Armelion war für einen Moment sprachlos, doch dann stand er auf und ging aus dem Zelt. "Tut mir leid Hauptmann. Aber ich muss mit dem Mädchen reden.", rief er über die Schulter Ro zu.
Um das Rätsel, das ihm Maeva gestellt hatte würde er sich später kümmern. Im Moment erschienen ihm einige Dinge wichtiger. Das Mädchen stand bei einem Pferd und die Frau Mei war neben ihr. Armelion ging zu ihnen rüber und legte eine Hand auf die Seite von Maevas Reittier, bevor sie aufsteigen konnte. "Was hat der Hoheprister mit dieser Nachricht gemeint?", fragte er und schaute auf sie runter.

Sie stemmte sich auf den Rücken des Pferdes. "Ich bin nur ein Bote", antwortete sie und gab dem Tier die Sporen.
Bevor der Elf sie noch weiter zurückhalten konnte, war sie schon ausser Sichtweite gekommen.
Mei sah ihr stumm nach. Was sollte das? Akkaya wurde auch Reyla geannt. Mond. War sie für ikmer gegangen? Wieso erfuhr sie immer als Letzte von solchen Ereignissen?
some men just want to see the world burn

Armelion schüttelte den Kopf. Er hätte Maeva leicht aufhalten können, doch offensichtlich wollte sie nichts mehr sagen und er wollte sie auch nicht zwingen. "Ihr solltet ihr hinterher reiten Mei. Ein Kind sollte nicht alleine rumreiten. Egal wie gut es eine Waffe schwingen kann.", sagte er leise und wandte sich dann ohne sie noch weiter zu beachten zurück zum Zelt. Er schlug die Plane zurück und setzte sich auf einen der Stühle neben Ro. "Tut mir leid wegen der Unterbrechung Hauptmann, aber ich hatte noch eine Frage an das Kind." Er schenkte sich einen weiteren Becher Wein ein und nahm einen weiteren Schluck. Er konnte Ro's Argumentation zum Teil durchaus nachvollziehen, doch im Moment waren alle Soldaten gut versorgt. "Zurück zum eigentlichen Thema. Ich muss euch bitten, das Verbot durchzusetzen. Wir brauchen die Unterstüzung der Bevölkerung. Die Küstengebiete sind der am dichtesten besiedelte Landstrich. Wenn wir hier keine unnötige Grausamkeit zeigen wird es uns auch leichter fallen den Rest des Landes zu erobern. Dadurch verringern wir auch automatisch unsere Verluste und somit werden auch mehr von euren Männern den Krieg überleben.", schloss er und blickte sie an. Er hoffte dass sie es schaffen würde, ihre Männer im Zaum zu halten.

Mei schnaubte. Ein Kind? Maeva war kein Kind. Sie war genauso wie jeder andere Assassine ein Monster. Auch wenn sie die Prinzessin Loneys war. Sie selber wusste genau, wie es war mit dreizehn Jahrn alleine durch die Nacht zu reiten und Botengänge zu erledigen. Sie schüttelte den Kopf und wandte sich um.
Doch nach wenigen Metern tauchte jemand vor ihr aus. "Matsaan, was-?" Er legte ihr die Hand auf den Mund und sah sich um. "Akkayakuma hat Dreitan verlassen, genauso wie der Rest der Chaosgötter... wir wurden zurückbeordert und werden ab jetzt nur noch als Diener des Königs tätig sein. Und das auch nur fümf Assassinen per König. Der Rest von uns soll nach Osten wandern und dort verweilen, bis der Ruf im November kommt. Hier noch das Schreiben", er reichte ihr eine Schriftrolle , "Heute Nacht verschwinden wir, so als wären wir nie da gewesen", schloss der blonde Assassine und verschwand.
Einige Stunden später war das gesammte Lager der Assassinen leergefegt und nur eine Botschaft lag auf Armelions Feldbett. "Wir folgten dem Ruf des Mondes, der Kobra, des Phönix und des Wolfes. Sucht uns nicht, ihr werdet uns nie finden." stand im Brief geschrieben.
