#811

RE: Langer See und Brimmen

in Dreitan - das Spiel 07.04.2015 02:18
von Ro Raven | 10.532 Beiträge

Ende Dezember 308
<- aus Kor, S. 98

Als Ro erwachte, erinnerte sie sich, was geschehen war, noch bevor sie die Augen öffnete. Sie schluckte und ballte einen Moment lang die Fäuste, denn die Erinnerung fühlte sich an, als Kratze ihr jemand mit Eisenhaken über Gesicht und Brust, aber sie erinnerte sich auch an die Erkenntnis, die sie danach getroffen hatte. Sie atmete tief aus und öffnete die Augen.
Sie lag in einem kleinen Raum mit hölzernen Wänden. Das einzige Licht stammte von einer Öllampe, aber durch die Spalten des Fensterrahmens drangen feine Lichtlanzen von draussen, also musste es Tag sein. Sie setzte sich auf. Die Wunde an ihrem Bauch schmerzte nicht mehr, oder zumindest so wenig, dass sie es nicht als Schmerz bezeichnet hätte, dasselbe galt für ihren Fuss. Die Schiene war entfernt worden. Vorsichtig beugte sie das Gelenk in die eine, dann in die andere Richtung, aber es schien heil. Ihre Waffen und ihre zerstochene, blutbesudelte Rüstung lagen neben einer kleinen Truhe unter dem Fenster. Sie stand auf und zog beides an. Dann liess sie sich gegen die Wand kippen und schlug den Kopf gegen einen der Balken, härter als nötig. Ihr war schwindlig und sie fühlte sich zittrig, aber das war nicht schlimm, verglichen mit der Erinnerung. Was hatte sie getan? Was hatte sie nur getan...?
Sie wusste was sie getan hatte. Sie hatte tausende getötet. Dabei hatte sie sich gesagt, dass sie nie wieder so etwas tun würde. Dass es unfair war. Sie hatte Kor zerstört. Dabei hatte sie die Stadt geliebt, mit ihren Terassen, die Stadt am Berg. Auch wenn sie verdammten Zwergen gehört hatte, Kor war ein Meisterwerk gewesen. Sie hatte es zerbrochen. Hatte alles zerstört. Hatte sie alle umgebracht. Die Gewissheit stach in ihren Schädel wie ein glühender Nagel. Am liebsten hätte sie geheult, aber sie konnte nicht.
Sie schrabbte mit der Stirn über das Holz und stiess sich wieder von der Wand weg. Da hing ein Spiegel. Sie trat davor und starrte ihr Spiegelbild an. Ein sehr blasses Gesicht mit tiefen Ringen unter den Augen, umrahmt von dunklem Haar, mit einem zerschlissenen Hemdkragen und einer blutverkrusteten Rüstung. Sie blickte in ihre Augen und sah nichts darin. Es war so falsch. Es war alles so falsch. Einfach alles. Ohne nachzudenken zog sie den Säbel und schnitt die Zöpfchen neben ihrem Gesicht ab. Haarsträhne um Haarsträhne durchtrennte sie. Die Klinge war schärfer als jedes Rasiermesser und glitt durch das Haar wie durch Butter. Sie hatte nie zuvor so etwas gemacht und schnitt sich bestimmt ein Dutzend mal. Als sie fertig war, rann ihr dunkles Blut die kahle Schläfe hinunter. Das sah richtiger aus.
Eine ganze Weile lang stand sie einfach nur so da, spürte den süssen Schmerz und liess das Blut tropfen. Dann setzte sie sich auf das Bett zurück. Sie kramte den Flachmann aus ihrer Gürteltasche, schraubte ihn auf, roch einen Moment lang am Inhalt und leerte ihn dann über den Kopf. Der Alkohol brannte in den Wunden wie Feuer, aber es fühlte sich richtig an. Rosa Flüssigkeit tropfte von ihrem Kinn. Sie zog das Bettlaken unter der Matratze hervor, riss einen breiten Streifen davon ab und wickelte ihn sich um den Kopf, bis der Stoff den ganzen ehemaligen Haaransatz bedeckte.
Als die Türe aufging, blickte sie auf. Die Frau, die mit einem Krug in der Hand hatte eintreten wollen, blieb wie angewurzelt unter dem Türrahmen stehen und starrte zurück. Dann glitt ihr Blick zu den Haaren und den Blutstropfen auf dem Boden und der Krug fiel ihr aus der Hand und zerbrach auf dem Boden.
"Bin ich in Brimmen", fragte Ro.
Die Frau nickte.
"Wie lange habe ich geschlafen?"
"I... ihr seid erst seit vorgestern hier."
"Seit der Wintersonnwende?"
"Eine Woche."
Ro nickte langsam. "Alastar?"
"Es geht ihm gut, aber er steht noch unter Beobachtung", antwortete die Frau, begann hastig die Scherben aufzusammeln, und nun wieder auf vertrauten Gebiet, meinte sie etwas mutiger: "Und ihr solltet euch eigentlich auch noch schonen, ihr hattet einen hohen Blutverlust..."
"Wer hat meinen Fuss geheilt?"
"Eine der Heilerinnen, Lavaly, Ha... Hauptmann", antwortete die Frau und drückte die Scherben unwillkürlich an die Brust, als wollte sie sich daran festhalten.
Ro nickte abermals, wie in Gedanken.
"Soll... sol ich euch zu eurem Freund bringen?", fragte die Frau vorsichtig.
Ro schüttelte den Kopf. "Sagt der Heilerin ich danke ihr", sagte sie und stand abrupt auf.
"Wo... wo wollt ihr hin?", fragte die Frau, als Ro an ihr vorbei aus der Tür trat. "Ihr solltet nicht..."
Aber da war Ro schon die Treppe hinunter. Als die Haustüre hinter ihr ins Schloss fiel, musste sie sich erstmal an eine Wand lehnen, denn ihr wurde fast schwarz vor Augen. Vermutlich hatte sie viel zu lange nichts gegessen. Die Stadt war merkwürdig still. Das hiess, nein, nicht die Stadt, nur der Teil am Rand des Ortes, an dem sie sich befand. Dafür drangen vom zentralen Platz her die Stimmen einer grossen Menge. Sie stiess sich von der Wand ab und ging darauf zu, durch verlassene Strassenzüge. Die Menge reichte bis weit über den Platz hinaus in die Strassen hinein, aber Ro wand sich zwischen den Leuten hindurch und setzte ihre Ellbogen ein, bis sie zu einem etwas erhöhten Platz an einer Hauswand kam, von dem aus sie einen guten Blick hatte. Niemand nahm wirklich Notiz von ihr denn aller Leute waren in die Mitte des Platzes gerichtet.
Dort stand Delkar, in seiner vollen Rüstung, das Schwert an seiner Seite, den Wappenschild an seine Beine gelehnt. Über ihm flatterte von einer Stange das grosse Banner im Wind, blau und grün, mit goldenem Löwen, eingefrohren im Sprung. Delkar gegenüber stand auf einem erhöhten Podium ein breiter, gepolsterter Stuhl mit hoher, geschnitzter Lehne. Davor stand ein Druide mit etwas glänzendem in der Hand, dahinter die Offiziere, einschliesslich Risk und Rasnak, und einige weitere Leute, unter anderem Timor und Delkar's Bruder Mikas. Worte wurden gesprochen, aber der eisige Wind trug sie von Ro weg, so dass sie nichts verstand. Dann kniete Delkar nieder und der Druide setzte ihm die Krone auf den Kopf.
Als er sich wieder erhob, brach das Volk und das Heer, das sich darunter verteilt hatte, in Jubel aus, so laut, dass Ro die Ohren schmerzten. Delkar trat die Stufen hinauf, drehte sie zu den Leuten um, aber anstatt sich auf den Thron zu setzen, zog er sein Schwert und streckte es gen Himmel. "Für Brimmen!", rief er und das Volk antwortete tosend. Ro hielt sich an der Wand, um nicht umgestossen zu werden, als die Leute zur Platzmitte hin drängten, um ihrem neuen König zu huldigen. Nach einer geraumen Weile, sah sie plötzlich Risk durch die Menge auf sich zukommen. Wortlos blickte sie ihr entgegen.


