Ohne darauf zu warten, was die anderen tun würden, sprang Reina zum Klabauter und biss sich auf die Lippen. "Haben sie alle... Alle in der Stadt...?", fragte sie und wieder stiegen ihr Tränen in die Augen.

Elira schüttelte den Kopf, sie wusste es nicht, blickte zurück zur Stadt und zog Dreshar in die Arme. Plötzlich traf sie die Erkenntnis, was genau geschehen war. So viele Leute waren massakriert worden. Ohne ersichtlichen Grund. Das zu begreifen, fiel ihr schwer und der Gedanke an all die Toten, an all den Schmerz, die Schreie, die die Stille des Morgens durchschnitten hatten, das Blut, die Gräuel der mordenden Soldaten, erschlug sie mit einem Mal, so dass sie fast den Boden unter den Füssen verlor und sich an Dreshar festhalten musste.
Wären sie einen Tag früher eingetroffen, dann wären sie wahrscheinlich ebenfalls tot. Dann hätte sie vielleicht Dreshar und Kraigor sterben sehen. Sie vergrub das Gesicht an seinem Hals. Der Gedanke tat so weh und machte ihr so Angst, dass die Nervosität der Piraten sie ansteckte. Die Mannschaft wollte wissen, nachsehen was passiert war, ob es Überlebende gab. Ob ihre Familien sich irgendwo versteckt hatten und durch ein Wunder überlebt...

Reina blickte in Richtung Hinterland, durch den Klabauter hindurch, nickte dann und wollte sich auf den Weg machen, doch Rewona packte sie am Arm und hielt sie zurück. "Warte. Du kannst nicht kopflos in der Gegend herum irren", meinte er und sie riss sich los, spuckte ihm vor die Füsse und wandte sich ab. "Reina", knurrte der Elf, doch weiter kam er nicht, weil sie wieder an ihm vorbei lief und zurück auf die Nebeljäger ging. "Ich gehe und suche Überlebende, wer mitkommen will, soll helfen die Boote ins Wasser zu lassen", meinte sie und wenige stimmten mit einem "Aye" zu.

"Was sollen wir jetzt machen?", fragte Elira leise. "Die Piraten werden hierbleiben wollen..."

Elira sah sich um und schüttelte den Kopf. "Nein...", murmelte sie. "Sie ist aber sicher nicht unter denen, die mit Reina los sind."

Rewona sah der Piratin nach, wartete, bis die Boote im Wasser waren und sie an Land ruderten, sich in drei Gruppen aufteilten und los liefen, um sich auf die Suche zu machen. Er wusste, dass Reina keine richtige Familie mehr hatte, aber da waren eine Hure und ein Junge, die sie ihre Geschwister nannte. Sie stammten aus dem selben Dorf, wie sie. Waren zusammen aufgewachsen und auch wenn sie nicht blutsverwandt gewesen waren, hatte Reina die beiden geliebt. Er seufzte und wandte sich dann um zu Elira und Dreshar, er konnte Kraigor nirgends sehen, also winkte er sie zu sich, sie kamen herbei und er deutete unauffällig in Richtung eines Jungen, welcher abwesend seine Messer umklammerte und unter seinem Kopftuch bleich ins Leere starrte. "Das?", fragte Elira und Rewona nickte knapp, trat zur Seite und wandte sich an den Schwarzen Klabauter.
"Was habt ihr vor, jetzt da es keine Piratenstadt mehr gibt?", fragte er.

Rewona nickte. Jaravi war eine interessante Stadt gewesen, voller interessanter Leute und eine Zeit lang auch seine zweite Heimat. Er konnte verstehen, dass die überlebenden Piraten die Zerstörung der Stadt nicht einfach so hinnehmen würden. Aber ob sie einen Krieg gegen Kradna führen wollten, war ungewiss.
Es juckte den Elfen zwar in den Fingern zu kämpfen, aber andererseits fühlte er sich alt. Es war nicht sein Krieg. Er war jetzt nur noch ein Lehrmeister, kein aktiver Assassine, kein Abtrünniger und kein Pirat mehr.

Elira trat auf den Schiffsjungen zu. "He, Kleiner, ich hab ne Frage", meinte sie freundlich.

Elira reagierte nicht auf den Ausbruch schierer Freundlichkeit. "Kennst du eine Melissa?", fragte sie und blieb knapp ausser Reichweite Meleths stehen.