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Langsam löste sie die Finger vom Griff ihres Säbels. Ihre Hand war danach geschnellt, als dieses Mädchen ihre Waffe gezogen hatte. Bei diesen Assassinen wusste man schliesslich nie woran man war. Ausserdem war die Kleine ein freches Gör, kam sich verdammt unbesiegbar vor als Assassine. Sie beschloss ihr eine Abreibung zu verpassen, sollte sie sie jemals wieder sehen.
Als der Kommandant zurück ins Zelt kam, hörte sie ihm zu und trank schliesslich doch noch vom Wein. Schliesslich seufzte sie. "Gut, ich werds ihnen klar machen."
Sie trank einen weiteren Schluck.
"Wolltet ihr noch etwas mit ihr Besprechen?"
If you're going through hell, keep going.

"Nein, ihr könnt gehen. Ich danke euch dass ihr gekommen seid." Er stand auf und reichte ihr die Amphore mit dem Wein. "Ihr könnt zu den Vorratszelten gehen und euch ein paar kleine Fässer Rum oder Wein holen. Eure Männer werden es vielleicht brauchen, wenn sie hören, dass ihr die Anordnungnen nun durchsetzen und nicht mehr die Taten eurer Soldaten verschleiern wollt." Er klopfte ihr auf die Schulter und verliess das Zelt. Sie war eine gute Soldatin. So eine wie sie hätte er als Kampfgefährtin gebrauchen können, während den Jahren, die er für die Nachtzinne gekämpft hatte. Mit einer Hand strich er abwesend über seine Kleidung. Seine Finger folgten einer langen Narbe die sich von seiner Schulter bis hinunter zur untersten Rippe zog. Dieser Schwerthieb hatte ihn fast umgebracht. Es war in der ersten richtigen Schlacht passiert, in der er mitgekämpft hatte.
Er scheuchte die Erinnerungen mit einem energischen Kopfschütteln fort. Er musste jetzt Ormud aufsuchen, ihm das Kommando übertragen und dann nach Lovit reisen. Armelion musste mit dem Hohepriester reden. Es würde hoffentlich nicht lange dauern. Er sollte nur für ein paar Stunden weg sein. Nachdem er mit Ormud und Caelria alles rasch besprochen hatte, bat er Neyamrin um etwas Kraft. Der Zauber strengte ihn nicht mehr besonders an, aber von hier bis nach Lovit war eine lange Strecke und würde viel Energie verbrauchen. Als alles geregelt war ging er schnell rüber zu seinem Zelt. Er würde sein Doppelschwert mitnehmen aber die Rüstung würde er hier lassen. Als er die Waffe hochhob, sah er den Brief auf seinem Bett liegen. Stirnrunzelnd hob er ihn hoch und las die Zeilen durch. Es war wieder das gleiche Rätsel, das ihm schon Maeva gestellt hatte. Er würde wirklich mit dem Hohepriester reden müssen. Er konzentrierte sich und verschwand.

Ro kehrte zu den Zelten ihrer Männer zurück. Als sie auf den kleinen Platz vor ihrem Zelt kam, erhob sich Arsa vom Feuer. "Das ging ja lange. Von meinem Rum ist wohl nix mehr da, oder?"
"Halt die Klappe", knurrte sie. "Ruf lieber die Söldner zusammen. Ich hab was zu sagen, vom Kommandanten."
Während Arsa sich verwirrt an die Aufgabe machte, fing Ro einen fragenden Blick von Nesh, der ebenfalls am Feuer sass, auf. Sie ging nicht darauf ein, sondern wartete, bis eine Menge versammelt war, die gross genug war um ungefähr alle zu sein, und bis auch Arsa wieder da war. Dann stellte sie sich auf einen Hocker.
"Sturmtruppe!", brüllte sie den Namen, den sie sich schon als Räuber gegeben hatten, den Namen, der einst dem Fähnlein ihres Vaters gehört hatte. Ein Teil der Gruppe verstummte, ein anderer Teil rief zurück. "Hauptmann Raven!"
Sie wartete bis alle still waren, dann berichtete sie zuerst, dass sie bald eine Stadt angreifen würden, anschliessend von ihrem Gespräch mit dem Kommandanten. Einige Männer lachten, als sie das Plünderungsverbot erwähnte.
