Die beiden Stadtwachen folgten Rowenia mit etwas Abstand, aber sie störte sich nicht daran. Als sie hinab zu Kjartans Zelle ging, wurde sie schräg von der Wache vor der Tür gemustert. "Ich will nur kurz mit ihm reden", meinte sie trocken. Die Wache zögerte, liess sie aber rein.
"Hallo Onkel", grüsste sie Kjartan.
"Traust du dich also tatsächlich her", erwiederte der Mann und erhob sich.
"Wieso sollte ich mich nicht hertrauen. Ich habe Neuigkeiten für dich", meinte sie ruhig.
"Ooooh?", fragte Kjartan höhnisch. "Ich habe bereits gehört, was du getan hast, kleines Miststück", sagte er leise und bedrohlich, wobei er auf sie zu kam. "Dann ist ja gut. Ich wollte aber noch etwas anderes sagen."
"Ausser dass du die Ehre deiner Familie mit Füssen trittst? Ich habe dich nicht zu einer billigen Hure erzogen, die sich gleich an den Hals dieses räudigen Bastardes wirft!", brüllte er sie an. "Wie kannst du es wagen, den Namen der Schwarzschnee so in den Dreck zu ziehen!?"
Rowenia sah ihn kühl an und reagierte nicht auf den Ausbruch dieser familiären Zuneigung.
"Ich wollte nur sagen, dass bald euer Urteil verkündet wird Onkel. Ob ihr so lange lebt, die Hochzeit mitzuerleben, bezweifle ich. Aber!", sie hob den Finger, bevor er weiterkeifen konnte, "das ist gut so. Denn so seid Ihr und ich glücklich, Onkel", sagte sie, lächelte zauberhaft und wandte sich um zum Gehen, als man die Zellentür öffnete, blickte sie noch einmal zurück. "Ah und als ihr versucht habt, ihn bei einem 'Jagdunfall' 'verunglücken' zu lassen, habt ihr kläglich versagt. Wie bei jedem eurer Vorhaben", meinte sie und ging dann.
Ihre Miene war eisig und sie rauschte in ihr Zimmer. Bevor sie Numair nocheinmal traf, wollte sie sich noch umziehen und zurecht machen. Sie nahm ein Bad, wählte ein schlichtes, elegantes Kleid in einem dunklen Rotton, der ihre ebenholzfarbenen Haare betonte. Puder und Schminke trug sie dezent auf, damit ihre Augen noch grüner wirkten und bat eine der Zofen ihr Haar zu flechten und mit einigen frischen, weissen Blüten zu versehen, die ihr Haupt wie ein Diadem zierten, dann ging sie hinaus in den Innenhof mit einem Buch und Pinseln ausgestattet.

Numair hatte wieder seine Reitkleider angezogen und ging durch die unzähligen Gänge runter zu den Stallungen. Auf dem Weg kam er an einigen Damen vorbei. "Myladies.", grüsste er sie höflich und ging ohne langsamer zu werden weiter Richtung Ausgang. Er wollte sehen ob er dem Friesen heute schon den Sattel auflegen konnte. Er musste ja noch nicht aufsitzen. Er wollte das Tier nur wieder daran gewöhnen und ihn lehren, dass es nichts schlimmes war ein solches Ding zu tragen. Zur Sicherheit würde aber noch auf den Markt gehen und einen kleinen Korb mit Äpfeln kaufen.

Rowenia bat jemanden ihr Farben und Papier zu bringen, denn sie wollte versuchen sich abzulenken. Arnesta hatte ihr gesagt, dass Numair zum Stall gegangen war und sie wollte ihm nicht den Tag verderben, also liess sie niemanden nach ihm schicken.

Gegen Abend führte Numair das Pferd zurück zum Stall. Er war um viel Erfahrung, doch auch an einigen blaue Flecken reicher. Der Gaul hatte nichts gegen Sättel. Er hatte sich sogar sehr gut führen lassen und Numair hatte so viel Zuversicht geschöpft, dass er sogar aufgesessen war. Kaum hatte er das getan, war er auch schon im Dreck gelandet. Er hatte es noch einmal versucht, doch als das Pferd ihn dieses Mal runter warf, fiel er auf seinen linken Arm und der Schmerz in seinem kleinen Finger liess ihm übel werden. "Was bist du auch für ein sturer Bock.", rügte Numair das Tier, während er ihm die Stirn kraulte. "Ich bin gut zu dir. So viel solltest du mittlerweile gemerkt haben. Du lässt dich führen, sogar einen Sattel auflegen, doch sobald ich dich reiten will, gebärdest du dich wie ein wildes Fohlen, dem eine Hornisse in den Arsch gestochen hat."
Der Stallbursche, der den Friesen gerade absattelte, lachte leise. "Habt ihr so etwas schon mal gesehen?"
"Ja. Als ich elf war hatten ein paar Hornissen einen Bau im Boden, nahe eines Trainingsgeländes. Ich ritt zu nahe vorbei und eine der Hornissen fiel nichts besseres ein, als dem armen Tier in die Hinterbacken zu stechen. Der Jährling sprang über den Zaun, warf mich nahe des Nestes ab und lief davon. Logischerweise stürzten sich diese Mistviecher dann auf mich. Ein beherzter Sprung in den Dorfbach rettete mich jedoch vor dem Zorn dieser Insekten.", erzählte Numair mit einem Grinsen. Der Stallbursche lachte und hängte den Sattel auf. "Reib ihn gut trocken. Er hatte einen anstrengenden Tag."
"Werde ich tun, Mylord."
"Danke, Junge." Numair schnippte ihm eine Münze zu und streckte dann seine schmerzenden Glieder. Es war fast unwirklich wie wenig er jetzt zu tun hatte, doch er genoss es. Zuhause in Midvale rackerte sich Hal wahrscheinlich bei der Pferdezucht ab, doch hier in der Stadt war Numair zum Müssiggang verdammt.

Rowenia hatte einiges zu Stande gebracht, war aber mit ihren Werken überhaupt nicht zufrieden. Etwas genervt verliess sie am Abend den Innenhof, wobei sie nicht merkte, dass ihre Hände, Stirn und eine Wange voller Farbe waren.
Unterwegs zu ihren Gemächern setzte sie sich kurz in einen der offenen Säle, um etwas zu trinken. Tee und Gebäck stand schon bereit, aber in Ruhe sich daran laben konnte sie nicht, denn Lady Lyraca kam plötzlich um eine Ecke gekommen und auf sie zu. "Guten Abend Lyraca", grüsste Rowenia sie mit einem aufgesetzten, höflichen Lächeln.

"Einen sehr angenehmen. Ich hoffe ihr auch?", meinte sie sehr höflich und unschuldig. Beide übertrieben es mit der Freundlichkeit und die Feindseligkeit war beinahe mit Händen zu greiffen.

Rowenia blickte kurz auf ihre Hände und lächelte, die Farbe verfluchend, die ihr wahrscheinlich auch im Gesicht klebte. "Oh, nun, es kommt darauf an, was genau die Gerüchte sagen", meinte sie mit der Stimme einer durchaus zufriedenen Braut. "Aber falls sie besagen, dass Lord Numair und ich heiraten werden, dann sind sie wahr."