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#812

RE: Langer See und Brimmen

in Dreitan - das Spiel 07.04.2015 02:27
von Randreyah | 11.751 Beiträge

"Auch wieder unter den Lebenden?", fragte Risk mit schrägem Lächeln und stutzte, als sie den mehr als nur spärlichen Verband um Ros Kopf und die wenigen Haarbüschel, die noch darauf waren sah. "Was in Dranidams Namen ist mit dir passiert?", fragte sie, trat an Ro heran und packte sie am Kinn, um ihren Kopf hin und her zu wenden, damit sie sie besser begutachten konnte.


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#813

RE: Langer See und Brimmen

in Dreitan - das Spiel 07.04.2015 02:30
von Ro Raven | 10.532 Beiträge

Ro gab keine Antwort, liess Risk aber nachsehen, soviel sie wollte. "Gut, dass du lebst", meinte sie nur.


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#814

RE: Langer See und Brimmen

in Dreitan - das Spiel 07.04.2015 02:31
von Randreyah | 11.751 Beiträge

"Hast du das gemacht?", fragte Risk mürrisch und liess Ro wieder los.


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#815

RE: Langer See und Brimmen

in Dreitan - das Spiel 07.04.2015 02:32
von Ro Raven | 10.532 Beiträge

"Ja", antwortete Ro.


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#816

RE: Langer See und Brimmen

in Dreitan - das Spiel 07.04.2015 02:33
von Randreyah | 11.751 Beiträge

"Wieso?", knurrte Risk die Frage.


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#817

RE: Langer See und Brimmen

in Dreitan - das Spiel 07.04.2015 02:36
von Ro Raven | 10.532 Beiträge

Ro wusste keine Antwort darauf. "Es war richtig", meinte sie ein bisschen unsicher.


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#818

RE: Langer See und Brimmen

in Dreitan - das Spiel 07.04.2015 02:38
von Randreyah | 11.751 Beiträge

"Es war richtig?", widerholte die Dunkelschattin und musterte Ro unglaubwürdig, doch dann schüttelte sie den Kopf und fasste sich an die Stirn. "Egal. Komm, wir suchen jemand, der dir das verbindet und dann gehst du wieder ins Bett."


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#819

RE: Langer See und Brimmen

in Dreitan - das Spiel 07.04.2015 02:40
von Ro Raven | 10.532 Beiträge

"Ich bin nicht mehr müde", antwortete sie kopfschüttelnd. "Aber ich brauche etwas zu essen."


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#820

RE: Langer See und Brimmen

in Dreitan - das Spiel 07.04.2015 02:42
von Randreyah | 11.751 Beiträge

"Du sollst auch nicht schlafen, ich will nur nicht, dass du jetzt schon draussen herum läufst. Aber wenn du Hunger hast, gehen wir zuerst was essen. Da hat's ne Schenke", meinte Risk und nickte die Strasse runter.


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