"Fresse dahinten", rief sie wütend. "Ihr findet das vielleicht lustig, aber für den Scheiss, den ihr macht krieg ich verdammten Ärger!" Das Gelächter verstummte abrupt.
"Glaubt ihr im Ernst, der Kommandant habe nichts von euren kleinen Abenteuern mitbekommen? Da habt ihr euch geschnitten. Er ist kein Dummkopf, auch wenn er ein Elf ist. Ihr kapiert das vielleicht nicht, aber es war verdammte Arbeit, wenigstens das schlimmste zu vertuschen. Wenn ich euch nicht gedeckt hätte, würdet ihr längst alle baumeln! Aber damit ist jetzt Schluss!"
Die Menge war ganz still. "Ich werde nicht zulassen, dass ihr gehängt werden", sagte sie ruhiger. "Aber dem nächsten, von dem ich erfahre, dass er was angefasst hat, was ihm nicht gehört, dem mache ich die Hölle heiss, dass ihm der Strick lieber wäre. Und ich werde es herausfinden, macht euch da keine Hoffnungen. Habt ihr das verstanden?"
Immer noch Stille.
"Ich hab was gefragt!", brüllte Ro und zog mit einer weiten Bewegung ihren Säbel, sodass die Umstehenden einen Schritt zurück wichen. "Kein Plündern mehr. Weder Sachen, noch Tiere, noch Frauen. Ist das klar, verdammt noch mal?!?"
Dem undeutlichen Gemurmel der Männer entnahm sie, dass sie sich daran halten würden, aber ziemlich ungern.
Ro hob die Versammlung auf und stieg vom Hocker. Als die Männer sich zerstreuten, hielt sie fünf von ihnen zurück und schickte sie zu den Vorratszelten, um Wein und Rum zu holen. Schliesslich blieb nur das übliche Trüppchen am Feuer zurück. Ro setzte sich zu ihnen.
Nesh und Arsa sahen einander wütend an.
"Ich hab von vornherein gesagt, das gibt Ärger, verdammt nochmal", fluchte Nesh.
"Mach mal halblang", maulte Arsa. "Wir leben alle noch."
"Das ist sicher nicht dein Verdienst", fuhr Nesh ihn an. "Und du hast dir darüber auch überhaupt keine Gedanken gemacht. Du hast nur an dich selbst gedacht, du verdammter, egoistischer..."
"Ach halts Maul!", unterbrach ihn Arsa wütend. "Nur weil du einer nachläufst, die nicht mal was von dir wissen will, und keine andere mehr ansiehst, sind wir nicht alle plötzlich zölibatär geworden!"
Nesh lief vor Zorn rot an, sprang auf und schlug Arsa eine rein, dass der Rückwärts vom Hocker fiel. Als er sich auf ihn stürzen wollte, sprang Ro auf die Füsse. "Halt, verdammt! Ihr müsst euch nicht gegenseitig den Schädel einschlagen. Nesh, setz dich wieder hin! Setz dich wieder hin, hab ich gesagt!"
Nesh blieb stehen, aber er verzichtete darauf, auf Arsa einzuprügeln, während sich dieser aufrappelte und sich die blutende Nase hielt.
"Worum gehts überhaupt?", fragte Ro.
"Nichts!", sagte Nesh heftig. "Er redet verdammte Scheisse."
"So, tu ich das?", meinte Arsa zornig und etwas gedämpft. "Weisst du was, Nesh? Du bist ein Feigling."
Mit diesen Worten machte er auf dem Absatz kehrt und lief in sein Zelt. Nesh fluchte ihm wütend hinterher, bemerkte die merkwürdigen Blicke aus der Runde, und wollte sich ebenfalls in sein Zelt verziehen, aber nach zwei Schritten fiel ihm ein, dass es dasselbe wie Arsas war, er drehte sich um und marschierte wütend in die andere Richtung weg.
Ro hob die Augenbrauen und sah fragend in die Runde. Eran, Lor und Verd zuckten nur mit den Schultern, aber zumindest Lor konnte sich ein Grinsen nicht ganz verkneifen.
If you're going through hell, keep going.

