alles wunderschön. Am liebsten wäre sie zu ihm hingegangen und hätte ihn umarmt, aber zu vieles hielt sie zurück. All die Leute, die herumstanden und es gesehen und gleich darüber geredet hätten, die Angst vor Nesh's Reaktion, und vorallem die Angst davor, was mit ihr selbst geschehen würde, wenn sie es tat. Ja, am meisten Angst hatte sie tatsächlich vor sich selbst. Sie wollte Nesh nahe sein, und sie wollte nichts lieber als das, und genau deswegen fürchtete sie sich davor. Sie trank einen Schluck und blickte auf den Krug in ihrer Hand. Vielleicht, wenn sie genug getrunken hatte...
Der Nachmittag schritt fort, die Kämpfer wurden immer weniger und die johlende Menge, die ihnen zusah und sie anfeuerte immer mehr.
Schliesslich trafen im Achtelfinal der Faustkämpfer die beiden Kämpfer aufeinander, auf deren Begegnung Ro schon den ganzen Nachmittag gehofft hatte: Pave und der rote Hühne. Ro drängte sich unter den Zuschauern ganz nach vorne, denn das wollte sie nicht verpassen. Zwei Kolosse, aber verschiedener Kampfstil. Der Rothaarige war tatsächlich ein wenig grösser, aber nicht markant. Er hatte bis jetzt vorallem gewonnen, einfach indem er die Gegner aus dem Ring warf oder drängte. Pave hingegen hatte sich eher darauf verlegt sie mit simplen Techniken oder einem schweren Schlag aus dem Gleichgewicht zu bringen und dann mit seinem Gewicht zu Boden zu drücken. Beide diese Methoden würden im Kampf gegen einen gleich grossen Gegner nciht so gut funktionieren.
If you're going through hell, keep going.

Der Assassine keuchte. Er war müde und erschöpft. Der letzte Befehl seines Herren war es gewesen, diese Dämonin aufzuspüren, was sich als beinahe unmöglich herausgestellt hatte. Seit Tagen, ja Wochen suchte er sie. Er war ebenfalls Schatten, ein flinker Läufer und guter Bote, doch diese Frau, Ro Raven, Darez Tochter und Vakras Nichte, war wie ein Geist. Jeder der sie sah fürchtete sie, die Bluthexe, welche bei dem geringsten Tropfen des Lebenssaftes, oder der kleinsten Flamme in Blutrausch geriet. Er schüttelte den Kopf. Wie auch immer sie stand jetzt da und sah den beiden Riesen beim Kampf zu. Wieder atmete er durch. Als er gehört hatte sie sei hier, war er so schnell er konnte hergeeilt, zuerst zu Pferd und dann zu Fuss.
"Hauptmann Ro Raven, ich habe eine wichtige Botschaft für euch", sagte er mit fester Stimme und genug grossem Abstand, dass ihr Sharaki ihn nicht erreichen mochte. Stolz prangten die Wappen Akkayas und Candors auf seiner Brust.
some men just want to see the world burn

Sie drehte sich widerwillig um und blickte in das Gesicht eines Dämonen. Mit zusammengekniffenen Augen musterte sie den Mann von Kopf bis Fuss. Ihre erste Befürchtung bewahrheitete sich zu ihrer Erleichterung nicht, denn sie sah auf seiner Brust ein Wappen, dass sie kannte. Ein Assassine. Waren die nicht alle abgehauen?
Sie warf einen kurzen Blick auf den Ring, wo die Kämpfer sich aufstellten, seufzte und bahnte sich einen Weg aus dem Gedränge heraus. Vielleicht war die Nachricht ja wirklich wichtig. Aber wenn Ran dachte, sie könnte sie wieder in irgendeine Angelegenheit verwickeln, mit der sie eigentlich nichts zu tun hatte, dann hatte sie sich diesmal geschnitten. Von ihren Leuten weggehen war das letzte was sie jetzt tun würde.
"Also", meinte sie zu dem Assassinen. "Was für eine Botschaft habt ihr?"
If you're going through hell, keep going.

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