Mittlerweile war es Nacht geworden. Ro's Kleider waren immer noch feucht, aber nicht mehr ganz so klatschnass und zumindest im Moment war das ganz erträglich. "Frage", meinte sie an Alastar gewandt. "Hast du Geld?"

Ro wiegte den Kopf, was ein Einverständnis sein konnte. So weit sie wusste, war in Lessa die Gefahr, dass man überhaupt auf Wachen stiess, relativ gering, allerdings legte man sich vielleicht mit den Piraten an, was darauf hinauslief, dass man auf dem Sklavenmarkt landete - als Ware.
Sie liefen eine ganze Weile durch die Gassen, bis sie auf ein Wirtshaus trafen, das gut genug aussah, sich ein paar gratis Getränke im Gegenzug für ein bisschen Hilfe leisten zu können, aber nicht so gehoben, dass man sie gleich hochkant wieder rausgeschmissen hätte und sie traten ein. Der Schankraum war gemütlich, eingerichtet mit Tischen und einer Theke am einen Ende, hinter der der Wirt und ein junger Mann emsig ausschenkten. Ro steuerte zwischen den Gästen durch geradewegs darauf zu und lehnte sich dagegen.
Es dauerte nicht lange, bis der junge Mann auf sie aufmerksam wurde. "Was darfs sein?"
"Einen kurzen Moment", meinte Ro und als er keine Anstalten machte, sofort wieder davon zu wuseln, deutete sie auf Alastar und sich. "Wir sind eben in der Stadt angekommen, und auf der Reise hierher ist einiges schief gelaufen. Wir wollten fragen, ob ihr uns vielleicht ein Plätzchen im Trockenen für die Nacht geben könntet, oder ein paar Getränke. Wir würden euch dafür helfen. Abwaschen, Ställe ausmisten, sowas", fügte sie etwas ratlos hinzu.
Der Junge hob den Finger, um ihr zu bedeuten zu warten, und wollte sich zum Wirt umwenden, um ihn zu fragen, schien es sich aber plötzlich anders zu überlegen und musterte sie scharf. Sein Blick blieb an ihren Waffen hängen. "Ihr seid Söldner?"
"Gelegentlich", antwortete Ro. Es machte keinen Sinn, das abzustreiten.
Der Junge zog sich die Schürze aus. "Ich bin gleich wieder da", rief er dem Wirt zu, der nur brummte als Antwort, dann winkte er Ro und Alastar. "Kommt mal kurz mit."

Der junge Mann führte sie in einen Hinterhof. Von drinnen drangen Gelächter und Stimmen heraus, aber draussen war es ruhig bis auf die gelegentlichen Geräusche der schlafenden Pferde auf der anderen Seite des Hofes. "Irwin", stellte er sich vor und streckte ihnen beiden die Hand hin. "Wie ihr gesehen habt, arbeite ich hier. Ich könnte dafür sorgen, dass ein ordentliches Frühstück und vielleicht sogar einige Nächte Unterkunft für euch rausspringen, wenn ihr mir bei etwas helft."
"Und bei was genau?", fragte Ro.
"Ein Kollege von mir hat sich in Schwierigkeiten gebracht", meinte Irwin. "Und ich würd ihn da gerne wieder rauskriegen, aber es gestaltet sich schwieriger als erwartet."
Ro dachte einen Moment lang nach. "Mit wem legen wir uns an?"
"Niemandem persönlich", meinte Irwin. "Ihr braucht es auch nicht alleine zu machen, wir sind ein paar Leute. Aber ihr wärt keine schlechte Verstärkung." Er sah dabei vor allem Alastar an, und als er feststellte, dass Ro ihn nach wie vor auffordernd ansah, gab er zu: "Sklavenhändler. Aber keine Sorge, die haben ein Problem mit uns, keins mit euch, und wenn ihr nicht vorhabt ewig zu bleiben und uns dauerhaft zu unterstützen..."
Ro sah Alastar fragend an.

"Ich stell sie euch vor", meinte Irwin. "Muss nur kurz rein, dem Chef bescheid sagen."
Er verschwand für eine kurze Weile im Inneren des Wirtshauses, dann kehrte er zurück und bedeutete ihnen mitzukommen. Sie marschierten ein Stück weit durch die nächtliche Stadt, bis sie zu einem Teil kamen, der weniger befestigt wirkte als die Gebiete um das Wirtshaus oder den Hafen. Was an Gebäuden stand waren mehr behelfsmässige Bretterbuden, dazwischen erstreckten sich Zeltplanen und Marktstände. Zwischen einigen Baracken warteten Schemenhafte Gestalten auf sie, die meisten vermummt.
"Wer...", begann einer von ihnen, mit einem breiten gemusterten Schal vor dem Mund, zischend, dann erkannte er ihren Führer. "Irwin! Ich dachte du kommst nicht."
"Ich hab Verstärkung mitgebracht", meinte Irwin und deutete auf Ro und Alastar.
"Wer sind die?", fragte der andere, der so etwas wie ein Anführer zu sein schien. Sein Blick blieb an Alastar hängen, und er wirkte nicht so erfreut über seine Anwesenheit wie Irwin.
"Söldner", antwortete Irwin. Ro legte eine Hand auf ihren Säbel, um der Aussage etwas Nachdruck zu verschaffen.

Der Anführer schien abzuwägen. Dann zuckte er mit den Schultern. "Meinetwegen."
Er bedeutete ihnen mitzukommen und sie schlichten eine Weile zwischen Baracken und Zelten entlang. Die Gruppe bestand aus sechs Leuten, neun, wenn man Irwin und sie beide dazu rechnete. Die meisten waren Männer, nur eine der Gestalten wirkte etwas weiblicher, auch wenn man aufgrund der Dunkelheit und des Tuchs vor ihrem Gesicht nichts eindeutiges sagen konnte. Sie waren alle bewaffnet, mit kurzen Schwertern und langen Messern, einer trug eine kleine Armbrust mit sich.
Schliesslich hob der Anführer die Hand und die Gruppe hielt inne. Leise begann er Befehle zu erteilen. "Die Käfige sind auf der rechten Seite, unter der langen Plane. Tousan ist im zweiten. Mev, Aura, ihr kümmert euch um die Wachen auf dieser Seite, Rish, Irwin um die am Südrand." Er deutete auf den mit der Armbrust. "Du beziehst irgendwo Stellung, wo du was siehst und rettest uns den Arsch. Herman und ihr zwei kommt mit mir. Wir holen uns die Schlüssel und ich brauch euch, wenns zum Kampf kommt."
Ro nickte knapp und während die anderen in verschiedene Richtungen verschwanden, folgten sie dem Anführer. Geduckt schlichten sie zwischen einigen Stapeln zerbrochener Kisten hindurch und gingen hinter einem abgeschossenen Marktstand in Deckung. Dahinter, etwas abseits von den übrigen Ständen und Zelten, war ein Händlerlager. Im Schein des Feuers in der Mitte erkannte Ro Zelte, Pferde und zwei Männer, die sich unterhielten. Ihr wurde schlagartig klar, warum Irwin sie hatte dabeihaben wollen und sie zischte leise. Dunkelschatten. Das machte die ganze Sache wesentlich gefährlicher als erwartet.