Ro sass auf ihrem Schlaffell und schnallte langsam die Rüstung auf. In der Zeit, die sie herumgezogen war, hatte sie sie zum schlafen angelassen, aber hier im Heerlager, im Krieg, fühlte sie sich merkwürdigerweise sicher genug, um sie auszuziehen. Den Gürtel mit dem Säbel behielt sie trotzdem an. Nicht um sich selbst zu schützen, sondern um den Säbel zu schützen. Niemand sollte ihn ihr wegnehmen können, solange sie irgendwie im Stande war, es zu verhindern.
Sie erinnerte sich an die Schriftrolle in ihrem Seesack. Sie hätte sie längst irgendwo sicher verwahren müssen, wenn sie so über die Schlachtfelder zog, aber sie wusste nicht wo. Vielleicht sollte sie sie zurück zu dem Hohepriester in Lovit bringen. Wenn sie irgendwann wieder dahin kam. Auf jeden Fall durfte das Pergament niemals jemandem in die Hände geraten. Kein Soldat würde sie lesen können, aber vermutlich die meisten Dämonen und auch einige Elfen. Und Nagareth, dachte sie plötzlich und ein Schauder lief ihr über den Rücken. Fast automatisch zuckte sie dabei zusammen. Ihr Rücken war zwar eigentlich verheilt, aber bei manchen Bewegungen - Schaudern war eine davon - schmerzten die Narben noch.
Sie streifte die Rüstung ab und tastete über ihren Rücken. Einige der Narben konnte sie durch den Stoff von Hemd und Tunika spüren. Nicht zum ersten Mal fragte sie sich, ob es wirklich so schlimm aussah, wie es sich anfühlte, oder noch schlimmer. Nicht dass es eine grosse Rolle spielte. Sie hatte nur ein bisschen Angst davor, vor sich selber zu erschrecken, wenn sie es irgendwann einmal sah. Und sie fragte sich, was aus der Tätowierung geworden war, den Rabenfedern auf ihren Schultern. Sie wusste, dass einige der Peitschenhiebe auch dort die Haut zerfetzt hatten. Schade, die Federn waren wirklich schön gewesen.
Schliesslich beschloss sie, dass sie ebenso gut jetzt nachsehen konnte, anstatt sich noch länger darüber Gedanken zu machen. Sie stand auf, schnallte den Gürtel los und zog sich Tunika und Hemd über den Kopf. Dann verdrehte sie den Kopf nach hinten, um im schwachen Schein der Öllampe ihren Rücken zu sehen. Sie sah nicht viel, lediglich ihren Hosenbund, ein Stück Seite und die Schulter, aber selbst auf diesem Stück Haut zeichneten sich dicke, hervorstehende Linien ab, hellrot auf ihrer blassen Haut. Sie fuhr mit den Fingern darüber. Ziemlich genau so schlimm, wie es sich anfühlte. Dann blickte sie auf die Schultern und für einen Augenblick stockte ihr der Atem. Da war eine Narbe, die sich quer über das Schulterblatt zog bis hinauf zum Ende des Schlüsselbeins. Aber die Tätowierung war nicht durchbrochen. Wo die Narbe die Federn kreuzte, war das sonst rosige Gewebe schwarz.
Erneut schauderte sie. Sie wusste nicht viel über Tätowierungen, aber sie wusst, dass das eigentlich nicht sein konnte. Sie wuchsen nicht nach. Was zum Teufel hatte diese Dämonin in Drez in die Tinte getan? Irgendein Zauber? Aber wie sollte das gehen? Dann kam ihr ein anderer Gedanke und sie erstarrte. Was, wenn das nichts mit Zirva zu tun hatte? Nicht mit der Art, wie die Tätowierung gestochen worden war, sondern mit dem, was sie darstellte? Es waren Rabenfedern. Sie war der Rabe. Was, wenn diese Linien neu gewachsen waren, weil sie dort sein mussten?
Sie schlang fröstelnd die Arme um sich, dann zog sie schnell ihre Kleider wieder an, schnallte sich den Gürtel um und kroch unter die Decke. Das war unheimlich. Sie wollte nicht daran denken.
Sie blies die Öllampe aus, drückte das Gesicht in den rauhen Wollstoff ihrer Decke und spürte, wie sie langsam in den Schlaf abglitt. Nocheinmal merkte sie auf, weil sie plötzlich ein Geräusch hörte, dass ihr vertraut vorkam, aber überhaupt nicht in die Umgebung eines Heerlagers passte, aber als sie genauer hinhörte, war da nichts. Sie legte den Kopf wieder hin und sagte sich, dass sie es sich nur eingebildet hatte. Warum sollte sie hier auch jemanden weinen hören...?
If you're going through hell, keep going.

Am nächsten Tag brachen sie auf in Richtung Südwesten, zwei Tage später vereinten sie sich mit dem Heer von Tyre und marschierten nun als nicht unbeachtliche Streitmacht gegen Eyni. Natürlich, um die zweitausend Mann waren nicht viel für einen richtigen Krieg, der mit den Ressourcen eines Staates geführt wurde, aber für einen Bürgerkrieg nicht zu verachten. Zumal der Feind weniger Leute hatte.
Das Land durch das sie zogen war fruchtbarer und dichter besiedelt als die sandige Halbinsel. Jeden Tag nahmen kleinere Abteilungen des Heeres zwei oder drei Dörfer ein. Auch Ro's Söldner waren an einigen dieser Aktionen beteiligt, was sie als Zeichen dafür deutete, dass der Kommandant ihr zutraute, dass sie seine Befehle durchsetzte. Es funktionierte auch ziemlich gut, zumindest nachdem sie dem ersten, den sie erwischt hatte, wie er versuchte einer Familie Geld abzuknöpfen, eine Lektion erteilt hatte, die allen gut in Erinnerung blieb.
Sie hatte gesehen, wie er in ein Haus gelaufen war, war ihm hinterher, hatte ihn angebrüllt und rausgejagt, es vorerst aber dabei belassen, bis das Dorf vollständig gesichert war. Am Abend war sie dann zusammen mit Arsa, Nesh und einigen weiteren von denen sie wusste, dass sie ihr aufs Wort gehorchten, zu seinem Zelt marschiert, hatte ihm sämtliche Waffen und Rüstung abnehmen lassen und stellte ihn gefesselt und lediglich mit einer Hose bekleidet vor das versammelte Fähnlein. Die Männer wirkten unsicher und waren sehr still, denn Hauptmann Raven hatte eine harte Strafe angedroht und sie wussten nicht, wie weit sie gehen damit gehen würde. Normalerweise war sie gesellig und freundlich zu ihren Söldnern, aber jeder wusste, was für ein Teufel sie auf dem Schlachtfeld war.
Ro zog die Spannung noch weiter auf, in dem sie Arsa befahl, einen Holzpflock vor den Füssen des Gefesselten einzuschlagen. Nur die regelmässigen Schläge des Hammers waren zu hören, während sie weiter schwieg. Dann stieg sie auf einen Holzblock, damit alle sie sehen konnten, und erhob die Stimme. "Ihr kennt die Verbote des Kommandanten. Ich habe euch gewarnt, dass ich sie durchsetzen werde." Sie sah den vorderen Männern der Reihe nach in die Augen. "Manchen von euch war vielleicht nicht klar, wie ernst ich diese Worte gemeint habe. Ich werde es euch zeigen. Bindet ihn an."
Arsa stiess den Plünderer in die Knie und band seine Hände am Pflock fest.
"Er hat sich den Befehlen widersetzt", fuhr Ro fort. "Deshalb wird er diese Nacht am Pflock verbringen und die nächste ebenfalls. Während dem morgigen Tagesmarsch wird er gefesselt sein. Bis zum Ende dieser Strafe bekommt er kein Essen, und seine Waffen und Rüstung bleiben unter Verwahrung, bis wir Eyni erreichen."
Sie sah, wie einige der Männer die Augen aufrissen. Ihm Rüstung und Waffen abzunehmen bedeutete, ihm seine Identität als Söldner zu nehmen. Denn was war ein Söldner, wenn er nicht kämpfen konnte? Kein Söldner mehr. Nur irgendein Handlanger, der beim Zelt auf und abbauen helfen konnte.
"Euch soll bewusst sein, dass das eine milde Strafe ist", sagte Ro, und ein harter Unterton lag in ihrer Stimme. "Vielleicht war diesem Mann nicht klar, dass ich ihn wirklich bestrafen würde. Aber jetzt sollte es euch allen klar sein, und ich schwöre, dass der nächste den ich erwische keine Milde mehr zu erwarten hat. Wer auch immer es ist, ich werde ihm Waffen und Rüstung für immer wegnehmen, ihn aus dem Dienst entlassen und mit nicht mehr am Leib als der hier..." Sie deutete auf den Angebundenen. "...aus dem Lager jagen. Dann kann er sehen, wie er mit plündern zurecht kommt."
Die Söldner schwiegen betreten. Das war eine Strafe, die keiner riskieren wollte. Schliesslich hob Ro die Versammlung auf und liess ein Fass Wein anstechen und verteilen, denn schliesslich hatten die meisten der Männer ihre Arbeit ja gut gemacht.
Etwas später am Abend stand sie selber bei dem Plünderer Wache, ein Glas Wein in der einen Hand, die andere auf dem Säbelknauf aufgestützt. Der Mann musterte sie lange und schliesslich sagte er: "Du hast mich nicht peitschen lassen."
"Nein", sagte Ro und verzog die Mundwinkel zu einem bitteren Lächeln. "Natürlich nicht."
"Danke", meinte der Söldner, dann fügte er hinzu: "Andere Hauptmänner hätten es getan."
Sie trank einen Schluck Wein und warf ihm einen dunklen Blick zu. "Mir hat einmal Auspeitschen gereicht."
Mit diesen Worten leerte sie den Becher und ging davon.
If you're going through hell, keep going.

Sie kehrte erst spät in der Nacht zu ihrem Zelt zurück, als die meisten längst schlafen gegangen waren. Aus dem einen Becher Wein waren mehrere geworden, und sie musste selbst zugeben, dass sie vielleicht ein wenig angetrunken war, denn normalerweise lief sie vieleicht in Zeltschnüre, aber nicht in die Pflöcke, mit denen sie eingeschlagen waren. Aber wirklich nur ein wenig. Sie war sich sicher, dass sie, wäre sie in diesem Moment angegriffen worden, genau so gut gekämpft hätte wie nüchtern. Als sie die Rüstung bereits ausgezogen hatte, fiel ihr ein, dass sie pissen musste, aber sie hatte keine Lust mehr, nochmal an den Schnallen rumzufummeln, deshalb machte sie sich eben ohne auf den Weg zur Latrine. Die Chance, dass sie unterwegs angegriffen wurde, war eh verdammt klein.
Als sich auf dem Rückweg ihr Schuhbändel mit einer Zeltschnur verhedderte und sie sich bückte, hörte sie zwischen dem Schnarchen aus den Zelten um sie herum ein anderes Geräusch. Einen Moment lang war sie irritiert, hörte es kurz nicht, dann war es wieder da. Merkwürdig. Es war ein leises, unterdrücktes Schluchzen, wie von jemandem der versuchte sein Weinen in einer Decke zu ersticken. Langsam machte sie zwei Schritte in die Richtung, dann erkannte sie die Stimme. Es war Nesh. Perplex blieb sie stehen. Warum weinte Nesh? Natürlich konnten auch Männer weinen, aber Nesh? Sie konnte sich das nicht mal vorstellen.
Verwirrt stand sie vor seinem Zelt, schliesslich trat sie lautlos ein. Zwei Lager waren gerade vor ihr. Auf dem einen schnarchte Lor laut, das andere war leer, denn Arsa hatte Wache. Das Weinen kam aus dem Dunkel an der hinteren Zeltwand. Vorsichtig ging sie um die Stange in der Mitte herum darauf zu. "Nesh?", fragte sie leise.
Er fuhr auf wie von einer Wespe gestochen und versuchte gleichzeitig seine Tränen zu verstecken und sie wütend anzusehen, was ihm beides nicht gelang. "Was... was machst du hier, verdammt?" Noch bevor sie antworten konnte, begann er wieder zu weinen. Bestürzt ging sie auf ihn zu, kniete sich hin und fasste ihn an den Schultern. "Was ist?", flüsterte. "Sag, was ist?"
Es hob den Kopf und sah sie aus tränennassen Augen an, aber er schien nicht fähig zu sprechen. Später konnte sie sich nicht erinnern, sie sie auf diese Idee gekommen war, doch in dem Moment dachte sie gar nicht darüber nach, sondern zog ihn in ihre Arme und strich ihm über den Kopf. Er weinte, und dieser Umstand verwirrte sie so sehr, dass sie überhaupt keinen klaren Gedanken mehr fassen konnte.
Schliesslich beruhigte er sich und schwieg, befreite sich aber nicht aus ihrer Umarmung. Dann sagte er heiser: "Ich weine um dich."
"Um mich?", flüsterte Ro überrascht.
"Ich sehe dich vor mir", antwortete er. "Mit all dem Blut. Und du schreist und schreist. Und dann schreist du nicht mehr. Hängst einfach da. Ich dachte, du bist tot. Aber er hört nicht auf. Und ich kann nichts tun, ich kann einfach nichts tun."
Ro spürte wie sie begann zu zittern, denn sie wusste genau, wovon er redete. Die Erinnerung daran war plötzlich so heftig, dass es wehtat.
"So viel Blut", flüsterte er weiter. "Ich dachte, du bist tot."
"Ich auch", sagte sie leise und schluckte. "Ich dachte, ich würde sterben. Ich..." Dann versagte ihre Stimme einfach und sie begann selber zu weinen. Sie versuchte zu erklären warum, was das wirklich schreckliche an dieser Erkenntnis war, aber sie brachte keinen Ton heraus. nesh hielt sie fest. "Ich weiss", flüsterte er nur, ohne dass sie etwas gesagt hatte. "Ich weiss wie es ist."
Sie erinnerte sich, wie er am Fluss so gut wie gestorben war, und ihr Schluchzen wurde noch heftiger und sie klammerte sich an ihn, als wäre sie am ertrinken. Schlussendlich weinten sie beide, um einander und um sich selbst. Als keiner mehr Tränen hatte, lagen sie nebeneinander auf dem Fell, Ro mit dem Rücken zu Nesh. Lor schnarchte noch immer, als wolle er einen Wald zersägen.
Vorsichtig fuhr Nesh über Ro's Rücken und sie zuckte automatisch zusammen wie immer, wenn jemand sie nicht schlug, sondern sanft berührte. Schnell zog er die Hand zurück. "Sorry."
"Ist schon gut", sagte Ro. "Nur erschrocken."
Nach einer Weile fuhr er weiter, den Linien der Narben entlang, die sich durch den Stoff abzeichneten. "Ich wusste nicht, dass du eine Tätowierung hast", sagte er schliesslich.
"Woher auch", meinte sie trocken. Sie lief ja normalerweile auch nicht halbnackt rum.
Er ging nicht darauf ein. "Sie war schön. Vor den Schlägen meine ich." Er schluckte. "Federn, oder?"
Sie nickte und schauderte, als sie daran dachte, dass die Tätowierung noch genau so aussah wie zuvor. Nesh interpretierte es offenbar so, dass sie kalt hatte, denn er zog die Decke hoch, deckte sie zu und legte den Arm um sie. Sie liess es geschehen. Nein, eigentlich genoss sie es. Bevor sie sich entscheiden konnte, was von beidem mehr zutraf, war sie eingeschlafen.
Als sie in der Morgendämmerung aufwachte, lag sie alleine da. Nesh war weg. Vorsichtig schlich sie sich an Lor und Arsa vorbei aus dem Zelt und fragte sich, ob Arsa sie gesehen hatte, als er von der Wache zurückgekommen war. Wenn nein - gut. Wenn ja - Pech. Sie seufzte. Dann gab es wieder einige komische Gerüchte.
Sie sah Nesh erst wieder, als sie fertig abgebrochen hatten, und keiner von beiden verlor irgendein Wort über die Angelegenheit. Es gab auch nichts zu sagen. Sie hatten sich ausgeweint und fertig.
Das Heer zog weiter nach Südwesten.
If you're going through hell, keep going.

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